OGH 10ObS130/23z

OGH10ObS130/23z16.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Deimbacher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rev. Insp. Ing. L*, vertreten durch Hosp, Hegen & Partner Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 11. Oktober 2023, GZ 12 Rs 81/23 b‑20, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00130.23Z.0116.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist bei der Polizei beschäftigt und derzeit als Kriminalbeamter sowie als Alpinpolizist tätig. Der exekutive Sicherheitsdienst im alpinen Gelände beträgt saisonabhängig in etwa 20 % der gesamten dienstlichen Tätigkeit des Klägers.

[2] Aufgrund der freiwilligen Absolvierung des jährlichen Fitness‑Checks ist der Kläger berechtigt, jährlich 20 Stunden Dienstsport mit einem Sportwart sowie weitere 20 Stunden alleine zu absolvieren. Es besteht ein großes Interesse daran, dass gerade die Alpinpolizisten für den Dienstbetrieb fit sind. Beamte sind ua berechtigt, Mountainbiken als Dienstsport auszuüben, dies auch alleine. Der Dienstsport ist am Tag vor dem Antritt beim jeweils diensthabenden Vorgesetzten anzumelden und kann theoretisch während des Regeldienstes absolviert werden. Das ist jedoch in der Dienststelle des Klägers meist nicht möglich, sodass die Absolvierung der Dienstsportstunden außerhalb des Regeldienstes vom Vorgesetzten vorgegeben ist. Vom Dienststellenleiter wird auch gewünscht, dass Dienstsport nicht von der Dienststelle aus, sondern auch vom Wohnort aus durchgeführt wird.

[3] Am 5. 5. 2022 hatte der Kläger weder formalen Plandienst noch Urlaub. Für diesen Tag hatte der Kläger von 8:00 Uhr bis 10:00 Uhr zwei Stunden Dienstsport angemeldet, der auch vom Dienststellenleiter genehmigt wurde. Er startete eine Mountainbike‑Tour von seinem Wohnsitz aus. Gegen 9:45 Uhr rutschte er bei mittlerer Fahrgeschwindigkeit mit dem Mountainbike auf einer asphaltierten Straße mit Streugut aus, überschlug sich und erlitt dabei eine Verletzung an der linken Schulter.

[4] Mit Bescheid vom 5. 10. 2022 anerkannte die Beklagte diesen Unfall nicht als Dienstunfall und sprach aus, dass Leistungen gemäß §§ 88 ff B‑KUVG nicht gewährt werden.

[5] Das Erstgericht stellte fest, dass beim Kläger derzeit aufgrund des Dienstunfalls vom 5. 5. 2022 eine lokal diskrete Instabilität im Bereich des Schultereckgelenks links, eine Bewegungseinschränkung der Schulter links und eine Kraftminderung am linken Arm vorliege. Es sprach dem Kläger eine Versehrtenrente von 20 % im gesetzlichen Ausmaß für die Dauer von vier Monaten zu.

[6] Das Berufungsgericht wies die Klage über Berufung der Beklagten ab. Ein Dienstunfall liege nur vor, wenn sich der Unfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet habe. Hier sei ein Zusammenhang zwischen der dienstlichen Tätigkeit des Klägers und einer Mountainbike‑Tour bei objektiver Betrachtung nicht zu erkennen. Daran ändere auch nichts, dass ein allgemeines Interesse an der Fitness von Polizisten bestehe und Dienstsport vom Dienstgeber gewünscht gewesen sei. Der „Dienstsport‑Grundsatzerlass“ des Bundesministeriums für Inneres (Erlass des BMI) könne den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung nicht erweitern.

Rechtliche Beurteilung

[7] In seiner gegen diese Entscheidung erhobenen außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

[8] 1. Gemäß § 90 Abs 1 B‑KUVG setzt die Anerkennung als Dienstunfall voraus, dass sich der Unfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis ereignet hat (RS0084229). Zur Auslegung des B‑KUVG sind Lehre und Rechtsprechung zu den entsprechenden Bestimmungen des ASVG heranzuziehen (RS0110598 [T2]). Die Beurteilung des Bestehens einer sachlichen Verknüpfung zwischen einem zum Unfall führenden Verhalten und der versicherten Tätigkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (10 ObS 158/20p SSV‑NF 35/9). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, ein solcher Unfall liege nach den gegebenen Umständen des Einzelfalls nicht vor, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu vergleichbaren Fällen.

[9] 2.1 Maßnahmen eines Versicherten, die er setzt, um seine körperliche und geistige dienstliche Leistungsfähigkeit aufzubringen oder zu erhalten, stehen grundsätzlich nicht mit der dienstlichen Tätigkeit in einem unmittelbaren Zusammenhang; das Risiko der dienstlichen Leistungsfähigkeit fällt in der Regel in den unversicherten eigenwirtschaftlichen Bereich (RS0084963 [T2], zuletzt 10 ObS 97/19s SSV‑NF 33/54 mwH).

[10] 2.2 Der Betriebssport kann als versicherte Tätigkeit hingegen nach der Rechtsprechung bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen (vgl dazu umfassend R. Müller in SV‑Komm [301. Lfg] § 175 ASVG Rz 79 ff mzwH; RS0084657; für die in diesem Zusammenhang vergleichbare Rechtslage in Deutschland vgl BSG B 2 U 29/04 R; B 2 U 10/13 R Rn 22 mwH; B 2 U 8/20 R Rn 18 mwH; Greiner, Teleologische Rechtfertigung und Voraussetzungen der Einbeziehung des Betriebssports in die gesetzliche Unfallversicherung, SGb 2009, 581; Rieger, Betriebssport als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung, SGb 01.2021, 27; Krasney in Krasney/Becker/Heinz/Bieresborn, Gesetzliche Unfall-versicherung [SGB VII] – Kommentar § 8 SGB VII Rn 233 ff).

[11] 2.3 Dazu hat der Oberste Gerichtshof in der vom Berufungsgericht berücksichtigten Entscheidung 10 ObS 158/20p ausgeführt, dass es erstens für die Qualifikation als Dienstunfall auch im Rahmen von Betriebssport nicht genügt, dass nur eines der nach § 90 B‑KUVG maßgeblichen Kriterien erfüllt ist (Rn 18). Zweitens kann der Erlass des BMI (vgl dazu 10 ObS 13/20i SSV‑NF 34/12) zwar eine bestimmte Sportart als mögliche, die Gesundheit und Fitness fördernde Art von „Dienstsport“ nennen – hier: Mountainbiken –, für die Frage aber, ob ein Unfall, der sich während der Ausübung dieser Sportart ereignet, vom Schutz der Unfallversicherung umfasst ist, sind die Bestimmungen des B‑KUVG maßgeblich (Rn 17). Drittens unterliegen sportliche Betätigungen nach ständiger Rechtsprechung (nur) dann dem Schutz der Unfallversicherung, wenn sie als betriebssportliche Veranstaltung zu werten sind. Organisiert und veranstaltet ein Dienstgeber beispielsweise regelmäßig zum Ausgleich für die (meist einseitige) körperliche oder geistige Belastung für die Dienstnehmer einen Ausgleichssport, der dazu dienen soll, Gesundheits‑ oder Körperschädigungen vorzubeugen, steht ein dabei erlittener Unfall unter Versicherungsschutz (Rn 13; RS0084657).

[12] 3.1 Die entscheidende Frage, ob die unfallverursachende Handlung mit dem die Versicherungspflicht auslösenden Dienstverhältnis (§ 90 Abs 1 B‑KUVG) in einem inneren Zusammenhang steht, beurteilt sich nach subjektiven und objektiven Kriterien. Die betreffende Handlung muss von der versicherten Person mit der Intention gesetzt werden, ihrer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachzukommen (subjektive Seite); die Handlung muss darüber hinaus aber auch objektiv, das heißt von der Warte eines Außenstehenden, als Ausübung oder als Ausfluss dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden können (10 ObS 260/93 SSV‑NF 8/8; 10 ObS 75/93 SSV‑NF 7/59; RS0084680).

[13] 3.2 Damit das Vorliegen von Betriebssport zu privat ausgeübtem Sport unfallversicherungsrechtlich abgegrenzt werden kann, ist nach der dargestellten Rechtsprechung Voraussetzung, dass die regelmäßige sportliche, dem Ausgleich dienende Betätigung vom Dienstgeber für Dienstnehmer des Unternehmens organisiert und veranstaltet wird (R. Müller in SV‑Komm [301. Lfg] § 175 ASVG Rz 79; nach der deutschen Rechtsprechung müssen die Übungen „im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation“ stattfinden, BSG B 2 U 29/04 R; Krasney, SGB VII, § 8 Rn 258 mwH; Greiner aaO 585, 588, sieht hier das maßgebliche Abgrenzungskriterium).

[14] 3.3 Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es auch im vorliegenden Fall – wie in dem zu 10 ObS 158/20p entschiedenen Sachverhalt – an einer in diesem Sinn wesentlichen Organisation, Beaufsichtigung oder Finanzierung des Mountainbikens durch den Dienstgeber fehlt, sodass es bereits bei objektiver Betrachtung am geforderten inneren Zusammenhang der sportlichen Aktivität des Klägers im Unfallszeitpunkt mit seiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit fehlte, ist nicht korrekturbedürftig. Nach den Feststellungen bestand der einzige Bezugspunkt zur dienstlichen Tätigkeit in der Meldung des Mountainbikens durch den Kläger an den Dienstgeber und die Verzeichnung von – außerhalb der Dienstzeit liegenden – „Plusstunden“ durch diesen. Der Revisionswerber stellt dies auch gar nicht in Frage, formuliert er doch als wesentliche Rechtsfrage, dass Rechtsprechung fehle zur „Frage des örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhangs zwischen genehmigtem Dienstsport und dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis außerhalb von organisiertem Dienstsport“.

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