OGH 8Ob82/22z

OGH8Ob82/22z17.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter, in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. P* E*, 2. B* H*, BA, *, 3. em. Univ.‑Prof. Mag. Dr. R* S*, 4. F* W*, alle vertreten durch Hon.‑Prof. Dr. Michel Walter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Schmidtmayr Sorgo Wanke Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung (Interesse 32.500 EUR), über die außerordentliche Revision und den Rekurs der klagenden Parteien gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. April 2022, GZ 13 R 20/22i‑17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 29. November 2021, GZ 6 Cg 147/20g‑11, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00082.22Z.1117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502

Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

II. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache dahin erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.398,76 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 566,46 EUR USt) zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger sind Mitglieder des beklagten Vereins, dessen Statuten auszugsweise lauten:

§ 8 Vereinsorgane

Organe des Vereins sind

a) Mitgliederversammlung;

b) Vorstand;

c) Geschäftsführer/in;

d) Rechnungsprüfer/in;

e) wissenschaftlicher Beirat;

f) Schiedsgericht.

§ 9   Die Mitgliederversammlung

1. Die ordentliche n Mitgliederversammlungen findet jährlich statt.

2. Außerordentliche Mitgliederversammlungen können jederzeit vom Vorstand oder auf schriftlich begründeten Antrag von zumindest 3 % der Mitglieder an den Vorstand sowie auf Antrag der RechnungsprüferInnen einberufen werden. Die außerordentliche Mitgliederversammlung hat längstens 3 Monate nach Einlangen des Antrags beim Vorstand stattzufinden.

3. Sowohl zu den ordentlichen als auch zu den außerordentlichen Mitgliederversammlungen sind alle Mitglieder mindestens 4 Wochen vor dem Termin schriftlich einzuladen. Die Einberufung erfolgt durch den Vorstand. Anträge zu den Tagesordnungspunkten sind mindestens 2 Wochen vor dem Termin der Mitgliederversammlung beim Vorstand schriftlich einzureichen. Mitglieder, die beabsichtigen, bei der Wahl des Vorstandes zu kandidieren, müssen dies mindestens 2 Wochen vor dem Termin der Mitgliederversammlung dem Vorstand bekanntgeben.

(...)

5. Die Wahl und die Beschlussfassung in der Mitgliederversammlung erfolgen mit einfacher Stimmenmehrheit. Folgende Beschlüsse bedürfen jedoch einer qualifizierten Mehrheit von 2 Dritteln der stimmberechtigten Mitglieder:

a) Statutenänderung

(...)

d) Erweiterung der Tagesordnung der Mitgliederversammlung.

6. Den Vorsitz der Mitgliederversammlung führt der Obmann/die Obfrau, bei dessen Verhinderung dessen/deren Stellvertreter/in. Wenn auch dieser verhindert ist, so führt der/die Schriftführer/in, in dessen/deren Abwesenheit das an Jahren älteste Vorstandsmitglied. (...)

§ 11 Vorstand

1. Er besteht aus mindestens 6 Mitgliedern. (...)

2. Die Funktionsdauer des Vorstandes beträgt 3 Jahre. Auf jeden Fall währt sie bis zur Wahl eines neuen Vorstandes. Ausgeschiedene Vorstandsmitglieder sind wieder wählbar.

3. Der Vorstand hat das Recht, bei Ausscheiden eines gewählten Vorstandsmitgliedes an seiner Stelle ein anderes Mitglied neu zu wählen (kooptieren), wozu die nachträgliche Genehmigung in der nächstfolgenden Mitgliederversammlung einzuholen ist. Kooptierten Mitgliedern im Vorstand steht ein Stimmrecht insofern zu, als sie im Sinne ordentlicher Mitglieder im Verein aktiv mitarbeiten.

4. Der Vorstand wird vom Obmann/von der Obfrau bzw. dessen/deren StellvertreterIn schriftlich einberufen.

5. Der Vorstand ist beschlussfähig, wenn alle seine Mitglieder mindestens 7 Tage vorher schriftlich eingeladen wurden und nach einer halbstündigen Wartezeit mindestens 3 Vorstandsmitglieder anwesend sind. Der Vorstand fasst seine Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit wird neu gewählt bzw. durch eine/n durch den Vorstand berufenen SchiedsrichterIn zur Entscheidung gebracht. (...)

7. Außer durch Tod und Ablauf der Funktionsperiode erlischt die Funktion eines Vorstandsmitgliedes durch Enthebung durch die Mitgliederversammlung oder Rücktritt.

8. Die Mitgliederversammlung kann jederzeit den gesamten Vorstand oder einzelne seiner Mitglieder entheben.

9. Die Vorstandsmitglieder können jederzeit schriftlich ihren Rücktritt erklären. Die Rücktrittserklärung ist an den Vorstand, im Falle des Rücktritts des gesamten Vorstandes an die Mitgliederversammlung zu richten. Der Rücktritt wird erst mit Wahl bzw. Kooptierung eines/r NachfolgerIn wirksam. (...)“

[2] Mit der am 11. 12. 2020 eingebrachten Klage begehren die Kläger zusammengefasst die Feststellung, dass

- die bei der in zwei Teilen abgehaltenen Mitgliederversammlung der Beklagten vom 14. 12. 2019 und vom 1. 2. 2020 gefassten Beschlüsse, Bestätigungen von in den Vorstand kooptierten Vorstandsmitgliedern und Wahlen in den Vorstand sowie

- das Unterbleiben diverser beantragter Ergänzungen derTagesordnungen der Mitgliederversammlungen vom 27. 11. 2020 und 19. 3. 2021, nichtig (in eventu für nichtig zu erklären) seien, dazu werden Eventualbegehren gestellt.

[3] Nach dem erklärten Rücktritt von drei Vorstandsmitgliedern hätten die verbleibenden zwei neue Mitglieder in den Vorstand kooptiert. Den zurückgetretenen Vorstandsmitgliedern sei die Einladung zu dieser Vorstandssitzung unter der Voraussetzung ausgesprochen worden, dass ihr Rücktritt nicht „mit sofortiger Wirkung“ ausgesprochen werde. Es sei den Zurückgetretenen die Wahl geboten worden, entweder den Rücktritt mit sofortiger Wirkung zu bestätigen oder an der Beschlussfassung über die Kooptierung mitzuwirken. Dies widerspreche § 11 Abs 9 letzter Satz der Vereinsstatuten, da die Funktion eines zurückgetretenen Vorstandsmitglieds erst mit Kooptierung oder Wahl durch die Mitgliederversammlung erlösche.

[4] Die kooptierten Mitglieder seien in weiterer Folge bei der Mitgliederversammlung bestätigt worden. Dadurch habe sich die statutenwidrig vorgenommene Kooptierung unmittelbar auch auf den „Wahlmodus“ ausgewirkt, weil nur eine Bestätigung und keine freie Wahl stattgefunden habe. Statutengemäß hätten die kooptierten Vorstandsmitglieder als Kandidaten zur Wahl gestellt werden müssen. Dies hätte die Chancen der sechs zur Verfügung gestandenen KandidatInnen, in den Vorstand gewählt zu werden, erheblich erhöht, die sich auf Grund des statutenwidrigen Vorgehens nur um zwei Vorstandssitze (des vakanten sowie jenes des in der Versammlung abgewählten Vorsitzenden) hätten bewerben können. Damit sei massiv in die Wahlkompetenz der Mitgliederversammlung eingegriffen worden, was zur Nichtigkeit der Beschlussfassung bzw der Wahl in der Mitgliederversammlung führe.

[5] Die Kläger hätten am 14. 12. 2019 mehrere Anträge zur Tagesordnung und zur Wahl bzw Bestätigung der kooptierten Vorstandsmitglieder gestellt, die allesamt unter Verweis auf § 9 der Statuten nicht oder nicht statuten- und rechtsordnungskonform berücksichtigt worden seien. Rechtzeitige Anträge auf Ergänzung bzw. auf Erweiterung der Tagesordnung seien unterdrückt und einer Zensur unterzogen worden und nur ergänzende Anträge zur schon festgelegten Tagesordnung zugelassen worden.

[6] Zum Teil seien Anträge von Vereinsmitgliedern abgeändert zur Abstimmung gestellt worden. Die Bestimmung der Statuten, wonach eine Erweiterung der Tagesordnung mit 2/3-Mehrheit möglich wäre, sei unangewendet gelassen worden.

[7] Auch Anträge auf Abwahl des gesamten Vorstands en bloc seien übergangen und nur die drei verbliebenen Vorstandsmitglieder einzeln zur allfälligen Abwahl gestellt worden, wobei der amtierende Vorstandsvorsitzende tatsächlich abgewählt worden sei. Das Ignorieren der Anträge habe dazu geführt, dass von insgesamt 6 KandidatInnen nur 2 für die Nachfolge im Vorstand gewählt werden konnten.

[8] Der Vorstand habe statuten- und gesetzwidrig eine vereinsfremde Moderatorin für die Versammlung bestellt, die seine Anweisungen zu befolgen hatte. Nach § 9 Abs 6 der Statuten habe jedoch der Obmann bzw. die Obfrau den Vorsitz in der Mitgliederversammlung zu führen. Eine Abstimmung darüber sei verweigert worden.

[9] Das in der Sache von den Klägern statutengemäß zunächst angerufene Vereinsschiedsgericht habe sich vor Ablauf der Jahresfrist für eine Anfechtung nach § 7 Satz 2 VereinsG nicht konstituiert.

[10] Der Beklagtewandte ein, die Klage sei unschlüssig. Die Kooptierungsbeschlüsse des Vorstandes seien unangefochten und rechtmäßig zu Stande gekommen. Die zurückgetretenen Mitglieder hätten sich an der Vorstandssitzung, in der die Kooptierungen erfolgten, nicht beteiligt. Eine Statutenbestimmung, die keinen sofort wirksamen Rücktritt eines Vorstandsmitglieds ermögliche, wäre außerdem unwirksam.

[11] Es seien keine Anträge auf Abwahl von Vorstandsmitgliedern übergangen worden. Ein Individualantragsrecht einzelner Mitglieder auf Aufnahme zusätzlicher Tagesordnungspunkte bestehe nach den Statuten des Beklagten nicht. Durch die Beiziehung einer Moderatorin sei die Leitungsbefugnis und ‑pflicht des Obmanns weder delegiert noch eingeschränkt worden.

[12] Das Erstgericht wies alle Klags‑ und Eventualbegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Die Begehren erfüllten nicht die Voraussetzungen des § 228 ZPO. Zum Großteil seien sie auf die Feststellung und rechtliche Beurteilung von Tatsachen, Handlungen sowie bloßen Rechtslagen gerichtet. Die Kläger seien als einzelne Mitglieder nicht zur Klage gegen eine allfällige Verletzung von Satzungsbestimmungen aktiv legitimiert, solange sie nicht in einem subjektiven, aus dem Vereinsverhältnis entspringenden Recht beeinträchtigt würden. Dies sei nach dem Klagsvorbringen nicht der Fall.

[13] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Kläger teilweise Folge. Es verwarf die erhobene Nichtigkeitsberufung und bestätigte mit Teilurteil die Abweisung des Klage‑ und Eventualbegehrens, soweit es das Unterbleiben von beantragten Änderungen und Ergänzungen der Tagesordnungen der ordentlichen bzw außerordentlichen Mitgliederversammlungen vom 27. 11. 2020 und 19. 3. 2021 zum Gegenstand hatte. Das Erstgericht habe zutreffend erkannt, dass es sich dabei, insbesondere soweit Unterlassungen und faktische Vorgänge bekämpft würden, um keine feststellungsfähigen Rechtsverhältnisse handle und den Klägern ein Rechtsschutzinteresse fehle.

[14] Im Übrigen, nämlich

a) zur Feststellung, dass die in der Mitgliederversammlung vom 14. 12. 2019 und 1. 2. 2020 gefassten Beschlüsse, Bestätigungen von in den Vorstand kooptierten Vorstandsmitgliedern und Wahlen in den Vorstand nichtig seien, in eventu als nichtig aufgehoben werden mögen,

b) zur Feststellung in Bezug auf die Mitgliederversammlungen vom 14. 12. 2019 und 1. 2. 2020, dass

- zurückgetretene Vorstandsmitglieder bis zur Kooptierung oder Wahl von Ersatzmitgliedern zu Vorstandssitzungen einzuladen und dort stimmberechtigt seien,

- die Mitgliederversammlung vom Vorsitzenden zu leiten sei und die Leitung nicht ModeratorInnen überlassen werden dürfe,

- rechtzeitig zwei Wochen vor der Mitgliederversammlung gestellte Anträge auf Ergänzung der Tagesordnung unverändert in die endgültige Tagesordnung aufzunehmen und den Mitgliedern bekanntzumachen seien, sowie den Antragstellern bei der Mitgliederversammlung Gelegenheit und angemessene Redezeit zur Vorstellung der reklamierten Tagesordnungspunkte zu geben sei,

hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf.

[15] In seiner rechtlichen Beurteilung führte es aus, eine allfällige Nichtigkeit der Kooptierung von Vorstandsmitgliedern wirke auch auf die nachfolgenden Mitgliederbeschlüsse fort. Da das von den Klägern zu den Vorgängen bei der Kooptierung erstattete Vorbringen aber strittig sei, bedürfe es dazu ergänzender Feststellungen.

[16] Soweit das Klagebegehren unterbliebene oder mangelhaft durchgeführte Abstimmungen zu festgelegten Tagesordnungspunkten und die Funktion der Moderatorin betreffe, sei es ebenfalls nicht von vornherein unzulässig, aber nicht ausreichend bestimmt und erörterungsbedürftig. Insbesondere sei eine genaue Angabe der konkret betroffenen Beschlüsse und Anträge erforderlich.

[17] Die ordentliche Revision gegen das bestätigende Teilurteil sei mangels über den Einzelfall hinaus erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig. Der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss sei zuzulassen, weil zu den darin behandelten Rechtsfragen des Vereinsrechts eine höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

[18] Die außerordentliche Revision der Kläger strebt die Aufhebung des bestätigenden Teils der Entscheidung an. Der gleichzeitig erhobene Rekurs der Kläger ist auf die Bestätigung des Aufhebungsbeschlusses unter Überbindung einer von der angefochtenen Entscheidung abweichenden Rechtsansicht gerichtet.

[19] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[20] Die außerordentliche Revision ist mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[21] Der Rekurs ist zulässig und im Ergebnis, weil Entscheidungsreife vorliegt (RIS‑Justiz RS0043853) und das Verbot der reformatio in peius beim Rekurs nach § 519 Abs 2 ZPO nicht gilt (RS0043939), berechtigt.

I. Revision

[22] Die Kläger wenden sich gegen den bestätigenden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts mit der Begründung, es habe diesem Teil des Klagebegehrens zu Unrecht die Feststellungsfähigkeit abgesprochen. Das betroffene Begehren beziehe sich nicht auf bloße Rechtslagen, sondern „nach dessen klar erkennbarem Sinn ganz offensichtlich auf die diesen zu Grunde liegenden Vorstandsbeschlüsse bzw Beschlüsse der Mitgliederversammlung, die in unserem Klagebegehren in Bezug auf die nicht zugelassenen Anträge inhaltlich konkretisiert und präzisiert wurden“.

[23] Mit diesen Ausführungen wird keine erhebliche Rechtsfrage angesprochen. Maßgeblich ist nicht, worauf sich die Kläger möglicherweise beziehen wollten, sondern welches Begehren sie gestellt haben.

[24] Das von der Abweisung umfasste Begehren bezog sich einerseits auf das schlichte Unterbleiben von beantragten Erweiterungen der Tagesordnung, andererseits auf die korrekte Vorgangsweise, die die Beklagte (noch dazu bezogen auf die Vergangenheit) bei Eintreffen von Anträgen auf Ergänzung der Tagesordnung einer Mitgliederversammlung einzuhalten hätte, also eine abstrakte Rechtslage.

[25] Auf die rechtliche Begründung des angefochtenen Urteils geht die Revision aber nicht näher ein, vor allem wird das von beiden Vorinstanzen verneinte rechtliche Interesse der Kläger an den begehrten Feststellungen nicht dargelegt.

[26] Das Bestehen eines rechtlichen Interesses richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, denen nur bei einer – hier nicht zu erkennenden – groben Fehlbeurteilung eine über diesen hinausgehende Bedeutung zukommt (RS0039177 [T1]).

[27] Ein Feststellungsbegehren, das keine konkrete streitverhindernde oder sonstige Rechtswirkung zwischen den Parteien, sondern nur die Klärung abstrakter Rechtsfragen bezweckt, ist nicht zulässig (RS0039080; Frauenberger‑Pfeiler in Fasching/Konecny³ § 228 ZPO Rz 65 ff). Voraussetzung für das Feststellungsinteresse ist eine unmittelbare Wirkung des festzustellenden Rechts auf die Rechtsposition der die Feststellung beantragenden Partei (RS0039080 [T3]). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass zu den vom Urteil umfassten Begehren eine solche Wirkung nicht dargestellt wurde, ist nicht korrekturbedürftig (vgl allgemein auch 6 Ob 168/18a 3.4.).

[28] Die außerordentliche Revision war daher mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

2. Rekurs

2.1. Anfechtung von Vereinsbeschlüssen

[29] Nach § 7 VerG 2002 sind Beschlüsse von Vereinsorganen nichtig, wenn dies Inhalt und Zweck eines verletzten Gesetzes oder die guten Sitten gebieten. Andere gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse bleiben gültig, sofern sie nicht binnen eines Jahres ab Beschlussfassung gerichtlich angefochten werden (RS0121262; 6 Ob 15/17z).

[30] Eine Auflistung der Nichtigkeitsgründe enthält das VerG nicht. Grundsätzlich hat sich die Nichtigkeit auf gravierende Fälle fehlerhafter Beschlüsse zu beschränken; es müssen Gesetzesverstöße oder Verstöße gegen die guten Sitten vorliegen, und zwar von einem Gewicht, dass nicht einmal der Anschein rechtmäßigen Handelns gewahrt ist. In allen anderen Fällen besteht nur Anfechtbarkeit, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind (RS0049464; vgl 6 Ob 15/17z; 10 Ob 36/07b; Fuhrmann in Schopper/Weilinger, VereinsG [2018] § 7 Rz 15–16).

[31] 2.2. Die Wahl des Vorstands eines Vereins durch dessen Mitgliederversammlung ist als Beschluss eines Vereinsorgans nach § 7 VerG 2002 zu qualifizieren, zumal der vereinsrechtliche Beschlussbegriff sehr weit auszulegen ist und § 7 VerG sich auf Beschlüsse aller Vereinsorgane bezieht (10 Ob 36/07b; 6 Ob 15/17z).

[32] Als nichtig wurde in der Rechtsprechung etwa der Beschluss zur Wahl zum Leitungsorgan des Vereins durch dessen Mitgliederversammlung erachtet, zu der nur etwa die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder eingeladen wurden (10 Ob 36/07b; vgl zu anderen Mängeln bei einer Gesamtbetrachtung 4 Ob 109/15f) oder eine Beschlussfassung durch ein nach der Kompetenzverteilung des Vereins nicht zuständiges Vereinsorgan (6 Ob 168/18a). Es genügt aber nicht jede Art von Einberufungsmängeln, wie zB der bloße Verstoß gegen das Erfordernis der rechtzeitigen Bekanntgabe der Tagesordnungspunkte (1 Ob 32/10b).

[33] Die Nichtigkeit von Beschlüssen kann sich auch daraus ergeben, dass sie an ungültige frühere Beschlüsse anschließen, die Grundlage und notwendige Voraussetzung für die späteren Beschlüsse sind (vgl RS0114612; 4 Ob 109/15f Rz 3.3).

[34] 2.3. Das Berufungsgericht ist rechtlich davon ausgegangen, dass eine Nichtigkeit von Kooptierungsbeschlüssen eines nicht satzungsgemäß zusammengestellten Vorstands auch auf die bestätigenden Beschlüsse in der Mitgliederversammlung als deren notwendige Voraussetzung fortwirken würde.

[35] Ob diese Ansicht zutrifft, zumal die Kooptierung nach den Statuten des Beklagten nur provisorischen Charakter hat und ihr die für die wirksame Bestellung allein zuständige Mitgliederversammlung eine Bestätigung ohne Weiters auch versagen könnte, kann aber hier dahingestellt bleiben. Schon aus dem Vorbringen der klagenden Partei ist nämlich die behauptete Nichtigkeit des Kooptierungsbeschlusses – den sie auch gar nicht angefochten haben – nicht schlüssig ableitbar.

[36] Abweichend von ihrer ursprünglichen, vom Berufungsgericht zitierten Klagserzählung haben die Kläger zuletzt vorgebracht, es sei den zurückgetretenen Vorstandsmitgliedern die Wahl geboten worden, entweder den Rücktritt mit sofortiger Wirkung zu bestätigen oder an der Beschlussfassung über die Kooptierung mitzuwirken. Daraus ist nicht abzuleiten, dass die Zurückgetretenen an der Ausübung ihres Rechts auf Teilnahme und Stimme in der Vorstandssitzung gehindert wurden. Die vorgebrachte Wahlmöglichkeit trägt nur der Selbstverständlichkeit Rechnung, dass die zurückgetretenen Vorstandsmitglieder nicht zur weiteren Tätigkeit gezwungen werden konnten, worauf sie von der Beklagten hingewiesen wurden.

[37] Der Entschluss der zurückgetretenen Mitglieder, ungeachtet des § 11 Z 9 der Statuten der Beklagten an der Vorstandssitzung nicht teilzunehmen, begründete unter diesen vorgebrachten Umständen einen Anwendungsfall des § 11 Z 5 der Statuten und hatte die Beschlussfähigkeit der drei Erschienenen zur Folge.

[38] 2.4. Die – in Vereinsstatuten häufig vorgesehene – Bestellung von Mitgliedern eines Leitungsorgans bzw Vereinsvorstandes per Kooptierung mit nachträglicher Genehmigung in der nächstfolgenden Mitgliederversammlung, wird in der Literatur für zulässig erachtet (vgl Walch in Schopper/Weilinger, VereinsG § 5 Rz 46 [Stand 1. 10. 2018, rdb.at]; Höhne/Jöchl in Höhne/Jöchl/Lummerstorfer [Hrsg], Das Recht der Vereine6 189; vgl auch Keinert, Mitgliederversammlung des Vereins [2012] 23 f).

[39] 2.5. Soweit die Kläger monieren, dass die Anzahl der Vorstandsmitglieder durch die Kooptierung von nur zwei neuen Vorstandsmitgliedern unter die statutengemäße Mindestzahl gesunken wäre, setzen sie sich in Widerspruch zu ihrer Argumentation, dass der Rücktritt eines Vorstandsmitglieds ohnehin erst mit der Wahl oder Kooptierung seines Nachfolgers wirksam wird.

[40] Darüber hinaus ist die vorläufige, mit der Bestätigung durch die zuständige Mitgliederversammlung bedingte Kooptierung nach § 11 Z 3 der Statuten ein Recht des Rumpfvorstands, das den offenkundigen Zweck hat, eine Unterbrechung bei der Führung der Geschäfte des Vereins hintanzuhalten. Es besteht aber keine Verpflichtung, Ersatzmitglieder zu kooptieren. Die Statuten der Beklagten lassen es ohne weiters zu, dass für drei zurückgetretene Vorstandsmitglieder zunächst lediglich zwei Ersatzmitglieder kooptiert werden.

[41] 2.6. Soweit sie die Nichtigkeit der mit der vorangegangenen Kooptierung zusammenhängenden Rechtsakte der zweigeteilten Mitgliederversammlung geltend machen, ist den Klägern aufgrund ihrer Vereinsmitgliedschaft abstrakt ein Feststellungsinteresse gemäß § 228 ZPO zuzubilligen (vgl Fuhrmann in Schopper/Weilinger, VereinsG § 7 Rz 43 [Stand 1. 10. 2018, rdb.at]).

[42] Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang aus dem Klagsvorbringen die angestrebte Rechtsfolge nicht schlüssig ableitbar.

[43] Es wurde von den Klägern nicht behauptet, dass die beiden Mitgliederversammlungen aus wie immer gearteten Gründen nicht beschlussfähig gewesen wären. Mit ihrem Klagebegehren wollen sie im Ergebnis in die ordentliche Willensbildung dieses Gremiums eingreifen. Ein solches Recht steht dem einzelnen Mitglied aus dem Vereinsverhältnis aber nicht zu.

[44] Soweit sie sich auf eine fortwirkende Nichtigkeit der Kooptierung von Vorstandsmitgliedern stützen, die sich auf die Beschlüsse der Versammlung auswirken würde, ist auf die unter Pkt 2.3. und 2.4. enthaltenen Ausführungen zu verweisen. Den rechtlichen Schlussfolgerungen, die die Kläger aus dieser Prämisse ableiten, ist damit der Boden entzogen.

[45] 2.7. Die vom angefochtenen Beschluss umfassten Eventualbegehren beinhalten keine iSd § 228 ZPO feststellungsfähigen Rechte oder Rechtsverhältnisse.

[46] 2.7.1. Das Begehren auf Feststellung, dass zurückgetretene Vorstandsmitglieder bis zu einer allfälligen Kooptierung oder Neuwahl eines Ersatzmitglieds zu Vorstandssitzungen einzuladen und in diesen stimmberechtigt seien, betrifft kein Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen, sondern eine abstrakte Auslegung der Statuten, der es auch an einem aktuellen Anlass mangelte.

[47] 2.7.2. Das Gleiche gilt für das Eventualbegehren auf Feststellung, dass die Leitung einer Mitgliederversammlung nicht einem Moderator überlassen werden dürfe. Hinzu kommt, dass dieses Begehren auch in keinem sachlichen Zusammenhang zum Hauptbegehren steht (vgl dazu Geroldinger in Fasching/Konecny³ § 227 ZPO Rz 88). In diesem kommt die Moderation der Mitgliederversammlung gar nicht vor.

[48] 2.7.3. Das weitere Eventualbegehren, es seien zwei Wochen vor einer Mitgliederversammlung gestellte Anträge auf Ergänzung der Tagesordnung unverändert (unzensuriert und unkommentiert) in die endgültige Tagesordnung aufzunehmen und den Vereinsmitgliedern bekannt zu machen, wobei den Antragstellern bei der Mitgliederversammlung die Möglichkeit zu geben sei, diese vorzustellen und unter Gewährung angemessener Redezeit zu begründen, auch dann, wenn sie einen Wahl- oder Statutenänderungsantrag zum Gegenstand haben, ist wiederum nur auf Feststellung einer abstrakten Rechtslage im Sinne einer bestimmten Auslegung des VereinsG und der Statuten gerichtet.

[49] Es wurde auch ohne konkret behaupteten bevorstehenden, die Rechte der Kläger unmittelbar tangierenden Anlass, sondern ausdrücklich bezogen auf bereits in der Vergangenheit abgeschlossene Mitgliederversammlungen erhoben (vgl RS0039215). Für Feststellungsklagen gilt aber allgemein das Verbot der hypothetischen Klageerhebung (RS0039320).

[50] 2.7.4. Das Berufungsgericht hat entgegen den Rekursausführungen das auf Mitgliederversammlungen vom 27. 11. 2020 und 19. 3. 2021 (zusätzlich) bezogene Eventualbegehren nicht versehentlich übergangen, sondern darüber abweisend entschieden (S 21 der Berufungsentscheidung).

[51] 3. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist die Rechtssache spruchreif, ohne dass es auf die vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltene Ergänzung des Verfahrens ankäme. Dies führt, zumal das Verbot der reformatio in peius im Anwendungsbereich des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nicht zum Tragen kommt (RS0043939; RS0043858), zur Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils.

[52] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Eine Wiederherstellung des Ersturteils wurde in der Revisionsbeantwortung nicht begehrt.

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