OGH 10ObS260/93

OGH10ObS260/938.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar Peterlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Erich Reichelt (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut G*****, Zollwachebeamter, ***** vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA), 1081 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr.Hans Houska, Rechtsanawalt in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Oktober 1993, GZ 5 Rs 75/93-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. Mai 1993, GZ 47 Cgs 1142/92f-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.088 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 515,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 1.4.1960 geborene Kläger ist Zollwachebeamter und der Zollwacheabteilung S***** dienstzugeteilt. Er gehört auch dem alpinen Kader der Zollwache an. Für den 10.Jänner 1992 wurden die Zollwache-Schimeisterschaften 1992, Bereichsausscheidung Tirol-West, mit einem Riesentorlauf in S***** ausgeschrieben. Der Kläger fungierte dabei als Streckenchef und Kurssetzer und nahm auch selbst am Rennen teil. Die Organisation und die Teilnahme am Riesenslalom waren dienstlich vorgeschrieben. Teilnahmeberechtigt waren alle Zollwachebeamten des Bereiches Tirol-West und Gäste der eingeladenen Behörden. Den teilnehmenden und organisatorisch tätigen Zollwachebeamten waren acht Werktagsstunden als Dienst anzurechnen. Sie hatten Anspruch auf Reisekosten gemäß der Reisegebührenvorschrift, erhielten allerdings kein Kilometergeld und mußten das Nenngeld von S 50 bei der Startnummernausgabe entrichten. Der Riesentorlauf sollte der Überprüfung der körperlichen Fitness und der Förderung der Kameradschaft dienen. Der Kläger kam während des Riesenslaloms zu Sturz. Er wurde mit einem Riß des vorderen Kreuzbandes, Zerreißung des lateralen Meniskus, basisnahen Längsriß des medialen Meniskus am linken Knie und Knorpelschaden in die Innsbrucker Klinik eingeliefert. Der Kläger befand sich vom 10.1. bis 28.6.1992 im Krankenstand, am 29.6.1992 nahm er die Arbeit wieder auf. Es besteht eine endlagige leichte Anlockerung des Gelenks, ein muskuläres Defizit vor allem im Oberschenkelbereich bei sonst guter funktioneller Wiederherstellung, ein Zustand nach Teilresektion des Außenmeniskus und nach Refixation des Innenmeniskus mit gutem Erfolg. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund dieses Unfalls betrug vom 10.1.1992 bis zum 28.6.1992 30 vH und ab 29.6.1992 20 vH.

Die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter sprach mit Bescheid vom 21.10.1992 aus, daß der Vorfall vom 10.1.1992 gemäß § 90 B-KUVG nicht als Dienstunfall anerkannt werde und daß Leistungen gemäß § 88 ff B-KUVG nicht gewährt würden. Es habe sich um ein wettkampfmäßig betriebenes Schirennen gehandelt, das durch die erhöhte Verletzungsgefahr nicht den Betriebsinteressen diene und auch nicht Voraussetzung für die Tätigkeit als Zollwachebeamter sei.

Mit der rechtzeitig eingebrachten Klage beantragte der Kläger die Feststellung des Vorfalles als Dienstunfall und die Gewährung einer vorläufigen Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab 11.4.1992. Dazu brachte er im wesentlichen vor, die Organisation und die Teilnahme am Riesenslalom seien dienstlich vorgeschrieben, daher für den Kläger Dienstpflicht gewesen, so daß ein Dienstunfall vorliege. Das Schirennen könne aber auch als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung mit Versicherungsschutz angesehen werden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wiederholte ihren im Bescheid eingenommenen Rechtsstandpunkt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es handle sich um keinen Dienstunfall im Sinne des § 90 B-KUVG. Der Kläger sei zwar zu diesem Rennen dienstlich entsandt worden, diese Entsendung komme jedoch nur einer Dienstfreistellung gleich. Es sei auch keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung sportlicher Natur vorgelegen. Nehme eine Veranstaltung sportlichen Wettkampfcharakter an und diene sie der Erzielung von Spitzenleistungen, so trete im Vergleich mit dem gefahrenerhöhenden Charakter von Wettkämpfen der Moment der Förderung der Verbundenheit zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern völlig in den Hintergrund. Die Teilnahme an allgemeinen sportlichen Wettkämpfen stehe nicht unter Unfallversicherungsschutz, auch wenn sie im Rahmen des sogenannten Betriebssportes durchgeführt würde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung ab und sprach dem Kläger eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 30 vH der Vollrente vom 11.4. - 28.6.1992 und von 20 vH der Vollrente ab 29.6.1992 zu. Gemäß § 90 Abs 1 B-KUVG seien Dienstunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis oder mit der die Versicherung begründenden Funktion ereignen. Nach § 90 Abs 2 Z 4 B-KUVG seien Dienstunfälle auch Unfälle, die sich bei anderen Tätigkeiten ereignen, zu denen der Versicherte durch den Dienstgeber oder dessen Beauftragten herangezogen werde. Entscheidend sei, daß die unfallsverursachende Handlung mit dem die Versicherungspflicht auslösenden Dienstverhältnis in einem inneren Zusammenhang stehe. In diesem Sinn sei zu fragen, ob die unfallsverursachende Handlung Ausfluß der Ausübung der Erwerbstätigkeit als Zollwachebeamter sei, ob also noch eine Ausübungshandlung der Berufstätigkeit vorliege, wobei die Üblichkeit gewisser Verhaltensweisen sowie tatsächliche oder gutgläubig angenommene Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber oder den Kollegen zu berücksichtigen seien. Der Kläger habe davon ausgehen müssen, daß sowohl die Teilnahme als auch die Planung und Organisation vom Dienstgeber veranlaßt und gewünscht worden seien. Die Ausschreibung sei durch die Finanzlandesdirektion erfolgt. Dem Kläger seien sowohl die Mitwirkung an der Organisation als auch die Teilnahme am Wettkampf dienstlich vorgeschrieben gewesen. Aufgrund der ausdrücklichen dienstlichen Anordnung müsse sohin die Teilnahme an der Veranstaltung als Dienst angesehen werden, zumindest handle es sich aber um eine Tätigkeit, zu der der Versicherte durch den Dienstgeber herangezogen worden sei. Aber auch aus dem Gesichtspunkt einer Gemeinschaftsveranstaltung wäre Versicherungsschutz zu gewähren. Es dürfe auch nicht außer Betracht bleiben, daß von den Zollwachebeamten im alpinen Bereich erwartet werde, daß sie zumindest zum Teil ihren Dienst auch auf Schiern verrichten und dazu in der Lage seien. Zudem sei der Kläger auch Mitglied des alpinen Kaders der Zollwache, so daß gegenüber dieser auch von der Dienstbehörde mitgetragenen Berufsausübung keine besondere Gefahrenerhöhung durch die Teilnahme an der gegenständlichen Schimeisterschaft erfolgt sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die entscheidende Frage, ob die unfallverursachende Handlung mit dem die Versicherungspflicht auslösenden Dienstverhältnis (§ 90 Abs 1 B-KUVG) in einem inneren Zusammenhang steht, wurde vom Berufungsgericht zutreffend bejaht. Ob eine Handlung in einem solchen inneren Zusammenhang mit der versicherungspflichtigen Tätigkeit steht, beurteilt sich nach subjektiven und objektiven Kriterien: Die betreffende Handlung muß vom Versicherten mit der Intention gesetzt werden, seiner - versicherungspflichtigen - Erwerbstätigkeit nachzukommen (subjektive Seite); die Handlung muß darüber hinaus aber auch objektiv, das heißt von der Warte eines Außenstehenden, als Ausübung oder als Ausfluß dieser Erwerbstätigkeit angesehen werden können. In diesem Sinne ist zu fragen, ob die unfallsverursachende Handlung (hier die Teilnahme an einem Schirennen) Ausfluß der Ausübung der Erwerbstätigkeit des Klägers als Zollwachebeamter ist, ob also noch eine Ausübungshandlung der Berufstätigkeit vorliegt, wobei die Üblichkeit gewisser Verhaltensweisen sowie tatsächliche oder gutgläubig angenommene Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber oder den Kollegen zu berücksichtigen sind (SSV-NF 7/59 mit Hinweisen auf Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 109 [in Rz 137] und Wachter, Entscheidungsbesprechung ZAS 1993, 71, 74). Daß auch die sportliche Betätigung von Dienstnehmern im betrieblichen Interesse liegen kann, ist allgemein anerkannt. Organisiert daher ein Dienstgeber zum Ausgleich für die meist einseitige körperliche, geistige oder nervliche Belastung für die Dienstnehmer einen Ausgleichssport, der dazu dienen soll, Gesundheits- oder Körperschädigungen vorzubeugen, so steht ein dabei erlittener Unfall unter Versicherungsschutz (SSV-NF 3/90 ua). Für Verrichtungen, die sowohl privaten wie auch betrieblichen Interessen dienen - sogenannte gemischte Tätigkeiten - besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen (SSV-NF 5/10 ua). Die Grenze zwischen dem betrieblichen Interesse einerseits und den privaten Interessen des Verletzten andererseits ist dort zu ziehen, wo die Veranstaltung sportlichen Wettkampfcharakter annimmt und die Erzielung von Spitzenleistungen beabsichtigt wird. Sportarten mit Wettkampfcharakter entsprechen im allgemeinen nicht mehr der für den Betriebssport vorausgesetzten Zielrichtung, wenn der Wettkampfcharakter im Vordergrund steht. Selbst wenn daher der Leistungssport vom Unternehmer oder Dienstgeber finanziert und organisiert wird, ist er im allgemeinen versicherungsrechtlich nicht mehr geschützt, es sei denn, daß arbeitsvertraglich die Durchführung der betrieblichen Arbeit mit der Verpflichtung zur Sportausübung gekoppelt ist (SSV-NF 3/90, SSV-NF 6/79 = DRdA 1993, 49 [M.Nowak]; zuletzt 21.12.1993, 10 Ob S 245/93 - unveröffentlicht).

Von diesen Grundsätzen ist auch der Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 16.12.1992, Zl 91/12/0147, teilweise veröffentlicht ARD 4505/11/93) ausgegangen: Die aktive Teilnahme eines Gendarmeriebeamten an einem Riesentorlauf im Rahmen von Gendarmerielandesschimeisterschaften wurde nur deshalb als unfallversicherungsgeschützt anerkannt, weil der betreffende Beamte seinen Dienst als Bezirksgendarmeriekommandant in einem alpinen Gebiet versehen mußte und seine Einsatzfähigkeit von der Fertigkeit des Schifahrens auch unter der Extrembelastung und Tempodruck im Einzelfall, also in einer Situation, die dem Wettkampf nahekommt, nicht isoliert betrachtet werden konnte. Betreibt ein Beamter den Schisport nicht als bloßen Ausgleichssport, sondern im Rahmen seiner dienstlichen Stellung und in enger Verbindung zu seinen dienstlichen Aufgaben, dann kann es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhalt mit einer Förderung des Schisportes durch den Dienstgeber, der Organisation der Schimeisterschaften durch vom Dienstgeber beauftragte Gremien und im Hinblick auf die zur Teilnahme am Wettkampf spezielle Dienstfreistellung im Ergebnis zu einem Überwiegen der betrieblichen Interessen und beim Beamten zu einem Überwiegen betriebsinterner Motive kommen. In einem solchen Fall ist auch ein bei einem Schirennen erlittener Unfall als Dienstunfall zu qualifizieren.

Der erkennende Senat teilt diese Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes, wobei nicht zu übersehen ist, daß der vorliegende Fall deutliche Parallelen zu dem des Gendarmeriebeamten aufweist, sich jedoch wesentlich vom Fall des Büroangestellten unterscheidet, der bei einem von seinem Dienstgeber veranstalteten Schirennen verunglückt (10 Ob S 245/93). Wenngleich der Kläger als Zollwachebeamter dienstrechtlich nicht zur Teilnahme an einem Schirennen verpflichtet sein konnte, mußte er davon ausgehen, daß sowohl die Planung und Organisation als auch seine Teilnahme an dem Schirennen vom Dienstgeber veranlaßt und gewünscht wurden. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurden dem Kläger sowohl die Mitwirkung an der Organisation als auch die Teilnahme am Wettkampf dienstlich vorgeschrieben; ihm wurden acht Werktagsstunden für die Teilnahme gutgeschrieben und er hatte Anspruch auf Reisegebühren. Die Ausschreibung erfolgte durch die Finanzlandesdirektion. Berücksichtigt man weiters, daß der Kläger seinen Dienst als Zollwachebeamter in einem alpinen Gebiet versieht, kann nicht ausgeschlossen werden, daß seine Einsatzfähigkeit von der Fertigkeit des Schifahrens auch unter Extrembelastung und Tempodruck, also einer Situation, die dem Wettkampf nahekommt, abhängig ist. Daher ist die Ansicht des Berufungsgerichtes zu billigen, daß der Kläger den Schisport nicht als bloßen Ausgleichssport, sondern im Rahmen seiner dienstlichen Stellung und in enger Verbindung zu seinen dienstlichen Aufgaben betrieben hat, also seine Teilnahme an der Veranstaltung ausnahmsweise als Dienst angesehen werden muß (vgl SSV-NF 5/124). Aus diesem Grund liegt Versicherungsschutz vor, ohne daß noch geprüft zu werden brauchte, ob es sich überdies um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung handelte.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASVG.

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