OGH 10ObS134/18f

OGH10ObS134/18f22.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter KAD Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Univ.‑Prof. Dr. Christian Rabl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2018, GZ 9 Rs 96/18f‑57, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00134.18F.0122.000

 

Spruch:

I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Der Antrag, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 255 Abs 2 Satz 2 und Satz 3 ASVG (idF BGBl I 2010/111) zu beantragen, wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der 1963 geborene Kläger hat den Beruf Koch und Kellner erlernt und diese Berufe in der Folge ausgeübt. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag liegen insgesamt 44 Beitragsmonate der Pflichtversicherung.

Mit Bescheid vom 30. 8. 2016 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Invaliditätspension ab. Da Invalidität in absehbarer Zeit nicht eintreten werde, bestehe auch kein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation.

Das Erstgericht wies (auch im zweiten Rechtsgang) das auf Gewährung der Invaliditätspension gerichtete Klagebegehren ab. Da der Kläger innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nicht zumindest 90 Pflichtversicherungsmonate einer berufsschutzerhaltenden Erwerbstätigkeit oder als Angestellter ausgeübt habe, sei kein Berufsschutz gegeben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihm noch verschiedene Verweisungstätigkeiten wie Verpackungs-, Einschlicht- und Sortierarbeiten oder Hilfsarbeitertätigkeiten in der Elektroindustrie möglich.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Zu I:

Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1.1 Gegenstand des Revisionsverfahrens sind ausschließlich die vom Revisionswerber geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 255 Abs 2 zweiter und dritter Satz ASVG.

1.2 Nach § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG idF BGBl I 2010/111 ist seit 1. 1. 2011 für die Erlangung eines Berufsschutzes nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG grundsätzlich erforderlich, dass ein Versicherter 7,5 Jahre (90 Pflichtversicherungsmonate) der Ausübung eines qualifizierten Berufs innerhalb von 15 Jahren vor dem Stichtag nachweisen kann. Motiv des Gesetzgebers war, dass nur noch eine längere Ausübung des qualifizierten Berufs zu einem Berufsschutz führt. Bei Überprüfung des Überwiegens werden alle Zeiten einer qualifizierten Tätigkeit zusammengerechnet, also alle einschlägigen Arbeiter- und Angestelltenberufe berücksichtigt. Liegen zwischen dem Ende der Ausbildung (§ 255 Abs 2a ASVG) und dem Stichtag mehr als 15 Jahre und liegen in dem Rahmenzeitraum auch Zeiten der Kindererziehung, des Wochengeldbezugs, des Präsenz- oder Zivildienstes, so kommt es zu einer entsprechenden Rahmenfristerstreckung (10 ObS 12/14h, SSV‑NF 28/13; 10 ObS 63/14h, SSV‑NF 28/48 mwN).

2. Die mit dieser Novellierung des § 255 Abs 2 Satz 2 ASVG eingeführte Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Erlangung eines Berufsschutzes wurde bereits wiederholt dahin beurteilt, dass die unzweifelhafte Ausdrucksweise des Gesetzes in seinem wörtlichen (nächstliegenden) Verständnis keine offenbaren Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung provoziere, mit dem bestehendem Wertungskonsens innerhalb der Rechtsgemeinschaft nicht unvereinbar sei und auch der „Natur der Sache“ nicht zuwiderlaufe (10 ObS 50/12v, SSV‑NF 26/33; 10 ObS 12/14h; SSV‑NF 28/13; 10 ObS 63/14h, SSV‑NF 28/48; 10 ObS 144/14w). Der Oberste Gerichtshof sah sich daher zu einer Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof zwecks Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung nicht veranlasst. In der Entscheidung 10 ObS 50/12v, SSV‑NF 26/33 wurde festgehalten, es sei nicht unsachlich, dass der Gesetzgeber für die Erlangung des Berufsschutzes grundsätzlich auf das Vorliegen einer bestimmten Mindestversicherungszeit einer qualifizierten Erwerbstätigkeit in einem bestimmten Rahmenzeitraum abstellt.

3.1 Auch eine Diskriminierung aufgrund des Alters wurde nach bisheriger Rechtsprechung verneint. Dass der Gesetzgeber für die Erlangung des Berufsschutzes grundsätzlich auf das Vorliegen einer bestimmten Mindestzeit einer qualifizierten Erwerbstätigkeit in einem bestimmten Rahmenzeitraum abstellt, während bei jenen Versicherten, bei denen nur ein kürzerer Beobachtungszeitraum vorliegt, das Erfordernis der sogenannten „Halbdeckung“ mit einer absoluten Untergrenze von 12 Monaten einer qualifizierten Tätigkeit verlangt wird (§ 255 Abs 2 Satz 3 ASVG) wurde als nicht unsachlich angesehen. Verfassungsrechtliche Bedenken auch gegen diese Regelung wurden vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt (10 ObS 50/12v, SSV‑NF 26/33; 10 ObS 63/14h, SSV‑NF 28/48).

3.2 Der Revisionswerber zeigt mit seinem Vorbringen, die „scharfe Zäsur bei 90 Pflichtversicherungs-monaten“ verstoße gegen das allgemeine Gebot der Sachlichkeit, keine Argumente auf, die ein Abweichen von der bisherigen Rechtsprechung erforderlich machen könnten, ebenso wenig mit seinem Standpunkt, die unterschiedliche Länge des zur Verfügung stehenden Beobachtungszeitraums führe (doch) zu einer Ungleichbehandlung bzw zu einer Diskriminierung älterer Versicherter.

Mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

Zu II:

Eine Prozesspartei hat kein subjektives Recht darauf, dass der Oberste Gerichtshof beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit stellt (RIS‑Justiz RS0058452 [T7]). Der entsprechende (Eventual‑)Antrag des Klägers ist daher zurückzuweisen.

Stichworte