OGH 10ObS141/15f

OGH10ObS141/15f19.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Parteien 1. M*****, und 2. W*****, beide vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert‑Stifter‑Straße 65, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. September 2015, GZ 12 Rs 91/15m‑23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00141.15F.0119.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Sportliche Betätigungen unterliegen dem Schutz der Unfallversicherung, wenn sie als betriebssportliche Veranstaltung zu werten sind. Organisiert daher ein Dienstgeber zum Ausgleich für die meist einseitige körperliche, geistige oder nervliche Belastung für die Dienstnehmer einen Ausgleichssport, der dazu dienen soll, Gesundheits‑ oder Körperschädigungen vorzubeugen, so steht ein dabei erlittener Unfall unter Versicherungsschutz (10 ObS 253/98y, SSV‑NF 12/138 = DRdA 1999/30, 261 [Schrammel] ua; RIS‑Justiz RS0084657). Aus dem Ausgleichszweck des Betriebssports, welcher den Tag für Tag wiederkehrenden Belastungen durch die Betriebstätigkeit entgegenwirken soll, wird in Lehre und Rechtsprechung das Erfordernis abgeleitet, dass die Ausgleichsaktivitäten „mit einer gewissen Regelmäßigkeit“ abzuhalten sind (Müller in SV‑Komm § 175 ASVG Rz 81 mwN).

1.1 Von diesen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Bei dem nur einmal jährlich stattfindenden Fußballturnier tritt die Ausgleichsfunktion zu den Belastungen der betrieblichen Tätigkeit völlig in den Hintergrund und es kann daher schon aus diesem Grunde entgegen der von den Klägern auch in den Revisionsausführungen weiterhin vertretenen Ansicht bei ihrer Teilnahme an dem Fußballturnier nicht von der Ausübung eines Betriebssports als Ausgleichssport für eine einseitig beanspruchende Betriebsarbeit gesprochen werden (10 ObS 59/01a mwN). Zu prüfen ist noch, ob die Teilnahme der Kläger an dem Fußballturnier als Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung gewertet werden kann.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stehen betriebliche Gemeinschafts‑ veranstaltungen insoweit unter Unfallversicherungsschutz, als die Teilnahme an ihnen ein Ausfluss der Ausübung der Erwerbstätigkeit ist. Hiefür sind in jedem konkreten Fall eine Reihe von Faktoren in ihrem Zusammenhang und in ihrer ausschlaggebenden Bedeutung als Beurteilungskriterien heranzuziehen. Um die für den Versicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen wesentliche „betriebliche Zielsetzung“, die Verbundenheit zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten sowie der Beschäftigten untereinander, zu erreichen, muss die Gemeinschaftsveranstaltung allen Betriebsangehörigen oder, wenn die Größe oder die Erfordernisse des Betriebs keine gemeinsame Veranstaltung erlauben, wenigstens den Angehörigen der Abteilungen oder Gruppen, bei denen dies möglich ist, offen stehen. An ihr sollen, wenn auch ohne ausdrücklichen Zwang, alle Betriebsangehörige teilnehmen, jedenfalls soll sie eine gewisse Mindestbeteiligung aufweisen. Die Gemeinschaftsveranstaltung muss vom Betriebsleiter selbst veranstaltet, zumindest aber bei der Planung und Durchführung von seiner Autorität getragen werden. Hiefür sind die Anwesenheit des Betriebsinhabers oder eines Organs, die gänzliche oder teilweise Übernahme der Kosten, die Durchführung der Veranstaltung während der Arbeitszeit oder die Gewährung arbeitsfreier Zeit wichtige Anhaltspunkte. Wenn nicht alle Kriterien vorliegen, so muss dies noch keinen Versicherungsausschluss bedeuten, doch kommt es darauf an, in welcher Intensität die Gemeinschaftsveranstaltung betrieblichen Zwecken dient und in welchem Umfang außerbetriebliche private Interessen beteiligt sind (10 ObS 54/12g, SSV‑NF 26/35 mwN; RIS‑Justiz RS0084544; RS0084647). Entscheidend sind immer die konkreten Verhältnisse im Einzelfall im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung.

3.1 Auch sportliche Betätigungen können im betrieblichen Interesse liegen bzw der Betriebsverbundenheit dienen. Die Grenze zwischen dem betrieblichen Interesse einerseits und den privaten Interessen des Verletzten andererseits ist dort zu ziehen, wo die Veranstaltung sportlichen Wettkampfcharakter annimmt. Sportarten mit Wettkampfcharakter entsprechen im Allgemeinen nicht mehr der für den Betriebssport vorausgesetzten Zielrichtung, wenn der Wettkampfcharakter im Vordergrund steht. Selbst wenn daher das Sportereignis vom Unternehmer oder Dienstgeber finanziert und organisiert wird, ist in diesem Fall die Sportausübung im Allgemeinen versicherungsrechtlich nicht geschützt, es sei denn, die Durchführung der betrieblichen Arbeit ist mit der Verpflichtung zur Sportausübung gekoppelt, wie dies bei Halbprofis etwa vorkommt (10 ObS 260/93, SSV‑NF 8/8). Steht demnach bei der sportlichen Betätigung der Wettkampfcharakter im Vordergrund, ist sie grundsätzlich vom gesetzlichen Versicherungsschutz zu Lasten der Versichertengemeinschaft ausgenommen und daher auch nicht als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung zu werten (RIS‑Justiz RS0084601).

3.2 Beim Fußballspiel handelt es sich naturgemäß um eine auf Zwei‑ und Ballkampf ausgerichtete Sportart, die auch durch besondere Verletzungsanfälligkeit der beteiligten Spieler gekennzeichnet ist. In Verbindung mit dem geradezu typischen und immanenten Wettkampfcharakter ist die aktive Teilnahme an einem Fußballspiel ‑ insbesondere an einem Fußballturnier ‑ im Allgemeinen vom gesetzlichen Versicherungsschutz ausgenommen (10 ObS 224/89 = SSV-NF 3/90 [Betriebsfußballmeisterschaft], 10 ObS 2086/96d = SSV‑NF 10/49 [Freundschaftsspiel zweier Firmenmannschaften], 10 ObS 281/98s = SSV‑NF 12/115 = SZ 71/144 [Fußballspiel Politiker gegen Journalisten]).

4. Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ist das Berufungsgericht ausgegangen. Die Ansicht, dass im vorliegenden Fall der Wettkampf‑ und Turniercharakter des vom Betriebsrat einmal jährlich außerhalb der Arbeitszeit (am Wochenende) organisierten Fußballturniers im Vordergrund gestanden sei, weil ua die Spiele jeweils von Verbandsschiedsrichtern geleitet und aus den mehreren Betriebsmannschaften eine Siegermannschaft gekürt und Pokale und Sachpreise vergeben wurden, stellt jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung dar, auch wenn bei dem Turnier eine ungezwungene Atmosphäre geherrscht haben mag. Davon, dass nicht die Erzielung von sportlichen Spitzenleistungen bezweckt war, ist im Allgemeinen bei Freizeit‑ und Amateursport auszugehen.

5. Auch die Revisionsausführungen, im Hinblick auf die immer größere Bedeutung von sogenannten Erlebnis‑, Abenteuer‑, Risiko‑ und Extremsportarten, wäre es nicht mehr zeitgemäß, ein Fußballturnier vom Versicherungsschutz auszunehmen, sondern sei auf die konkrete Ausgestaltung der ‑ allgemein höher anzusetzenden ‑ Gefährlichkeit im Einzelfall abzustellen, bieten keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Eine Abgrenzung des Versicherungsschutzes nach der Höhe des Risikos wäre dogmatisch schwer begründbar, weil es in der gesetzlichen Unfallversicherung an sich keine Risikobegrenzung gibt, es aber gleichzeitig nicht im Belieben des Dienstgebers liegen kann, durch seine Dispositionen den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz auf beliebig hohe Risiken auszudehnen ( Müller in SV‑Komm § 175 ASVG Rz 75). Zudem wohnt jeder Sportart ein spezifisches Verletzungsrisiko inne, sodass ein Abstellen auf eine allgemein „höher“ anzusetzende Gefährlichkeit ‑ wie es den Revisionswerbern vorschwebt ‑ unscharf wäre und zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde, je nachdem, ob man als Kriterium die besondere Schwere der Unfälle heranzieht (etwa beim Drachenfliegen und Fallschirmspringen) oder die Verletzungshäufigkeit, die bei Sportarten wie Fußball oder Schifahren besonders hoch ist (siehe 10 ObS 113/07a, SSV‑NF 21/79 = DRdA 2009/39, 401 [ Binder ]). Die Abrenzung des Versicherungsschutzes muss vielmehr bei dem in der Rechtsprechung betonten Zweck einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung ansetzen, der darin liegt, die Verbundenheit der Mitarbeiter mit dem Unternehmen bzw der Mitarbeiter untereinander zu fördern. Dieser Zweck führt die betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung überhaupt erst in die Nähe eines Zusammenhangs mit der „die Versicherung begründenden Beschäftigung“, der es allein rechtfertigt, dass Teilnehmer an einer Gemeinschaftsveranstaltung überhaupt nach der Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG unfallversichert sein können ( R. Müller , Ein missglückter Betriebsausflug, DRdA 2011, 162 [166]). Es steht nicht jede Pflege gesellschaftlicher Beziehungen, auch wenn sie für das jeweilige Unternehmen insgesamt wertvoll ist, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Aus dem dargelegten Zweck einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung ergibt sich somit auch eine Begrenztheit des versicherten Risikos. Es kommen daher als unter dem Gesichtspunkt des Versicherungsschutzes zulässige sportliche Betätigungen auf Gemeinschaftsveranstaltungen im Sinne der bisherigen Rechtsprechung insbesondere nur solche sportlichen Aktivitäten in Betracht, bei denen es ‑ anders als im vorliegenden Fall ‑ zu keinem ernsthaften Wettkampf unter den Teilnehmern kommt ( Müller in SV‑Komm § 175 ASVG Rz 76) und der Wettkampfcharakter nicht im Vordergrund steht.

6. Steht aber eine betriebliche Gemeinschafts‑ veranstaltung wegen ihres Wettkampfcharakters nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, so ist ein Unfallversicherungsschutz auch für vorbereitende Tätigkeiten zu verneinen, die mit der (wettkampfmäßig betriebenen) sportlichen Tätigkeit in einem engen, unmittelbaren Zusammenhang stehen. Darunter fällt unzweifelhaft das „Aufwärmen“ an Ort und Stelle unmittelbar vor Beginn des Fußballturniers. Auch mit dem Hinweis, die beiden Kläger hätten sich ihre Verletzungen schon im Rahmen des „Aufwärmens“ zugezogen, wird somit keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

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