European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00170.22A.1118.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die von der Klägerin behaupteteAktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[2] 2.1. Die anwaltliche Schweigepflicht umfasst die anvertrauten Angelegenheiten und die dem Anwalt sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Partei gelegen ist (RS0055060 [T4]). Alles, was der Rechtsanwalt in Ausübung seiner Berufstätigkeit in Erfahrung bringt, unterliegt der Verschwiegenheitspflicht, und zwar unabhängig von einer formellen Vollmachtserteilung bzw Mandatserteilung (RS0072339). Darunter werden alle Informationen verstanden, die der Rechtsanwalt aufgrund des Mandatsverhältnis erlangt hat (10 Ob 91/00f). Dazu gehören aber auch Mitteilungen Dritter an den Rechtsanwalt (vgl 13 Os 28/97; vgl auch RS0119488). Ob die so erlangten Informationen für die Ausübung des Mandats relevant sind, ist nicht entscheidend (vgl 6 Ob 224/20i).
[3] 2.2. Der Beklagte war mit dem (auch) wegen Verstößen gegen das SMG vorbestraften Kläger befreundet und vertrat diesen als Verteidiger in einem Strafverfahren. Während eines Lokalbesuchs nahm der Beklagte den Kläger, der dort in ein mutmaßliches Suchtgiftgeschäft verwickelt war, zur Seite und sagte ihm, dass er in seiner Anwesenheit keine derartigen Geschäfte machen sollte. Der Beklagte könne es sich wegen seiner Anwaltstätigkeit nicht leisten, bei derartigen Vorgängen in der Nähe zu sein. Der Kläger erwiderte darauf, dass alles legal sei, weil er als Vertrauensperson für die Polizei tätig sei. Er erhalte für seine „VP-Tätigkeit“ vom Bundesministerium für Inneres auch eine finanzielle Entschädigung. Etwa zwei Wochen später stellte der Kläger dem Beklagten seinen polizeilichen „VP-Führer“ vor, und es entstand eine Unterhaltung über das „VP-Wesen“. Auch danach schritt der Beklagte als Verteidiger des Klägers in dem Strafverfahren ein.
[4] Das Berufungsgericht war der Ansicht, der Beklagte habe die Kenntnis über die „VP‑Tätigkeit“ des Klägers im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erlangt, weil er zu diesem Zeitpunkt den Kläger im Strafverfahren vertreten und den Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit selbst hergestellt habe. Die Information unterliege der Verschwiegenheitspflicht. Darin ist keine im Einzelfall durch den Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Entgegen den Revisionsausführungen steht auch nicht fest, dass die Vertretungstätigkeit des Beklagten im Strafverfahren zu diesem Zeitpunkt beendet gewesen wäre.
[5] 2.3 Im Schuldenregulierungsverfahren des Klägers vertrat ihn der Beklagte in der abschließenden Tagsatzung. Später war der Beklagte vom Kläger beauftragt, im Zusammenhang mit der Gründung einer Gesellschaft Pachtverhandlungen zu führen und einen Pachtvertrag zu prüfen. Anlässlich von Gesprächen, die er mit dem Kläger in diesem Zusammenhang führte, erhielt der Beklagte Informationen über die Leistung von Ablösezahlungen an den Vorpächter, der Stammeinlage und der Anlaufkosten des Unternehmens durch den Kläger.
[6] Das Berufungsgericht gelangte zum Ergebnis, dass die Kenntniserlangung der genannten Informationen und der vom Kläger im Schuldenregulierungsverfahren gemachten Angaben im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des Klägers erfolgt seien. Dagegen führt die Revision keine nachvollziehbaren Argumente ins Treffen. Soweit sie darauf verweist, der Beklagte habe die Informationen im Zusammenhang mit der Unternehmensgründung nicht vom Kläger erhalten, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt.
[7] 3.1. Nach gefestigter Rechtsprechung besteht keine Verschwiegenheitspflicht, wenn der Rechtsanwalt ihm Anvertrautes vorbringen muss, um seine eigenen Honorarforderungen gegen den Mandanten durchzusetzen (RS0114273). Jede Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht ist allerdings restriktiv auszulegen, weshalb das zulässige Vorbringen auf das unumgänglich Notwendige beschränkt ist (4 Ob 138/16x [ErwGr 1.1.]; RS0055168 [T2]; vgl RS0116764).
[8] 3.2. Die in dritter Instanz noch strittige Weitergabe der angeführten Informationen (Punkt 2.2 und Punkt 2.3) durch den Beklagten in dem von ihm gegen den nunmehrigen Kläger und ehemaligen Mandanten geführten Honorarprozess zielten lediglich auf die Verhinderung einer Bewilligung des Verfahrenshilfeantrags des Klägers ab und wurden auch nur in diesem Zusammenhang vorgebracht.
[9] Die Vorinstanzen gelangten zum Ergebnis, dass die entsprechenden Äußerungen gerade nicht zurDurchsetzung der Honorarforderung selbst erforderlich gewesen seien. Weshalb im vorliegenden Fall das Vorbringen der vertraulichen Informationen, um dadurch die Glaubwürdigkeit der Angaben des ehemaligen Mandanten im Vermögensbekenntnis zu erschüttern, zur Durchsetzung des Honoraranspruchs des Beklagten unumgänglich notwendig gewesen wären, legt die Revision nicht dar. Mit dem bloßen Hinweis auf eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht im Honorarprozess werden weder ein Abweichen der Vorinstanzen von der erörterten Rechtsprechung noch sonst eine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt. Sonstige Aspekte zur Ausübung anderer prozessualer Rechte (etwa im Verfahrenshilfeverfahren) im Verhältnis zur Verschwiegenheitspflicht thematisiert die Revision nicht.
[10] 4. Auf eine mangelnde Bestimmtheit des Unterlassungsbegehrens hat sich die Berufung des Beklagten nicht gestützt. Ein vergleichbares Begehren im Zusammenhang mit einer Verletzung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht wurde im Übrigen bereits höchstgerichtlich gebilligt (6 Ob 224/20i [ErwGr 2.3.]).
[11] 5. Ob nach den im Einzelfall gegebenen Umständen Wiederholungsgefahr besteht, stellt im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0042818; RS0031891). Im Übrigen bewegt sich die Annahme einer Wiederholungsgefahr durch die Vorinstanzen angesichts der Bestreitung der Pflichtverletzung durch den Beklagten im Rahmen der höchstgerichtlichen Judikatur (vgl RS0012055).
[12] 6. Rechtsmissbrauch liegt dann vor, wenn die unlauteren Motive der Rechtsausübung ganz offensichtlich im Vordergrund stehen und ein krasses Missverhältnis zwischen den eigenen Interessen des Handelnden und den Interessen des anderen besteht (3 Ob 40/06p; RS0026265). Weshalb dies bloß aufgrund mehrerer vom Kläger gegen verschiedene Personen angestrengter Verfahren wegen Unterlassung von Verschwiegenheitspflichtverletzungen anzunehmen wäre, legt die Revision nicht dar. Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass sich der Beklagte mit seiner Argumentation, der Kläger sei mit einer Weitergabe der hier in Rede stehenden Informationen einverstanden gewesen, vom Sachverhalt entfernt. Auch die Führung des gegenständlichen Unterlassungsprozesses, durch den die vertraulichen Informationen naturgemäß den verfahrensbeteiligten Personen bekannt werden, macht den Unterlassungsanspruch nicht wegen Entfalls der Schutzwürdigkeit obsolet.
[13] 7. Zwar betrachtet der Oberste Gerichtshof Unterlassungsansprüche iVm § 1330 ABGB in Bezug auf die Verjährung als Schadenersatzansprüche (6 Ob 265/08a [ErwGr 1.]). Ein solcher Unterlassungsanspruch wird hier jedoch nicht geltend gemacht. Die in der Revision vertretene Ansicht, der Schutzzweck des § 9 Abs 2 RAO entspreche jenem des § 1330 Abs 2 ABGB findet keine Deckung in der Rechtsprechung. Danach sind Schutzobjekt der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht die Parteiinteressen (RS0055060 [T3]). Jedermann, der sich in seinen Angelegenheiten an einen berufsmäßigen Parteienvertreter wendet, muss darauf vertrauen können, dass er nicht gerade durch Betrauung eines Parteienvertreters und Informationserteilung an diesen Beweismittel gegen sich schafft (RS0116762). Schlüssige Argumente für eine – eine regelwidrige Gesetzeslücke voraussetzende (RS0106092) – analoge Anwendung der Verjährungsbestimmung des § 1489 ABGB auf die hier geltend gemachten, auf eine Verletzung des § 9 Abs 2 RAO gestützten Unterlassungsansprüche und damit für eine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, zeigt die Revision nicht auf.
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