OGH 6Ob68/24d

OGH6Ob68/24d18.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, 1041 Wien, Prinz-Eugen-Straße 20–22, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* eG, *, vertreten durch Stempkowski Schröter Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.000 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtvom 27. September 2023, GZ 5 R 55/23d‑12, womit das Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom 6. März 2023, GZ 10 C 5/23t‑8, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00068.24D.0618.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Bestandrecht, Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil einschließlich der in Rechtskraft erwachsenen Teile zu lauten hat:

„1. Die Klageforderung besteht mit 5.000 EUR zu Recht.

2. Die Gegenforderung besteht mit 1.840,88  EUR zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 3.159,12 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 7. 2022 zu bezahlen.

4. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 1.840,88 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 7. 2022 zu bezahlen, wird abgewiesen.

5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 794,93 EUR (darin 223,33 EUR an Barauslagen und 95,27 EUR an USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

 

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 649,66 EUR (darin 406 EUR an Barauslagen und 40,61 EUR an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 454,84 EUR (darin 254 EUR an Barauslagen und 33,47 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte ist eine seit dem Jahr 2017 bestehende Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft. Ihr Zweck ist die umfassende wirtschaftliche und soziale Förderung der Mitglieder, unter anderem durch Entwicklung preiswerter, nachhaltiger und inklusiver Lebensräume samt Beauftragung zur Errichtung entsprechender Bauten, deren Sanierung und Betreibung sowie die Schaffung von Gemeinschafts- und Folgeeinrichtungen, Läden und Räumen für Gewerbetreibende. Weiters liegt der Zweck auch in der Unterstützung der Mitglieder bei der gemeinschaftlichen Umsetzung humanitärer, sozio-ökonomischer und ökologischer Maßnahmen, der kooperativen Bewerbung und synergetischen Umsetzung wirtschaftlicher Aufträge und Projekte und dem Anbieten von Dienstleistungen wie Fortbildung, Beratung und andere der intensiven Gemeinschaftsbildung sowie Gesundheit und Lebensfreude fördernde Aktivitäten (§ 2 Abs 1 der Satzung). Unternehmensgegenstand ist insbesondere die Entwicklung und Errichtung von Gebäuden, Infrastrukturen und Anlagen sowie damit in Zusammenhang stehende Tätigkeiten, aber auch Groß- und Einzelhandel mit Waren aller Art, das Gast- und Beherbergungsgewerbe sowie Beteiligungen (§ 2 Abs 2 und Abs 3 der Satzung).

[2] Darüber hinaus hat die Satzung folgenden (auszugsweisen Inhalt):

II. Mitgliedschaft

§ 3 Voraussetzung und Erwerb der Mitgliedschaft

(1) Mitglieder der Genossenschaft können werden:

1. physische und juristische Personen oder unternehmerisch tätige, eingetragene Personengesellschaften, die die im Eigentum der Genossenschaft stehenden Immobilien dauerhaft nutzen oder nutzen werden;

2. physische und juristische Personen, die nicht § 3 Abs. 1 Z 1 angehören und die Dienstleistungen der Genossenschaft in Anspruch nehmen;

3. physische Personen, deren Aufnahme im Interesse der Genossenschaft liegt, insbesondere wenn sie ein Mandat in einem Organ der Genossenschaft ausüben sollen und nicht § 3 Abs. 1 Z 1 oder § 3 Abs. 1 Z 2 angehören;

4. investierende Mitglieder gemäß § 5a GenG.

[…]

(3) Die Aufnahme erfolgt aufgrund einer schriftlichen Beitrittserklärung durch Beschluss des Vorstands. […]

Mit der Beitrittserklärung erkennen Beitretende die Bestimmungen der Satzung und Beschlüsse der Generalversammlung in vollem Umfang an.

[…]

§ 8 Auseinandersetzung

(1) Das ausgeschiedene Mitglied hat Anspruch auf Auszahlung seines Geschäftsguthabens, welches aufgrund des von der Generalversammlung festgestellten Jahresabschlusses ermittelt wird. Ein Anspruch auf Beteiligung an den Rücklagen und dem sonst vorhandenen Vermögen der Genossenschaft besteht nicht.

[... ]

§ 9 Rechte der Mitglieder

Jedes Mitglied hat das Recht

1. die Einrichtungen und Dienstleistungen der Genossenschaft nach Maßgabe der dafür getroffenen Bestimmungen oder darüber mit der Genossenschaft abgeschlossenen Vereinbarungen, welche auch sachlich begründete Differenzierungen berücksichtigen können, in Anspruch zu nehmen;

[... ]

7. sich um das Nutzungsrecht zu bewerben bzw. die vertraglich vereinbarten Räumlichkeiten vereinbarungsgemäß zu nutzen (gilt nur für Mitglieder gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 und Z 2);

[... ]

§ 10 Pflichten der Mitglieder

Jedes Mitglied hat sein gesamtes Verhalten dahin auszurichten, das genossenschaftliche Unternehmen nach Kräften zu unterstützen. Jedes Mitglied hat daher insbesondere die Pflicht:

1. den Bestimmungen der Satzung und den Beschlüssen der Generalversammlung nachzukommen;

2. gemäß § 12 Abs. 2 Geschäftsanteile zu erwerben und rechtzeitig einzuzahlen;

3. sofort bei Aufnahme ein in die satzungsmäßige Kapitalrücklage fließendes Eintrittsgeld zu zahlen, dessen Höhe von der Generalversammlung festgesetzt wird; […]

[…]

III. Geschäftsanteile, Geschäftsguthaben, Haftung

§ 12 Höhe und Anzahl der Geschäftsanteile

(1) Ein Geschäftsanteil beträgt € 1008 (in Worten: eintausendacht Euro).

(2) Jedes Mitglied hat mindestens einen Geschäftsanteil zu übernehmen und sofort einzuzahlen. […]

[…]

§ 13 Geschäftsguthaben

(1) Die auf die Geschäftsanteile geleisteten Zahlungen abzüglich etwaiger Verlustanteile (§ 43 Abs. 2) bilden das Geschäftsguthaben eines Mitglieds.

[…]

V. Rechnungswesen

[…]

§ 42 Bildung von Rücklagen

[…]

(2) Die satzungsmäßige Kapitalrücklage wird gebildet durch

1. Eintrittsgelder gemäß § 10 Z 3

2. verfallene Geschäftsguthaben

Sie darf nur zur Deckung eines ansonsten auszuweisenden Bilanzverlusts sowie zur Verlustabdeckung verwendet werden.“

[3] In der Generalversammlung vom 20. 6. 2018 wurde beschlossen, dass das Eintrittsgeld für Nutzer von privatem Wohnraum 5.000 EUR pro Person ab 16 Jahren, für Nutzer von Büros oder Seminarräumen 150 EUR/m² Nettofläche und für Nutzer von exklusiv zugewiesenen Bereichen der Außenanlage auf Grundstücken im zentralen Bereich 7 EUR/m² Nettofläche und auf sonstigen Flächen 2 EUR/m² Nettofläche beträgt. Mit diesem Eintrittsgeldwerden ein Teil der Administration sowie die Durchführung von Projekten finanziert.

[4] Bis dato hat die Beklagte lediglich Genossenschafter, welche im Sinne von § 3 Abs 1 Z 1 der Satzung Wohnungen nutzen, sowie Genossenschafter nach § 3 Abs 1 Z 3 der Satzung. Für die übrigen Kategorien von Genossenschaftern wurde bislang kein Eintrittsgeld festgelegt.

[5] Mag. D* G* (in der Folge Genossenschafter, Mieter oder Nutzer) unterfertigte im Juni 2021 eine Beitrittserklärung zur Beklagten und bezahlte an diese ein Eintrittsgeld von 5.000 EUR mit der Widmung „[Name]-Beitrittsgebühr Wohnprojekt“. Darüber hinaus schloss er im selben Monat einen Nutzungsvertrag über eine Wohnung mit einer dreijährigen Befristung zu einem monatlichen Gesamtentgelt von 901,23 EUR brutto mit der Beklagten ab.

[6] Vor Vertragserrichtung ist dem Genossenschafter mitgeteilt worden, dass neben einem Geschäftsanteil von 1.008 EUR auch eine Beitrittsgebühr von 5.000 EUR zu bezahlen sein werde. Ihm war bekannt, dass er bei einem Austritt aus der Beklagten nur den Geschäftsanteil zurückbekommen werde.

[7] Mit E-Mail vom 30. 5. 2022 teilte der Genossenschafter der Beklagten mit, den Bestandvertrag schriftlich zu kündigen, weil er ab 1. 7. 2022 eine andere Wohnung gefunden habe.

[8] Unter Punkt III. 2. des Nutzungsvertrags ist festgehalten, dass der Vertrag von beiden Seiten unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum letzten eines jeden Monats aufgekündigt werden kann.

[9] Am 30. 6. 2022 erfolgte die Rückstellung des Objekts über Ersuchen des Mieters, weil er bereits am darauffolgenden Tag abreisen musste. Der Genossenschafter bezahlte bis inklusive Juni 2022 das monatliche Nutzungsentgelt. Für Juli und August 2022 wurde dieses jedoch nicht mehr entrichtet. Ein ausdrückliches Zugeständnis der Beklagten, der Mieter müsse Nutzungsentgelte nur mehr bis Ende Juni 2022 bezahlen, gab es nicht.

[10] Der Genossenschafter trat seine Forderung gegenüber der Beklagtenzum Inkasso und zur Klagsführung an die Klägerin ab.

[11] Die Klägerin begehrt Zahlung von 5.000 EUR. Sie bringt – soweit für das Revisionsverfahren relevant – vor, der Genossenschafter habe das Mietverhältnis nach einem Jahr einvernehmlich gelöst, den Geschäftsanteil, nicht jedoch das Eintrittsgeld rückerstattet bekommen. Der Verfall des Eintrittsgeldes sei sittenwidrig.

[12] Die Beklagte beantragt Klageabweisung und bringt – soweit für das Revisionsverfahren relevant – vor, die Klägerin sei nicht legitimiert, den Anspruch des Genossenschafters geltend zu machen. Die mangelnde Rückzahlungspflicht in Bezug auf das Eintrittsgeld nach Ausscheiden eines Genossenschafters sei auch nicht sittenwidrig. Die Beklagte biete keine bloße Wohnungsvermietung an, die Stellung als Genossenschaftsmitglied sei demgemäß nicht an ein aufrechtes Mietverhältnis gebunden. Das Eintrittsgeld diene im Übrigen als Kapitalrücklage der finanziellen Absicherung der Beklagten für deren laufende Aufwendungen. Der Genossenschafter habe den Nutzungsvertrag mit E‑Mail am 30. 5. 2022 aufgekündigt. Aufgrund einer dreimonatigen Kündigungsfrist wäre er bis inklusive August 2022 zur Zahlung des Nutzungsentgelts verpflichtet gewesen, weshalb er der Beklagten noch 1.840,88 EUR (inklusive Zinsen) für Juli und August 2022 schulde.

[13] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei zur Geltendmachung der Forderung legitimiert. Da aber nach dem Genossenschaftsgesetz die Vereinbarung einer (nicht rückzahlbaren) Eintrittsgebühr zulässig sei, liege eine Sittenwidrigkeit nicht vor.

[14] Das Berufungsgericht änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, dass es die Klageforderung mit 2.777,60 EUR und die Gegenforderung mit 1.840,88 EUR als zu Recht bestehend erkannte und demgemäß die Beklagte zur Zahlung von 936,72 EUR verpflichtete. Die Klägerin sei zur Geltendmachung der Forderung legitimiert. Die Beklagte sei berechtigt, ein Eintrittsgeld (Beitrittsgebühr) von den (zukünftigen) Genossenschaftern zu verlangen. Der Genossenschafter sei zwar Verbraucher, § 879 Abs 3 ABGB sei aber schon deshalb nicht anzuwenden, weil die Zahlung von 5.000 EUR die Hauptleistung betreffe. Allerdings liege ein Verstoß gegen § 879 Abs 1 ABGB vor. Der Genossenschafter habe 5.000 EUR für eine vereinbarte Nutzungsdauer von 36 Monaten bezahlt, womit das Auflösungsrecht nach § 29 Abs 2 MRG wesentlich eingeschränkt worden sei. Ein Teilbetrag von 2.222,08 EUR sei in einen Zeitraum gefallen, in dem ein Kündigungsrecht nach § 29 Abs 2 MRG nicht bestanden habe, somit eine Einschränkung nicht vorgelegen sei. Bei Ausübung des gesetzlichen Auflösungsrechts zum frühest möglichen Zeitpunkt sei aber nach der rechtlichen Konstruktion der Beklagten ein Teilbetrag von 2.777,60 EUR nicht zurückzuzahlen. Damit liege eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen des Genossenschafters vor. Aufgrund der – hier zulässigen – geltungserhaltenden Reduktion der Vertragsbestimmung komme es aber nur zur Rückzahlung jenes Teils, der das Kündigungsrecht des § 29 Abs 2 MRG einschränke. Die Klageforderung bestehe daher mit 2.777,60 EUR zu Recht. Da die Beklagte einer einvernehmlichen Auflösung nicht zugestimmt habe, bestehe auch die eingewendete Gegenforderung in Höhe der Miete für Juli und August 2022 (samt Zinsen) zu Recht, sodass die Beklagte zur Zahlung von 936,72 EUR verpflichtet sei.

[15] Die ordentliche Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil zur Frage, ob durch die Einhebung einer nicht rückzahlbaren Eintrittsgebühr bei einer Genossenschaft, die Voraussetzung für die Mitgliedschaft in dieser und für den Abschluss eines Mietvertrags mit dieser sei, das Kündigungsrecht gemäß § 29 Abs 2 MRG in einer Weise eingeschränkt werde, die eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB ergebe, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Rechtliche Beurteilung

[16] Die Revision der Klägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt.

[17] 1.1. Die Klägerin ist gesetzlich befugt, individuelle Ansprüche, die ihr zur Geltendmachung abgetreten werden, klageweise geltend zu machen (§ 502 Abs 5 Z 3 ZPO). Diese Befugnis erfasst Ansprüche (unabhängig von ihrer Natur), die abgetreten werden können und deren Wahrnehmung in den Aufgabenbereich der in § 29 KSchG genannten Verbände fällt (RS0122125).

[18] Durch diese Regelung sollen Testverfahren zur Abklärung der materiell‑rechtlichen Rechtslage im Interesse breiter Bevölkerungskreise im Rahmen von „Musterprozessen“ der in § 29 KSchG genannten Verbände ermöglicht werden (G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 502 ZPO Rz 94). Für die Anwendbarkeit des § 502 Abs 5 Z 3 ZPO spielt es aber keine Rolle, ob das Verfahren in concreto tatsächlich ein „Musterprozess“ ist und mehrere Personen betrifft (7 Ob 233/08b). Die Klageforderung fällt auch in den Aufgabenbereich der Klägerin (vgl § 4 Abs 2 Z 5 Arbeiterkammergesetz 1992 [AKG]). Die Klägerin ist daher berechtigt, die vom Genossenschafter abgetretene Geldforderung geltend zu machen.

[19] 1.2. Die Revision ist damit auch gemäß § 502 Abs 5 Z 3 ZPO unabhängig von der Höhe des Streitwerts zulässig.

[20] 2.1. Gemäß § 5 Z 4 GenG muss der Genossenschaftsvertrag (Satzung) die Bedingungen des Eintritts der Genossenschafter, sowie die allfälligen besonderen Bestimmungen über das Ausscheiden (Austritt, Tod oder Ausschließung) derselben enthalten. Der Genossenschaft wird damit das Recht eröffnet, sonstige Bedingungen für den Eintritt in die Genossenschaft in der Satzung zu formulieren; diese sind zwingend in die Satzung aufzunehmen (Astl/Steinböck in Dellinger, GenG² § 5 Rz 16).

[21] 2.2. Die Satzung kann daher etwa vorsehen, dass ein Eintrittsgeld (eine Beitrittsgebühr) zu entrichten ist. Dieses muss für alle Mitglieder nach den gleichen Grundsätzen berechnet werden, wobei die Satzung einerseits die Höhe des Eintrittsgeldes festsetzen, andererseits das Organ bestimmen kann, welches die Beitrittsgebühr festlegt. Auf die Gleichbehandlung aller Beitrittswerber ist Bedacht zu nehmen, wobei eine Differenzierung nach sachlichen Kriterien zwischen unterschiedlichen Personengruppen zulässig ist (Astl/Steinböck in Dellinger, GenG² § 5 Rz 18; Pomper/Pomper in Pomper, Praxishandbuch Genossenschaft 2.3.3.2.4.). Diesen Anforderung entspricht die Satzung der Beklagten, die in § 10 Z 3 vorsieht, dass jedes Mitglied die Pflicht hat, bei Aufnahme ein in die satzungsmäßige Kapitalrücklage fließendes Eintrittsgeld zu zahlen, dessen Höhe von der Generalversammlung festgesetzt wird.

[22] 3.1. Nach § 879 Abs 1 ABGB sind Verträge, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, nichtig. Damit sollen Missbräuche im Hinblick auf die Privatautonomie verhindert werden (1 Ob 145/08t). Ein Geschäft ist sittenwidrig, wenn es, ohne gegen ein positives inländisches Gesetz zu verstoßen, offenbar rechtswidrig ist, also ungeschriebenes Recht – insbesondere allgemeine und oberste Rechtsgrundsätze – verletzt. Dies ist unter Berücksichtigung aller Umstände anhand der von der Gesamtrechtsordnung geschützten Interessen zu beurteilen, wobei es auf Inhalt, Zweck und Beweggrund des Geschäfts, also auf den Gesamtcharakter der Vereinbarung ankommt (RS0022866; RS0022920; RS0022884). Allgemein verstößt gegen die guten Sitten, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, dies ist aller billig und gerecht Denkenden, widerspricht (RS0022920). Wegen des Grundsatzes der Privatautonomie wird die Rechtswidrigkeit aufgrund eines Verstoßes gegen die guten Sitten regelmäßig nur dann bejaht, wenn die Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergibt oder wenn bei einer Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen besteht (RS0045886). Im Sinne eines beweglichen Systems sind hiebei alle Umstände zu berücksichtigen und durch deren Gewichtung zu prüfen (RS0113653). Bei den durch die guten Sitten umschriebenen Schranken der Rechtsausübung geht es letztlich darum, die zwischen den Parteien bestehenden Interessenlagen zu würdigen und die im Hinblick darauf angemessenen Rechtsfolgen in Abweichung von den Regelungsmustern der einschlägigen speziellen Rechtsnormen zu finden (RS0016478).

[23] 3.2. Das vorzeitige Kündigungsrecht des – hier unstrittig anzuwendenden – § 29 Abs 2 MRG ist weder verzichtbar noch zu Lasten des Mieters beschränkbar, sodass entgegenstehende vertragliche Kündigungsverzichte, Verschiebungen des Kündigungstermins in die Zukunft, Verlängerungen der Kündigungsfrist und das Vorsehen von Sanktionen, wie etwa Konventionalstrafen für den Fall der vorzeitigen Kündigung, unwirksam sind (vgl Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht4 § 29 MRG Rz 47; Stabentheiner in GeKo Wohnrecht I § 29 MRG Rz 46).

[24] 3.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in anderen Zusammenhängen Vereinbarungen, die zwar nicht das Kündigungsrecht an sich betreffen, allerdings zu unzumutbaren Einschränkungen bzw unzulässigen Erschwerungen desselben führen, unter bestimmten Voraussetzungen als unwirksam beurteilt (vgl etwa zum Arbeitsrecht RS0028876; RS0028265 [T1]; RS0028260 [insb T1 und T2]; zum Versicherungsrecht RS0126072).

[25] 3.4. Im vorliegenden Fall sieht § 10 Z 3 der Satzung ein Eintrittsgeld für sämtliche Mitglieder vor. Die Generalversammlung hat bislang aber lediglich für Genossenschafter gemäß § 3 Abs 1 Z 1 der Satzung, also für solche, die Immobilien dauerhaft nutzen, ein Eintrittsgeld vorgesehen, obwohl die Beklagte bereits seit dem Jahr 2017 besteht. Die Beklagte versucht dies damit zu rechtfertigen, dass sie diesbezüglich „Vorleistungen“ erbracht habe, die neue Mitglieder nun nutzen könnten, ohne diese allerdings konkret zu benennen. Außerdem hätten Gebäude- sowie Raumnutzer eine erhöhte Nutzungsmöglichkeit gegenüber jenen Genossenschaftern, die keine Wohnung nutzen. Dies vermag aber ein Eintrittsgeld in der von der Generalversammlung festgelegten Höhe nicht zu rechtfertigen, müssen diese Genossenschafter doch für die Raumnutzung ohnehin einen entsprechenden Zins zahlen. Dient das Eintrittsgeld ausschließlich der Kapitalrücklage, so stellt sich die Frage, warum es dann nicht auch für die anderen Kategorien von Mitgliedern festgesetzt wurde. Die Beklagte kann daher eine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung jener Mitglieder, die eine Immobilie dauerhaft nutzen, nicht darlegen. Hinzu kommt, dass durch das (nicht rückzahlbare) Eintrittsgeld das dem Genossenschafter hier zwingend zustehende Kündigungsrecht gemäß § 29 Abs 2 MRG unzulässig erschwert wird, was aufgrund der Höhe des Eintrittsgeldes im Verhältnis zum Mietzins offenkundig ist.

[26] 3.5. Der grobe Unwertgehalt des Eintrittsgeldes ergibt sich im vorliegenden Fall daher aus der unsachlichen Ungleichbehandlung einer bestimmten Kategorie von Genossenschaftern in Verbindung mit der (faktischen) Beschränkung des dem Wohnungsnutzer zwingend zustehenden Kündigungsrechts. Es liegt daher hier sowohl eine grobe Verletzung der rechtlich geschützten Interessen dieses Nutzers als auch ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten Interessen des Mitglieds und den durch sie geförderten Interessen der Beklagten vor, sodass der Beitrittsvertrag insofern teilnichtig gemäß § 879 Abs 1 ABGB ist (allgemein zum Vorrang der Teilnichtigkeit vgl etwa Laimer in Klang³ § 879 ABGB Rz 214; 6 Ob 195/18x), als diesem darin ein Eintrittsgeld von 5.000 EUR auferlegt wurde.

[27] 3.6. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts führt dies aber nicht zu einer bloß teilweisen Nichtigkeit der Vertragsbestimmung, sondern ist die Verpflichtung des Wohnungsnutzers zur Zahlung des Eintrittsgeldes in ihrer Gesamtheit nichtig, weil dies der Zweck der verletzten Normen (Verbot der unsachlichen Ungleichbehandlung der Genossenschafter und unzulässige Einschränkung des Kündigungsrechts gemäß § 29 Abs 2 MRG) verlangt (vgl RS0016431). Im Übrigen wurden Parameter für das zulässige Ausmaß des Eintrittsgeldes im konkreten Fall weder vorgebracht noch sind sie sonst ersichtlich. Somit stellt sich die Frage der Zulässigkeit einer geltungserhaltenden Reduktion gar nicht.

[28] 3.7. Die Klageforderung besteht daher mit 5.000 EUR zu Recht.

[29] 4.1. Eine stillschweigende Erklärung im Sinne des § 863 ABGB besteht in einem Verhalten, das primär etwas anderes als eine Erklärung bezweckt, dem aber dennoch auch ein Erklärungswert zukommt, der vornehmlich aus diesem Verhalten und den Begleitumständen geschlossen wird. Sie kann in einer positiven Handlung (konkludente oder schlüssige Willenserklärung) oder in einem Unterlassen (Schweigen) bestehen. Nach den von Lehre und Rechtsprechung geforderten Kriterien muss die Handlung oder Unterlassung nach der Verkehrssitte und nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer Richtung zu verstehen sein, also den zwingenden Schluss zulassen, dass die Parteien einen Vertrag schließen, ändern oder aufheben wollten. Es darf kein vernünftiger Grund bestehen, daran zu zweifeln, dass ein ganz bestimmter Rechtsfolgewille vorliegt, wobei stets die gesamten Umstände des Einzelfalls zur Beurteilung heranzuziehen sind (RS0109021).

[30] 4.2. Nach den Feststellungen gab es von Seiten der Beklagten keine ausdrücklichen Zugeständnisse, dass Nutzungsentgelte nur bis Ende Juni 2022 bezahlt werden müssen. Der kurzfristige Rückstellungstermin erfolgte nach den (dislozierten) Feststellungen über Ersuchen des Mieters, weil dieser bereits am darauffolgenden Tag abreisen musste.Von einer vorbehaltlosen Rücknahme des Bestandobjekts durch die Beklagte, die „keinen anderen Schluss“ zulasse, „als dass Einvernehmen dahingehend bestanden habe, dass das Mietverhältnis mit dem Zeitpunkt dieser Rückstellung auch beendet sein sollte“, wie dies die Revision behauptet, kann daher keine Rede sein. Das Berufungsgericht hat eine einvernehmliche Auflösung zum 30. 6. 2022 daher zu Recht verneint.

[31] 4.3. Die – der Höhe nach unstrittige – Gegenforderung besteht somit mit 1.840,88 EUR zu Recht.

[32] 5. Nach Saldierung von Klage- und Gegenforderung ist die Beklagte zur Zahlung von 3.159,12 EUR samt 4 % Zinsen ab 1. 7. 2022 verpflichtet. Die Revision ist daher teilweise berechtigt.

[33] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren in Verbindung mit § 50 ZPO. Die Klägerin obsiegt zu 2/3 und erhält daher 1/3 ihrer Vertretungskosten und 2/3 der Barauslagen ersetzt.

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