OGH 1Ob94/23i

OGH1Ob94/23i27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Wolfgang Gartner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch MMag. Dr. Claus Casati, Rechtsanwalt in Wien, wegen Duldung und Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. Februar 2023, GZ 15 R 153/22p-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17. August 2022, GZ 8 Cg 16/22i-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00094.23I.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte und der Verband der Ö*-Vereine (V*) schlossen 1996 ein Grundbenutzungsübereinkommen. Dieses berechtigte den V*, die vom Übereinkommen umfassten Grundstücksflächen an seine Mitglieder zu vermieten, und enthielt ua eine Bestimmung, wonach im Rahmen der Benützung der Fischerhütten die Zufahrt mit je einem Kraftfahrzeug pro Hüttennummer über die Forststraßen der Beklagten gestattet war.

[2] Der Kläger kaufte am 6. 5. 2015 eine Fischerhütte und schloss am gleichen Tag mit dem Fischereiverein A* sowie dem V* eine Vereinbarung über die Nutzung dieser Hütte bzw des zugewiesenen „Hüttenplatzes“ ab. Ab dem Beginn seines Bestandverhältnisses wurde ihm jährlich über den V* eine Zufahrtsgenehmigung bereitgestellt.

[3] Das Grundbenutzungsübereinkommen zwischen der Beklagten und dem V* wurde gerichtlich aufgekündigt.

[4] Der Kläger wurde gegenüber der Beklagten mittlerweile rechtskräftig zur Räumung und Rückstellung der von ihm genutzten Teilfläche verpflichtet. Spätestens mit Schreiben vom 20. 2. 2020 wurde die Zufahrtsgenehmigung ihm gegenüber widerrufen.

[5] Der Kläger begehrt, die Beklagte zu verpflichten, ihm über die Wege auf näher bezeichneten Grundstücken die Zufahrt mittels Kraftfahrzeug „zu seiner Fischerhütte und seinen Daubelanlagen“ zu dulden, und es in Hinkunft zu unterlassen, ihn an der Zufahrt zu hindern. Die Beklagte habe bei der Aufkündigung des Grundbenutzungsübereinkommens mit dem V* kollusiv zusammengewirkt, weswegen die Kündigung ihm gegenüber keine Wirkung entfalte. Die Legalservitut nach § 72 WRG berechtige ihn zur Nutzung der Grundstücke der Beklagten, um seine Daubelanlage jederzeit überprüfen zu können. Im Übrigen sei der Zufahrtsweg zur Daubelhütte zum Zeitpunkt der Inbesitznahme durch den Kläger, aber auch schon davor 40 Jahre von den Mitgliedern der örtlichen Fischereivereine benutzt und für diese Vereine und deren Mitglieder ersessen worden.

[6] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob regelmäßige Kontrollen einer wasserrechtlich bewilligten Daubelanlage unbedingt notwendige Untersuchungen iSd § 72 Abs 1 WRG seien und ob ein Vereinsmitglied berechtigt sei, ein Recht des Vereins für sich in Anspruch zu nehmen.

[7] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Zur Bindungswirkung des Räumungsurteils

Rechtliche Beurteilung

[8] 1.1. Nach der höchstgerichtlichen Recht‑

sprechung besteht eine Bindungswirkung nur in Bezug auf die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage, nicht aber eine dort beurteilte Vorfrage (RS0042554; RS0041180; RS0041342; RS0041567 [T8]). Bindungswirkung im Sinn der Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess ist dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet. Jeweils im Einzelfall ist konkret zu prüfen, worüber im Vorprozess als Hauptfrage bzw Hauptgegenstand entschieden wurde. Dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung an. Zur Individualisierung des Hauptgegenstands sind auch die rechtserzeugenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss heranzuziehen (RS0127052). Danach ist zu prüfen, ob die Entscheidung über den neuen Anspruch vom Inhalt der Hauptfrage der bereits rechtskräftig entschiedenen Streitsache erfasst und abhängig ist oder das Begehren das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs darstellt. Die Entscheidungsgründe sind nur zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen (RS0043259; RS0041357). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung im Regelfall nicht vor.

[9] 1.2. Der rechtskräftige Räumungstitel verpflichtet den Kläger gegenüber der Beklagten zur Räumung und Rückstellung der von ihm genutzten Grundfläche (vgl RS0020765).

[10] Die Ansicht der Vorinstanzen, dass damit bindend für das vorliegende Verfahren geklärt ist, dass der Kläger bei unverändertem Sachverhalt kein Recht auf (weitere) Innehabung und Benützung der Grundstücke der Beklagten (mehr) hat, weil genau dies die Hauptfrage in dem zu seinen Ungunsten entschiedenen Räumungsprozess war, ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig.

[11] Die vom Berufungsgericht bestätigte (dislozierte) Feststellung des Erstgerichts, dass sich die baulichen Anlagen des Klägers auf den zu räumenden Flächen befinden, steht seinem Einwand entgegen, dass das zumindest zum Teil nicht der Fall wäre.

[12] Es ist daher auch nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen nicht weiter auf das (bereits dem Vorprozess zugrunde liegende) Vorbringen des Klägers eingegangen sind, die Beklagte und der V* hätten kollusiv zusammengewirkt und er sei in das zwischen der Beklagten und dem V* aufgekündigte Bestandverhältnis eingetreten.

[13] Da die rechtskräftige Räumungsverpflichtung des Klägers ein Recht auf Benützung der Grundflächen der Beklagten zwingend ausschließt, kann er daraus auch kein Recht auf Zufahrt ableiten.

[14] 1.3. Mit der auf die Entscheidung 7 Ob 224/13m gestützten Auffassung des Berufungsgerichts, dass das Eigentum an einem Superädifikat (darum handelt es sich nach der Ansicht des Klägers bei der Fischerhütte bzw Daubelanlage) allein kein dingliches oder obligatorisches Recht zur Benützung der Liegenschaft verschafft, setzt sich der Kläger nicht auseinander (RS0043603).

2. Zur Legalservitut des § 72 Abs 1 WRG

[15] 2.1. Gemäß § 72 Abs 1 WRG haben die Eigentümer von Grundstücken und die Wasserberechtigten zur Durchführung der in lit a bis h genannten Maßnahmen das Betreten und Benutzen ihrer Grundstücke in näher beschriebener Art (nur) insoweit zu dulden, als sich dies als unbedingt notwendig erweist (vgl 1 Ob 127/13b; VwGH 2013/07/0243).

[16] 2.2. Das Berufungsgericht hat dem Kläger, der das Recht auf Zufahrt zur Fischerhütte bzw den Daubelanlagen (auch) aus § 72 Abs 1 WRG ableiten möchte, entgegnet, er habe solche unbedingt notwendige Maßnahmen weder behauptet noch seien diese ersichtlich. Auch in seiner Revision zeigt der Kläger nicht auf, aus welchen Gründen das Zufahren mit Kraftfahrzeugen im konkreten Fall „unbedingt notwendig“ iSd § 72 Abs 1 WRG sein sollte. Auf weitere Fragen in diesem Zusammenhang muss daher nicht mehr eingegangen werden.

[17] 3. Vergleichbares gilt für die Behauptung des Klägers, es sei zu einer Ersitzung der Wegerechte durch die Mitglieder der Fischereivereine für die Vereine und deren Mitglieder gekommen. Die selbständig tragfähige Begründung des Berufungsgerichts, er habe trotz entsprechenden Bestreitungsvorbringens kein näheres Vorbringen dazu erstattet, seit wann und in welchem Umfang die Mitglieder der Fischereivereine die Wege mit Pkw befahren hätten, bekämpft der Revisionswerber nicht (siehe wiederum RS0043603). Da er damit schon seiner Behauptungslast für das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen auf Seiten der Fischereivereine nicht (ausreichend) entsprochen hat, stellt sich insbesondere die vom Berufungsgericht dem Zulassungsausspruch zugrunde gelegte Rechtsfrage nicht, ob der Kläger als Vereinsmitglied überhaupt ein vom Verein ersessenes Recht geltend machen könnte.

[18] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 4050 ZPO. Für die Revisionsbeantwortung steht kein Kostenersatz zu, weil die Beklagte darin die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht geltend gemacht hat (RS0035979 [T12, T25]).

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