European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00194.22A.1025.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG). Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz kann nämlich grundsätzlich keinen Revisionsrekursgrund bilden (RS0050037). Ausreichende Anhaltspunkte für eine aus Gründen des Kindeswohls gebotene Durchbrechung dieses Grundsatzes (RS0050037 [T1, T4]) zeigt die Mutter in ihrem Revisionsrekurs nicht auf.
[2] 2. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Elternteile setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit zwischen ihnen voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Die Beurteilung, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden oder in absehbarer Zeit mit einer solchen zu rechnen ist (RS0128812), kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet typischerweise keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG (RS0128812 [T5, T15, T19]).
[3] Das Rekursgericht hat im vorliegenden Fall die vom Erstgericht zu dieser Frage getroffenen Feststellungen dahin ausgelegt, dass die (gänzlich) fehlende Gesprächsbasis zwischen den Eltern in absehbarer Zeit nicht ausreichend verbesserbar ist. Diese Auslegung der Feststellungen stellt keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung dar (RS0118891 insb [T4]). Soweit die Mutter argumentiert, die Kommunikationsbasis zwischen den Eltern sei nicht dauerhaft zerstört bzw in absehbarer Zeit wiederherstellbar, entfernt sie sich daher von den getroffenen Feststellungen.
[4] 3. Wenn es das Wohl des Minderjährigen verlangt, kann das Gericht eine Besuchsbegleitung anordnen (§ 111 AußStrG). Diese eignet sich zwar in erster Linie für die Neu- oder Wiederanbahnung des persönlichen Kontakts zwischen nicht erziehendem Elternteil und Minderjährigem, kann jedoch aus Gründen der seelisch-psychischen Ausnahmeverfassung und/oder vorübergehend eingeschränkten Einsichtsfähigkeit der Beteiligten auch über eine angemessene Übergangszeit hinaus zu einer Art Dauereinrichtung für die laufende Kontaktrechtsabwicklung in bestimmten, etwa besonders konfliktgeschädigten Eltern-Kind-Verhältnissen werden (RS0118258). Ob die Voraussetzungen für eine solche Anordnung vorliegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (jüngst etwa 3 Ob 6/21k mwN).
[5] Ausgehend von den Feststellungen, wonach aufgrund der belasteten Vorgeschichte ausschließlich ein begleitetes Besuchsrecht der Mutter zu beiden Kindern bei einem gemeinsamen Termin dem Kindeswohl entspricht, erweist sich die (aufrecht erhaltene) Anordnung begleiteter Besuchskontakte als jedenfalls vertretbar.
[6] 3.1. Soweit die Mutter argumentiert, es sei als zulässige Neuerung zu beachten, dass sie ab November 2022 keine geförderten Besuchsbegleitungen mehr in Anspruch nehmen könne, ist ihr zu erwidern:
[7] Zur Wahrung des Kindeswohls sind im Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren neue aktenkundige Entwicklungen, die die bisherige Tatsachengrundlage wesentlich verändern, auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erst nach Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetreten sind. Diese Ausnahme bezieht sich allerdings nur auf unstrittige und aktenkundige Umstände (RS0048056 insb [T7, T10]). Die im Revisionsrekurs erstmals aufgestellte Behauptung, die Mutter werde (in naher Zukunft) keine geförderte Besuchsbegleitung mehr in Anspruch nehmen und das Kontaktrecht sodann aus finanziellen Gründen nicht mehr wahrnehmen können (vgl zur potenziellen Relevanz dieses Vorbringens 4 Ob 78/20d = RS0133249), kann jedoch nicht als unstrittig angesehen werden und ist schon aus diesem Grund im Revisionsrekursverfahren nicht näher zu prüfen.
[8] 4. Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG setzen (nur) die Erforderlichkeit ihrer Anordnung „zur Sicherung des Kindeswohls“, aber keine Kindeswohlgefährdung im Sinn des § 181 Abs 1 ABGB voraus. Es kommt nicht darauf an, dass diese Maßnahme die ultima ratio darstellt, die erst nach Ausschöpfung anderer Maßnahmen zulässig wäre (RS0129700 insb auch [T1]). Ob die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 107 Abs 3 Z 4 und 5 AußStrG vorliegen, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab (5 Ob 54/19f Punkt 2. mwN; vgl RS0130780).
[9] Gegen das von den Vorinstanzen angeordnete Ausreiseverbot wendet sich die Mutter im Revisionsrekurs nicht konkret.
[10] Da die Mutter nach den Feststellungen über die Dokumente der Kinder (mit Ausnahme der österreichischen Reisepässe) verfügt, mit diesen aber nicht (mehr) im gemeinsamen Haushalt lebt, haben die Vorinstanzen den ihnen zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten, wenn sie der Mutter die Übergabe dieser Dokumente – unter denen sich nach den Ausführungen der Mutter selbst jedenfalls die russischen Reisepässe der Kinder befinden – aufgetragen haben.
[11] 5. Aus welchen Gründen die Entscheidung der Vorinstanzen über das Kontaktrecht der Kinder zur Großmutter und zur Tante die Rechtssphäre der Mutter berühren sollte, legt Letztere im Revisionsrekurs nicht nachvollziehbar dar. Dass die Mutter den „berechtigten Wunsch“ nach guten Kontakten der Kinder zu anderen Verwandten haben mag, führt noch nicht zur Bejahung eines Eingriffs in ihre geschützte Rechtsstellung durch die Regelung des Kontaktrechts zu anderen Verwandten.
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