OGH 2Ob205/23w

OGH2Ob205/23w25.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Hon.‑Prof. PD. Dr. Rassi, MMag. Sloboda, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. R*, und 2. P*, beide vertreten durch Dr. Peter Lindinger und Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte (GesbR) in Linz, wegen 20.800 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. August 2023, GZ 2 R 92/23x-19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 13. April 2023, GZ 36 Cg 1/23d-13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00205.23W.1025.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit jeweils 1.035,72 EUR (darin enthalten 172,62 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger und seine Ehefrau schlossen mit der Erstbeklagten einen Werkvertrag über die Errichtung eines Rohbaus. Der Zweitbeklagte war als Dienstnehmer der Erstbeklagten für die Leitung der Bauarbeiten vor Ort verantwortlich. Um Baukosten zu senken, sah der Vertrag die Möglichkeit von Bauherrenmithilfe vor.

[2] Im April 2022 war der Kläger selbst als Helfer tätig. Über Anweisung des Zweitbeklagten stellte er sich mit einem weiteren Mitarbeiter der Erstbeklagten auf der Innenseite der Kellerwand auf einem Gerüst auf, um die vom Zweitbeklagten und einem anderen Mitarbeiter der Erstbeklagten auf der Kelleraußenseite demontierte und über die Mauer gehobene Schalungstafel entgegenzunehmen. Dabei verlor er das Gleichgewicht, stürzte vom Gerüst und verletzte sich schwer.

[3] Die Vorinstanzen wiesen das auf Ersatz der eingetretenen Personenschäden und Feststellung der Haftung gerichtete Klagebegehren ab, weil ein Arbeitsunfall nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG vorliege und daher der Erstbeklagten und dem Zweitbeklagten als Aufseher im Betrieb mangels vorsätzlichen Verhaltens das Dienstgeberhaftungsprivileg zu Gute komme. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil noch keine Rechtsprechung zum Modell der Bauherrenmithilfe durch den Bauherrn selbst vorliege und es vom zu RS0109730 veröffentlichten Rechtssatz abgewichen sei.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Vorliegens einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] 1. Das Haftungsprivileg nach § 333 Abs 1 ASVG gilt auch für Unfälle, die durch § 176 Abs 1 Z 6 ASVG den Arbeitsunfällen gleichgestellt sind (RS0085264 [T1]; zuletzt 2 Ob 91/23f Rz 37).

[6] 2. Dabei handelt es sich um Unfälle bei einer betrieblichen Tätigkeit, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübt, auch wenn dies nur vorübergehend geschieht.

[7] 3. Für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit ist wesentlich, dass es sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienliche, wirtschaftlich als Arbeit zu wertende Tätigkeit handelt, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht, und durch die ein enger ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt wird (2 Ob 33/21y Rz 15; vgl RS0083555). Ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit ist keine Voraussetzung für die Qualifizierung als betriebliche Tätigkeit (RS0084172), sie muss aber ihrer Art nach einer abhängigen Beschäftigung entsprechen und darf nicht zum betrieblichen Aufgabenbereich des Verletzten selbst gehören. Entscheidend ist das Tätigwerden des Verletzten in der Sphäre (im Aufgabenbereich) des Unternehmers (2 Ob 33/21y Rz 16 mwN). Bei der Haftungsbegünstigung kommt es daher entscheidend auf die – wenn auch nur vorübergehende – Einordnung in den Betrieb an (RS0085264). Nach der Rechtsprechung sind die Beweggründe der Tätigkeit nicht maßgeblich (RS0084197), weil eine in irgendeiner Weise vorhersehbare Abgrenzung zwischen Fällen, für die das Haftungsprivileg gilt, und solchen, für die das nicht der Fall ist, praktisch unmöglich würde (RS0084197 [T4]). Zur Begründung des Versicherungsschutzes reicht es aus, dass es für den Helfenden wesentlich war, auch dem Unternehmen, dem seine Hilfe gilt, zu dienen (RS0084197 [T2]). Dass der Verletzte gleichzeitig auch im eigenen Interesse handelt, ist unschädlich (RS0084197 [T1]). So kann auch der Werkbesteller vorübergehend eine dem Betrieb des Unternehmers zuzuordnende Tätigkeit verrichten, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübt, wenn er seinen persönlichen Lebensbereich und die Sphäre seines eigenen Aufgabenbereichs verlässt und sich in den Bereich der vertraglich dem Unternehmer obliegenden Aufgaben einordnet (RS0084149).

[8] 4. Der Oberste Gerichtshof hat bereits Hilfstätigkeiten des Werkbestellers selbst auch bei vereinbarter Mithilfe zur Kosteneinsparung § 176 Abs 1 Z 6 ASVG unterstellt und daran anknüpfend das Dienstgeberhaftungsprivileg zu Gunsten eines als Aufseher im Betrieb zu wertenden Bauleiters bejaht (2 Ob 54/91 [Dachdeckerarbeiten]). Auch zu 2 Ob 270/61 (= RS0084187 = JBl 1962, 384) wurde ein Arbeitsunfall bei der Mithilfe einer Hauseigentümerin bei Bauarbeiten an ihrem eigenen Haus bejaht und das Argument, ihre Tätigkeit diene nur ihrem Eigeninteresse, verworfen.

[9] Entscheidend ist für die Einordnung im Betrieb das – wirtschaftlich als Arbeit zu wertende – Tätigwerden des Verletzten in der Betriebssphäre des Unternehmers auch zu dessen Gunsten. Durch die Ausführung von Hilfstätigkeiten im Aufgabenbereich der Erstbeklagten unter Anweisung des Zweitbeklagen verließ der Kläger seinen persönlichen Lebensbereich und die (ausschließliche) Sphäre seines eigenen Aufgabenbereichs und ordnete sich (auch) in den Bereich der vertraglich der Erstbeklagten obliegenden Aufgaben ein. Dass dabei wirtschaftliche Eigeninteressen (mit‑)verfolgt werden, schadet nicht (2 Ob 240/61 = RS0084187 = JBl 1962, 384; 2 Ob 54/91; RS0084197 [T1]).

[10] Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Konstellationen liegt daher – entgegen dem Berufungsgericht und der Revision – ohnehin vor. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen damit auch in Einklang.

[11] 5. Stichhältige Argumente, die ein Abgehen von dieser – ohnehin vorhandenen – Rechtsprechung indiziert erscheinen ließen, zeigt die Revision nicht auf.

[12] 5.1 Der bloße Hinweis auf die gegenteilige, zu RS0109730 veröffentlichte Ansicht des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 4. 3. 1997 (= NZS 1998, 43) reicht dafür nicht aus.

[13] 5.2 Die vom Kläger weiter ins Treffen geführten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu 2 Ob 216/10v (kurzfristige Mithilfe eines LKW-Lenkers beim Abladen von Paletten: Eingliederung in den Betrieb des Empfängers bejaht) und 2 Ob 3/94 (Mitwirkung des Käufers bei der Erlangung der Gewahrsame des Kaufgegenstands: Eingliederung in den Betrieb des Verkäufers verneint) sind mangels vergleichbarer Sachverhaltsgrundlage nicht einschlägig.

[14] 5.3 Soweit die Revision behauptet, es habe eine vertragliche Verpflichtung zur Mitwirkung bestanden, sodass sich die Hilfstätigkeit des Klägers als der Sphäre seines Aufgabenbereichs zuzuordnende Erfüllungshandlung darstellt, die einer Einordnung in den fremden Betrieb allenfalls entgegenstünde (vgl dazu RS0084251; 1 Ob 162/06i), entfernt sie sich vom festgestellten Vertragsinhalt. Nach diesem bestand zur Senkung der – nach Regiestunden zu verrechnenden – Baukosten lediglich die Möglichkeit, Helfer beizustellen.

[15] 6. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[16] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Aufgrund der Vertretung der Beklagten durch denselben Rechtsanwalt ist mangels unterschiedlicher Beteiligung am Streitgegenstand von dessen Entlohnung nach Kopfteilen auszugehen und ihnen daher lediglich anteiliger Kostenersatz zuzusprechen (2 Ob 95/23v Rz 26 mwN).

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