OGH 15Os7/23b

OGH15Os7/23b8.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Schriftführers Mag. Lung in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 9. August 2022, GZ 6 Hv 42/22h‑31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00007.23B.0308.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * M* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./1./), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG, § 12 zweiter Fall StGB (I./2./), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (I./3./) sowie des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (IV./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in G*

I./ vorschriftswidrig Suchtgift

1./ von Anfang 2015 bis April 2022 mit dem Vorsatz einer kontinuierlichen Tatbegehung über einen längeren Zeitraum und dem daran geknüpften Additionseffekt in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er 1.500 Gramm Heroin [150 Gramm Heroin-Base bei einem Reinheitsgehalt von 10 %], 300 Gramm Kokain [„106,8 Gramm Cocaine-Base bei einem Reinheitsgehalt von 40 %“], 1.950 Gramm Cannabiskraut [„205 Gramm Delta-9-THC bei einem Reinheitsgehalt von 10 %“] und 67 Stück Compensan 100 mg Tabletten und 8 Stück Compensan 300 mg Tabletten mit dem Wirkstoff Morphin (US 7) an * P*, * B*, * Pa* und weitere unbekannte Abnehmer verkaufte;

2./ von 2015 bis 2017 mit dem Vorsatz einer kontinuierlichen Tatbegehung über einen längeren Zeitraum und dem daran geknüpften Additionseffekt in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge „teils als Bestimmungstäter eingeführt“, indem er insgesamt 150 Gramm Heroin [15 Gramm Heroin-Base bei einem Reinheitsgehalt von 10 %] teils selbst aus Bosnien importierte, teils den Import in Auftrag gab;

3./ ab 2015 bis zum 6. April 2022 ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, indem er unbekannte Mengen an Heroin und Cannabiskraut bis zum Eigenkonsum innehatte bzw bis zur Sicherstellung für den Eigenkonsum in seiner Wohnung lagerte;

IV./ Ende 2020/Anfang 2021 * B* eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz weggenommen, einen Dritten in zumindest einem Betrag von 50 Euro unrechtmäßig zu bereichern, indem er ihm während eines mit einem unbekannten Dealer durchgeführten Suchmittelgeschäfts (Wert des Suchtmittels 50 Euro) Bargeld in Höhe von 100 Euro wegnahm und dieses dem Dealer übergab.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt.

[4] Das Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) ist dann nichtig aus Z 3, wenn es die Tat mit Blick auf das Verbot wiederholter Strafverfolgung (§ 17 Abs 1 StPO, Art 4 des 7. ZPMRK) nicht hinreichend individualisiert oder die ihm in Bezug auf die rechtsrichtige Subsumtion zukommende Ordnungsfunktion nicht erfüllt (RIS-Justiz RS0120226 [T2]).

[5] Soweit der Angeklagte zu I./ des Schuldspruchs fehlende Angaben zu Tatort und Tatzeit im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) releviert (Z 3), übergeht er den auf „in G*“ sowie „im Zeitraum Anfang 2015 bis April 2022“ bezogenen Erkenntnisinhalt (US 1). Überdies zeigt er hinsichtlich der Überlassung einzelner Suchtgiftquanten an unbekannt gebliebene Abnehmer – soweit nicht ohnedies eine Konkretisierung einzelner Überlassungen als solche an „U.T. 'Rush', U.T. 'Pascal' und U.T. 'Zoi'“ erfolgte – nicht auf, inwiefern dadurch eine ausreichende Individualisierung der gegenständlichen tatbestandlichen Handlungseinheit oder gar deren rechtliche Subsumtion beeinträchtigt wäre. Daraus resultierende Zweifel würden im Übrigen im Fall einer späteren Verfolgung ohnedies zu Gunsten des Angeklagten für die Annahme von Tatidentität und damit für das Vorliegen des Verfolgungshindernisses des ne bis in idem streiten (RIS‑Justiz RS0120226; vgl auch Lendl, WK-StPO § 260 Rz 10 f).

[6] Im Übrigen ist stets mit Blick auf die Entscheidungsgründe, die insoweit mit dem Spruch eine Einheit bilden, zu beurteilen, ob der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO undeutlich ist (vgl RIS-Justiz RS0098734), sodass – entgegen dem Beschwerdevorbringen – auch überprüfbar ist, welche Teilmengen der Angeklagte den drei bekannten Abnehmern überlassen hat.

[7] Dass – dem Referat der entscheidenden Tatsachen zuwider – einzelne Tathandlungen nicht in G* gesetzt wurden (vgl US 5, wonach einzelne [„hin und wieder“] Suchtgiftübergaben des Angeklagten an P* in L* und Gr* stattfanden), ist für die rechtsrichtige Subsumtion nicht entscheidend (vgl RIS-Justiz RS0120334); die Beschwerde legt nicht dar, warum dieser Umstand zur Individualisierung der Tat erforderlich sein sollte (vgl RIS‑Justiz RS0117498).

[8] Entgegen der zu I./1./ bis I./3./ – der Sache nach – eine offenbar unzureichende Begründung behauptenden Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) hat das Erstgericht – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden – die Feststellungen zur Menge des jeweils tatverfangenen Suchtgifts auf die Angaben der Zeugen P*, B* und Pa* sowie auf die in Teilbereichen geständige Verantwortung des Angeklagten (US 8 ff) gestützt und (denkrichtig) begründet, warum es davon ausging, dass P* auch für die Dauer seiner beruflichen Tätigkeit in Deutschland Suchtgift vom Angeklagten bezogen hat (US 9). Entgegen der weiteren Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) hat sich das Schöffengericht auch mit den Abweichungen in den Aussagen der Zeugen P*, B* und Pa* auseinandergesetzt (US 10).

[9] Da zudem die zu I./1./ festgestellte Überlassung von Suchtgiften an andere im Umfang einer jedenfalls das 55,25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge den Schuldspruch wegen Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG auch ohne Berücksichtigung der im Zeitraum März 2019 bis März 2020 P* überlassenen 900 Gramm Heroin und 50 Gramm Marihuana zu tragen vermag, spricht die eine unterbliebene Auseinandersetzung mit den – eine solche Überlassung für diese Dauer seiner Berufstätigkeit in Deutschland bestreitenden (ON 30 S 10) – Angaben dieses Zeugen in der Hauptverhandlung kritisierende Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) keinen entscheidenden Aspekt an (RIS-Justiz RS0117264, RS0117499). Gleiches gilt für die vom Beschwerdeführer diesbezüglich ins Treffen geführte Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall). Eine solche läge im Übrigen nur im Falle der unrichtigen Wiedergabe des Inhalts einer Urkunde oder einer Aussage vor. Sie kann nicht durch eine – wie hier – behauptete Divergenz zwischen den Tatsachenfeststellungen und dem zu Grunde gelegten Beweismaterial begründet werden (RIS-Justiz RS0099524 [T3]).

[10] Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen kann zwar als – in der Regel – erhebliche Tatsache unter dem Gesichtspunkt der Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen. Der Bezugspunkt besteht dabei aber nicht in der Annahme der Überzeugungskraft von Aussagen, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu den entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0119422 [T4]). Diesen verfehlt die Beschwerde (Z 5 zweiter Fall), indem sie kritisiert, dass das Erstgericht anhängige Strafverfahren, Vorverurteilungen und Drogensucht der Zeugen nicht berücksichtigt und sich – mit Ausnahme der vom Angeklagten selbst importierten Mengen – nicht mit der Herkunft des Suchtgifts auseinandergesetzt habe. Sie erschöpft sich damit – ebenso wie mit dem Hinweis auf fehlende Angaben der Zeugen zu den Details der Überlassungen, zu etwaigen anderen Bezugsquellen, auf die unterschiedlichen Wohnorte des Angeklagten und des Zeugen P* sowie mit der Berufung auf den Grundsatz in dubio pro reo – in einem Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO; vgl RIS-Justiz RS0099419, RS0102162).

[11] Soweit es ihr nicht (als Aufklärungsrüge) um den Verfahrensaspekt unterlassener Beweisaufnahme geht, ist eine Tatsachenrüge (Z 5a) nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie anhand konkreten Verweises auf in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismaterial (§ 258 Abs 1 StPO) bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswürdigung darlegt, welches von ihr angesprochene Verfahrensergebnis (Beweismittel) aus welchem Grund erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit welcher Feststellungen über entscheidende Tatsachen wecken soll (RIS-Justiz RS0117446 [insbesondere T1, T10], RS0117749, RS0118780). Von diesen Kriterien entfernt sich die Beschwerde, indem sie – zumindest erkennbar die zu I./1./ und I./2./ konstatierten Suchtgiftquanten in Frage stellend – die Hochrechnung von einem durchschnittlichen Tageskonsum der Zeugen auf Gesamtmengen kritisiert, die Fähigkeit der Zeugen P* und B* zu solchen „Kopfrechnungen“ bezweifelt, abermals auf die unbekannten Bezugsquellen des Angeklagten verweist, nicht näher bezeichnete Zeugenaussagen pauschal als widersprüchlich bezeichnet und die Unbescholtenheit des Angeklagten dem einschlägig getrübten Vorleben des Zeugen P* gegenüberstellt.

[12] Die zur „amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit“ erhobene Forderung nach „Beachtung“ der Sprachnachrichten auf dem sichergestellten Mobiltelefon des Angeklagten und der „im Akt erliegenden Whats-App-Verläufe der Nachrichten zwischen dem Angeklagten und der Zeugin Pi*“ scheitert bereits an der Benennung jener entscheidenden Tatsachen, gegen deren Richtigkeit mit diesem Vorbringen erhebliche Bedenken geweckt werden sollen. Insoweit der Beschwerdeführer im Sinn einer Aufklärungsrüge damit ergänzende Erhebungen anstrebt, legt er nicht dar, wodurch er an darauf gerichteter Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen wäre (RIS-Justiz RS0114036, RS0115823).

[13] Auch der Hinweis, dass der Zeuge B* sich (zu IV./) in der Hauptverhandlung nicht einmal mehr „an die Höhe des entnommenen Geldscheins“ habe erinnern können, vermag eine qualifiziert naheliegende Fehlentscheidung des Erstgerichts bei der Beweiswürdigung nicht aufzuzeigen.

[14] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), die zu IV./ das Vorliegen eines Bereicherungsvorsatzes beim Angeklagten bestreitet, weil dieser im Zeitpunkt der Wegnahme des Geldes zumindest geglaubt hätte, einen Anspruch darauf zu haben, orientiert sich nicht am festgestellten Sachverhalt (vgl aber RIS-Justiz RS0099810): Demnach hat der Angeklagte das Geld mit dem Vorsatz weggenommen, (durch dessen Zueignung) einen Dritten, nämlich den Suchtgiftdealer (durch Überzahlung im Ausmaß von 50 Euro) unrechtmäßig zu bereichern. Dass der Angeklagte dadurch seinen Anspruch gegen B* befriedigen wollte, ist den Konstatierungen nicht zu entnehmen (vgl US 6; Stricker in WK2 StGB § 127 Rz 194).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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