European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00224.20I.1217.000
Spruch:
1. Die Urschrift des Urteils des Berufungsgerichts wird dahin berichtigt, dass Punkt 1 des Spruchs folgendermaßen zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, es ab sofort zu unterlassen, jegliche Informationen aus dem vormaligen Mandantenverhältnis zur klagenden Partei – ungeachtet dessen, ob diese der Wahrheit entsprechen oder nicht – insbesondere die Behauptung, die klagende Partei habe ihr von Tätigkeiten für die Polizei, die nicht in einem Angestelltenverhältnis erbracht werden, berichtet, ohne ausdrückliche Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch die klagende Partei an dritte Personen und/oder Behörden weiterzugeben.“
2. Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.332,54 EUR (darin enthalten 222,09 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Begründung:
[1] Der Kläger ist als Vertrauensperson („VP“) für das Landeskriminalamt Tirol tätig.
[2] Die beklagte Rechtsanwältin vertrat den Kläger 2014 in einem Firmenbuchverfahren.
[3] 2016 klagte der Kläger die Beklagte auf Schadenersatz wegen behaupteter Schlechtvertretung in dem Firmenbuchverfahren. In diesem Prozess sagte die Beklagte als Partei am 12. 2. 2016 ua Folgendes aus:
„Ich weiß nicht mehr genau, ob ich dezidiert nachgefragt habe, warum diese Konstruktion mit dem Abtretungsangebot gewählt wird. [Der Kläger] berichtete von einem behängenden Konkursverfahren und ich kann mich erinnern, dass ich da schon gemeint habe, dass bei Ziehen des Anbots bei einem behängenden Konkursverfahren das problematisch sein werde. [Der Kläger] meinte darauf, da müsste man eben dann schauen, wie man das dann lösen würde. Das war aber bei dieser Besprechung auch gar kein großes Thema. Ansonsten hat er recht freizügig über gewisse Tätigkeiten bei der Exekutive berichtet, die nicht in einem Angestelltenverhältnis sind, ich habe aber meine Rückschlüsse gezogen .“
[4] Im Jänner 2019 tauchte beim Landeskriminalamt Tirol der Verdacht auf, der Ehemann der Beklagten, ein Polizist, könnte dieser der Verschwiegenheit unterliegende Angaben über den Kläger weitergegeben haben. Deshalb wurde gegen den Ehemann der Beklagten ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, in welchem die Beklagte als Zeugin am 22. 5. 2019 folgende Angaben zu Protokoll gab:
„… Ich habe [den Kläger] im Jahr 2014 kennen gelernt, als ich in seinem Auftrag für ihn und seine damalige Lebensgefährtin eine GmbH gegründet habe. … Gleich zu Beginn richtete [der Kläger] einen Gruß von J***** L***** des Landeskriminalamts Tirol aus. Er führte dazu aus, dass er den J***** L***** kenne und für diesen auch arbeite. Das hat mich – insbesondere in Kenntnis seiner Vorstrafen – damals sogar noch ein wenig verwundert. “
[5] Der Ehemann der Beklagten machte als Beschuldigter im gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren vor dem Landeskriminalamt Vorarlberg am 26. 6. 2019 zum Tatvorwurf, er habe der Beklagten vertrauliche und aufgrund der dienstlichen Tätigkeit erlangte Informationen über den Kläger anvertraut, folgende Aussage:
„Dieser Vorwurf stimmt nicht! Im Gegenteil, es war so, dass ich von meiner Frau auf diesen [Kläger] angesprochen wurde. Sie hat mir vor einiger Zeit – ich kann jetzt aber wirklich nicht mehr sagen, wann dies war – erzählt, dass sie einen neuen Mandanten habe, der ihr gegenüber angegeben habe, dass er für die Polizei arbeiten würde. In diesem Zusammenhang hat sie mir dann auch den Namen des [Klägers] bekannt gegeben.“
[6] Das Strafverfahren gegen den Ehemann der Beklagten wurde in der Folge eingestellt.
[7] Gemäß dem Grundsatzerlass für verdeckte Ermittlungen handelt es sich bei einer Vertrauensperson (VP) um eine Person, die bereit ist, auf längere Zeit, freiwillig und unter Zusicherung der Vertraulichkeit im Auftrag der Kriminalpolizei, Informationen zur Aufklärung einer strafbaren Handlung zu beschaffen und im Bedarfsfall unter der Führung der Kriminalpolizei an verdeckten Einsätzen teilzunehmen. Im Sinne des § 54b SPG ist jede VP in der zentralen Evidenz für Vertrauenspersonen zu registrieren. Auskünfte aus der VP-Evidenz an Gerichte und Staatsanwaltschaften sind aufgrund der einschränkenden Regelung des § 54b Abs 2 SPG rechtlich nicht vorgesehen. Die Bekanntgabe der Identität der VP kann unter Hinweis auf das Amtsgeheimnis unterbleiben.
[8] Der Kläger begehrte die Verurteilung der Beklagten, diese habe es ab sofort zu unterlassen, jegliche Informationen aus dem vormaligen Mandantenverhältnis zur klagenden Partei – ungeachtet dessen, ob diese der Wahrheit entsprechen oder nicht – insbesondere die Behauptung, die klagende Partei habe ihr von Tätigkeiten für die Polizei, die nicht in einem Angestelltenverhältnis erbracht werden, berichtet, ohne ausdrückliche Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch die klagende Partei an dritte Personen und/oder Behörden weiterzugeben.
[9] Er brachte vor, die Beklagte habe mit ihren festgestellten Aussagen gegen ihre über das Vertretungsverhältnis hinausgehende Verpflichtung zur Verschwiegenheit gemäß § 9 Abs 2 RAO verstoßen. Die Behauptungen, er habe der Beklagten gegenüber zu erkennen gegeben, er arbeite für J***** L***** und/oder das Landeskriminalamt Tirol, seien unrichtig. Der Anspruch werde hilfsweise auch auf § 1330 Abs 2 ABGB gestützt.
[10] Die Beklagte wendete ein, das Klagebegehren sei unschlüssig und verjährt. Angebliche „unwahre Tatsachen“ könnten ohnedies nicht einer anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, weil sie, wenn sie – wie vom Kläger behauptet – unwahr wären, der Beklagten vom Klienten gar nicht anvertraut worden seien. Da der Kläger ihr gegenüber gleich zu Beginn des Erstkontakts und völlig aus dem Zusammenhang gerissen „einen schönen Gruß“ von J. L. ausrichten habe lassen, habe er für sie zu erkennen gegeben, dass er gerade keinen Wert darauf lege, dass sie ihrem Gatten gegenüber verschweige, dass der Kläger ihn kenne. Andernfalls hätte er ihr wohl keinen schönen Gruß ausrichten lassen. Der Klagsführung fehle jegliches rechtliche Interesse.
[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[12] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei es im Spruch die Wendung „, die nicht in einem Angestelltenverhältnis erbracht werden,“ ausließ. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, Verjährung liege nicht vor. Zumindest mit ihrer Aussage vom 22. 5. 2019 habe die Beklagte gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs 2 Satz 1 RAO verstoßen. Die Pflicht zur Verschwiegenheit finde dort ihre Grenzen, wo ihre Durchbrechung zur Wahrung berechtigter Interessen des Rechtsanwalts erforderlich sei; jede Durchbrechung sei restriktiv auszulegen, der Anwalt habe sich auf das zur Wahrung seiner Interessen Notwendige zu beschränken und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Eine ausdehnende Auslegung dieses Grundsatzes dahingehend, dass die Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts auch zum Schutz der Interessen von ihm nahestehenden Personen durchbrochen werden könne, sei nicht zulässig. Die Wiederholungsgefahr liege vor, weshalb der Unterlassungsanspruch zu Recht bestehe.
[13] Über Antrag der Beklagten nach § 508 Abs 1 ZPO erklärte das Berufungsgericht nachträglich die Revision für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts zum Schutz berechtigter Interessen naher Angehöriger durchbrochen werden könne, nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revision der Beklagten ist jedoch nicht zulässig, weil weder das Berufungsgericht noch die Beklagte eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt hat.
Zu 1.
[15] Hätte das Berufungsgericht mit der Auslassung der Wendung „, die nicht in einem Angestelltenverhältnis erbracht werden,“ im Spruch seiner Entscheidungirgendeine Absicht verfolgt, hätte es diese in der Begründung in irgendeiner Weise offengelegt. Dies ist jedoch unterblieben, weshalb die Auslassung nur irrtümlich erfolgt sein kann. Es liegt daher eine offenbare Unrichtigkeit vor, die gemäß § 419 Abs 3 ZPO auch vom Obersten Gerichtshof berichtigt werden kann (vgl etwa 8 Ob 120/19h). Der Vollzug der Berichtigung obliegt dem ursprünglich erkennenden, hier also dem Berufungsgericht (RS0041727 [T2]; RS0041527).
Zu 2.
[16] 2.1. Da die Beklagte in der Revision den Verjährungseinwand nicht aufrechterhalten hat, ist die Verjährung nicht mehr zu prüfen (RS0034731).
[17] 2.2. Soweit die Revisionswerberin wegen der dargestellten Auslassung im Spruch des Urteils des Berufungsgerichts einen Verstoß gegen § 405 ZPO ortet, ist diese Rüge aufgrund der vom Obersten Gerichtshof vorgenommenen Berichtigung (vgl Punkt 1.) obsolet.
[18] 2.3. Das Unterlassungsbegehren ist nicht überschießend: Es besteht keine Verschwiegenheitspflicht, wo der Rechtsanwalt ihm Anvertrautes vorbringen muss, um seine eigenen Honorarforderungen gegen den Mandanten durchzusetzen (RS0114273). Ist ein Rechtsanwalt nicht in Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Parteienvertreter tätig, sondern handelt er in „eigener Sache“, so ist ein in diesem Zusammenhang gesetztes Verhalten grundsätzlich nicht unter dem Aspekt der Verletzung von Berufspflichten zu sehen (RS0114273 [T1]). Wenn der Rechtsanwalt selbst einer strafbaren Handlung bezichtigt würde, ist er ebenso an das Berufsgeheimnis nicht gebunden, er hat sich aber hiebei in seinem Vorbringen auf das unumgänglich Notwendige zu beschränken (RS0116764).
[19] Selbst wenn man in einem solchen Fall überhaupt einen Verstoß gegen den Titel bejahte, könnte sich die Beklagte im Fall einer Exekutionsführung mit der Impugnationsklage nach § 36 EO wehren, weil sie dann kein Verschulden träfe (vgl RS0107694).
[20] 2.4. Ob Notstandssituationen denkbar sind, in denen die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts (auch) zum Schutz berechtigter Interessen naher Angehöriger (ausnahmsweise) durchbrochen werden könnte, muss hier nicht abschließend beantwortet werden. Dies wäre – wenn überhaupt – nur zur Abwehr ganz massiver den Angehörigen des Rechtsanwalts drohender Nachteile denkbar, die einer Notstandssituation zumindest nahekommen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall auch nicht annähernd erfüllt: Denn in allen Fällen, in denen hier die Beklagte Umstände über den Kläger, die ihr aus dem seinerzeitigen Mandatsverhältnis bekannt waren, an Dritte weitergegeben hat, lag eine derartige Notstandssituation jedenfalls nicht annähernd vor: Im vom Kläger gegen sie geführten Schadenersatzprozess ging es nicht um den Schutz von Angehörigen. Sie durfte sich dort zwar verteidigen, eine Notwendigkeit auszusagen, der Kläger habe ihr von seinen Tätigkeiten für die Exekutive berichtet, bestand zur Abwehr der gegen sie erhobenen Schadenersatzansprüche nicht. Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen ihren Mann hätte es ausgereicht, (wahrheitsgemäß) auszusagen, dass sie von ihrem Mann keine Informationen über den Kläger erhalten habe. Die Erwähnung des seinerzeitigen Mandatsverhältnisses zum Kläger war nicht nötig. Sollte – was nicht feststeht – die zitierte Aussage des Ehemanns der Beklagten in dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren wahr sein, so war auch diese Preisgabe der Tatsachen aus dem Mandatsverhältnis mit dem Kläger gegenüber ihrem Ehemann weder zur eigenen noch zur Verteidigung ihres Mannes notwendig.
[21] Schließlich verfängt das Argument, ihr Mann hätte die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe widerlegen müssen, nicht, weil im Strafverfahren bekanntlich – von Ausnahmen abgesehen (zB §§ 111 f StGB) – dem Beschuldigten die Tat nachgewiesen werden muss.
[22] 2.5. Die Beklagte beruft sich in der Revision auch auf die Begründung der Einstellungsbeschlüsse des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer jeweils vom 29. 7. 2020 in den gegen die Beklagte geführten Disziplinarverfahren.
[23] Dort finden sich ua folgende Passagen:
„Soweit die Beschuldigte damals im Jahr 2014 ihrem Ehemann erzählt haben sollte, dass [Kläger] ein neuer Mandant von ihr sei und er ihr gleich am Beginn der Informationsaufnahme einen schönen Gruß vom J. L. des Landeskriminalamtes Tirol ausgerichtet habe, handelt es sich einerseits um Äußerungen der Beschuldigten im Rahmen des Privat- und Familienlebens.
…
Soweit die Beschuldigte diese Äußerung als Zeugin in ihrer Einvernahme vom 22.05.2019 zu Protokoll gab, handelte die Beschuldigte nicht in Ausübung ihres Berufes als Rechtsanwältin, sondern als Zeugin, die unter Wahrheitspflicht an sie gerichtete Fragen des Ermittlungsbeamten zu beantworten hatte. Eine Berufspflichtenverletzung kommt dabei nicht in Betracht.
…
In disziplinarrechtlicher Hinsicht ergibt sich daher, dass eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht dadurch nicht verwirklicht wurde, zumal die Beschuldigte als Zeugin zur Wahrheit verpflichtet war und diese Aussage nicht in Ausübung ihres Rechtsanwaltsberufes ablegte, sowie alle Angaben wahrheitsgemäß mitteilen durfte, die ihren Ehemann entlasten konnten.“
[24] Diese Ausführungen können nicht gebilligt werden: Die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts nach § 9 Abs 2 RAO nimmt Äußerungen im Rahmen des Privat- und Familienlebens nicht aus. Dies kann auch nicht anders sein, weil andernfalls die Gefahr bestünde, dass im Familienkreis gemachte Angaben von den – nicht zur anwaltlichen Verschwiegenheit verpflichteten – Familienmitgliedern nach außen getragen werden. Wenn der Disziplinarrat die Wahrheitspflicht des Zeugen anführt, lässt er außer Betracht, dass die Verfahrensgesetze die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht durch Aussageverweigerungsrechte schützen (zB § 157 Abs 1 Z 2 StPO; § 321 Abs 1 Z 3 ZPO; § 49 Abs 1 Z 2 AVG; § 171 Abs 1 lit c BAO; § 104 Abs 1 lit d FinStrG). § 9 Abs 2 RAO unterscheidet für die Verschwiegenheitspflicht nicht danach, ob ein Rechtsanwalt eine Aussage in Ausübung seines Rechtsanwaltsberufs tätigt oder nicht. Dass schließlich auch das gegen den Mann der Beklagten geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren ihre Aussagen nicht rechtfertigen konnte, wurde bereits unter Punkt 2.4. ausgeführt.
[25] 2.6. Zuletzt meint die Beklagte, sie könne bei ihrer Einvernahme am 22. 5. 2019 gar nicht gegen ihre anwaltliche Verschwiegenheitsverpflichtung verstoßen haben, weil der Kläger ja bestreite, ihr gegenüber seine Tätigkeit für die Polizei erwähnt zu haben. Ihre Aussage könne somit keinen inhaltlichen Zusammenhang mit dem seinerzeitigen Mandatsverhältnis haben.
[26] Dem ist zu entgegnen, dass die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nicht nur wahre, sondern auch unwahre Behauptungen, die Umstände aus dem Mandatsverhältnis betreffen (sollen), erfasst. Überdies bestünde für den Fall der Unwahrheit der Aussage der Beklagten bei ihrer Einvernahme am 22. 5. 2019 der Unterlassungsanspruch auch nach § 1330 Abs 2 ABGB zu Recht, weil darin eine unwahre kreditschädigende (auch der Kläger ist zur Verschwiegenheit über seine Arbeit für die Polizei verpflichtet, vgl § 54 Abs 3 SPG: „die ihren Auftrag weder offen legen noch erkennen lassen“) Tatsachenverbreitung läge.
[27] 3. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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