European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00077.22I.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Nach dem Auftreten der COVID-19-Pandemie informierte die Beklagte ihre Dienstnehmer mit „interner Mitteilung“ vom 18. 3. 2020, dass sie aufgrund ihrer Treuepflicht auch in der Freizeit verpflichtet seien, alle Tätigkeiten und Verhaltensweisen zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen, weshalb beispielsweise eine Tätigkeit als freiwillige Rettungssanitäter mit den Dienstpflichten nicht vereinbar sei. Erst ab 1. 7. 2020 erlaubte die Beklagte ihren Dienstnehmern ehrenamtliche Tätigkeiten „unter Beachtung des sich aus der Treuepflicht ergebenden Verhaltens“.
[2] Der Kläger war seit dem Jahr 2004 bei der Beklagten als „administrative Fachkraft“ beschäftigt. Er ist begünstigter Behinderter iSd BEinstG und gehört zur COVID‑19-Risikogruppe, weshalb ihn die Beklagte aufgrund der Empfehlung ihres arbeitsmedizinischen Dienstes bereits ab 31. 3. 2020 vom Dienst freistellte. Nachdem die Beklagte den Kläger über die Notwendigkeit der Vorlage eines „COVID‑19‑Risiko-Attests“ informierte, legte er ein solches Attest vor. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger am 27. 5. 2020 nach § 735 Abs 3 ASVG dienstfrei.
[3] Im Sommer 2020 nahm der Kläger an mehreren Sportschützenveranstaltungen teil, die jeweils am Wochenende stattfanden. Bei diesen Veranstaltungen herrschte Maskenpflicht. Die Teilnehmer mussten sich die Hände desinfizieren und am Schießstand Sicherheitsabstände einhalten. Nur während des Schießens durfte die Maske abgenommen werden, doch mussten die Teilnehmer den Schießstand nach dem Ende des Schießdurchgangs desinfizieren. Der Kläger hielt sich an diese Vorgaben. Nur bei der Siegerehrung und dem anschließenden Gruppenfoto nahm er die Maske kurzfristig ab, setzte sie danach aber sogleich wieder auf. Nachdem Bilder einer Siegerehrung, auf denen der Kläger zu sehen war, im September 2020 in einer Gemeindezeitung veröffentlicht wurden, erklärte die Beklagte dem Kläger am 16. 10. 2020 die Entlassung.
[4] Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses, in eventu der Unwirksamkeit der ausgesprochenen Entlassung. Er habe keinen Entlassungsgrund gesetzt. Die kurzzeitige Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstands und der Maskenpflicht sei bloß eine geringfügige Verwaltungsübertretung. Die Teilnahme an Sportwettbewerben, die weder durch Gesetz noch durch Verordnung untersagt gewesen seien, falle in die Privatsphäre des Klägers, ohne dassdienstliche Interessen der Beklagten konkret oder abstrakt gefährdet worden seien.
[5] Die Beklagte wendet ein, dasssie ihrenDienstnehmern die Weisung erteilt habe, in der Freizeit alle Tätigkeiten zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen. Der Kläger habe auch gegen die damals geltende COVID-19-Lockerungsverordnung verstoßen. Er habe dadurch in Kauf genommen, dass der Beklagten seine Arbeitskraft für längere Zeit nicht zur Verfügung stehen könnte. Die Entlassung des Klägers sei gerechtfertigt, weil er die durch die Dienstfreistellung gewonnene Freizeit entgegen der gesetzlichen Intention gesundheitsgefährdend genutzt und missbraucht habe, indem er sich rechtswidrig und schuldhaft genau jener Situation ausgesetzt habe, die eine Beschäftigung bei der Beklagten unmöglich gemacht habe.
[6] Das Erstgericht qualifizierte die Entlassung als unwirksam und stellte den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses fest. Weisungen des Dienstgebers, welche die Privatsphäre betreffen und betriebliche Belange nicht berühren, seien unzulässig und könnten keine Entlassung rechtfertigen. Die Teilnahme an den Veranstaltungen sei damals aufgrund der vergleichsweise günstigen epidemiologischen Lage weder durch Verordnung noch durch Gesetz untersagt gewesen. Die Situation des Klägers sei mit einem Krankenstand nicht vergleichbar, weil keine Krankheit eingetreten sei, deren Heilung verzögert wurde. Dass der Kläger bei den Fotoaufnahmen gegen die COVID‑19‑Lockerungsverordnung verstoßen habe, könne angesichts seines sonst vorsichtigen Verhaltens keine Entlassung rechtfertigen.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Dienstliche Belange der Beklagten seien durch das Verhalten des Klägers nur insoweit gefährdet gewesen, als er sich selbst einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt habe. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts sei die Situation des Klägers mit einem Krankenstand vergleichbar, wenngleich kein schwerer und grober Verstoß gegen ärztliche Anordnungen oder allgemein anerkannte Verhaltenspflichten vorliege, der eine Entlassung rechtfertigen könnte. Die ordentliche Revision sei mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[8] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie eine Klagsabweisung anstrebt.
[9] Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[10] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil keine Rechtsprechung zu den Verhaltenspflichten eines Dienstnehmers während einer Dienstfreistellung nach § 735 Abs 3 ASVG vorliegt. Sie ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Nach § 27 Z 1 AngG ist der Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, wenn sich der Dienstnehmer einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt. Dies erfordert eine Verhaltensweise, die befürchten lässt, dass der Dienstnehmer seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen wird, sodass die dienstlichen Interessen des Dienstgebers gefährdet sind (RIS-Justiz RS0029547). Auch ein Verhalten, das – wie im vorliegenden Fall – außerhalb des Dienstes gesetzt wurde, kann die Entlassung rechtfertigen, wenn es geeignet war, das dienstliche oder geschäftliche Vertrauen des Dienstgebers zu beeinträchtigen (RS0080088). Bei der Beurteilung, ob der Dienstnehmer den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gesetzt hat, ist aber nicht auf das subjektive Empfinden des Dienstgebers abzustellen, sondern stets eine objektive Wertung des Verhaltens des Dienstnehmers vorzunehmen (RS0029733; RS0029833).
[12] 2. Unstrittig ist, dass der Kläger durch sein Verhalten beim Erstellen der Gruppenfotos gegen § 8 Abs 1 der damals geltenden COVID-19-Lockerungsverordnung (BGBl II 197/2020) verstoßen hat, wonach beim Betreten von Sportstätten gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten und eine Maske zu tragen war. Aber nicht jede Ordnungswidrigkeit ist bereits ein Entlassungsgrund (RS0028609; RS0029095). Dafür ist vielmehr erforderlich, dass der Dienstnehmer Interessen des Dienstgebers so schwer verletzt, dass diesem eine weitere Zusammenarbeit auch nicht für die Zeit der Kündigungsfrist zugemutet werden kann (RS0029009; RS0029020; RS0028475).
[13] 3. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann der Umstand, dass ein Dienstnehmer ungeachtet einer mit Absonderungsbescheid auferlegten Quarantäne seinen Dienst verrichtet, einen Entlassungsgrund bilden, weil eine solche Verhaltensweise geeignet ist, die Gesundheit der Arbeitskollegen und den Betrieb zu gefährden (8 ObA 54/21f; 9 ObA 8/22z). Im vorliegenden Fall ist eine Gefährdung des Dienstbetriebs der Beklagten aber schon deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger dienstfreigestellt war. Im Übrigen kann die bloß kurzfristige Missachtung des verordneten Mindestabstands und der Maskenpflicht schon aufgrund der Geringfügigkeit des Verstoßes keine Entlassung rechtfertigen.
[14] 4. Die Zuordnung eines Dienstnehmers zur COVID-19-Risikogruppe setzt das Vorliegen einer der in der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung (BGBl II 203/2020) genannten schweren Erkrankungen voraus. Solche Dienstnehmer haben nach § 735 Abs 3 ASVG Anspruch auf Freistellung und Fortzahlung des Entgelts, wenn die Bedingungen für die Erbringung ihrer Arbeitsleistung in der Arbeitsstätte nicht so gestaltet werden können, dass eine Ansteckung mit COVID-19 mit „größtmöglicher Sicherheit“ ausgeschlossen ist, und die Arbeitsleistung auch nicht im Homeoffice erbracht werden kann.
[15] 5. § 735 Abs 3 ASVG bezweckt den Schutz jener Dienstnehmer, die aufgrund einer Vorerkrankung besonders gefährdet sind, vor jenen Infektionsrisiken, denen sie an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt wären. Es würde deshalb dem Gesetzeszweck widersprechen, wenn der Dienstnehmer die Zeit seiner Dienstfreistellung nutzt, um sich Infektionsrisiken auszusetzen, die jenen am Arbeitsplatz entsprechen oder sogar darüber hinausgehen. Gleichzeitig ist eine Freistellung nach § 735 Abs 3 ASVG von vornherein nicht dazu geeignet, den Dienstnehmer vor jeden Infektionsrisiken zu schützen, die mit einer Freizeitgestaltung verbunden sind. Dem Gesetz sind auch keine konkreten Hinweise zu entnehmen, dass ein Dienstnehmer, der als Angehöriger der COVID-19-Risikogruppe eine Freistellung in Anspruch genommen hat, besonderen Verhaltenspflichten unterliegen würde, die über die sich im Allgemeinen in einem Arbeitsverhältnis ergebenden Verhaltenspflichten hinausgehen. Dem Gesetzgeber kann auch nicht unterstellt werden, dass er eine bestimmte Personengruppe aufgrund ihrer Vorerkrankung massiven Bewegungseinschränkungen unterwerfen hätte wollen, ist doch auch ein Verbleib am Arbeitsplatz möglich, wenn entsprechende Sicherheitsmaßnahmen bestehen.
[16] 6. Dem Berufungsgericht ist dahin zuzustimmen, dass sich ein Dienstnehmer im Falle einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit nach ständiger Rechtsprechung so verhalten muss, dass seine Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird (RS0060869). Eine Pflichtverletzung liegt nicht nur dann vor, wenn es tatsächlich zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung gekommen ist, sondern es genügt schon, dass das Verhalten geeignet war, den Gesundheitszustand negativ zu beeinflussen oder die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu verzögern (RS0029337). Diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht unmittelbar auf die Freistellung nach § 735 Abs 3 ASVG übertragen, weil es hier gar nicht um die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bei einer konkreten Krankheit geht, sondern um die Vermeidung von Risiken für Dienstnehmer mit einer Vorerkrankung.
[17] 7. Natürlich kann eine Infektion im Fall eines schweren Verlaufs der Erkrankung dazu führen, dass der Dienstnehmer auch nach Ablauf der Dienstfreistellung arbeitsunfähig ist. Der Oberste Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass ein Verschulden des Dienstnehmers jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn er die Dienstverhinderung durch sein ungewöhnlich leichtfertiges Verhalten herbeigeführt hat, weil er sich mutwillig Gefahren aussetzt, die erheblich über das bei einer normalen und vernünftigen Lebensweise eines Dienstnehmers in dieser Situation hinausgehen (RS0027960). In der Literatur wird deshalb die Auffassung vertreten, dass auch grobe Verstöße gegen die anlässlich der COVID-19-Pandemie gemachten Empfehlungen ein Verschulden des Dienstnehmers begründen können (Drs in Resch, Corona-HB1.06 Kap 5 Rz 20).
[18] 8. Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass bei Anforderungen an das Verhalten des Dienstnehmers in der Freizeit, die über die behördlich verordneten Verhaltensregeln hinausgehen, äußerste Zurückhaltung geboten ist, weil auch eine Pandemie die Privatsphäre des Dienstnehmers nicht über Gebühr einschränken darf (T. Dullinger, COVID-19-bedingte Dienstverhinderung in der Arbeitnehmersphäre, ZAS 2021/3, 17). Es ist auch allgemein anerkannt, dass Dienstnehmern die regelgerechte Ausübung selbst gefährlicher Sportarten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, auch wenn damit erhöhte Risiken verbunden sind, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führen können (Melzer-Azodanloo in Löschnigg 10 § 8 AngG Rz 101 mwN). Dass der Kläger der COVID-19-Risikogruppe zugehört und im Fall einer Infektion besonders gefährdet ist, kann jedenfalls nicht dazu führen, dass ihm jede Teilnahme am öffentlichen Leben von vornherein versagt wäre. In diesem Sinne ist dem Kläger die Teilnahme an den Sportschützenveranstaltungen auch deshalb nicht vorzuwerfen, weil die strengen Sicherheitsvorkehrungen das ihn spezifisch treffende Risiko einer Infektion minimiert haben.
[19] 9. Die Beklagte hat sich auch darauf berufen, dass der Kläger gegen die Weisung verstoßen habe, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen. Eine Anordnung des Dienstgebers, deren Nichtbefolgung einen Entlassungsgrund rechtfertigt, muss sich nämlich innerhalb der durch den Arbeitsvertrag und durch die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten gezogenen Grenzen halten und sich auf die nähere Bestimmung der konkreten Arbeitspflicht oder auf das Verhalten des Dienstnehmers im Betrieb erstrecken (RS0029849). Demgegenüber unterliegt der Dienstnehmer bei der Gestaltung seiner Freizeit grundsätzlich nicht dem Weisungsrecht seines Dienstgebers (Dusak, Die arbeitsrechtliche Relevanz außerdienstlichen Verhaltens, RdW 1988, 355; Marhold/Brameshuber/Friedrich, Arbeitsrecht4 [2021] 150). Die aus der Treuepflicht abgeleiteten Verhaltensvorgaben müssen sich daran messen lassen. Es wird nun nicht verkannt, dass die Beklagte zur Erfüllung ihres Versorgungsauftrags (vgl § 3 ORF‑Gesetz) gerade im Falle einer Pandemie auch im personellen Bereich entsprechende Maßnahmen zu setzen hat. Ab 1. 7. 2020 bestanden aber keine konkreten Anordnungen und waren die Vorgaben der VO II 197/2020 offenbar auch für die Beklagte ausreichend.
[20] 10. Im Ergebnis kann dem Kläger allein die Teilnahme an den Sportschützenveranstaltungen angesichts der dort maßgeblichen Sicherheitsvorkehrungen trotz seiner Zugehörigkeit zur COVID-19-Riskogruppe nicht zum Vorwurf gemacht werden und ist der Verstoß gegen die VO II 197/2020 so geringfügig, dass die Beklagte nicht zur Entlassung berechtigt war.
[21] 11. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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