OGH 7Ob119/23k

OGH7Ob119/23k30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U*, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Mai 2023, GZ 50 R 72/23d-25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 16. März 2023, GZ 14 C 375/21f-21, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00119.23K.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Diebeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 751,92 EUR (darin enthalten  125,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung R918 (ARB 2017) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

1. Für die Geltendmachung eines Personen-, Sach- oder Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.4), gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles gilt der Eintritt dieses Schadenereignisses. [...]

[...]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 23 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. [...]

[...]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[...]

1.6 aus dem Bereich des Kartell- oder sonstigen Wettbewerbsrechtes;

[...]

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1. Für das Vorliegen des Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung behauptet, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003).

[4] 1.2. Hier hat der Versicherungsnehmer während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel-PKW erworben und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) sowie eine Haftung für Spät- und Dauerfolgen gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach dargelegt, dass der damit behauptete deliktische Anspruch gegen die Herstellerin eines Kraftfahrzeugs von Artikel 19.1.2 ARB umfasst ist. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, damit habe der Kläger den Versicherungsfall schlüssig dargelegt, entspricht der Rechtsprechung des Fachsenats (vgl etwa 7 Ob 91/22s; 7 Ob 61/22d; 7 Ob 130/22a; 7 Ob 45/23b; 7 Ob 89/23y).

[5] 1.3. Die Vorinstanzen beurteilten – entsprechend dem Vorbringen des Klägers und der bestehenden höchstgerichtlichen Judikatur (7 Ob 130/22a mwN) – den Eintritt des Versicherungsfalls nach Art 2.3 ARB 2017.

[6] Entgegen der Ansicht der Beklagten macht der Kläger keinen Sachschaden im Sinn des Art 2.1 ARB 2017 geltend (7 Ob 89/23y; vgl 7 Ob 32/18h).

[7] 2. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

[8] 2.1. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das anspruchsbegründende Vorbringen des Klägers nicht unschlüssig sei, eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und dass die von der Beklagten erhobenen Einwände als Tatfragen im Haftpflichtprozess zu beurteilen und für die Deckungspflicht unbeachtlich seien, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 7 Ob 61/22d; 7 Ob 129/22d; 7 Ob 130/22a). Der vorliegende Sachverhalt ist entgegen der Ansicht der Revision auch nicht mit der Entscheidung 7 Ob 152/22m vergleichbar, beabsichtigt der Kläger doch hier gar keine Rechtsverfolgung gegen den Verkäufer.

[9] 2.2. Entgegen der Ansicht der Beklagten muss der Kläger eine Anrechnung von Vorteilen auch nicht bereits in seiner Klage vorwegnehmen. Generell ist die schadenersatzrechtliche Vorteilsausgleichung nur über Einwendung vorzunehmen, und setzt voraus, dass Schaden und Vorteil im selben Tatsachenkomplex wurzeln und das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursacht hat. Zeitlich und sachlich kongruente Vorteile, die durch das pflichtwidrige Handeln entstehen oder wenigstens im selben Tatsachenkomplex wurzeln, sind anzurechnen, sofern die Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes entspricht und nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führt. Der Eintritt von Vorteilen aus dem Schadensereignis unter dem Titel des Vorteilsausgleichs fällt nicht in die Beweispflicht des Geschädigten, vielmehr hat der Schädiger die Vorteile zu behaupten und zu beweisen, dies betrifft auch die Höhe des Vorteils und die Kongruenz der Leistung (vgl 7 Ob 65/22t mwN). Das Klagebegehren ist daher auch nicht aus diesem Grund als unschlüssig anzusehen, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat.

[10] 2.3. Fehlende Erfolgsaussichten des Klagebegehrens im erstinstanzlichen Verfahren auf Feststellung künftiger Schäden im Hinblick auf das in der letzten Tagsatzung vom Kläger erstattete Vorbringen, das klagsgegenständliche Fahrzeug sei im Dezember 2020 verkauft worden, hat die Beklagte nicht eingewendet.

3.1. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 7 Ob 95/21b zu einer identen Bedingung (Art 7.1.6 ARB 2009) dahin Stellung nahm, dass für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer der darin geregelte Ausschluss nur dahin zu verstehen ist, dass der Versicherer für die Verfolgung von ihm nach Kartell‑ oder sonstigen Wettbewerbsrecht (einschließlich UWG) zustehenden Ansprüchen keine Deckung übernimmt.

[11] 3.2. Entgegen der Ansicht der Beklagten beurteilte der EuGH in seiner Entscheidung C‑100/21 Artikel 5 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) nicht dahin, dass diese Bestimmung den fairen Wettbewerb regle. Einen Bezug zum fairen Wettbewerb stellte der EuGH lediglich im Zusammenhang mit den in Artikel 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge in der durch die Verordnung (EG) Nr 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 geänderten Fassung (Rahmenrichtlinie) vorgesehenen Sanktionen her. Ein weiteres Eingehen erübrigt sich (7 Ob 86/23g).

[12] 3.3.1. Der Kläger hat hier Deckung für das in Pkt 1.2. dargestellte Begehren beansprucht und zusätzlich im für diese Beurteilung relevanten erstgerichtlichen Verfahren ausdrücklich klargestellt, dass er sich im Haftpflichtprozess weder auf kartellrechtliche noch auf wettbewerbsrechtliche Anspruchsgrundlagen stützen werde. Damit ist auch klargestellt, dass die Verfolgung der letztgenannten Ansprüche vom vorliegenden Deckungsbegehren und daher dem auf dessen Grundlage ergangenen Feststellungsurteil nicht umfasst sind.

[13] 3.3.2. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Kläger im Deckungsprozess nicht verpflichtet, allfällige – vom beklagten Versicherer erst einzuwendende – Risikoausschlüsse zu berücksichtigen und seinem Begehren insoweit eine einschränkende Formulierung zu geben (auch keine entsprechende Pflicht des Gerichts [vgl 7 Ob 89/23y]). Dies gilt umso mehr, als der Kläger im vorliegenden Fall auch keine Deckung für die von der Beklagten in Art 7.1.6 ARB ausgeschlossenen Risiken begehrt (7 Ob 86/23g).

[14] 4.1. Die Auskunftsobliegenheit (§ 34 Abs 1 VersVG; Art 8.1.1 ARB 2017) endet mit der Ablehnung des Entschädigungsanspruchs durch den Versicherer, weil sich das der Vereinbarung zugrundeliegende Ziel, die Leistung des Versicherers zu ermöglichen oder zu erleichtern, danach nicht mehr erreichen lässt. Mit anderen Worten bringt der Versicherer mit der Deckungsablehnung zum Ausdruck, dass er weiterer Auskünfte zur Beurteilung seiner Leistungspflicht nicht mehr bedarf (7 Ob 190/22z mwN). Dies gilt freilich nicht, wenn der Versicherer nach der Ablehnung zu erkennen gibt, er lege gleichwohl noch Wert auf Erfüllung der Obliegenheiten, und diese zumutbar erscheint (7 Ob 60/86; 7 Ob 319/01i; 7 Ob 153/20f). Dies setzt aber jedenfalls voraus, dass der Versicherer klarmacht, inwieweit er noch ein Aufklärungsbedürfnis hat (7 Ob 190/22z mwN).

[15] 4.2. Im vorliegenden Fall lehnte die Beklagte die Versicherungsdeckung mit Schreiben vom 22. Juli 2021 definitiv ab, worauf der Kläger am 6. August 2021 die Deckungsklage einbrachte. Erst kurz mit Schreiben vom 3. Oktober 2022 forderte die Beklagte den Kläger auf, ihr Informationen und Unterlagen über den Besitzstatus, den Kilometerstand, die Ausstattung des Fahrzeugs, den Kenntnisstand des Klägers betreffend den Dieselskandal und die vom Kläger wahrgenommenen Täuschungshandlungen der Fahrzeugherstellerin zu erteilen. Ganz abgesehen davon, dass die verlangten Informationen entweder nicht „erforderlich“ (vgl RS0080185) sind oder vom Kläger ohnehin im Rahmen dieses Verfahrens erteilt wurden hat die Beklagte auch kein Aufklärungsbedürfnis dargelegt, hat sie es doch über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr nach Ablehnung der Deckung und dem Beginn dieses Verfahrens nicht für notwendig erachtet, die nunmehr verlangten Informationen zu fordern, obwohl sich die Sachlage seither nicht geändert hat. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, es liege keine Verletzung des Art 8.1.1. ARB 2017 vor, ist daher nicht korrekturbedürftig.

[16] 5. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[17] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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