OGH 10ObS123/22v

OGH10ObS123/22v17.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Heinz Schieh (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Kramreither (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. August 2022, GZ 9 Rs 57/22 a‑31, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00123.22V.0117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der 1959 geborene Kläger war von 1978 bis April 2005 in Rumänien berufstätig. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. Oktober 2020) war er (in Deutschland und Österreich) weniger als 90 Beitragsmonate als Lagerarbeiter berufstätig.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Begehren des Klägers, ihm die Invaliditätspension zu gewähren, ab. Selbst wenn der Kläger in Rumänien zwischen 1978 und April 2005 als Spezialist der landwirtschaftlichen Schädlingsbekämpfung berufstätig gewesen sein sollte, genieße er keinen Berufsschutz, weil er seither nicht mehr als solcher gearbeitet und in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag auch sonst keine qualifizierte Erwerbstätigkeit in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten ausgeübt habe. Er sei daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, wo er aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls noch eine Reihe von Verweisungstätigkeiten ausüben könne.

Rechtliche Beurteilung

[3] In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO geltend.

[4] 1. Der Kläger vertritt weiterhin den Standpunkt, dass § 255 ASVG in seinen Abs 1 und Abs 2 verschiedene Varianten zur Erlangung des Berufsschutzes regle: Während der Versicherte nach § 255 Abs 1 ASVG im Laufe seines gesamten Erwerbslebens (ab dem Ende der Berufsausbildung bis zum Stichtag) „überwiegend“, also mehr als 50 % der Zeit, in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig gewesen sein müsse, reiche es nach § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG aus, wenn diese Voraussetzung in zumindest 7,5 der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag erfüllt sei. Bei ihm treffe die erste Variante zu, weil er während seiner rund 42 Jahre dauernden Berufslaufbahn (in Rumänien) 25 Jahre lang seinen erlernten Beruf als Spezialist für Schädlingsbekämpfung ausgeübt habe.

[5] 2. Dem ist nicht zu folgen.

[6] 2.1. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG, dass dieser keine eigenständige, im Verhältnis zu § 255 Abs 1 ASVG erleichterte Möglichkeit zur Erlangung des Berufsschutzes normiert. In § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG wird vielmehr „nur“ legal definiert, wann eine „überwiegende Tätigkeit im Sinne des Abs 1“ vorliegt. Beginnend mit der Entscheidung zu 10 ObS 50/12v (SSV‑NF 26/33) entspricht es demgemäß auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass für die Erlangung des Berufsschutzes nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG (idF des BBG 2011, BGBl I 2010/111) die Ausübung eines qualifizierten Berufs in der Dauer von 7,5 Jahren innerhalb von 15 Jahren vor dem Stichtag erforderlich ist (zuletzt etwa 10 ObS 31/19k; 10 ObS 134/18f SSV‑NF 33/6; 10 ObS 8/15x SSV‑NF 29/10 uva).

[7] 2.2. Das vom Kläger angestrebte Verständnis des § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG scheitert daher schon am klaren Wortlaut der Bestimmung. Es ist aber auch im Wege der von ihm geforderten Auslegung nicht erzielbar. Warum die in § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG vorgesehene Berücksichtigung sämtlicher Zeiten einer qualifizierten Tätigkeit (als Arbeiter oder als Angestellter) für seinen Standpunkt sprechen soll, legt der Kläger nicht stichhältig dar. Ebenso wenig ging die Intention des Gesetzgebers in die von ihm behauptete Richtung (vgl dazu ErläutRV 981 BlgNR 24. GP  205).

[8] 2.3. Insgesamt sind Gründe, § 255 Abs 1 und 2 ASVG entgegen der Beurteilung der Vorinstanzen in dem vom Kläger gewünschten Sinn auszulegen, nicht ersichtlich. Eine unrichtige Gesetzesanwendung durch die Vorinstanzen liegt demgemäß nicht vor.

[9] 3. Ausgehend davon sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass das Zurückgreifen auf einen außerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübten qualifizierten Beruf, in dem der Versicherte im maßgeblichen Rahmenzeitraum aber nicht (mehr) tätig war, nicht in Frage kommt. Ein einmal erworbener Berufsschutz bleibt nämlich nur dann erhalten, wenn weiterhin zumindest – quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutende – Teiltätigkeiten des erlernten Berufs ausgeübt werden (RIS‑Justiz RS0084497; RS0084541). Er geht hingegen verloren, wenn der Versicherte seinen erlernten Beruf aufgibt und im maßgeblichen Zeitraum des § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG nur mehr nichtqualifizierte Arbeit leistet (vgl 10 ObS 105/12g SSV‑NF 26/65; 10 ObS 245/99y ua).

[10] 4. Da der Kläger einen etwaigen Berufsschutz in seinem erlernten Beruf durch seine Tätigkeiten in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag jedenfalls nicht erhalten konnte, haben die Vorinstanzen zu Recht keine Feststellungen zu seiner Erwerbsbiographie in Rumänien getroffen. Dass sein Begehren mangels Berufsschutzes (ausschließlich) nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen ist und er nicht invalid im Sinne dieser Bestimmung ist, wird in der Revision nicht bestritten.

[11] 5. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

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