OGH 2Ob65/24h

OGH2Ob65/24h28.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Rechtsanwaltspartnerschaft Kolarz – Augustin – Mayer in Stockerau, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch TELOS Law Group Winalek, Nikodem, Weinzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 26.254,10 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 25.684,63 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Dezember 2023, GZ 15 R 228/23v‑111, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 13. September 2023, GZ 6 Cg 78/19d‑105, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00065.24H.0528.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden in ihrem nicht rechtskräftigen Teil aufgehoben.

Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden Kosten des weiteren Verfahrens.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist eine Tochter der 2018 verstorbenen Erblasserin. Der Nachlass wurde ihrer Schwester nach Abgabe einer bedingten Erbantrittserklärung aufgrund eines Testaments aus dem Jahr 2006 eingeantwortet. Der Beklagte ist der eingeantwortete Alleinerbe der während des Verfahrens verstorbenen Schwester der Klägerin.

[2] Die Schwester der Klägerin nahm nach dem Tod des Ehemanns der Erblasserin 2006 mit ihrem Ehemann einen Kredit über 27.000 EUR auf, um der Erblasserin die Begleichung der sich aus dem Ableben ihres Ehemannes ergebenden Verbindlichkeiten zu ermöglichen. Mit der auf ihrem Konto zur Verfügung gestellten, von ihr rückgeführten insgesamt 22.834,29 EUR an Verbindlichkeiten der Erblasserin. Wozu die restliche Kreditsumme verwendet wurde, kann nicht festgestellt werden.

[3] Während der letzten drei Jahre vor dem Tod der demenzkranken und in ihrer Mobilität eingeschränkten Erblasserin erbrachte die Schwester der Klägerin umfangreiche Betreuungs- und Pflegeleistungen.

[4] Die Klägerin begehrt ausgehend von einem Reinnachlass von 105.106,41 EUR die Zahlung ihres Pflichtteils. Sie bringt – soweit im Revisionsverfahren noch von Relevanz – vor, eine im Nachlassverfahren von ihrer Schwester angemeldete Forderung in Höhe von 33.754,80 EUR im Zusammenhang mit dem aufgenommenen Darlehen sei nicht berechtigt und jedenfalls verjährt. Für die erbrachten Pflegeleistungen stehe ihrer Schwester kein Pflegevermächtnis zu, weil sie als Erwachsenenvertreterin der Erblasserin ohnehin über ihr Einkommen und das Pflegegeld verfügt habe. Auch die Möglichkeit, im Haus der Mutter unentgeltlich zu wohnen, stelle ebenso wie der Verzicht auf Miete und einen Erhaltungskostenbeitrag ein zu berücksichtigendes Entgelt für die Pflegeleistungen dar.

[5] Der Beklagte wendet zusammengefasst ein, der von der Schwester der Klägerin aufgenommene und zurückbezahlte Kredit habe dazu gedient, der Erblasserin die Zahlung der nach dem Tod ihres Mannes entstandenen Verbindlichkeiten zu ermöglichen. In Höhe der geleisteten Zahlungen sei der Erblasserin ein Darlehen gewährt worden. Jedenfalls bestehe insoweit ein Bereicherungsanspruch. Die seit dem Jahr 2014 erforderliche Pflege der Mutter habe die Schwester der Klägerin übernommen. Für den Zeitraum bis drei Jahre vor dem Tod stehe ihr gemäß § 1435 ABGB analog ein Ersatz für die erbrachten 1.465,54 Pflegestunden im Ausmaß von 14.645,40 EUR zu. Für ihre Tätigkeit innerhalb der drei letzten Jahre vor dem Tod gebühre ihr ein Pflegevermächtnis. Sie habe – nach Tag‑ und Nachtleistungen näher aufgeschlüsselt – zahlreiche Betreuungsstunden geleistet. Unter Berücksichtigung eines angemessenen Stundenlohns für den Tag in Höhe von 10 EUR und für die Nacht in Höhe von 20 EUR errechne sich ein Pflegevermächtnis in Höhe von 88.533,80 EUR. Die Pflichtteilsforderung der Klägerin gehe daher aufgrund der Nachlassüberschuldung ins Leere.

[6] Das Erstgericht gab der Klage im Umfang von 14.298,75 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Es ging von einem Reinnachlass in Höhe von 82.182,12 EUR aus. Die von der Schwester geleisteten Zahlungen in Höhe von 22.834,29 EUR seien als Nachlasspassivum zu berücksichtigen. Zwar habe keine Rückzahlungsvereinbarung festgestellt werden können. Es handle sich aber auch um keine Schenkung, sondern um Aufwendungen aus dem Vermögen der Schwester, die sie getätigt habe, um die Erblasserin von ihren Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit dem Tod ihres Ehemanns zu befreien. Ihr stehe daher ein bereicherungsrechtlicher, nicht verjährter Ersatzanspruch zu. Die Erwartung der Schwester der Klägerin, für ihre Pflegeleistungen letztwillig bedacht zu werden, sei nicht enttäuscht worden, sodass für die mehr als drei Jahre vor dem Tod erbrachten Pflegeleistungen kein Anspruch nach § 1435 ABGB analog bestehe. Hingegen habe die Schwester der Klägerin Anspruch auf ein Pflegevermächtnis. Dessen Höhe habe sich primär am der Erblasserin verschafften Nutzen zu orientieren. Dieser liege in den Leistungen einer 24‑Stunden‑Betreuung. Das Pflegevermächtnis sei daher nicht nach dem von der Schwester der Klägerin geleisteten Stundenaufwand, sondern ausgehend von den Nettokosten einer üblichen 24‑Stunden-Betreuung unter Abzug des Fahrtkostenanteils sowie der Fremdbetreuungszeiten zu bemessen. Es errechne sich daher ein Pflegevermächtnis in Höhe von 53.584,63 EUR, das vor dem Pflichtteil aus dem Nachlass zu befriedigen sei. Nach Abzug des Pflegevermächtnisses verbleibe ein Nachlass von 28.597,49 EUR. Die Pflichtteilsansprüche der beiden Töchter des Erblassers in Höhe von jeweils 20.545,53 EUR fänden im verbleibenden Nachlass keine Deckung, sodass sie sich jeweils eine anteilsmäßige Kürzung gefallen lassen müssten. Die Klägerin erhalte daher die Hälfte des nach Abzug des Pflegevermächtnisses verbleibenden Nachlasses.

[7] Das von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es der Klage im Umfang von 25.684,63 EUR sA stattgab und das Mehrbegehren abwies. Es billigte – abgesehen von der zusätzlichen Berücksichtigung eines vom Erstgericht übersehenen Pflegetages (62,50 EUR) – die vom Erstgericht vorgenommene Bemessung des Pflegevermächtnisses. Weder die schon lange vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit bestandene Wohnmöglichkeit noch das Pflegegeld seien als kausale Zuwendung für die geleistete Pflege zu werten. Die Aufwendungen der Schwester der Klägerin für die Erblasserin nach dem Tod deren Ehemanns seien nicht als Nachlasspassivum zu berücksichtigen. Eine Darlehensvereinbarung zwischen der Schwester der Klägerin und der Erblasserin habe nicht festgestellt werden können. Auch für einen Anspruch nach § 1042 ABGB bestehe kein Raum, weil die Klägerin nicht einmal behauptet habe, im Interesse der damaligen Gläubiger der Erblasserin gehandelt zu haben. Der vom reinen Nachlass unter Außerachtlassung des Pflegevermächtnisses zu berechnende Pflichtteil der Klägerin betrage daher – wie jener ihrer Schwester – 26.254,10 EUR. Da der Nachlass zur Deckung des Pflegevermächtnisses und der beiden Pflichtteile im Umfang von 1.138,93 EUR nicht ausreiche, müsse die Klägerin eine verhältnismäßige Kürzung ihres Pflichtteils hinnehmen. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht über Abänderungsantrag des Beklagten zur Frage zu, ob Voraussetzung für einen Anspruch nach § 1042 ABGB ein Handeln der Schwester der Klägerin im Interesse der Gläubiger der Erblasserin sei.

[8] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, die Klage abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist; sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[11] Der Beklagte argumentiert, sich im Zusammenhang mit der geltend gemachten Forderung gegen den Nachlass nicht nur auf einen Darlehensvertrag, sondern auch auf einen Bereicherungsanspruch berufen zu haben. Die aufgenommenen Kreditvaluta seien zur Befriedigung von Forderungen dritter Personen gegen die Erblasserin aufgewendet worden. Dass es dabei an einem „animus obligandi“ gefehlt habe, habe die Klägerin nicht behauptet. Den fehlenden Schenkungscharakter der Leistung habe das Erstgericht ohnehin festgehalten. Es bestehe daher ein Anspruch nach § 1042 ABGB, der den Reinnachlass schmälere. Wenn man das Pflegevermächtnis schon nicht anhand eines Stundensatzes, sondern der Kosten einer 24‑Stunden‑Betreuung bemesse, sei weder die USt noch der Fahrtkostenanteil oder die Zeiten stationärer Pflege abzuziehen. Die Pflegende habe weder Urlaub noch Freizeit wie eine 24‑Stunden‑Betreuerin gehabt. Auch während der Zeiten stationärer Pflege habe sie keiner Beschäftigung nachgehen können und daher finanzielle Einbußen erlitten. Die zeitlich vernachlässigbare Pflege der Volkshilfe oder die Tagesbetreuung im A*heim sei nicht abzuziehen, weil währenddessen andere Tätigkeiten zu verrichten gewesen seien. Überdies entfalle eine Vielzahl an Pflegestunden auf Tätigkeiten, die nur von diplomierten Krankenpflegern wie der Schwester der Klägerin vorgenommen werden könnten.

1. Höhe des Reinnachlasses

[12] 1.1 Auf eine Darlehensforderung gegen die Erlasserin kommt die Revision nicht mehr zurück.

[13] 1.2 Nach § 1042 ABGB ist der Aufwand zu ersetzen, den ein anderer nach dem Gesetze hätte machen müssen. Nur soweit die Pflicht des anderen reicht, kann Ersatz gefordert werden (RS0104142). Hievon ist jede vom Gesetz anerkannte Verpflichtung, auch eine solche vertraglicher Natur, erfasst (RS0104142 [T9]).

[14] Das Wesen des Anspruchs nach § 1042 ABGB ist es, dass jemand (ein anderer, der Bereicherte) aus dem Rechtsgut des Eigentümers (des Verkürzten, des Verletzten) ohne Rechtsgrund einen Vorteil zieht; der Vorteil fließt dem Berechtigten aber nicht unmittelbar, sondern durch Abnahme einer Last durch eine Leistung des Verkürzten an eine Mittelsperson (den Berechtigten, Dritten), an die nach dem Gesetz der Bereicherte zu leisten hatte, zu (RS0019908). Die rechtserzeugende Tatsache des „animus obligandi“ bedarf im Normalfall keines besonderen Beweises, weil der Wille, jemanden aus einer Verpflichtung zu entlassen, von vornherein nicht angenommen werden kann, vielmehr grundsätzlich vermutet werden muss, dass eine Leistung nicht unentgeltlich, sondern entgeltlich erbracht wird. Der in Anspruch genommenen Partei steht es frei, den Beweis zu erbringen, dass im Einzelfall dieser der menschlichen Natur entsprechende Grundsatz der Eigennützigkeit nicht zutrifft, der Aufwand vielmehr in der Absicht gemacht worden ist, ihn endgültig aus eigenen Mitteln zu tragen (RS0019948 [T2]).

[15] 1.3 Auf Grundlage dieser Prämissen steht dem Beklagten als Gesamtrechtsnachfolger der Schwester der Klägerin aufgrund der Zahlung von Verbindlichkeiten der Erblasserin aus den Mitteln des aufgenommenen Kredits ein Anspruch nach § 1042 ABGB gegen deren Verlassenschaft zu. Dass es der leistenden Schwester der Klägerin an einem „animus obligandi“ gefehlt hätte, ist im Zweifel nicht anzunehmen. Derartiges hat die Klägerin auch nicht behauptet. Das Vorbringen des Beklagten zum „animus obligandi“ verstößt auch nicht gegen das Neuerungsverbot, handelt es sich dabei doch im Wesentlichen lediglich um eine (ergänzende) rechtliche Argumentation (RS0016473).

[16] 1.4 Die vom Berufungsgericht angesprochene Frage, ob § 1042 ABGB eine Absicht des Leistenden voraussetze, im Interesse des Leistungsempfängers (nicht aber des Bereicherten) zu handeln, stellt sich lediglich im Zusammenhang mit der Abgrenzung zu den Regeln über die GoA und der Frage der Anspruchskonkurrenz, wobei im vorliegenden Fall aufgrund des Gleichlaufs der Verjährung beider Ansprüche bei Zahlung einer fremden Forderung keine Notwendigkeit zur Differenzierung besteht (vgl Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.09§ 1042 Rz 3 mwN). Auch § 1037 ABGB sieht – sofern man von einem Handeln nur im Interesse der Erblasserin ausginge – einen Ersatz der notwendigen und nützlichen Aufwendungen vor. Dass die Zahlung der Verbindlichkeiten im – nicht abgrenzbaren – Eigeninteresse der Leistenden gestanden wäre, sodass ein Anspruch aufgrund von GoA ausscheidet (vgl 2 Ob 152/21y Rz 50 mwN), behauptet die Klägerin erstmals im Revisionsverfahren.

[17] Selbst wenn man von einer gemeinsamen Tragung der Verbindlichkeiten der Erblasserin durch die Schwester der Klägerin und ihrem Ehemann als Kreditnehmer ausginge, bestünde der Ersatzanspruch nach § 1042 ABGB als Nachlasspassivum in voller Höhe, wenn auch mit zwei Gläubigern als Anspruchsberechtigten.

1.5 Verjährung

[18] Die Verjährungsfrist eines Anspruchs nach § 1042 ABGB folgt – wie auch bei Begleichung einer Forderung im Rahmen von GoA (RS0019759) – aus Gründen des Schuldnerschutzes der des getilgten Anspruchs (RS0119861).

[19] Die Klägerin stützt ihren Einwand, ein allfälliger Anspruch nach § 1042 ABGB sei verjährt, darauf, dass die von der Schwester der Klägerin getragenen Kreditraten der dreijährigen Verjährungsfrist unterliegen und die Tilgung des Kredits aber bereits 2016 erfolgt sei. Aufgrund der erstmaligen Geltendmachung im Verlassenschaftsverfahren nach der Mutter wären – gehe man von einer Forderungsanmeldung bereits mit dem Tod der Erblasserin aus – lediglich acht Raten nicht verjährt.

[20] Mit dieser Argumentation übersieht die Klägerin, dass es sich beim getilgten Anspruch nicht um die Kreditverbindlichkeit, sondern um die Forderungen der Gläubiger im Zusammenhang mit dem Ableben ihres Ehemanns gehandelt hat. Dass diese nur einer dreijährigen Verjährungsfrist unterlägen, sodass auch der aus deren Tilgung abgeleitete Anspruch nach § 1042 ABGB verjährt wäre, behauptet die Klägerin aber gar nicht.

[21] 1.6 Die vom Beklagten gerügten sekundären Feststellungsmängel im Zusammenhang mit seinem Anspruch nach § 1042 ABGB (Fehlen von Feststellungen zur Tilgung weiterer Forderungen gegen die Erblasserin und zur Höhe der geleisteten Zahlungen auf Zinsen und Kosten) liegen nicht vor, weil das Erstgericht insoweit ohnehin eine (Negativ‑)Feststellung getroffen hat. Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]).

[22] 1.7 Es ist daher im Ergebnis – mit dem Erstgericht – von einem Reinnachlass in Höhe von 82.182,12 EUR auszugehen. Insoweit liegt ein abschließend erledigter Streitpunkt vor (vgl RS0042031).

2. Einfluss eines Pflegevermächtnisses auf die Pflichtteilsberechnung

[23] 2.1 Das Pflegevermächtnis weist eine janusköpfige Rechtsnatur auf, weil es zwischen dem Vermächtnis – als das es der Gesetzgeber ausdrücklich eingeordnet hat – und dem Pflichtteilsrecht – weil es nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes entzogen werden kann – angesiedelt ist. Es hat pflichtteilsähnlichen Charakter (2 Ob 63/21k Rz 25 f).

[24] 2.2 Das Pflegevermächtnis (§§ 677 f ABGB) ist nach der – im Revisionsverfahren nicht in Zweifel gezogenen und daher nicht näher zu überprüfenden – Rechtsprechung des Fachsenats ein Vermächtnis iSd § 779 Abs 2 ABGB und fällt auch nicht unter die schon zu Lebzeiten des Verstorbenen auf dessen Vermögen haftenden Schulden und Lasten (§ 779 Abs 1 ABGB). Es ist daher bei der Berechnung des Pflichtteils nicht zu berücksichtigen (RS0133432).

[25] 2.3 Gemäß § 678 Abs 2 ABGB gebührt das Pflegevermächtnis neben dem Pflichtteil und ist daher nicht auf diesen anzurechnen (Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 678 Rz 6; Welser, Erbrechts‑Kommentar § 678 ABGB Rz 3). Es genießt Vorrang vor anderen Vermächtnissen und muss zur Befriedigung der Pflichtteilsberechtigten gemäß § 764 Abs 2 ABGB nicht beitragen (Welser, Erbrechts-Kommentar § 678 ABGB Rz 6). Daraus ist zu folgern, dass eine anteilige Kürzung des Pflegevermächtnisses gemäß § 692 ABGB zur Deckung der Pflichtteile bei unzureichender Verlassenschaft und bedingtem Erbantritt nicht in Frage kommt. Das Pflegevermächtnis genießt vielmehr aufgrund seines Zwecks wie eine Verlassenschaftsverbindlichkeit absoluten Befriedigungsvorrang gegenüber den Pflichtteilsansprüchen. Wenn bei bedingter Erbantrittserklärung ein Nachlass nicht ausreicht, um die Pflichtteilsansprüche und das Pflegevermächtnis zu erfüllen, werden daher die Pflichtteile und nicht das Pflegevermächtnis (anteilig) gekürzt (Welser, Erbrechts‑Kommentar § 678 ABGB Rz 8; Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 678 Rz 10; Christandl in Klang³ §§ 677, 678 ABGB Rz 33; Stefula, Das Pflegevermächtnis nach dem ErbRÄG 2015, EF‑Z 2016, 116; aA Kolmasch in Schwimann/Neumayr 6 §§ 677, 678 ABGB Rz 9, nach dem der Pflegevermächtnisnehmer den Pflichtteils-berechtigten nachgeht).

3. Pflegevermächtnis

[26] 3.1 Auf § 1435 ABGB analog als Anspruchsgrundlage, in Bezug auf drei Jahre vor dem Tod der Erblasserin erbrachte Pflegeleistungen kommt der Beklagte nicht mehr zurück.

[27] 3.2 Der Oberste Gerichtshof hat in seiner ausführlich begründeten Entscheidung 2 Ob 63/21k folgende, für die Bemessung der Höhe des Pflegevermächtnisses maßgebliche Grundsätze klargestellt:

[28] Die Höhe des Pflegevermächtnisses ist stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass letztlich nur eine Ausmittlung nach richterlichem Ermessen gemäß § 273 ZPO sachgerechte Ergebnisse ermöglicht (Rz 93). Dabei ist eine Orientierung an der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur bereicherungsrechtlichen Abgeltung von Pflegeleistungen geboten, die in Analogie zu § 1152 ABGB eine angemessene Entlohnung gewährt, weil diese am ehesten die (maßgebliche) Perspektive des Leistenden berücksichtigt. Entscheidend ist damit nicht, wie viel der Gepflegte für die (Erlangung der) Pflegeleistung (auf dem Markt) aufwenden hätte müssen, sondern wie hoch der angemessene Lohn des Pflegenden gewesen wäre (Rz 98). Als ungefähre Orientierungsgröße für die Angemessenheit eines Stundensatzes können in diesem Zusammenhang die Mindestlohntarife für im Haushalt Beschäftigte herangezogen werden, in denen Mindestlöhne für unterschiedliche Beschäftigungen enthalten sind (Rz 99 f), wobei bei der Ausmittlung zu berücksichtigen ist, dass es sich bei den Mindestlohntarifen um Brutto‑Tarife handelt, sodass bei der Ausmittlung nach § 273 ZPO ein „gewisser Abschlag“ zu berücksichtigen ist, um den dem Pflegenden zufließenden Betrag angemessen einschätzen zu können (Rz 100). In der genannten Entscheidung hielt der Oberste Gerichtshof unter Berücksichtigung der langjährigen, sehr zeitintensiven, teils in der Nacht erforderlich gewesenen und auch anspruchsvollen Tätigkeiten umfassenden Pflegeleistungen einen Stundensatz von 14 EUR für angemessen.

[29] 3.3 Einer Anrechnung des Pflegegelds als Zuwendung iSd § 677 Abs 1 letzter Halbsatz ABGB (vgl Stefula, Die Abgeltung von Pflegeleistungen, EF‑Z 2016, 116; 2 Ob 63/21k Rz 107) steht im vorliegenden Fall die Feststellung entgegen, dass dieses für den Lebensunterhalt der Erblasserin, die Erhaltung des Hauses und die Fremdpflege verwendet wurde. Dass auch die Wohnmöglichkeit mangels kausaler Verknüpfung (vgl RS0133720) mit den Pflegeleistungen nicht als Zuwendung abzuziehen ist, ist im Revisionsverfahren ebenfalls nicht (mehr) strittig.

[30] 3.4 Der von den Vorinstanzen verwendete Ansatz, bei der Bemessung des Pflegevermächtnisses von den Kosten einer 24‑Stunden‑Betreuung auszugehen, ist aber schon dem Grunde nach verfehlt, weil er in Widerspruch zur dargelegten Rechtsprechung primär auf den dem Gepflegten verschafften Nutzen iSe Aufwandsersparnis als Ausgangspunkt und nicht darauf abstellt, wie hoch der angemessene Lohn des Pflegenden, also der diesem zufließende Betrag, gewesen wäre.

[31] Eine abschließende Ausmittlung (§ 273 ZPO) des Pflegevermächtnisses kommt aber mangels ausreichender Feststellungen zum (zeitlichen) Umfang der von der Schwester der Klägerin erbrachten, objektiv erforderlichen Pflegeleistungen nicht Betracht.

[32] Zu berücksichtigen wird aber sein, dass für Zeiten der „Fremdpflege“ ein Anspruch aus einem Pflegevermächtnis nur dann in Betracht kommt, wenn in dieser Zeit sonstige (nicht medizinische) Unterstützungsleistungen zugunsten der Erblasserin verrichtet wurden, an deren alleiniger Ausübung sie aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit verhindert war (vgl zum Pflegebegriff des § 677 Abs 2 ABGB: RS0133721; Christandl in Klang³ §§ 677, 678 ABGB Rz 61 f). Für Zeiten bloßer „Rufbereitschaft“ kommt ein Anspruch nach § 677 ABGB nur insoweit in Betracht, als sich die Pflegende nicht ohnehin (aus anderen Gründen) in den Räumlichkeiten der Erblasserin aufgehalten hat (vgl 2 Ob 31/21d Rz 20).

[33] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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