European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00071.22I.1117.000
Spruch:
Dem Rekurs des Vaters wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Verhandlung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
[1] Der Vater (Antragsgegner) ist aufgrund einer vor der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn am 29. 5. 2020 geschlossenen Unterhaltsvereinbarung zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 444 EUR für seine am * 2005 geborene Tochter J* (Antragstellerin) verpflichtet. Der Unterhaltsvereinbarung lag ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von 2.612 EUR als technischer Angestellter sowie die weiteren Sorgepflichten für die am * 2016 geborene M*, den am * 2018 geborenen E* sowie für die einkommenslose Gattin zugrunde. Im Zeitraum 01/2021 bis 06/2021 erzielte er ein monatliches Durchschnittseinkommen von 2.054 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen. Im Jahr 2020 bezog er EU-Förderungen für die Landwirtschaft in Höhe von insgesamt 10.396,98 EUR.
[2] Der Vater beantragte, seine Unterhaltsverpflichtung für die Unterhaltsperioden vom 1. 1. 2021 bis 31. 7. 2021 auf jeweils 350 EUR herabzusetzen. Sein monatliches Einkommen habe sich aufgrund von Kurzarbeit auf 2.054 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen vermindert.
[3] Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger sprach sich namens der Tochter dagegen aus und beantragte, die Unterhaltsverpflichtung von 1. 1. 2021 bis 31. 7. 2021 auf monatlich 496 EUR und ab 1. 8. 2021 auf monatlich 566 EUR zu erhöhen. Die im Jahr 2020 bezogenen Förderungen seien in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzurechnen und auf zwölf Monate aufzuteilen, weshalb sich diese um 866 EUR monatlich erhöhe.
[4] Der Vater sprach sich dagegen aus. Er erziele aus der Landwirtschaft keine Einkünfte. Seine Ausgaben für Sozialversicherung, Saatgut, Düngemittel, Pflanzenschutz, Tierarztrechnungen, Futtermittel, Pachtzins und Schuldzinsen sowie Ausgedinge würden die Einnahmen und auch die Förderungen übersteigen. Er erziele aus der Landwirtschaft keinen Überschuss.
[5] Das Erstgericht wies den Herabsetzungsantrag des Vaters ab und erhöhte dessen monatliche Unterhaltsverpflichtung für J* von 1. 1. 2021 bis 31. 7. 2021 auf 496 EUR und ab 1. 8. 2021 auf 566 EUR.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters keine Folge.
[7] Beide Vorinstanzen gingen davon aus, dass die EU‑Förderungsleistungen als Einkommen des Unterhaltspflichtigen in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen seien. Das Rekursgericht führte näher aus, dass es sich um öffentlich‑rechtliche Leistungen handle (1 Ob 180/97w), die nur dann zu einer Minderung der Unterhaltsermittlung führen könnten, wenn ihnen konkrete mit der Förderung unmittelbar im Zusammenhang stehende und durch diese hervorgerufene Aufwendungen gegenüberstünden. Die vom Vater behaupteten (allgemeinen) betrieblichen Aufwendungen im landwirtschaftlichen Betrieb fielen nicht darunter. Es mangle bereits an konkreten Tatsachenbehauptungen, inwieweit die vom Vater bezogenen Förderungen einen erhöhten Betriebsaufwand verursacht haben könnten.
[8] Das Rekursgericht ließ nachträglich den Revisionsrekurs im Hinblick auf das Vorbringen des Vaters zu, dass die Entscheidung 1 Ob 180/97w einen Vollerwerbslandwirt betroffen habe, er aber ein Erwerbseinkommen als unselbständiger Nebenerwerbslandwirt beziehe, die Förderungen untrennbar mit dem landwirtschaftlichen Betrieb verbunden seien und eine Aufsplittung der Ausgaben eines pauschalierten landwirtschaftlichen Betriebs und eine Differenzierung, ob diese im engen unmittelbaren Zusammenhang mit der Förderungsauflage stünden, faktisch unmöglich sei.
[9] In seinem dagegen gerichteten Revisionsrekurs beantragt der Vater die Abänderung des rekursgerichtlichen Beschlusses im Sinn einer Stattgabe seines Herabsetzungsantrags und Abweisung des Erhöhungsantrags der Tochter; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Die Tochter beantragt, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] I. Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
[12] Der Vater verweist darin auf seine Zulassungsbeschwerde und bringt vor, die Förderungen dürften nicht ohne Berücksichtigung des landwirtschaftlichen Betriebsergebnisses dem unselbständigen Erwerbseinkommen zugeschlagen werden. Der landwirtschaftliche Nebenerwerbsbetrieb sei in der Aufbauphase. In den vergangenen Jahren hätten Investitionen in den Weinbau und in die Rinderzucht stattgefunden. Er müsse seine unselbständige Erwerbstätigkeit weiterführen, da der landwirtschaftliche Betrieb derzeit noch keinen Gewinn abwerfe. Das Erstgericht hätte das Betriebsergebnis ermitteln müssen.
Dazu war zu erwägen:
[13] 1. Nach der Rechtsprechung besteht das als Unterhaltsbemessungsgrundlage dienende Einkommen aus allen tatsächlichen Einnahmen, über die der Unterhaltsverpflichtete frei verfügen kann, wobei die tatsächliche wirtschaftliche Lage nach Abzug von Steuern und öffentlichen Abgaben maßgeblich ist (s RS0013386, RS0003799 [T1]). Auch EU‑Förderungsleistungen für Landwirte sind ein Einkommen des Unterhaltspflichtigen, das in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist (1 Ob 180/97w, RS0107943). Eine Zweckbestimmung für öffentlich‑rechtliche Leistungen führt nicht dazu, dass diese von der Bemessungsgrundlage ausgenommen werden, soweit sie nicht ausschließlich einen bestimmten Sonderbedarf oder einen tatsächlichen Mehraufwand abdecken sollen (RS0047456 [T4], RS0110703 [T1]).
[14] 2. Bei einem selbständig Erwerbstätigen ist als Unterhaltsbemessungsgrundlage der tatsächlich verbliebene Reingewinn heranzuziehen, wie er sich aus den realen Einnahmen nach Abzug realer Betriebsausgaben sowie der Zahlungspflicht für einkommens‑ und betriebsgebundene Steuern und öffentliche Abgaben ergibt (RS0013386; 1 Ob 180/15z). Investitionen zur Schaffung einer zusätzlichen Erwerbsmöglichkeit können unter bestimmten Voraussetzungen als Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage anerkannt werden (s RS0106933). Maßgebend dafür sind die Marktlage sowie eine realistische Zukunftsprognose und die Frage nach Einhaltung des Maßstabs eines pflichtbewussten Elternteils in der Lage des Unterhaltspflichtigen (RS0106933 [T3]; RS0047421; RS0047590).
[15] 3. Für ein Zusammentreffen von Einkünften aus einer unselbständigen und einer selbstständigen Tätigkeit ist es seit der Entscheidung 4 Ob 210/98f ständige Rechtsprechung, dass „es nicht sachgerecht wäre, wenn im Falle einer Nebentätigkeit eines unselbständig Erwerbstätigen die erzielten Einnahmen zwar die Unterhaltsbemessungsgrundlage erhöhten, die dafür aufgewendeten Ausgaben hingegen nicht als Abzugsposten anerkannt werden könnten. Der Aufwand ist vielmehr als Abzugsposten den erzielten Einnahmen gegenüberzustellen und nur ein sich danach allenfalls ergebender positiver Saldo in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen (RS0110456)“. Dies entspricht auch der Lehre (Stabentheiner/Reiter in Rummel/Lukas, ABGB4 § 231 ABGB Rz 8) Umgekehrt verringern Verluste eines unselbständig Erwerbstätigen in seiner selbständigen Nebentätigkeit die Bemessungsgrundlage nicht, es sei denn, die Erfolgsaussichten sind nach einer gewissen Anlaufzeit positiv (s RS0047586 [T1]). Wird mit der selbständigen Tätigkeit kein positiver Saldo erzielt, so bleibt diese daher grundsätzlich unterhaltsrechtlich neutral.
[16] 4. Wenngleich sich diese Rechtsprechung überwiegend auf Einnahmen aus Vermietung oder Verpachtung bezieht, sind keine Gründe ersichtlich, sie nicht auch auf einen landwirtschaftlichen Nebenerwerb zu übertragen. Da der Vater mit dem landwirtschaftlichen Nebenerwerb selbständig erwerbstätig ist, ist der damit verbundene Aufwand als Abzugsposten den erzielten Einnahmen aus dem Nebenerwerb einschließlich der EU‑Förderleistungen gegenüberzustellen und nur ein sich allenfalls ergebender positiver Saldo in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Ein allenfalls negativer Saldo aus dem landwirtschaftlichen Nebenerwerb (Verluste) – der nach den unter 3. dargelegten Grundsätzen zu beurteilen wäre – ist nicht verfahrensgegenständlich.
[17] 5. Aus der Entscheidung 1 Ob 180/97wergibt sich nichts Gegenteiliges. Ihr lag der Fall eines Vollerwerbslandwirts zugrunde, der gegen die Berücksichtigung seiner EU‑Förderleistungen vorgebracht hatte, diesen stehe „gemeinhin ein erhöhter Aufwand bei gleichzeitigem Verzicht auf den Einsatz anderweitiger ertragssteigender Mittel und Maßnahmen gegenüber“, „die Leistungen könnten den mit den gleichzeitig auferlegten Maßnahmen verbundenen Einkommensverlust nicht wettmachen“. Diesbezüglich wurden konkrete Tatsachenbehauptungen vermisst, inwieweit jene einen erhöhten Betriebsaufwand verursacht haben könnten. An der Qualifikation von EU‑Förderungen als Einkommen änderte sich nichts. Die Entscheidung ließ auch keine Zweifel an der Berücksichtigungswürdigkeit von Aufwendungen, die tatsächlich zur Erhaltung der Ertragsfähigkeit des landwirtschaftlichen Betriebs gedient haben mögen, sowie von unvermeidlichen betrieblichen Lasten, die aber nicht behauptet worden waren. Die Rechtsansicht des Vaters, dass bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage das landwirtschaftliche Betriebsergebnis berücksichtigt werden hätte müssen, ist daher zutreffend.
[18] 6. Davon ausgehend bringt der Vater vor, als pauschalierter Landwirt sei er nicht verpflichtet, aus steuerlichen Gründen eine Einnahmen‑Ausgaben‑Rechnung zu führen. Das Gericht hätte ihn auffordern müssen, eine Aufstellung über seine Einnahmen und Ausgaben samt Belegen offenzulegen und hätte allenfalls einen Sachverständigen beizuziehen gehabt.
[19] 7. Nach ständiger Rechtsprechung sind diejenigen Einkommenswerte, die der Einkommenssteuer zugrunde gelegt werden, für sich alleine keine taugliche Grundlage zur Ermittlung der Unterhaltspflicht; das steuerpflichtige Einkommen ist also mit dem unterhaltsrelevanten nicht identisch (RS0047423 [T7]). Die Steuerbemessungsgrundlage ist demnach nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen zu korrigieren (RS0013386). Dies gilt auch in Fällen, in denen von den Steuerbehörden eine pauschale Bewertung ohne die Vorlage von Einzelnachweisen akzeptiert wird (RS0106533 [T4]), etwa bei einem pauschalierten Landwirt. Werden die erforderlichen Unterlagen nicht freiwillig vorgelegt, so hat das Gericht alle benötigten Urkunden abzufordern (Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 991). Denn gemäß § 102 Abs 4 AußStrG hat das Gericht seine Auskunftsersuchen so zu gestalten, dass dem Auskunftspflichtigen die rasche, vollständige und nachvollziehbare Beantwortung ermöglicht wird.
[20] 8. Hier unterließ es das Erstgericht infolge seiner Rechtsansicht, den Vater auf die erforderlichen Nachweise zu seinen tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben hinzuweisen und ihm deren Vorlage aufzutragen. Es begnügte sich damit, dass der Vater seinen Einkommenssteuerbescheid vorgelegt und dazu erklärt hatte, als pauschalierter Landwirt nicht zur Führung einer Einnahmen-/Ausgabenrechnung verpflichtet zu sein, worauf der Kinder‑ und Jugendhilfeträger erwiderte, dass Förderungen eines Landwirts in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzurechnen seien und ein Einkommensteuerbescheid zu deren Bestimmung nicht ausreiche (ON 26, ON 28). Weitere Erhebungen im dargelegten Sinn wurden nicht durchgeführt. Da folglich auch keine Feststellungen zum tatsächlichen landwirtschaftlichen Betriebsergebnis getroffen wurden, ist das Verfahren sekundär mangelhaft geblieben. Im Ergebnis wird daher neben dem unselbständigen Einkommen des Vaters das unter Berücksichtigung der EU‑Förderung zu ermittelnde Betriebsergebnis seines landwirtschaftlichen Nebenerwerbs festzustellen und auf dieser Basis die Unterhaltsbemessungsgrundlage zu errechnen sein.
[21] 9. Da für eine Sachentscheidung noch die entsprechenden Erhebungen erforderlich sind, ist dem Revisionsrekurs des Vaters im Sinn seines Aufhebungsantrags Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
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