European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00034.24X.0422.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 602,54 EUR (darin enthalten 100,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte ist ein Elektrizitätsunternehmen mit Sitz in W* und die Betreiberin jenes Verteilernetzes, an welches die Wohnung der Klägerin angeschlossen ist. Die Klägerin hatte mit der Beklagten für diese Wohnung einen Netznutzungsvertrag und einen Stromliefervertrag abgeschlossen.
[2] Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 2. 5. 2022, dass der Arbeitspreis für elektrische Energie von netto 7,10 Cent/kWh auf netto 10,81 Cent/kWh erhöht werden müsse, weil die Beschaffungspreise für elektrische Energie durch die Entwicklungen der internationalen Börsenpreise stark gestiegen seien; dies werde mittels österreichischen Strompreisindex (ÖSPI) dargestellt. (...) Der monatliche Grundpreis von netto 1,33 EUR werde nicht erhöht.
[3] Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 27. 7. 2022 mit:
„Kündigung Ihres bisherigen Stromliefervertrages - Angebot zum Abschluss eines neuen Liefervertrages:
Der Strommarkt ist derzeit großen Umwälzungen unterworfen. Trotz aller Bemühungen können wir unsere bisherigen Tarife in diesem Marktumfeld nicht mehr anbieten. Wir nehmen die derzeitige Situation zum Anlass, unsere Produkte zu vereinheitlichen und besser auf einen wechselhaften Energiemarkt anzupassen. Wir möchten Sie gerne als Kundin bzw. Kunden behalten und Sie weiterhin mit elektrischer Energie beliefern. Aus rechtlichen Gründen ist uns dies nicht anders möglich, als hiermit Ihren bestehenden Vertrag mit Wirksamkeit 30. September 2022 zu kündigen und Ihnen anzubieten, mit 1. Oktober 2022 auf das neue Produkt w*STROM umzusteigen. Unter nachfolgendem Link finden Sie Ihren Vertrag für das Produkt w*STROM ab 1. Oktober 2022, das Preis- und Produktblatt sowie unsere Allgemeinen Lieferbedingungen.
…
Damit der Übergang zum neuen Produkt reibungslos funktioniert, bitten wir Sie, wenn Sie das Angebot annehmen wollen, dem neuen Vertrag bis spätestens 1. September 2022 zuzustimmen.
Wichtiger Hinweis: Aus rechtlichen Gründen gilt der neue Vertrag nicht automatisch. Sie müssen dem Angebot ausdrücklich zustimmen.
Sollten Sie unserem Angebot nicht zustimmen, müssen wir die Stromlieferungen mit Ende Ihres bisherigen Stromliefervertrages, also ab 1. Oktober 2022, einstellen. Selbstverständlich können Sie auch einen Vertrag bei einem anderen Anbieter abschließen. Sollten Sie aber nicht spätestens bis 30. September 2022 einen neuen Stromliefervertrag – mit uns oder einem anderen Lieferanten – abgeschlossen haben, so tritt ein vertragsloser Zustand ein und Sie werden nicht mehr mit Strom beliefert. Ihr Anschluss müsste in weiterer Folge vom Netz getrennt werden.“
[4] Das Angebot der Beklagten zum Abschluss eines neuen Liefervertrags beinhaltete einen monatlichen Grundpreis von netto 5 EUR und einen Arbeitspreis von netto 24,50 Cent/kWh. Das Angebot enthielt das Produkt- und Preisblatt der Beklagten.
[5] Im Stadtgebiet W* gibt es zwei Netzbetreiber. Jeder Kunde kann unabhängig vom Netzbetreiber mit jedem Energielieferanten einen Stromliefervertrag schließen. Die vom Kunden zu zahlenden Netzgebühren sind reguliert und unabhängig vom Stromlieferanten gleich hoch.
[6] Im Wirtschaftsjahr 2021/22 lieferte die Beklagte 64.178.397 kWh an elektrischer Energie an ihre Kunden. Davon lieferte sie 76,63 % an ihre Kunden im eigenen Netzgebiet, 23,37 % ihrer Energielieferungen gingen an Kunden anderer Netzbetreiber in ganz Österreich. Im selben Wirtschaftsjahr wurden 79.125.897 kWh an elektrischer Energie im Netz der Beklagten an Kunden im Stadtgebiet von W* geliefert, wobei die Beklagte davon 62,20 % an ihre Kunden lieferte und 37,80 % von 62 anderen Energielieferanten geliefert wurden. Die von der Beklagten im selben Wirtschaftsjahr an ihre Kunden in Österreich gelieferte elektrische Energie von 64,18 GWh entspricht einem Marktanteil der Beklagten von ca 0,09 % des Gesamtstromverbrauchs in Österreich.
[7] Eine Anfrage über den Tarifkalkulator der E‑Control vom 12. 8. 2022 ergab, dass 53 Angebote von Lieferanten für die Lieferung von elektrischer Energie unter Nutzung des Netzes der Beklagten an die Wohnung der Klägerin abgegeben wurden. Unter diesen Angeboten fand sich auch das Angebot der Beklagten für das Produkt w*STROM.Privat mit einem Gesamtpreis von 797,35 EUR inkl USt und ein weiteres Angebot der Beklagten mit einem Gesamtpreis von 1.109,94 EUR inkl USt, je unter Zugrundelegung eines jährlichen Verbrauchs von 3.500 kWh. Die von anderen Energielieferanten abgegebenen Angebote wiesen unter Zugrundelegung desselben Verbrauchs Gesamtpreise zwischen 1.614,16 EUR inkl USt und 2.884,45 EUR inkl USt aus. Eine Anfrage über den Tarifkalkulator der E‑Control vom 17. 10. 2022 ergab, dass 20 Angebote von Lieferanten für die Lieferung von elektrischer Energie unter Nutzung des Netzes der Beklagten an das Wohnhaus der Klägerin abgegeben wurden. Unter diesen Angeboten fand sich auch das Angebot der Beklagten für das Produkt w*STROM.Privat mit einem Gesamtpreis von 612,59 EUR inkl USt und ein weiteres Angebot der Beklagten mit einem Gesamtpreis von 1.115,92 EUR inkl USt, je unter Zugrundelegung eines jährlichen Verbrauchs von 2.569 kWh. Die von anderen Energielieferanten abgegebenen Angebote wiesen unter Zugrundelegung desselben Verbrauchs Gesamtpreise zwischen 1.501,38 EUR inkl USt und 3.035,73 EUR inkl USt aus.
[8] Im Wirtschaftsjahr 2021/22 lieferte die T* 18,80 % der gesamten über das Netz der Beklagten gelieferten Energie von 79.125.897 kWh an Netzkunden der Beklagten im Stadtgebiet von W*. Mit E‑Mail vom 2. 8. 2022 teilte die T* der Klägerin mit, dass sie aufgrund der aktuellen Marktsituation kein Angebot für eine Stromlieferung außerhalb ihres Netzgebietes übermitteln könne. Ab Oktober 2022 bot die T* für Neukunden auch außerhalb ihres Netzgebietes, sohin auch im Netz der Beklagten, einen Arbeitspreis von netto 38,64 Cent/kWh an.
[9] Die Beklagte ermöglicht jedem Energielieferanten, Kunden in ihrem Netzgebiet mit elektrischer Energie ohne Hindernisse zu beliefern. Die von anderen Energielieferanten angebotenen Preise für die Lieferung von elektrischer Energie an Kunden im Netz der Beklagten werden nicht von der Beklagten beeinflusst und stehen in keinem Zusammenhang mit dem Netz der Beklagten.
[10] Die Klägerin schloss einen neuen Stromliefervertrag mit der V* AG ab 1. 10. 2022 für ihre Wohnung ab.
[11] DieKlägerin begehrte die Feststellung, dass die Aufkündigung der Beklagten des Stromliefervertrags zum 30. 9. 2022 rechtsunwirksam sei und er weiter aufrecht bestehe, in eventu, dass zwischen ihr und der Beklagten ein aufrechter Stromliefervertrag bestehe. Zusätzlich erhob sie ein Begehren auf Haftungsfeststellung für alle Schäden aus derBelieferungseinstellung. Die Beklagte habe mittels einer Änderungskündigung eine Erhöhung des Grund- und des Arbeitspreises vorgenommen, die beim Arbeitspreis auf eine Erhöhung um 245,07 % innerhalb eines Zeitraums von neun Monaten hinauslaufe.
[12] Die Vertragskündigung sei sittenwidrig, weil die Beklagte von ihrem Kündigungsrecht aus unsachlichen Motiven Gebrauch gemacht habe. Der von der Beklagten verkaufte Strom komme zu 100 % aus Österreich, weshalb die Beklagte nicht deshalb sofort die Preise exorbitant erhöhen dürfe, wenn es im Ausland zu Preisanstiegen bei aus Erdgas produziertem Strom komme, die Beklagte aber keinen Strom aus Erdgasproduktion verkaufe. Das Neuvertragsangebot sei gröblich benachteiligend, weil die Bruttobelastung für die Stromversorgung im Verhältnis zum Einkommen der Klägerin steige.
[13] Die Beklagte habe auf dem Gebiet der Stromversorgung in der Stadt W* auf Anbieterseite eine Monopolstellung, sei marktbeherrschend und keinem wirksamen Wettbewerb ausgesetzt. Demgegenüber seien der Klägerin weder vergleich- noch vertretbare alternative Angebote zur Verfügung gestanden. Die Vertragskündigung sei sachlich nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht durch die Gestehungskosten der Beklagten bedingt. Diese verkaufe günstig aus Wasserkraft und erneuerbaren Quellen produzierten Strom und versuche durch Änderungskündigungen Lieferverpflichtungen aus langjährigen Kundenverträgen loszuwerden, um die dadurch frei werdende Strommenge teuer zu verkaufen. Die Beklagte müsse verbundene Unternehmen finanzieren und versuche den aus diesen unternehmerischen Fehlentscheidungen resultierenden Finanzierungsbedarf durch Strompreiserhöhung zu decken. Die neu angebotene Wertsicherungsklausel (Preisbestimmungsmodell) sei außerdem sitten- und gesetzwidrig, bestehe doch für die Anwendung des von der Beklagten gewählten Sonderindex (W*-Strom-Index) keine Notwendigkeit.
[14] Die Kündigung sei auch wegen Verletzung der gesetzlichen Regeln zur Vertragsbeendigung unwirksam. Die Vertragsbeendigung durch den Stromlieferanten dürfe nur nach dem Procedere gemäß § 82 Abs 3 ElWOG erfolgen. Die Änderungskündigung der Beklagten sei eine unzulässige Umgehung der gesetzlich zwingenden Vorgaben des Preisänderungsrechts nach § 80 Abs 2a ElWOG, weil demnach eine Preiserhöhung in einem angemessenem Verhältnis zu dem für die Änderung maßgebenden Umstand stehen müsse. Demgegenüber sei der Neuvertrag(‑svorschlag) sittenwidrig, weil die Beklagte das Marktversagen am Strommarkt ausnütze, um gegenüber den auf die Stromversorgung dringend angewiesenen Kunden trotz nicht gestiegener eigener Beschaffungs- und Produktionskosten einen im Vergleich zu diesen Kosten exorbitant höheren Strompreis zu lukrieren.
[15] Es liegt keine „ordentliche“ Kündigung vor, weil die erklärte Änderungskündigung nicht auf die Beendigung des Stromliefervertrags, sondern primär darauf abziele, die Vertragsbedingungen inhaltlich, insbesondere den Strompreis, neu zu gestalten. Schließlich habe die Beklagte auf ein allfälliges Kündigungsrecht stillschweigend verzichtet, weil sie seit vielen Jahren nie von einer Kündigungsmöglichkeit zur Preiserhöhung Gebrauch gemacht habe.
[16] Aus § 15 Abs 1 KSchG sei abzuleiten, dass ein Unternehmer gegenüber dem Verbraucher verpflichtet sei, einen Vertrag nicht vorzeitig oder zur Unzeit aufzulösen.
[17] Die von der Beklagten verschickte Änderungskündigung entspreche weder den von der Aufsichtsbehörde vorgegebenen formalen Voraussetzungen noch der Informationspflicht nach § 80 Abs 2 und 2a ElWOG.
[18] Die Beklagte beantragte Klageabweisung und entgegnete, dass sie von ihrem Recht auf ordentliche Kündigung nach § 76 Abs 1 ElWOG Gebrauch gemacht habe. § 80 Abs 2a ElWOG beschränke nicht das Recht eines Stromlieferanten, bestehende Verträge zu kündigen.
[19] Der Beklagten komme weder rechtlich noch faktisch eine marktmächtige Position oder gar eine Monopolstellung zu. Zum Zeitpunkt der Kündigung des Stromliefervertrags der Klägerin habe es für diese 29 weitere Angebote zur Versorgung mit Strom gegeben, unter denen sie hätte auswählen können. Außerdem stehe es der Klägerin frei, sich gegenüber einem Stromhändler oder Lieferanten auf die sogenannte Grundversorgung gemäß § 77 ElWOG zu berufen. Es bestehe daher für die Klägerin keine Gefahr, dass die Stromversorgung unterbrochen werde und siesei nicht auf die Belieferung durch die Beklagte angewiesen.
[20] Die Beklagte habe eine unbedingte Kündigung und keine Änderungskündigung ausgesprochen. Im Übrigen sei die Kündigung auch sachlich gerechtfertigt, weil sie den überwiegenden Teil ihres Bedarfs an den Großhandelsmärkten beschaffen müsse und deshalb die Kundenverträge trotz (teilweiser) Eigenproduktion defizitär seien. Die Einhaltung des bisherigen Vertrags mit der Klägerin wäre der Beklagten daher selbst im Fall einer (nicht vorliegenden) Monopolstellung unzumutbar gewesen.
[21] Das neue Angebot der Beklagten sei ebenfalls nicht sittenwidrig, sondern vor dem Hintergrund der derzeitigen Marktsituation kompetitiv niedrig.
[22] Das Erstgericht wies alle Klagebegehren ab. Die Beklagte verfüge über keine marktbeherrschende Stellung, unterliege daher keinem Kontrahierungszwang und müsse deshalb auch eine von ihr vorgenommene Vertragsauflösung nicht sachlich rechtfertigen. Die Beklagte habe das ihr nach § 76 Abs 1 Satz 2 ElWOG zustehende Kündigungsrecht ausgeübt, welches durch die zwingende Entgeltänderungsregelung des § 80 Abs 2a ElWOG nicht beschränkt werde. Eine unzulässige Umgehung dieser Bestimmung liege nicht vor. Da die Beklagte den Vertrag mit der Klägerin durch eine ordentliche Kündigung beendet habe, sei die Beklagte nicht zur Durchführung eines Mahnverfahrens nach § 82 Abs 3 ElWOG verpflichtet gewesen. Auch Sittenwidrigkeit oder eine gröbliche Benachteiligung der Klägerin sei im Vorgehen der Beklagten nicht zu erkennen, weil der von der Beklagten für den Fall eines neuen Vertragsabschlusses angebotene Energiepreis immer noch deutlich niedriger sei, als die von anderen Energielieferanten angebotenen Preise. Die Beklagte habe auf ihr Kündigungsrecht nicht stillschweigend verzichtet und § 15 Abs 1 KSchG normiere nur eine Kündigungsmöglichkeit zu Gunsten des Verbrauchers, nicht aber eine Beschränkung der freien Kündbarkeit eines Stromliefervertrags durch den Lieferanten. Die Kündigung des Stromliefervertrags durch die Beklagte sei somit insgesamt rechtswirksam erfolgt.
[23] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Abgrenzung zwischen einer Kündigung gemäß § 76 Abs 1 ElWOG und einer Preis- oder Vertragsänderung gemäß § 80 ElWOG sei danach zu treffen, ob das Vertragsverhältnis bei Untätigkeit des Verbrauchers ende. Sei dies der Fall, liege eine Kündigung vor, andernfalls eine Preisänderung. Nach dem Schreiben der Beklagten vom 27. 7. 2022 ende der Vertrag, eine weitere Belieferung erfordere einen neuen Vertragsabschluss, weshalb eine Kündigung und keine Preisänderung vorgelegen habe. Aus der Entscheidung zu 3 Ob 90/22i sei abzuleiten, dass nur vereinbarte Preisanpassungsklauseln in den Anwendungsbereich des § 80 Abs 2a ElWOG fielen, weshalb diese Bestimmung für die Kündigung durch den Energieversorger keine Bedeutung habe. Da dieKlägerin das Neuvertragsangebot der Beklagten – unstrittig – nicht angenommen habe, müsse auch nicht geprüft werden, ob dieses den Informations- und Begründungspflichten des § 80 Abs 2a ElWOG entspreche, sitten- oder gesetzwidrig sei oder eine gröbliche Benachteiligung im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB begründe.
[24] Die Beklagte habe keine marktbeherrschende Stellung. In der Stadt W* gebe es nämlich einen zweiten Netzbetreiber und die Beklagte habe in ihrem Netz nur einen Lieferanteil von 62,20 %, während 37,80 % auf 62 andere Energielieferanten entfielen. Die Beklagte ermögliche außerdem jedem Energielieferanten, in ihrem Netz Kunden mit elektrischer Energie zu beliefern, und sie beeinflusse auch den Strompreis der anderen Energielieferanten nicht. Selbst im Fall eines Kontrahierungszwangs könne dieser nur zu angemessenen Bedingungen, also zu marktüblichen Preisen, angenommen werden, welche die Beklagte im Vergleich zur Bandbreite der Alternativangebote ohnehin anbiete. Ein Anspruch der Klägerin auf Beibehaltung des bisherigen, unter Marktniveau liegenden Preises bestehe nicht. Aus diesem Grund liege auch keine rechtsmissbräuchliche (sittenwidrige) Kündigung vor. Soweit die Klägerin erstmals im Rahmen ihrer Berufung die Analyse weiterer Wettbewerbsparameter (und darauf beruhende Feststellungen) zur Beurteilung der marktbeherrschenden Stellung der Beklagten fordere, verstoße sie gegen das Neuerungsverbot.
[25] Eine Preiserhöhung auf der Grundlage des ÖSPI ergebe sich aus dem Sachverhalt nicht, Vorbringen in der Berufung zu einem daraus abzuleitenden stillschweigenden Kündigungsverzicht sei eine unzulässige Neuerung. Aus der Information der Beklagten über eine Strompreiserhöhung mit Schreiben vom 2. 5. 2022 lasse sich kein Verzicht auf die Kündigung des Stromliefervertrags ableiten.
[26] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob § 80 Abs 2a ElWOG auch dann (analog) anzuwenden sei, wenn der Energieanbieter die einseitige Kündigung des bisherigen Energieliefervertrags ausspreche und gleichzeitig ein Angebot zum Abschluss eines Neuvertrags mit höheren Preisen unterbreite.
[27] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise stellt die Klägerin auch einen Aufhebungsantrag.
[28] Die Beklagte erstattete eineRevisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurückzuweisen, in eventu, diesernicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[29] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
[30] 1.1. Dievon der Beklagten unter Hinweis auf die Differenz zwischen den jährlichen Kosten des gekündigten Vertrags von rund 1.150 EUR und dem günstigsten zur Auswahl stehenden Alternativangebot von rund 1.600 EUR behauptete offenkundige Überbewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht liegt nicht vor:
[31] 1.2. Der Bewertungsausspruch der zweiten Instanz ist – wie die Beklagte selbst einräumt – grundsätzlich unanfechtbar und auch für den Obersten Gerichtshof bindend (RS0042515), es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt (RS0042385 [T8]) oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042385 [T22]; RS0042515 [T8]) und eine offenkundige Unter- oder Überbewertung vorgenommen (RS0109332 [T1]). Dies ist hier nicht der Fall, weil es – selbst wenn man auf die von der Beklagten ins Treffen geführte Preisdifferenz abstellen wollte – nicht allein auf einen Jahresdifferenzbetrag ankommen kann, handelt es sich doch bei Energielieferungsverträgen um sogenannte Sukzessivlieferungsverträge mit einem häufig längerfristigen Zeithorizont (RS0025878 [T2]). Eine offenkundige Überbewertung liegt daher nicht vor.
[32] 2. Der Oberste Gerichtshof hat die von der Klägerin behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens geprüft; sie liegen nicht vor:
[33] 2.1.1. Die Klägerin bezieht sich auf ihre Berufungsausführungen, wonach das Vorgehen der Beklagten als bedingte Kündigung für den Fall zu werten sei, dass die Klägerin nicht binnen gesetzter Frist ihr Einverständnis mit der angestrebten Preisänderung und der Änderung der Preisanpassungsklausel erkläre. Das Berufungsgericht habe nach Ansicht der Klägerin diesen von Beginn an eingenommenen Standpunkt, irrig als unzulässige Neuerung und als Entfernung vom festgestellten Sachverhalt angesehen und nicht berücksichtigt. Tatsächlich sei diese Bewertung des Vorgehens der Beklagten eine Frage der rechtlichen Beurteilung.
[34] 2.1.2. Das Berufungsgericht hat – entgegen der Ansicht der Klägerin – die besagte Rechtsansicht nicht als unzulässige Neuerung gewertet, sondern ist sinngemäß zum Schluss gekommen, dass die von der Klägerin vorgenommene Auslegung des Schreibens der Beklagten vom 27. 7. 2022 im festgestellten Inhalt keine Deckung finde. Die Auslegung einer nach Form und Inhalt unbestrittenen Urkunde ist aber eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RS0043422 [T1]), sodass in diesem Zusammenhang kein Mangel des Berufungsverfahrens vorliegen kann.
[35] 2.2.1. Die Klägerin verweist auf ihre erstinstanzliche Behauptung, dass das Schreiben der Beklagten vom 27. 7. 2022 nicht den Informationspflichten des Versorgers nach § 80 Abs 2 und 2a ElWOG entsprochen, keinen Hinweis auf das Recht zur Inanspruchnahme der Grundversorgung gemäß § 77 ElWOG enthalten und insoweit nicht der von der E‑Control vorgegebenen Musterformulierung entsprochen habe. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang behaupteten sekundären Feststellungsmängel habe das Berufungsgericht rechtsirrig verneint.
[36] 2.2.2. Das Berufungsgericht hat es aus rechtlichen Erwägungen für nicht relevant erachtet, ob die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 27. 7. 2022 den Informations- und Begründungspflichten gemäß § 80 Abs 2a ElWOG und den verpflichtenden Vorgaben der Aufsichtsbehörde in deren Musterformulierungen entsprochen habe und deshalb – wie die Klägerin selbst erkennt – einen sekundären Feststellungsmangel verneint. Vermeintliche sekundäre Feststellungsmängel sind aber der Rechtsrüge zuzuordnen (RS0043304 [T6]) und begründen – selbst gegebenenfalls – keinen Verfahrensmangel (vgl 7 Ob 25/17b).
[37] 2.3.1. Die Klägerin behauptet schließlich weitere sekundäre Feststellungsmängel zur fraglichen marktbeherrschenden Stellung der Beklagten und zur möglichen Valorisierung des Strompreises auf Grundlage des ÖSPI (österreichischer Strompreisindex).
[38] 2.3.2. Auch dazu genügt der Hinweis, dass ein vermeintlicher sekundärer Feststellungsmangel keinen Verfahrensmangel begründet (Punkt 2.2.2.).
[39] 3. Die Klägerin setzt sich in ihrer Rechtsrüge in erster Linie mit der Frage der Abgrenzung der Anwendungsbereiche des § 80 Abs 2a ElWOG einerseits und des § 76 Abs 1 ElWOG andererseits auseinander und vertritt die Ansicht, dass jede Preisänderung dem Regime des § 80 ElWOG unterliege. Es komme nach Ansicht der Klägerin – entgegen der Meinung des Berufungsgerichts – nicht darauf an, ob das Vertragsverhältnis durch Untätigkeit des Verbrauchers ende. Demgegenüber könne richtigerweise nur maßgeblich sein, ob der Versorger eine Preisänderung zu einem unbefristeten Vertrag bezwecke, den bestehenden Kunden weiterhin als Kunden behalten wolle, das laufende Stromlieferverhältnis „ohne Wenn und Aber“ beenden oder dieses unter geänderten Bedingungen fortsetzen wolle und, ob es der Verbraucher letztentscheidend in der Hand habe, ob das Vertragsverhältnis beendet werde oder er eine Entgeltänderung oder ein Neuvertragsangebot akzeptiere. Dazu ist Folgendes zu erwägen:
[40] 3.1. Der hier relevante Teil des § 76 ElWOG lautet in der bereits seit BGBl I 2013/174 geltenden Fassung:
„Verfahren für Wechsel, Anmeldung, Abmeldung und Widerspruch
(1) Verbraucher im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG und Kleinunternehmen können Verträge mit ihrem Lieferanten unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen kündigen, ohne einen gesonderten Kündigungstermin einhalten zu müssen. Lieferanten können Verträge mit Verbrauchern im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG und Kleinunternehmen nur unter Einhaltung einer Frist von zumindest acht Wochen kündigen. Sind Bindungsfristen vertraglich vereinbart, so ist die ordentliche Kündigung spätestens zum Ende des ersten Vertragsjahres und in weiterer Folge für Verbraucher im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 2 KSchG und Kleinunternehmen unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen sowie für Lieferanten unter Einhaltung einer Frist von zumindest acht Wochen möglich.
…“
[41] 3.2. § 80 Abs 2a ElWOG beruht – so wie auch Abs 5 leg cit – auf der Novelle BGBl I 2022/7, die am 15. 2. 2022 in Kraft getreten ist; die zuletzt erfolgte Änderung durch BGBl I 2023/145 betrifft nur Abs 4a ElWOG.
[42] 3.3. Die hier relevanten Teile des § 80 ElWOG lauten:
„Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Belieferung mit elektrischer Energie
(1) (Grundsatzbestimmung) Versorger haben Allgemeine Geschäftsbedingungen für die Belieferung mit elektrischer Energie für Kunden, deren Verbrauch nicht über einen Lastprofilzähler gemessen wird, zu erstellen. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie ihre Änderungen sind der Regulierungsbehörde vor ihrem In-Kraft-Treten in elektronischer Form anzuzeigen und in geeigneter Form zu veröffentlichen.
(2) Änderungen der Geschäftsbedingungen und der vertraglich vereinbarten Entgelte sind dem Kunden schriftlich in einem persönlich an ihn gerichteten Schreiben oder auf dessen Wunsch elektronisch mitzuteilen. In diesem Schreiben sind die Änderungen der Allgemeinen Bedingungen nachvollziehbar wiederzugeben. Gleichzeitig ist der Kunde darauf hinzuweisen, dass er berechtigt ist, die Kündigung des Vertrags binnen vier Wochen ab Zustellung des Schreibens kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären.
(2a) Änderungen der vertraglich vereinbarten Entgelte von Verbrauchern im Sinne des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG und Kleinunternehmern mit unbefristeten Verträgen müssen in einem angemessenen Verhältnis zum für die Änderung maßgebenden Umstand stehen. Bei Änderung oder Wegfall des Umstands für eine Entgelterhöhung hat eine entsprechende Entgeltsenkung zu erfolgen. Verbraucher und Kleinunternehmer müssen über Anlass, Voraussetzung, Umfang und erstmalige Wirksamkeit der Entgeltänderungen auf transparente und verständliche Weise mindestens ein Monat vor erstmaliger Wirksamkeit der Änderungen schriftlich in einem persönlich an sie gerichteten Informationsschreiben oder auf ihren Wunsch elektronisch informiert werden. Gleichzeitig sind Verbraucher und Kleinunternehmer darauf hinzuweisen, dass sie berechtigt sind, die Kündigung des Vertrags binnen vier Wochen ab Zustellung des Schreibens kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären. Versorger haben dabei von der Regulierungsbehörde zur Verfügung gestellte Musterformulierungen zu verwenden.
…
(5) Durch die Regelungen der Abs 1 bis 4 bleiben die Bestimmungen des ABGB unberührt. Vorbehaltlich des Abs 2a bleiben auch die Bestimmungen des KSchG unberührt.“
[43] 3.4. § 80 Abs 2a ElWOG soll mit Art 10 Abs 4 der Elektrizitätsbinnenmarkt‑RL 2019/944/EU in Einklang stehen (Abänderungsantrag AA‑217 BlgNR XXVII. GP 7). Art 10 Abs 4 dieser Richtlinie lautet:
„KAPITEL III STÄRKUNG UND SCHUTZ DER VERBRAUCHER
Artikel 10 Grundlegende vertragliche Rechte
…
(4) Die Kunden müssen rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Recht, den Vertrag zu beenden, unterrichtet werden. Die Versorger unterrichten ihre Kunden direkt und auf transparente und verständliche Weise über jede Änderung des Lieferpreises und deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang, zu einem angemessenen Zeitpunkt, spätestens jedoch zwei Wochen, im Fall von Haushaltskunden einen Monat, vor Eintritt der Änderung. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Endkunden freisteht, den Vertrag zu beenden, wenn sie die neuen Vertragsbedingungen oder Änderungen des Lieferpreises nicht akzeptieren, die ihnen ihr Versorger mitgeteilt hat.
…“
[44] 3.5. Aus der wiedergegebenen Rechtslage folgt, dass § 76 Abs 1 ElWOG – schon seinem klaren Wortlaut nach – von der Zulässigkeit einer Vertragskündigung („ordentliche Kündigung“) durch den Lieferanten ausgeht, von dem er bei Verträgen mit Verbrauchern im Sinn des § 1 Abs 1 Z 2 KSchG und mit Kleinunternehmen die Einhaltung einer Frist von zumindest acht Wochen verlangt. § 80 Abs 2 und 2a ElWOG betreffen dagegen – wiederum schon nach dem klaren Gesetzeswortlaut und überdies im Einklang mit Art 10 Abs 4 der Elektrizitätsbinnenmarkt‑RL 2019/944/EU – einseitige „Änderung der (…) vertraglich vereinbarten Entgelte“ im aufrechten Vertragsverhältnis (vgl 3 Ob 90/22i), nach welchen der Kunde berechtigt ist, die „Kündigung des Vertrags (...) kostenlos und ungeachtet allfälliger vertraglicher Bindungen zu erklären“. Folgerichtig hat die Novelle BGBl I 2022/7, mit der § 80 Abs 2a ElWOG eingeführt wurde, die – einen anderen Regelungsinhalt betreffende – Bestimmung des § 76 ElWOG unberührt gelassen.
[45] 3.6. In diesem Zusammenhang spielen auch die von der Klägerin ins Treffen geführten Grundsätze lex posterior derogat legi priori und lex specialis derogat legi generali keine Rolle, regeln doch § 76 ElWOG und § 80 ElWOG unterschiedliche Tatbestände (Kündigung einerseits und Vertragsanpassung andererseits), weshalb sie zueinander nicht im Verhältnis der Spezialität stehen. Bei der ordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses handelt es sich schon begrifflich nicht um eine einseitige Änderung der vertraglichen Leistungen (vgl 8 Ob 38/23f [Rn 24]; 3 Ob 131/23w [Rn 27]) und namentlich auch nicht um eine einseitige Entgelterhöhung bei Weiterbestand des Vertrags. Daraus folgt, dass § 80 Abs 2a ElWOG auf eine unbedingte ordentliche Kündigung nicht anzuwenden ist. An diesem Befund ändert sich auch nichts dadurch, dass der Lieferant mit der ordentlichen Kündigung den – von einem Tätigwerden des Konsumenten abhängigen – Abschluss eines neuen Vertrags anbietet. Auch in diesem Fall besteht nämlich grundsätzlich kein Bedarf nach der (ausschließlichen oder ergänzenden) Anwendung von Vorschriften, die sich allein auf die einseitige Änderung von Vertragspflichten bei aufrecht bleibendem Vertragsverhältnis beziehen, unterliegt doch der Neuabschluss eines Vertrags ohnehin der dafür – namentlich zum Schutz des Verbrauchers – vorgesehenen Geltungs- und Inhaltskontrolle.
[46] 3.7. Die von der Klägerin gegen diese Rechtsansicht und für die Anwendung des § 80 Abs 2a ElWOG ins Treffen geführte Entscheidung 9 Ob 16/18w betrifft eine spezifische, abweichende gesetzliche Regelung, nämlich § 29 Abs 1 (aF) bzw § 50 Abs 1 ZaDiG (idgF), deren Z 2 den – hier nicht vorliegenden – Fall einer vereinbarten Zustimmungsfiktion betrifft. Diese Entscheidung ist daher nicht einschlägig.
[47] 3.8. Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 27. 7. 2022, das – entgegen den gegenteiligen Auslegungsversuchen der Klägerin – keinem anderen Verständnis zugänglich ist, keine Änderungen des vertraglich vereinbarten Entgelts bei weiter bestehendem Vertragsverhältnis und keine bloß bedingte, sondern die unbedingte ordentliche Kündigung des damals mit der Klägerin bestandenen Stromliefervertrags vorgenommen. Daraus folgt als Zwischenergebnis, dass aus § 80 Abs 2a ElWOG nicht die Unwirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung und das unveränderte Fortbestehen des seinerzeitigen Vertragsverhältnisses abgeleitet werden kann. § 80 Abs 2a ElWOG ist nicht, und zwar auch dann nicht auf eine unbedingte ordentliche Kündigung anzuwenden, wenn damit ein Angebot auf Abschluss eines neuen Vertrags zu geänderten Bedingungen verbunden wird, das ohnedies als solches einer eigenständigen Geltungs- und Inhaltskontrolle unterliegt. Dass der – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht durch § 80 ElWOG verdrängte § 76 Abs 1 ElWOG, der die Kündigung durch den Lieferanten betrifft, eine hier relevante Einschränkung dieses Kündigungsrechts vorsehe, behauptet auch die Klägerin nicht.
[48] 4. Soweit sich die Ausführungen der Klägerin, wonach jede Preisänderung zu einem unbefristeten Stromliefervertrag in den Anwendungsbereich des § 80 ElWOG falle, (auch) gegen das neue Vertragsanbot der Beklagten richten sollte, welches die Klägerin auch für intransparent sowie sitten- und gesetzwidrig hält, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin das Anbot der Beklagten auf Abschluss eines neuen Vertrags mit einem höheren Strompreis nicht angenommen hat und dies auch mit ihrem Klagebegehren nicht anstrebt. Ob dieses Anbot den dafür maßgeblichen gesetzlichen Anforderungen oder den von der Klägerin dazu verlangten Informationen (s Punkt 2.2.1.) entsprochen hat, bedarf daher keiner Überprüfung.
[49] 5.1. Die Klägerin verweist darauf, dass nach der Rechtsprechung nicht nur Monopolisten, sondern auch Unternehmen der öffentlichen Hand zur Daseinsvorsorge einem „allgemeinen“ oder „mittelbaren“ Kontrahierungszwang unterliegen würden. Zur Tätigkeit der Beklagten als Unternehmen der öffentlichen Hand im Bereich der Daseinsvorsorge mit Strom lägen sekundäre Feststellungsmängel vor.
[50] 5.2. Zunächst gilt im Schuldrecht als Ausdruck des allgemeinen Gedankens der Privatautonomie das Prinzip der Vertragsfreiheit, also auch der Entscheidungsfreiheit, ob und mit wem ein Vertrag geschlossen wird (RS0013940). Eine Einschränkung des Grundsatzes der Privatautonomie wird nur bei Vorliegen besonderer Umstände zur Lösung schwerwiegender Interessenkollisionen in Kauf genommen, wie etwa im Fall monopolartiger Betriebe, denen ein Kontrahierungszwang zu angemessenen Bedingungen auferlegt wird (RS0113652). Ein Kontrahierungszwang ist überall dort anzunehmen, wo die faktische Übermacht eines Beteiligten bei bloß formaler Parität diesem die Möglichkeit der „Fremdbestimmung“ über andere gibt (RS0016744). Die Pflicht zum Vertragsschluss wird aber auch dort bejaht, wo ein Unternehmen eine Monopolstellung innehat und diese Stellung durch Verweigerung des Vertragsabschlusses sittenwidrig ausnützt (RS0016762). Ansonsten besteht Kontrahierungs- oder Abschlusszwang als Ausnahme vom Prinzip der Abschlussfreiheit nur in den vom Gesetz geregelten Fällen (RS0016805 [T1]).
[51] 5.3. Es entspricht – dies ist der Klägerin zuzugestehen – gesicherter Rechtsprechung, dass für einen Monopolisten Kontrahierungszwang zu angemessenen Bedingungen besteht (vgl RS0030805 [T1]). Der Inhaber einer Monopolstellung muss, wenn ihm ein Vertragsabschluss zumutbar ist, einen guten (sachlichen) Grund für die Verweigerung eines Vertragsabschlusses haben (RS0016745 [T10]). Allerdings darf selbst ein Unternehmen aus dem Bereich der Daseinsvorsorge ein Vertragsverhältnis aus wichtigem Grund mittels außerordentlicher Änderungskündigung beenden, um mit den betroffenen Kunden neue Verträge mit angemessenen Bedingungen abzuschließen, die dem Monopolisten einen kostendeckenden Betrieb ermöglichen (vgl 6 Ob 182/13b mwN).
[52] 5.4. Für die hier vorliegende Konstellation der Stromversorgung steht es dem Verbraucher infolge Liberalisierung des Strommarktes allerdings ohnehin frei, aus verschiedenen Stromanbietern zu wählen (vgl 6 Ob 277/08s). Der einfache Umstieg zwischen verschiedenen Stromanbietern (Wechselmöglichkeiten) wird durch §§ 76 ff ElWOG sichergestellt. Demnach liegt in diesem Bereich keine Fremdbestimmtheit der Klägerin vor, weil sie als Verbraucherin ein echtes Wahlrecht unter verschiedenen Anbietern hat. Es besteht aber auch keine marktbeherrschende Stellung der Beklagten für die Stromlieferung, hat doch das Erstgericht ohnehin zahlreiche Angebote anderer Lieferanten festgestellt, die unter Nutzung des Netzes der Beklagten für die Lieferung von elektrischer Energie an die Wohnung der Klägerin zur Verfügung stehen und aus denen sich keine Hinweise ergeben, dass der Tarif der Beklagten nicht marktkonform wäre. Es liegt demnach kein Fall einer Marktbeherrschung vor, der die Kündigung der Beklagten als unwirksam erweisen und diese zur Weiterbelieferung nach den seinerzeitigen Konditionen verpflichten könnte.
[53] 6.1. Zuletzt behauptet die Klägerin noch sekundäre Feststellungsmängel betreffend die Strompreiserhöhungen durch die Beklagte im Zeitraum vom seinerzeitigen Vertragsabschluss bis 2. 5. 2022 und der Möglichkeit der Beklagten zu einer Strompreiserhöhung auf Grundlage des ÖSPI zum 1. 10. 2022 und den von der Beklagten dafür herangezogenen Preisanpassungsklauseln. Erst nach ergänzenden Feststellungen zu diesen Themenbereichen, könnte die Frage beantwortet werden, ob es zwischen den Streitteilen zu einem konkludenten Kündigungsverzicht zur Erreichung einer Strompreiserhöhung gekommen sei.
[54] 6.2. Dem ist zu entgegnen, dass ein – redlicher – Erklärungsempfänger (vgl dazu RS0014160 [insb T24]; RS0014205 [insb T2 und T18]) selbst wiederholte Preiserhöhungen nicht als einen (schlüssigen) Verzicht auf das Recht zur ordentlichen Kündigung verstehen könnte.
[55] 7.1. Zusammengefasst sind die Vorinstanzen zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass § 80 ElWOG nicht auf die von der Beklagten vorgenommene unbedingte ordentliche Kündigung anzuwenden ist und dieser Kündigung auch nicht die weiteren von der Klägerin dagegen ins Treffen geführten Gründe entgegenstehen. Mangels marktbeherrschender Stellung der Beklagten und im Hinblick auf die zu marktkonformen Bedingungen bestehenden Wechselmöglichkeiten trifft die Beklagte kein zur Unwirksamkeit der Kündigung führender Kontrahierungszwang. Das von der Klägerin nicht angenommene neue Angebot war inhaltlich nicht zu prüfen. Ein schlüssiger Kündigungsverzicht lag nicht vor. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
[56] 7.2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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