OGH 10ObS13/20i

OGH10ObS13/20i18.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Niederbichler Griesbeck Schwarz Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter‑Straße 65–67, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12. Dezember 2019, GZ 6 Rs 70/19 i‑11, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00013.20I.0218.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin ist als Vertragsbedienstete bei einer Landespolizeidirektion in der Personalabteilung beschäftigt.

Ein – für die Klägerin unstrittig anwendbarer – Erlass des Bundesministeriums für Inneres (BMI) vom 17. 11. 2009 mit dem Betreff „Dienstsport; Fitnessförderung für Bedienstete der Sicherheitsverwaltung; Dienstsport für die Organe des öffentliches Sicherheitsdienstes im BM.I“ hat unter anderem folgenden Wortlaut:

1. Präambel

Fitnessmaßnahmen bzw Dienstsport stärken die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und schaffen als unabdingbarer Bestandteil einer modernen und sozialen Personalentwicklung den Anreiz, sich auch in der Freizeit sinnvoll sportlich zu betätigen. Darüber hinaus verbessern und beschleunigen derartige Maßnahmen hinsichtlich der damit verbundenen sozialen Dimension die innerbetriebliche Integration und das Zusammengehörigkeitsgefühl im gesamten Unternehmen und führen dadurch zu einem nachweisbaren ökonomischen Nutzen des Dienstgebers.

Daher wird … eine strukturierte Fitnessförderung angeboten.

3. Allgemeines

Jeder/Jedem Bediensteten soll entsprechend den dienstbetrieblichen Gegebenheiten die Möglichkeit gegeben werden, bis zu 16 Stunden pro Kalenderjahr unter Koordinierung, Steuerung und Anleitung eines 'Sportwartes' (siehe Punkt 4.) Fitnessmaßnahmen (insbesondere Sportarten wie Schwimmen, Selbstverteidigungssportarten, Nordic‑Walking, Ski alpin und nordisch, Radfahren, Leichtathletik, Ballsportarten, Turnen und Krafttraining sowie sonstige Maßnahmen zur Erhöhung körperlichen Leistungsfähigkeit wie Gymnastik, Ernährungsberatung etc.) zu absolvieren. Bis zu diesem Stundenausmaß gilt die/der Bedienstete für diese Zwecke als 'gerechtfertigt vom Dienst abwesend'.

4. Organisation

Die als gerechtfertigte Abwesenheit vom Dienst anerkannten Fitnessmaßnahmen sowie die Abnahme der Leistungstests sind von einem fachkundigen 'Sportwart' (Lehrwart, Trainer, Sportlehrer, Fitness‑Multiplikator, Rettungsschwimmlehrer, Skilehrer) zu leiten. …

Die Sportwarte haben die entsprechenden Termine (einschließlich der Art der Veranstaltung) monatlich im Voraus den Bediensteten in geeigneter Weise bekanntzugeben. Die interessierten Bediensteten haben nach Vorliegen der Termine dem/der LeiterIn der jeweiligen Organisationseinheit bzw dem/der von ihm/ihr Beauftragten so bald als möglich den für sie in Frage kommenden Termin bekanntzugeben. Den Bediensteten ist die Teilnahme unter Berücksichtigung der dienstbetrieblichen Erfordernisse zu ermöglichen.

Als Richtwert für die Anzahl der Teilnehmer sind pro Sportwart fünf bis 20 Bedienstete vorzusehen.

Unter Berücksichtigung der dienstbetrieblichen Möglichkeiten sind die Termine so zu gestalten, dass die Veranstaltungen grundsätzlich eine Dauer von vier Stunden einschließlich einer allfälligen An‑ und Rückreisezeit nicht überschreiten. Die Termine sind nach Möglichkeit gleichmäßig über das Jahr aufzuteilen. …

Das Zentrum für Sportangelegenheiten ist für die Verfügbarkeit einer entsprechenden Anzahl von Sportwarten zur Organisation und Durchführung des Dienstsportes bzw der Fitnessmaßnahmen verantwortlich. …“.

Jährlich findet ein Skitag statt, der jeweils von unterschiedlichen Abteilungen der Landespolizeidirektion organisiert wird. Die Einladung dazu richtet sich grundsätzlich an alle Dienstnehmer. Die Klägerin nahm in den letzten Jahren zumindest zwei Mal an derartigen Skitagen teil.

Am 15. 3. 2018 fand wiederum ein Skitag statt, der von einem Sportwart organisiert wurde. Der Skitag dauerte von 7:00 Uhr (Abfahrt) bis ca 16:30 Uhr (Rückkehr). Der Klägerin wurden gemäß dem Erlass vier Stunden als Dienstzeit angerechnet, darüber hinaus musste sie Zeitausgleich konsumieren.

Die Anreise erfolgte gemeinsam mit einem vom Sportwart organisierten Bus, für den die Klägerin einen Kostenbeitrag von 20 EUR zahlte. Am Skitag nahmen 50 Personen teil. Dabei handelte es sich ausschließlich um Bedienstete verschiedener Abteilungen der Landespolizeidirektion. Aus der Personalabteilung beteiligte sich lediglich ein weiterer Bediensteter. Weder ein Vorgesetzter der Klägerin noch ein Vertreter des Dienstgebers nahmen am Skitag teil.

Die Skikarten für das Skigebiet hatten die Teilnehmer selbst zu zahlen. Sie konnten in selbst gewählten Gruppen frei skifahren. Es gab kein verpflichtendes gemeinsames Rahmenprogramm; weder fand eine gemeinsame Mahlzeit statt noch eine Rede eines Vertreters des Dienstgebers.

Die Klägerin stürzte gegen 13:00 Uhr beim Skifahren und verletzte sich dabei.

Mit Bescheid vom 26. 6. 2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls der Klägerin vom 15. 3. 2018 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung ab.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren auf Feststellung, dass die beim Sturz der Klägerin am 15. 3. 2018 erlittenen Verletzungen Folgen eines Arbeitsunfalls seien, ab.

In ihrer gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Sportliche Betätigungen unterliegen dem Schutz der Unfallversicherung, wenn sie als betriebssportliche Veranstaltung zu werten sind. Organisiert daher ein Dienstgeber zum Ausgleich für die meist einseitige körperliche, geistige oder nervliche Belastung für die Dienstnehmer einen Ausgleichssport, der dazu dienen soll, Gesundheits‑ oder Körperschädigungen vorzubeugen, so steht ein dabei erlittener Unfall unter Versicherungsschutz (RS0084657, zuletzt 10 ObS 141/15f, SSV‑NF 30/7). Aus dem Ausgleichszweck des Betriebssports, welcher den Tag für Tag wiederkehrenden Belastungen durch die Betriebstätigkeit entgegenwirken soll, wird in Lehre und Rechtsprechung das Erfordernis abgeleitet, dass die Ausgleichsaktivitäten „mit einer gewissen Regelmäßigkeit“ abzuhalten sind (R. Müller in SV‑Komm [222. Lfg] § 175 ASVG Rz 81 mwN).

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stehen betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen insoweit unter Unfallversicherungsschutz, als die Teilnahme an ihnen ein Ausfluss der Ausübung der Erwerbstätigkeit ist. Hiefür sind in jedem konkreten Fall eine Reihe von Faktoren in ihrem Zusammenhang und in ihrer ausschlaggebenden Bedeutung als Beurteilungskriterien heranzuziehen. Um die für den Versicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen wesentliche „betriebliche Zielsetzung“, die Verbundenheit zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten sowie der Beschäftigten untereinander zu erreichen, muss die Gemeinschaftsveranstaltung allen Betriebsangehörigen oder, wenn die Größe oder die Erfordernisse des Betriebs keine gemeinsame Veranstaltung erlauben, wenigstens den Angehörigen der Abteilungen oder Gruppen, bei denen dies möglich ist, offen stehen. An ihr sollen, wenn auch ohne ausdrücklichen Zwang, alle Betriebsangehörige teilnehmen, jedenfalls soll sie eine gewisse Mindestbeteiligung aufweisen. Die Gemeinschaftsveranstaltung muss vom Betriebsleiter selbst veranstaltet, zumindest aber bei der Planung und Durchführung von seiner Autorität getragen werden. Hiefür sind die Anwesenheit des Betriebsinhabers oder eines Organs, die gänzliche oder teilweise Übernahme der Kosten, die Durchführung der Veranstaltung während der Arbeitszeit oder die Gewährung arbeitsfreier Zeit wichtige Anhaltspunkte. Wenn nicht alle Kriterien vorliegen, so muss dies noch keinen Versicherungsausschluss bedeuten, doch kommt es darauf an, in welcher Intensität die Gemeinschaftsveranstaltung betrieblichen Zwecken dient und in welchem Umfang außerbetriebliche private Interessen beteiligt sind (10 ObS 54/12g SSV‑NF 26/35 mwN [Skiwochenende]; RS0084544; RS0084647). Auch sportliche Betätigungen wie etwa ein Skitag ohne Wettkampfcharakter (10 ObS 121/05z SSV‑NF 19/75) können im betrieblichen Interesse liegen bzw der Betriebsverbundenheit dienen. Entscheidend sind immer die konkreten Verhältnisse im Einzelfall im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung.

3. Das Berufungsgericht verneinte unter Beachtung der oben wiedergegebenen Rechtsprechung das Vorliegen von Betriebssport ebenso wie das Vorliegen einer unter Unfallversicherungsschutz stehenden betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung.

4. Dagegen führt die Revisionswerberin an, dass der vom Dienstgeber erwünschte Dienstsport der Bediensteten auf dem genannten Erlass nicht nur fuße, sondern der Erlass auch dessen Leitung, Durchführung und Organisation festlege. Der Dienstgeber habe den Dienstsport daher erst durch hoheitlichen Akt geschaffen und lege die Bedingungen fest, unter denen er auszuüben sei. Versicherungsschutz bestehe, weil der Skitag allen offen gestanden sei und weil eine Mindestbeteiligung der Dienstnehmer gegeben gewesen sei. Der Skitag sei infolge des Erlasses als Grundlage der Dienstsportausübung zumindest von der Autorität des Dienstgebers getragen. Maßgeblich sei, dass der Dienstsport am Unfalltag im Sinn dieses Erlasses ausgeübt worden sei. Die Sportart sei nicht nach Lust und Laune gewählt worden, Organisation und Durchführung seien durch eine vom Dienstgeber bestimmte Person erfolgt. Dazu ist auszuführen:

5.1 Eine einmalige sportliche Veranstaltung kann zwar bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen eine versicherte Gemeinschaftsveranstaltung sein, niemals aber, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, Betriebssport (R. Müller in SV‑Komm [222. Lfg] § 175 ASVG Rz 80). Dies ergibt sich auch aus dem von der Revisionswerberin für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Erlass, der ausdrücklich eine zeitliche Begrenzung der einzelnen sportlichen Veranstaltungen mit vier Stunden vorsieht und vor allem deren gleichmäßige Aufteilung über das Jahr. Der Skitag ist nicht nur ein einmaliges Ereignis, sondern er übersteigt sowohl die vom Erlass vorgegebenen zeitlichen Grenzen für betriebssportliche Veranstaltungen als auch die Grenzen der nach dem Erlass von einem Sportwart dabei maximal zu betreuenden fünf bis 20 Bediensteten. Mit dem Argument, dass Sportwarte und das Zentrum für Sportangelegenheiten dem Dienstgeber zuzuordnen seien, zeigt die Revisionswerberin keine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts auf, dass es sich bei dem einmal jährlich stattfindenden Skitag nicht um unfallversicherungsrechtlich geschützten Betriebssport handelt.

5.2 Am Skitag konnte, worauf die Vorinstanzen hingewiesen haben, nur eine begrenzte Anzahl von Bediensteten teilnehmen, weil nur ein Bus vom Sportwart organisiert war. Lediglich ein weiterer Mitarbeiter aus der Abteilung der Klägerin nahm teil. Die Teilnehmer konnten nach der Ankunft im Skigebiet in frei gewählten Gruppen fahren. Es gab kein die Verbundenheit zwischen Bediensteten und Dienstgeber sowie zwischen Bediensteten untereinander förderndes gemeinsames Rahmenprogramm, der Dienstgeber war nach den Feststellungen beim Skitag gar nicht vertreten. Auch wesentliche Teile der Kosten des Skitags (Liftkarte, Transport) mussten von den Teilnehmern selbst getragen werden. Eine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es sich nach diesen maßgeblichen Umständen des konkreten Einzelfalls nicht um eine unter Unfallversicherungsschutz stehende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung handelte zeigt die Revisionswerberin schon deshalb nicht auf, weil sie auch in diesem Zusammenhang mit dem Erlass des BMI argumentiert, der jedoch nicht die Abhaltung einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung regelt, sondern das Ziel verfolgt, Bediensteten zur Ausübung von Betriebssport mit einer gewissen Regelmäßigkeit entsprechende zeitliche Möglichkeiten während der Dienstzeit zu verschaffen.

Die außerordentliche Revision war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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