OGH 7Ob101/23p

OGH7Ob101/23p28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei N* A*, vertreten durch Mag. Silvia Fahrenberger, Rechtsanwältin in Scheibbs, gegen den Gegner der gefährdeten Partei M* C*, vertreten durch Dr. Wolf Heistinger, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382d EO, über den Rekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 3. April 2023, GZ 17 R 33/23h‑14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 13. Februar 2023, GZ 3 C 2/23z‑6, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00101.23P.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Exekutionsrecht, Persönlichkeitsschutzrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Der Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 223,92 EUR (darin enthalten 37,32 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 78, 402 Abs 4 EO, § 526 Abs 2 letzter Satz ZPO) – Ausspruch des Gerichts zweiter Instanz liegen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rekurses nach §§ 78, 402 Abs 4 EO, § 527 Abs 2, § 528 Abs 1 ZPO nicht vor.

[2] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung erlischt eine einstweilige Verfügung nicht schon mit dem Ablauf der Frist, für die sie bewilligt wurde, sondern es bedarf einer ausdrücklichen Aufhebung durch das Gericht (RS0005543; vgl RS0113303); nach Ablauf der Verfügungsfrist ist sie auf Antrag des Gegners aufzuheben. So lange die einstweilige Verfügung nicht aufgehoben wurde, kann aufgrund von Zuwiderhandlungen vor Ablauf des Endtermins auch danach noch die Exekution bewilligt werden (7 Ob 190/18v mwN).

[3] 1.2. Die Frist, für welche eine einstweilige Verfügung bewilligt worden ist, kann auf Antrag verlängert werden, wenn der angestrebte Zweck innerhalb des betreffenden Zeitraums nicht erreicht werden konnte (RS0005534), weil die Gefährdungslage weiter besteht. Analog zu § 128 Abs 3 ZPO ist eine Verlängerung nur möglich, wenn der Verlängerungsantrag noch innerhalb der Verfügungsfrist gestellt wird.

[4] Nach Ablauf der Verfügungsfrist kann nur mehr eine neue einstweilige Verfügung beantragt und erlassen werden, wenn und soweit die hiefür erforderlichen Voraussetzungen, deren Vorliegen neuerlich zu prüfen sind, gegeben sind (RS0005534 [T7]); unter denselben Voraussetzungen kann die einstweilige Verfügung nach Ablauf der ursprünglich bewilligten Verfügung auch nochmals erlassen werden (vgl 7 Ob 95/13s, 7 Ob 190/18v). Eine Verlängerung der Geltungsdauer der bewilligten einstweiligen Verfügung nach deren Ablauf ist jedoch unzulässig (RS0005566); dies gilt auch für die einstweilige Verfügung gemäß § 382b EO (7 Ob 133/17k mwN) sowie die nach § 382c EO (vormals § 382e EO; 7 Ob 190/18v).

[5] 1.3. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass damit Verstöße des Antragsgegners während aufrechter (verlängerter) einstweiliger Verfügung gegen diese nicht nur zur Exekutionsführung, sondern auch als Verhaltensweisen zur Erlassung einer neuerlichen einstweiligen Verfügung herangezogen werden können, soweit sie über den reinen Verstoß hinaus zusätzlich auch die hiefür erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, hält sich im Rahmen der bereits bestehenden oberstgerichtlichen Judikatur.

[6] 1.4.1. Bei der Verlängerung der einstweiligen Verfügung ist nicht mehr zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die einstweilige Verfügung zur Zeit ihrer Erlassung vorlagen. Nur wenn sich ergäbe, dass die Voraussetzungen der Anspruchsbescheinigung und der Gefahren der Gefährdungsbescheinigung nicht mehr vorliegen, wäre der Antrag auf Verlängerung abzuweisen (RS0005613), während bei der Erlassung einer neuen einstweiligen Verfügung – wie ausgeführt – das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen für deren Erlassung neuerlich zu überprüfen sind.

[7] 1.4.2. Der Antragsgegner argumentiert, es drohten der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufende „Ketten-eV´s“, durch welche – ausgehend von einem einmaligen Vorfall – die Geltungsdauer immer wieder verlängert werden könnte, sollten der Erlassung der neuen einstweiligen Verfügung Sachverhalte zugrunde gelegt werden können, die sich bereits während der Verfügungsfrist der ursprünglichen (verlängerten) einstweiligen Verfügung ereignet hätten. Entgegen seiner Ansicht kommt es bei Erlassung einer neuen einstweiligen Verfügung zur neuerlichen Anspruchsprüfung und gerade nicht zur Verlängerung der bereits ursprünglich Erlassenen.

[8] 2.1. Gemäß § 382d EO (vormals § 382g EO) kann der Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre durch bestimmte – in dieser Rechtsnorm aufgezählte – Mittel gesichert werden. Voraussetzung für die Erlassung dieser einstweiligen Verfügung ist nur die Bescheinigung des Anspruchs auf Unterlassung weiterer „Stalking“‑Handlungen oder anderer unzulässiger Eingriffe in die Privatsphäre. Mit der Anspruchsbescheinigung sind gleichzeitig auch die Anforderungen des § 381 Z 2 EO erfüllt (RS0121887).

[9] 2.2. § 382d EO regelt den Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre. Zur Beurteilung, was zur Privatsphäre nach § 382d EO gehört, wird insbesondere aus § 16 ABGB das jedermann angeborene Persönlichkeitsrecht auf Achtung (ua) seines Privatbereichs abgeleitet (RS0008993 [T6, T11]). Unerwünschte Kontaktaufnahmen als Kernfall des Stalkings können einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre darstellen, sofern sie erheblich sind. Wenn die Kontaktaufnahmen in Art und Umfang eine Intensität erreichen, die den Rahmen des sozial Verträglichen sprengt, kann das Recht auf Privatsphäre verletzt sein. Jedenfalls muss im Verhalten eine gewisse Beharrlichkeit zum Ausdruck kommen, wie sie dem Stalkingbegriff immanent ist (RS0008990 [T22, T23]). Selbst der Umstand eines zufälligen Aufeinandertreffens der Parteien, ändert nichts daran, dass im unmittelbaren Anschluss erfolgte Handlungsweisen als „Verfolgung“ im Sinn des § 382d EO qualifiziert werden können (1 Ob 61/08i).

[10] 2.3. Dieser Rechtsprechung folgt der Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts. Der Oberste Gerichtshof, welcher nicht Tatsacheninstanz ist, kann nach ständiger Rechtsprechung dem Gericht zweiter Instanz nicht entgegentreten, wenn es – wie hier – von einer richtigen Rechtsansicht ausgehend den Sachverhalt für nicht hinreichend geklärt hält und daher eine Verfahrensergänzung für notwendig erachtet (RS0042179, zum Provisorialverfahren 7 Ob 138/18x).

[11] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

[12] 4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 393 Abs 2 EO iVm §§ 50, 41 ZPO. Die Antragstellerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

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