OGH 7Ob96/23b

OGH7Ob96/23b27.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen unddie Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B* GmbH in Liquidation, *, vertreten durch die Huber und Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* Versicherungs-Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Nikolaus Friedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, in eventu 426.250,04 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. März 2023, GZ 1 R 183/22x‑50, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00096.23B.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand eine „A*‑Business-Absicherung für das Baugewerbe“. Dem Versicherungsvertrag lagen unter anderem die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung der Beklagten (AHVB 2006 und EHVB 2006), Fassung 2014, zugrunde. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 7.2.1 AHVB 2006:

„2. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig vorsätzlich herbeigeführt haben. Dem Vorsatz wird gleichgehalten

2.1 eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, jedoch in Kauf genommen wurde (z.B. im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise);“

Abschnitt A, Ziffer 3 EHVB 2006 lautet:

„Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall grobfahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst – insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitersparenden Arbeitsweise oder Ausführungsweise einer Tätigkeit – den für den versicherten Betrieb oder für den versicherten Beruf oder für das versicherte Risiko geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwidergehandelt wurde, und zwar durch einen Versicherungsnehmer oder dessen gesetzlichen Vertreter oder dessen leitenden Angestellten im Sinne des Arbeitsverfassungsgesetzes (BGBl. Nr. 22/1974 in der jeweils geltenden Fassung) bzw. über Veranlassung oder mit Einverständnis einer dieser Personen.“

[2] In der Generalversammlung vom 11. Dezember 2018 wurde die Auflösung und Liquidation der Klägerin beschlossen. M* H* wurde zum Liquidator bestellt.

[3] M* S* beauftragte die Klägerin mit Arbeitenim Keller seines Hauses. Dabei kam es im Zuge von vom ehemaligen Geschäftsführer und nunmehrigen Liquidator durchgeführten Baggerarbeiten zu massiven Schäden am Haus.

[4] Das Erstgericht wies das primär von der Klägerin erhobene Feststellungsbegehren ab und gab dem Eventualbegehren auf Zahlung von 426.250,04 EUR sA zur Gänze statt. Das Berufungsgerichtgab infolge Berufung der Beklagten der Klage im Umfang von 379.784,04 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 46.466 EUR ab.

Rechtliche Beurteilung

[5] Dagegen richten sich die außerordentlichen Revisionen der Klägerin und der Beklagten.

I. Revision der Klägerin

[6] 1. Unabhängig davon, ob man der Ansicht der Revisionswerberin folgt, dass in der vorliegenden Konstellation die Abweisung ihres Hauptbegehrens auf Feststellung der Versicherungsdeckung nicht in Rechtskraft erwachsen ist, ist ihre Revision schon deshalb unzulässig, weil sich ihr Anspruch gegen die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag aufgrund ihres konstitutiven Anerkenntnisses vollständig und endgültig in einen Zahlungsanspruch gewandelt hat (vgl RS0080603; RS0130422), sodass siejedenfalls kein rechtliches Interesse mehr an einer Feststellung der Deckungspflicht hat und zwar auch nicht in jenem Umfang, in dem das Berufungsgericht das Zahlungsbegehren abgewiesen hat.

[7] 2. Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt somit keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.

II. Revision der Beklagten

[8] 1. Die behauptete Aktenwidrigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[9] 2. Bei den Bestimmungen des Art 7.2.1 AHVB 2006 und Abschnitt A Z 3 EHVB 2006 handelt es sich um Risikoausschlüsse (RS0081678; RS0081866). Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand liegt beim Versicherer (RS0107031; Reisinger in Fenyves/Perner/ Riedler [April 2020] § 152 VersVG Rz 40).

[10] 3.1. Art 7.2 AHVB 2006 schließt parallel zu § 152 VersVG den Versicherungsschutz für Schäden aus, die der Versicherte rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt hat. Dem Vorsatz wird in Punkt 2.1 die Inkaufnahme des Schadens, der als Folge einer Handlung oder Unterlassung mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, gleichgestellt. Das Bedenken und der Entschluss des Versicherungsnehmers müssen sich nicht auf den Schadenserfolg selbst, sondern nur auf einen diesem Erfolg vorgelagerten Umstand beziehen (RS0087592), der im Fall von Punkt 2.1 eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass es wirklich zum Eintritt des Schadens kommen kann. Ob der Haftpflichtversicherte eine Schadenszufügung in Kauf genommen hat, ist eine Tatfrage (7 Ob 14/18m mwN; vgl auch RS0081689).

[11] 3.2. Der ehemalige Geschäftsführer und zum Schädigungszeitpunkt Liquidator der Klägerin ist Bau‑Polier mit langjähriger Erfahrung. Er hat im Keller des Gebäudes ca 25 cm Bodenschicht ohne Abstützungsmaßnahmen mit einem kleinen Bagger entfernt, wobei das Fundament untergraben wurde. Er prüfte den Untergrund während er das erste Stück mit dem Bagger abzog. Ihm hätte in dem Augenblick, als erkennbar war, dass die bestehende Gründungsunterkante untergraben wird, klar sein müssen, dass damit in die Standfestigkeit des Bauwerks eingegriffen wird. Er hätte die Arbeitsweise entweder sofort sach‑ und fachgerecht an diese Umstände anpassen oder einstellen müssen.

[12] 3.3. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der Beklagten sei der Nachweis der Verwirklichung dieses Risikoausschlusses nicht gelungen, ist nicht korrekturbedürftig, gibt es doch im festgestellten Sachverhalt keinen Anhaltspunkt für das von Art 7.2.1 AHVB 2006 geforderte vorsätzliche Zuwiderhandeln der Versicherungsnehmerin; ebenso wenig für eine Inkaufnahme des Schadens, steht doch fest, dass er bei Bedenken nicht in das Gewölbe gefahren wäre, weil ihn das in Lebensgefahr gebracht hätte. Die von der Klägerin unterlassene Voruntersuchung des Fundierungsbereichs ist schon deshalb nicht relevant, weil feststeht, dass aufgrund der Geringfügigkeit des Vorhabens hier keine Voruntersuchungen durchzuführen gewesen wären. Zu M* G* führt die Beklagte in der Revision selbst aus, dessen Verhalten sei (nur) als grob fahrlässig anzusehen, was für die Verwirklichung dieses Risikoausschlusses aber gerade nicht ausreichend ist.

[13] 4.1. Im Fall von Abschnitt A Z 3 EHVB 2006 ist die Versicherung nur dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsfall einerseits grob fahrlässig herbeigeführt wurde und andererseits bewusst gegen geltende Gesetze, Verordnungen und behördliche Vorschriften verstoßen wird. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorhanden sein (RS0119745). Die Leistungsfreiheit des Versicherers setzt daher nicht das Kennenmüssen, das heißt einen grob fahrlässigen Verstoß gegen Vorschriften voraus, sondern einen bewussten, das heißt vorsätzlichen Verstoß (7 Ob 99/13d; 7 Ob 8/18d). Der Versicherungsnehmer muss die Verbotsvorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem genauen Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise haben (RS0052282).

[14] 4.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, auch dieser Risikoausschluss sei nicht verwirklicht, ist ebenfalls nicht korrekturbedürftig, fehlt doch schon ein konkretes Vorbringen der Beklagten dazu, dass sich der für die Klägerin tätige Liquidator bei seiner Vorgangsweise bewusst war, dass er damit gegen die von der Beklagten behaupteten Vorschriften verstößt. Derartiges lässt sich auch dem Sachverhalt nicht entnehmen.

[15] Im Übrigen verlangt Abschnitt A Z 3 EHVB 2006einen Verstoß gegen Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften. ÖNORMEN sind aber, soweit sie nicht durch konkrete Rechtsvorschriften für verbindlich erklärt wurden, rechtlich nichts weiter als Vertragsschablonen (RS0038622 [T9]). Die Beklagte brachte in erster Instanz auch gar nicht vor, dass die von ihr ins Treffen geführten ÖNORMEN, die der Liquidator der Klägerin verletzt haben soll, durch eine konkrete Rechtsvorschrift für verbindlich erklärt wurde. Die von der Beklagten darüber hinaus herangezogene Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen und auf auswärtigen Arbeitsstellen (Bauarbeiterschutzverordnung – BauV; BGBlNr 340/1994) gilt nach ihrem § 1 Abs 1 für die Beschäftigung von Arbeitnehmern auf Baustellen im Sinn des § 2 Abs 3 dritter Satz ASchG. Warum diese Vorschrift auf die vom Liquidator der Klägerin allein durchgeführten Baggerarbeiten anzuwenden sein soll, kann die Beklagte nicht schlüssig darlegen.

[16] 5. Auch die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine Rechtsfrage im Sinn von § 502 Abs 1 ZPO auf.

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