OGH 7Ob116/23v

OGH7Ob116/23v30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. T*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U*, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. März 2023, GZ 1 R 24/23k‑23, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 22. Dezember 2022, GZ 5 C 388/21a‑17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00116.23V.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Diebeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 751,92 EUR (darin enthalten  125,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung R909 (ARB 2005) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

1. Im Schadenersatz-Rechtsschutz (Artikel 17 Pkt. 2 1. Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.3) gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles gilt der Eintritt dieses Schadenereignisses. […]

3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. […]

[...]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[...]

1.6 aus dem Bereich des Kartell- oder sonstigen Wettbewerbsrechtes;

[…]

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

[…]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? […]

[…]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1. Für das Vorliegen des Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung behauptet, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003).

[4] 1.2. Hier hat der Versicherungsnehmer während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel-PKW erworben und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) sowie eine Haftung für Spät- und Dauerfolgen gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei.  Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach dargelegt, dass der damit behauptete deliktische Anspruch gegen die Herstellerin eines Kraftfahrzeugs von Artikel 19.1.2 ARB umfasst ist. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, damit habe der Kläger den Versicherungsfall schlüssig dargelegt, entspricht der Rechtsprechung des Fachsenats (vgl etwa 7 Ob 91/22s; 7 Ob 61/22d; 7 Ob 130/22a; 7 Ob 45/23b; 7 Ob 89/23y).

[5] 1.3. Die Vorinstanzen beurteilten – entsprechend dem Vorbringen des Klägers und der bestehenden höchstgerichtlichen Judikatur (7 Ob 130/22a mwN) – den Eintritt des Versicherungsfalls nach Art 2.3 ARB 2005.

[6] Vorauszuschicken ist, dass die hier geltenden ARB 2005 die von der Beklagten herangezogene Differenzierung zwischen auf Sachschäden zurückzuführende Vermögensschäden und reinen Vermögensschäden gar nicht vornimmt. Entgegen der Ansicht der Beklagten macht der Kläger auch keinen Sachschaden geltend (vgl 7 Ob 89/23y).

[7] 2. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

[8] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das anspruchsbegründende Vorbringen des Klägers nicht unschlüssig sei, eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und dass die von der Beklagten erhobenen Einwände als Tatfragen im Haftpflichtprozess zu beurteilen und für die Deckungspflicht unbeachtlich seien, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 7 Ob 61/22d; 7 Ob 129/22d; 7 Ob 130/22a). Der vorliegende Sachverhalt ist entgegen der Ansicht der Revision auch nicht mit der Entscheidung 7 Ob 152/22m vergleichbar, beabsichtigt der Kläger doch hier gar keine Rechtsverfolgung gegen den Verkäufer.

[9] 3. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 95/21b ausgesprochen, dass der Ausschluss nach Art 7.1.6 ARB 2009 (hier Art 7.1.6 ARB 2005) für einen durchschnittlich verständigen Verbraucher dahin zu verstehen ist, dass der Rechtsschutzversicherer für die Verfolgung von ihm nach Kartell- oder sonstigem Wettbewerbsrecht (einschließlich UWG) zustehenden Ansprüchen keine Deckung übernimmt (vgl RS0109433 [T4]). Anders als in der zitierten Entscheidung stützt der Kläger seinen Anspruch im vorliegenden Fall aber nicht auf Kartell- oder sonstiges Wettbewerbsrecht. Der Versicherer hat auch keinen Anspruch darauf, dass nicht behauptete und daher bloß hypothetische Anspruchsgrundlagen explizit vom Feststellungsurteil ausgenommen werden.

[10] 4.1. Die Auskunftsobliegenheit (§ 34 Abs 1 VersVG; Art 8.1.1 ARB 2005) endet mit der Ablehnung des Entschädigungsanspruchs durch den Versicherer, weil sich das der Vereinbarung zugrundeliegende Ziel, die Leistung des Versicherers zu ermöglichen oder zu erleichtern, danach nicht mehr erreichen lässt. Mit anderen Worten bringt der Versicherer mit der Deckungsablehnung zum Ausdruck, dass er weiterer Auskünfte zur Beurteilung seiner Leistungspflicht nicht mehr bedarf (7 Ob 190/22z mwN). Dies gilt freilich nicht, wenn der Versicherer nach der Ablehnung zu erkennen gibt, er lege gleichwohl noch Wert auf Erfüllung der Obliegenheiten, und diese zumutbar erscheint (7 Ob 60/86; 7 Ob 319/01i; 7 Ob 153/20f). Dies setzt aber jedenfalls voraus, dass der Versicherer klarmacht, inwieweit er noch ein Aufklärungsbedürfnis hat (7 Ob 190/22z mwN).

[11] 4.2. Im vorliegenden Fall lehnte die Beklagte die Versicherungsdeckung mit Schreiben vom 22. Dezember 2020 definitiv ab, worauf der Kläger am 6. August 2021 die Deckungsklage einbrachte. Erst kurz vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 3. Oktober 2022 auf, ihr Informationen und Unterlagen über den Besitzstatus, den Kilometerstand, die Ausstattung des Fahrzeugs, den Kenntnisstand des Klägers betreffend den Dieselskandal und die vom Kläger wahrgenommenen Täuschungshandlungen der Fahrzeugherstellerin zu erteilen. Ganz abgesehen davon, dass die verlangten Informationen entweder nicht „erforderlich“ (vgl RS0080185) sind oder vom Kläger ohnehin im Rahmen dieses Verfahrens erteilt wurden hat die Beklagte ein Aufklärungsbedürfnis auch nicht dargelegt, hat sie es doch über einen Zeitraum von mehr als 1,5 Jahren nach Ablehnung der Deckung und von mehr als einem Jahr nach Beginn dieses Verfahrens nicht für notwendig erachtet, die nunmehr verlangten Informationen zu fordern, obwohl sich die Sachlage seither nicht geändert hat. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, es liege keine Verletzung des Art 8.1.1. ARB 2005 vor, ist daher nicht korrekturbedürftig.

[12] 5. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[13] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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