OGH 12Os62/23v

OGH12Os62/23v7.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärtin Mag. Besic in der Strafsache gegen * S* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Jugendschöffengericht vom 9. März 2023, GZ 39 Hv 160/22g‑81, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00062.23V.0907.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht Linz zu.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung –

* S* der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I./A./) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (I./B./) sowie des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I./E./),

* Sp* der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I./D./ iVm I./A./) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (I./D./ iVm I./B./) jeweils als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB und

* A* der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (I./B./) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB (I./C./ iVm I./A./) sowie des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I./E./) schuldig erkannt.

 

[2] Danach haben in G* und an anderen Orten des Bundesgebiets

I./ am 22. November 2022

A./ * S* den * Ö* vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm Schläge und Fußtritte gegen den Körper versetzte und ihn mit dem stumpfen Ende eines Klappmessers schlug, wodurch der Genannte eine Schürfwunde im rechten Halsbereich und eine Prellung an der rechten Schulter erlitt;

B./ * S* und * A* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) * Ö* durch Vorhalten eines Messers und einer Schreckschusspistole gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

C./ * A* zu der unter I./A./ angeführten strafbaren Handlung des * S* dadurch beigetragen, dass er ihm zusicherte, er werde, so dieser nicht alleine mit * Ö* fertig werde oder der Genannte sich wehre, einschreiten und ihm helfen;

D./ * Sp* zu den unter I./A./ und I./B./ angeführten strafbaren Handlungen des * S* und des * A* dadurch beigetragen, dass sie * Ö* unter dem Vorwand, mit ihm Kokain konsumieren und Sex haben zu wollen, in ihre Wohnung lockte;

E./ * S* und * A* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) * Ö* durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, nämlich zum Verlassen der Örtlichkeit, genötigt, indem sie ihm nachliefen und ein Messer sowie eine Schreckschusspistole vorhielten.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Gegen dieses Urteil richtet sich die aus Z 5, 7, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

[4] Deren Behandlung voranzustellen ist, dass der in der Beschwerdeschrift vielfach verwendete pauschale Verweis auf das Vorbringen zu jeweils anderen Nichtigkeitsgründen nicht der Strafprozessordnung entspricht (RIS-Justiz RS0115902) und sich daraus ergebende Unklarheiten zu Lasten der Beschwerdeführerin gehen (RIS-Justiz RS0100183 [T2]).

[5] Die Mängelrüge (Z 5) zu I./A./ bekämpft die Konstatierung, wonach ein Vorsatz der Angeklagten auf Herbeiführung einer schweren Körperverletzung des * Ö* nicht festgestellt werden konnte (US 8). Entgegen dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) haben die Tatrichter sowohl die Aussage des Zeugen * Ö* als auch die Verantwortung der Angeklagten hinreichend erörtert (US 10 ff). Zu einer Auseinandersetzung mit sämtlichen Details der Angaben war der Schöffensenat mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten (RIS-Justiz RS0106642). Die Ersatzfeststellungen begehrende Beschwerde (vgl aber RIS-Justiz RS0118580 [T25]) wendet sich bloß mit weitwendigen eigenständigen Beweiswerterwägungen zu Aussagepassagen der drei Angeklagten und des Opfers gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

[6] Gleiches gilt für die zur Nichtannahme eines Raubvorsatzes zu I./E./ (US 8 und 14) behauptete Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall).

[7] Auch der vorgebrachte Widerspruch (Z 5 dritter Fall) liegt nicht vor, weil die ins Treffen geführten Formulierungen, wonach * S* und * A* den * Ö* dazu veranlassen wollten, „schnellstens die Tatörtlichkeit zu verlassen und nicht zurückzukommen“ (US 8), wonach sie ihm nachliefen und ihm weiter drohten bis er weggefahren war (US 8), und wonach * A* „in die am Beifahrersitz liegende (nicht Geld-!) Tasche […] gesehen“ haben mag (US 14), einander nach den Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0117402) keineswegs ausschließen.

[8] Soweit die Rüge die Nichtannahme eines Raubvorsatzes unter Vernachlässigung wesentlicher Elemente der erstgerichtlichen Argumentationskette (insbesondere US 14) als unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) kritisiert, entzieht sie sich mangels Orientierung an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0119370, RS0099507).

[9] Entgegen dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) durch unvollständige Wiedergabe der Angaben der Angeklagten * Sp* und des Zeugen * Ö* hat das Erstgericht den Inhalt dieser Aussagen (vgl ON 14 f) im Rahmen der Beweiswürdigung keineswegs in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben (vgl RIS-Justiz RS0099431 [insbesondere T1, T14]). Vielmehr bekämpft die Beschwerdeführerin mit dem Einwand, aus den „vollständigen Aussagen“ der Genannten wären – von der Rüge eingeforderte – Feststellungen sowohl zum objektiven als auch zum subjektiven Tatbestand des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB zu treffen gewesen, einmal mehr die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

[10] Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang den Einwand der Aktenwidrigkeit auf die jeweilige Einschätzung der Motivation der Angeklagten S* und A* für eine Nachschau in der Tasche des * Ö* gründet, scheitert sie im Übrigen schon daran, dass sie sich nicht auf Tatsachenwahrnehmungen der Mitangeklagten Sp*r und des Zeugen (vgl RIS-Justiz RS0097540, RS0097545), sondern bloß auf deren subjektiven Eindruck und deren persönliche Meinung bezieht.

[11] Auch die eine Nichterledigung der Anklage (Z 7) behauptende Kritik versagt. Weshalb – obwohl das Erstgericht über den von Punkt II./ der Anklageschrift (ON 54) umfassten Lebenssachverhalt (siehe dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502) durch den Schuldspruch der Angeklagten * S* und * A* wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I./E./) abgesprochen und Bezug auf die (von der Anklagebehörde als „Durchsuchung“ bewertete) Nachschau in der Tasche (US 14) genommen hat – die Anklage dadurch, dass sich das Erstgericht „auf die Verneinung der subjektiven Tatseite zum anklagegegenständlichen Raub“ beschränkt habe, „unerledigt“ geblieben sein sollte, ist nicht nachvollziehbar.

[12] Der Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) und der Subsumtionsrüge (Z 10), wonach das zu den Schuldsprüchen I./B./ bzw I./D./ (iVm I./B./) festgestellte Verhalten nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB zu subsumieren sei, geht prozessordnungswidrig (vgl RIS-Justiz RS0099810) an den Feststellungen zum Tatplan der Angeklagten (US 6) und der zu einer Nötigung des * Ö* im Zusammenhang mit der Aushändigung des Mobiltelefons und der Löschung von Daten getroffenen Negativfestfeststellung (US 11) vorbei.

[13] Die von der Rüge nicht erfolgreich bekämpften Negativfeststellungen betreffend den Vorsatz auf Herbeiführung einer schweren Körperverletzung zu I./A./ und I./D./ und zum Raubvorsatz zu I./E./ stehen den von der Beschwerdeführerin angestrebten Schuldsprüchen wegen „§§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 4 StGB“ (gemeint: §§ 15, 84 Abs 4 StGB, vgl 13 Os 136/16y, 12 Os 82/17a) und §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB entgegen. Insoweit erübrigt sich daher ein Eingehen auf die solcherart von vornherein ins Leere gehende Subsumtionsrüge (Z 10) und Rechtsrüge (Z 9 lit a; der Sache nach ebenfalls Z 10).

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[15] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[16] Eine Kostenersatzpflicht der Angeklagten war nicht auszusprechen, weil die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gänzlich erfolglos blieb (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 8).

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