OGH 10ObS158/20p

OGH10ObS158/20p19.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Berhard Kirchl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Dr. Roland Reichl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1081 Wien, Josefstädterstraße 80, wegen Feststellung eines Dienstunfalls, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 2020, GZ 11 Rs 58/20 h‑13, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130610

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der 1961 geborene Kläger ist als Polizist im Einsatzreferat einer Stadtpolizei im Kanzleidienst für diverse Einsätze (zB bei Fußballspielen) zuständig. Sollte ein Einsatzfall eintreten, muss er auch – wenngleich nicht vorrangig – mit dem Streifenwagen ausrücken.

[2] Jeder Polizeibeamte muss einmal im Jahr einen Sporttest absolvieren. Aufgrund der Ergebnisse dieses Tests stehen dem Beamten gewisse Dienstsportstunden zu. Dem Kläger stehen derzeit 40 Stunden Dienstsport im Jahr zu, wobei er zwischen Laufen, Tennis, Skitourengehen, Radfahren und Schwimmen grundsätzlich frei wählen kann. Dienstsport ist stets vor Sportantritt vom jeweils diensthabenden Vorgesetzten zu genehmigen.

[3] Am 5. 6. 2019 hatte er im Einsatzreferat Plandienst von 10:30 Uhr bis 18:30 Uhr. Ab 13:00 Uhr meldete er beim Abteilungsinspektor „Dienstsport“ an und fuhr mit seinem PKW von der Dienststelle eine dreiviertel Stunde lang in seinen etwa 50 km entfernt gelegenen Heimatort, um dort mit seinem Bruder im örtlichen Tennisklub Tennis zu spielen. Nachher wollte er wieder an die Dienststelle zurückkehren. Im Zuge des Tennisspiels verletzte er sich.

[4] Mit Bescheid vom 15. 1. 2020 lehnte die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau die Anerkennung des Unfalls vom 5. 6. 2019 als Dienstunfall und die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung ab.

[5] Der Kläger bringt in seiner dagegen erhobenen Klage im Wesentlichen vor, nach dem Grundsatzerlass des Bundesministeriums für Inneres zum „Dienstsport“ stehe jedem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes pro Kalenderjahr eine bestimmte Anzahl von Sportstunden zur Verfügung, wobei die Sportart – ua auch der Tennissport – im Rahmen der Vorgaben des Erlasses frei gewählt werden könne.

[6] Die beklagte Partei bestritt und wendete zusammengefasst ein, das Tennisspiel sei dem eigenwirtschaftlichen Bereich des Klägers zuzuordnen und nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst.

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.

[9] Die außerordentliche Revision ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1.1 Ein Dienstunfall liegt nur dann vor, wenn sich der Unfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichem Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet hat (§ 90 B‑KUVG).

[11] 1.2 Die Beurteilung des Bestehens einer sachlichen Verknüpfung zwischen einem zum Unfall führenden Verhalten und der versicherten Tätigkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der geforderte Zusammenhang fehlt, entspricht der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen:

[12] 2. Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit sind grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen. Ein Unfallversicherungsschutz bei ihrer Durchführung ist nicht schon deshalb anzuerkennen, weil solche Maßnahmen zugleich der Erhaltung und der Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit auch den Interessen des Unternehmens dienen (RIS‑Justiz RS0084963).

[13] 3. Sportliche Betätigungen unterliegen nach ständiger Rechtsprechung dann dem Schutz der Unfallversicherung, wenn sie als betriebssportliche Veranstaltung zu werten sind. Organisiert und veranstaltet ein Dienstgeber beispielsweise regelmäßig zum Ausgleich für die (meist einseitige) körperliche oder geistige Belastung für die Dienstnehmer einen Ausgleichssport, der dazu dienen soll, Gesundheits- oder Körperschädigungen vorzubeugen, steht ein dabei erlittener Unfall unter Versicherungsschutz (RS0084657; Müller in SV-Komm [264. Lfg] § 175 ASVG Rz 79).

[14] 4. Unter Beachtung dieser Rechtsprechung verneinte das Berufungsgericht das Vorliegen von Betriebssport mit der Begründung, dass der Dienstgeber dem Kläger zwar die Ausübung des Tennissports während der Dienstzeit nach vorangehender Anmeldung und Genehmigung durch den Vorgesetzten erlaubt habe, ohne aber die sportliche Aktivität auch nur ansatzweise organisiert oder sonst etwas dazu beigetragen zu haben. Der örtliche Tennisverein im Heimatort des Klägers weise keinen Bezug zum Dienstgeber des Klägers auf; der Dienstgeber habe sich auch nicht an den damit einhergehenden Kosten (auch nicht an den Fahrtkosten) beteiligt. Zudem sei der Kläger zum „Dienstsport“ nicht verpflichtet, sondern nur berechtigt gewesen. Habe das Tennisspiel im privaten Bereich ohne Vorgaben und ohne Aufsicht des Dienstgebers und ohne dienstliche Verpflichtung stattgefunden, fehle ein ausreichender Bezug zur dienstlichen Tätigkeit, der den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung rechtfertigen könnte.

[15] 5. Dem erstmals in der Revision gebrachten Argument, der Dienstgeber habe die entsprechende Organisation des Betriebssports mittels des Erlasses vorgenommen, ist entgegenzuhalten, dass dieser Erlass nur das Ziel verfolgt, den Bediensteten entsprechende zeitliche Möglichkeiten während der Dienstzeit zur Ausübung von Sport zu verschaffen (10 ObS 13/20i zu einem Skitag einer Landespolizeidirektion, für deren Teilnahme der dortigen Klägerin aufgrund des Erlasses vier Stunden als Dienstzeit angerechnet wurden).

[16] 6. Den weiteren Revisionsausführungen ist ergänzend noch Folgendes entgegenzuhalten:

[17] 6.1 Auch wenn im Erlass des BMI eine bestimmte Sportart als mögliche, die Gesundheit und Fitness fördernde Art von „Dienstsport“ genannt wird, bleiben für die Frage, ob ein Unfall, der sich während der Ausübung dieser Sportart ereignet, vom Schutz der Unfallversicherung umfasst ist, die Bestimmungen des B‑KUVG maßgeblich, nach denen der Unfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichem Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung stehen muss.

[18] 6.2 Wie sich aus der Rechtsprechung zu § 90 B‑KUVG ableiten lässt (RS0084229), genügt es für die Qualifikation als Dienstunfall nicht, dass nur eines dieser Kriterien erfüllt ist (hier der zeitliche Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung, weil das Tennisspiel während der Dienstzeit ausgeführt werden durfte). Allein der Umstand, dass im Erlass des BMI über den „Dienstsport“ eine Sportart als mögliche Dienstsportart genannt ist (und im konkreten Fall auch ausgeübt wurde), führt daher nicht dazu, dass ein dabei eintretender Unfall als Dienstunfall iSd § 90 B‑KUVG zu qualifizieren ist, könnte doch sonst auf diese Weise durch Erlass der Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung erweitert werden. Auch mit dem Revisionsvorbringen, den Gerichten stehe es nicht zu, eine im Erlass als Dienstsportart genannte Sportart „umzuqualifizieren“, wird somit keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

[19] 7. Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.

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