OGH 6Ob198/23w

OGH6Ob198/23w23.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen M* S*, geboren am * 2016, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter J* S*, vertreten durch Dr. Beate Schauer, Rechtsanwältin in Bruck an der Leitha, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 24. August 2023, GZ 20 R 192/23k‑312, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00198.23W.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

[1] Dem Vater kam aufgrund eines vor dem Erstgericht geschlossenen Vergleichs ein wöchentliches Kontaktrecht zum Minderjährigen an Samstagen ungerader Kalenderwochen und an Sonntagen gerader Kalenderwochen, jeweils von 08:30 bis 18:30 Uhr zu.

[2] Der Vater beantragte zuletzt die Erweiterung des Kontaktrechts in 14‑tägigen Abständen von Freitag 14:00 Uhr bis Sonntag 18:00 Uhr. Die Mutter beantragte die gänzliche Aussetzung des Kontaktrechts des Vaters.

[3] Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab. Dem Antrag der Mutter gab es statt und untersagte gemäß § 187 Abs 2 ABGB dem Vater die persönlichen Kontakte zu seinem Sohn.

[4] Das Rekursgericht bestätigte erkennbar die Abweisung des Antrags des Vaters. Die Entscheidung über die Untersagung des Kontaktrechts änderte es ab und schränkte das Kontaktrecht des Vaters dahin ein, dass diesem nun ein wöchentliches, jedoch durch ein Familien‑ und Beratungszentrum begleitetes Kontaktrecht im Ausmaß von drei Stunden zukommt.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf:

[6] 1. Die Vorinstanzen haben den Antrag des Vaters auf Erweiterung seines Kontaktrechts abgewiesen. Eine unzulässige Überschreitung des Kontaktrechtsantrags des Vaters (vgl 5 Ob 153/12d [ErwGr 2.]) kann der Revisoinsrekurs daher schon deshalb nicht aufzeigen.

[7] 2. Zwar hat der Vater aufgrund einer Aufforderung des Erstgerichts, sich zu der vom Familien‑ und Beratungszentrum bekanntgegebenen Möglichkeit der Terminvereinbarung für ein begleitetes Kontaktrecht zu äußern, angegeben, er werde kein Besuchscafé akzeptieren, weil dies bereits einmal aufgrund des Verhaltens der Mutter gescheitert sei. Selbst die Mutter hat dies im erstinstanzlichen Verfahren jedoch lediglich dahin verstanden, dass eine dahingehende Vereinbarung der Eltern nicht möglich sei. Es steht auch weder fest noch ist unstrittig oder aktenkundig (vgl RS0048056 [insb T11]), dass der Vater das nun vom Rekursgericht festgelegte begleitete Kontaktrecht tatsächlich nicht wahrnehmen wird. Die Letzteres zugrunde legenden Ausführungen des Revisionsrekurses gehen daher nicht vom Sachverhalt aus.

[8] Im Übrigen wurde bereits ausgesprochen, dass in Fällen, in denen durch die Anordnung einer Besuchsbegleitung ein Unterbleiben der Kontakte droht, die potentiellen Vor‑ und Nachteile der Anordnung einer Besuchsbegleitung gegeneinander abgewogen werden müssen. Ist danach das Unterbleiben des persönlichen Kontakts aus der Sicht des Kindes günstiger als eine unbegleitete Kontaktrechtsausübung, so hat das Gericht die Ausübung des Kontaktrechts von einer Besuchsbegleitung abhängig zu machen (4 Ob 78/20d [ErwGr 4.1. ff]). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Revisionsrekurs nicht auseinander.

[9] 3.1. Das Gericht hat gemäß § 187 Abs 2 ABGB nötigenfalls auch von Amts wegen (9 Ob 42/19w [ErwGr 5.]) persönliche Kontakte einzuschränken oder zu untersagen, soweit dies insbesondere aufgrund der Anwendung von Gewalt gegen das Kind oder eine wichtige Bezugsperson geboten erscheint. Der Kontaktrechtsanspruch eines Elternteils hat daher im Konfliktfall gegenüber dem Kindeswohl stets zurückzutreten (RS0048068). Eine Kontaktrechtsuntersagung ist dann zulässig, wenn zuvor alle gelinderen Mittel, die unter Wahrung des Kindeswohls eine Kontaktrechtsausübung ermöglichen sollen, ausgeschöpft wurden, dies etwa durch Einschaltung einer dritten Stelle wie beispielsweise eines Kinderschutzzentrums oder eines Besuchscafés (9 Ob 42/19w [ErwGr 1.]; vgl 5 Ob 219/17t [ErwGr 4.]).

[10] Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil das Kontaktrecht entzogen bzw ausgesetzt werden soll, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig, der keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann, wenn durch die Entscheidung nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (RS0097114 [T6, T8, T17]).

[11] 3.2. Wenn es das Wohl des Minderjährigen verlangt, kann das Gericht gemäß § 111 AußStrG auch von Amts wegen eine Besuchsbegleitung (also eine inhaltliche Beschränkung des Kontaktrechts) anordnen (1 Ob 51/23s [ErwGr 1.]; 2 Ob 194/22a [ErwGr 3.]; 4 Ob 78/20d [ErwGr 3.2.]; RS0118258 [T3]; RS0125571). Die Besuchsbegleitung eignet sich in erster Linie für die Neu ‑oder Wiederanbahnung des persönlichen Kontakts zwischen nicht erziehendem Elternteil und Minderjährigem (2 Ob 194/22a [ErwGr 3.]; RS0118258) sowie auch als gelinderes Mittel vor einer gänzlichen Aussetzung des Kontaktrechts (9 Ob 42/19w [ErwGr 1.]; 5 Ob 219/17t [ErwGr 4.]; vgl 7 Ob 68/14x). Ob die Voraussetzungen für eine solche Anordnung vorliegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (1 Ob 51/23s [ErwGr 1.]; RS0097114 [insb T24]).

[12] 3.3. Im vorliegenden Fall haben seit Ende Mai 2022 keine Kontakte zwischen dem Minderjährigen und dem Vater stattgefunden. Die Beziehungs‑ und Grenzsetzungsfähigkeit des Vaters ist eingeschränkt. In Bezug auf die Beziehung zwischen dem Stiefbruder und dem Minderjährigen ist der Vater in einem kindeswohlgefährdenden Ausmaß nicht in der Lage, auf den Schutz und die Sicherheit des Minderjährigen zu achten. Das Rekursgericht ging auf Grundlage des vom Erstgericht eingeholten Sachverständigengutachtens davon aus, dass das Wohl des Minderjährigen am ehesten durch die Etablierung wöchentlicher begleiteter Kontakte im Ausmaß von drei Stunden gefördert werde und das vom Rekursgericht festgelegte Kontaktrecht zur Festigung und Besserung der Beziehung das Vaters zum Minderjährigen dienlich sei. Die Besuchsbegleitung könne von Amts wegen auch gegen den Willen der Eltern angeordnet werden.

[13] Mit dem Hinweis, der Vater habe ein begleitetes Besuchsrecht abgelehnt, zeigt der Revisionsrekurs kein Abweichen des Rekursgerichts von den erörterten Rechtsprechungsgrundsätzen auf. Ungeachtet der dargelegten Möglichkeit des amtswegigen Vorgehens kann auch von einem „Aufnötigen einer abgelehnten Rechtsposition“ durch die Entscheidung des Rekursgerichts schon aufgrund der Anträge des Vaters auf Erweiterung seines Kontaktrechts und auf zwangsweise Durchsetzung der bestehenden Kontaktrechtsregelung nicht gesprochen werden. Im Übrigen hält sich die Einschränkung des Kontaktrechts durch die angeordnete Besuchsbegleitung auch innerhalb des Rahmens des Antrags der nunmehrigen Revisionsrekurswerberin auf gänzliche Aussetzung des Kontaktrechts des Vaters.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte