OGH 9Ob24/23d

OGH9Ob24/23d26.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach M*, vertreten durch Dr. Stefan Gulner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. G*, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. R*, wegen Unwirksamerklärung und Löschung von Grundbuchseintragungen, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 2. Mai 2023, GZ 11 R 97/23z‑79, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00024.23D.0726.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Eine Schenkung ohne wirkliche Übergabe des Vertragsgegenstands bedarf zu ihrer Gültigkeit der Notariatsaktsform (§ 1 Abs 1 lit d NotariatsaktsG; RS0019375).

[2] 2. Eine „wirkliche Übergabe“ iSd § 943 ABGB liegt vor, wenn neben dem Schenkungsvertrag ein anderer, von diesem verschiedener und als Übergabe erkennbarer Akt gesetzt wird, der nach außen in Erscheinung tritt und geeignet ist, dem Willen des Geschenkgebers Ausdruck zu verleihen, das Schenkungsobjekt aus seiner Gewahrsame in die des Beschenkten zu übertragen (RS0011383 [T11]). Dazu zählt etwa die körperliche Übergabe, die Übergabe durch Zeichen, die Besitzauflassung, die Besitzanweisung nicht aber die Besitzauftragung (vgl RS0011143).

[3] 3. Bei Liegenschaften genügt die außerbücherliche Übergabe (RS0011383 [T4]; RS0011228 [T9, T11]).

[4] Eine „wirkliche Übergabe“ wurde etwa bei Übergabe aller Verwaltungsunterlagen bejaht, welche die Bewirtschaftung der Liegenschaft ermöglichen (vgl 4 Ob 560/89), bei Schlüsselübergabe und allein von der Geschenkgeberin erteiltem Auftrag an den Vertragsverfasser (2 Ob 196/20t) oder bei einer gemeinsamen Liegenschaftsbegehung samt Schlüsselübergabe (7 Ob 128/19b). Wurde dagegen dem Übergeber ein lebenslängliches Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt, sodass seine Stellung in tatsächlicher Hinsicht keine wesentliche Änderung erfahren sollte, bestehen Bedenken daran, dass er die Liegenschaft „real“ aus der Hand gegeben hat, wie es für eine wirkliche Übergabe gefordert ist (vgl 2 Ob 60/18i unter Hinweis auf 5 Ob 8/16m und 5 Ob 76/16m).

[5] 4. Wie die wirkliche Übergabe iSd § 943 ABGB zu erfolgen hat, ist nach den Umständen des Einzelfalls und dem Zweck, den Zuwender vor übereilten Entschließungen zu schützen, zu beurteilen (RS0018975 [T2], RS0011383 [T13]). Diese Frage lässt sich daher nicht allgemeingültig beantworten und ist demnach nur dann erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterläuft, die aus Gründen der Rechtssicherheit bzw Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden muss.

[6] 5. Im vorliegenden Fall hat die Übergeberin die Schlüssel und die Verwaltungsunterlagen dem Beklagten nicht selbst übergeben, forderte ihn aber auf, sie sich zu holen, wobei sie ihm den Aufbewahrungsort beschrieb. Zusätzlich erklärte sie ihm vor dem Haus, dass das jetzt ihm gehöre und er darauf aufpassen solle. Zwar war ihr vertraglich ein lebenslängliches Wohnungsgebrauchsrecht eingeräumt worden, zugleich bewohnte sie das Objekt zu diesem Zeitpunkt nicht, sondern befand sich in einem Pensionistenheim und war offen, ob sie in Zukunft wieder in das Haus zurückkehren würde. Damit war nach den Gesamtumständen klar, dass sich der Beklagte ab sofort um die Angelegenheiten des Hauses kümmern sollte. Zusätzlich erklärte der Beklagte auf Wunsch der Übergeberin, dass er selbst das Haus nutzen werde und es nicht veräußern werde, wofür der Übergeberin zur Absicherung ein Rangordnungsbeschluss übergeben werden sollte.

[7] Wenn das Berufungsgericht vor diesem Hintergrund von einer tatsächlichen Übergabe ausging, hält sich diese Beurteilung im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums. Damit stellt sich aber die Frage einer Heilung eines formungültigen Rechtsgeschäfts nicht.

[8] 6. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte