OGH 10ObS109/22k

OGH10ObS109/22k13.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Christina Hartl‑Wach (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Vodera (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, geboren * 1975, *, vertreten durch Mag. Claus Marchl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Familienzeitbonus, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. Mai 2022, GZ 8 Rs 46/22 a‑16.1, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 24. Februar 2022, GZ 9 Cgs 150/21h‑9, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00109.22K.0913.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

I. Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision selbst zu tragen.

II. Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens sind der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Familienzeitbonus aus Anlass der Geburt seiner Tochter am 27. Juli 2021 für den Zeitraum von 30. Juli 2021 bis 29. August 2021 und die Fragen, ob ein für den Anspruch auf Familienzeitbonus unschädlicher medizinisch indizierter Krankenhausaufenthalt des Kindes vorliegt, wenn die in § 2 Abs 3a FamZeitbG genannte persönliche Pflege und Betreuung des Kindes durch den Vater unverschuldet unterbleibt und ob gegebenenfalls ein Anspruch nur für den Teil des beantragten Zeitraums zu bejahen ist, in dem sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.

[2] Aufgrund stark erhöhter Bilirubinwerte konnte das am 27. Juli 2021 geborene Kind des Klägers nicht wie geplant am 30. Juli 2021 zusammen mit der Mutter nach Hause entlassen werden, sondern musste es bis 1. August 2021 stationär in einem Wärmebett behandelt werden. Diese Behandlung war medizinisch indiziert und notwendig.

[3] Aufgrund der COVID-19-Pandemie galten (zumindest) von 30. Juli 2021 bis 1. August 2021 auf der Geburtenstation, auf der sich Mutter und Kind befanden, Besuchsbeschränkungen, ohne die der Kläger das Kind in dieser Zeit zumindest vier Stunden täglich persönlich gepflegt und betreut hätte; aufgrund der Besuchsbeschränkungen war dies nicht möglich.

[4] Der Kläger stellte am 4. August 2021 bei der beklagten Österreichischen Gesundheitskasse den Antrag auf Gewährung von Familienzeitbonus. Als Bezugsbeginn beantragte er den 30. Juli 2021 und als Bezugszeitraum 31 Tage, woraus sich das Bezugsende mit 29. August 2021 ergibt.

[5] Mit Bescheid vom 7. Dezember 2021 wies die Beklagte den Antrag ab. Da die Mutter des Kindes wie auch das Kind selbst bis 1. August 2021 stationär im Krankenhaus aufgenommen gewesen seien, sei die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 4 iVm § 2 Abs 3 FamZeitbG nicht erfüllt.

[6] Der Kläger begehrt (erkennbar) die Gewährung des Familienzeitbonus im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum von 30. Juli 2021 bis 29. August 2021. Aufgrund eines medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalts des Kindes iSd § 2 Abs 3a FamZeitbG sei die für den 30. Juli 2021 geplante Entlassung erst am 1. August 2021 erfolgt. Der Kläger habe nur aufgrund der Einschränkungen der COVID-19-Pandemie unverschuldet – vergleichbar einer Krankheit des Vaters – die Mindestbetreuungszeit des § 2 Abs 3a FamZeitbG nicht einhalten können. Da der Gesetzgeber der Novelle BGBl I 2019/24 dies nicht voraussehen habe können, seien dennoch ein gemeinsamer Haushalt und Familienzeit anzunehmen.

[7] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Bei Auswärtsgeburten sei die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts iSd § 2 Abs 1 Z 4 iVm § 2 Abs 3 FamZeitbG erst ab dem Tag erfüllt, an dem Vater, Mutter und Kind an den gemeinsamen Hauptwohnsitz zurückkehrten.

[8] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren zur Gänze ab. Nach der Rechtsprechung habe der Vater während des Krankenhausaufenthalts von Mutter und Kind nach der Geburt wegen Fehlens eines gemeinsamen Haushalts mit dem Kind keinen Anspruch auf Familienzeitbonus. Dass die Mindestbetreuungszeit des § 2 Abs 3a FamZeitbG vom Kläger unverschuldet nicht erfüllt werden habe können, ändere daran nichts, weil diese Ausnahmebestimmung den (tatsächlichen) Aufbau einer emotionalen Bindung in der besonders wichtigen Zeit der ersten Tage bzw Wochen nach der Geburt zwischen Vater und Kind bezwecke. Nach der (im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz bestehenden) Rechtsprechung gebühre gar kein Familienzeitbonus, wenn die Voraussetzungen auch nur an einem Tag der gewählten Dauer nicht erfüllt seien.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Hinsichtlich der Tage des Krankenhausaufenthalts des Kindes schloss es sich der den Anspruch verneinenden Rechtsansicht des Erstgerichts an. Einer analogen Ausdehnung des § 2 Abs 3a FamZeitbG stehe die ratio legis entgegen, die den tatsächlichen Aufbau einer frühzeitigen emotionalen Bindung zu dem Kind ermöglichen wolle. Für den übrigen Zeitraum sei ein Anspruch nach der jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 161/21f allerdings zu bejahen. Die Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage der Auswirkung einer unverschuldeten Nichteinhaltung der in § 2 Abs 3a FamZeitbG genannten Mindestbetreuungszeit zu.

[10] Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionenbeider Streitteile.

[11] Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[12] Die Beklagte beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt. Die Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

I. Zur Revision des Klägers

[14] I.1. Der Kläger wendet sich gegen den klagsabweisenden Teil der berufungsgerichtlichen Entscheidung mit dem Argument, dass eine planwidrige Gesetzeslücke vorliege, weil der Gesetzgeber im Rahmen der Novelle BGBl I 2019/24 eine erst danach im Jahr 2020 aufgetretene und zu massiven Besuchsbeschränkungen in Krankenhäusern führende Pandemie nicht mitberücksichtigt habe.

[15] I.2.1. Anspruch auf den Familienzeitbonus hat ein Vater für sein Kind und andere, sofern er sich im gesamten Anspruchszeitraum in Familienzeit befindet (§ 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG) und er, das Kind und der andere Elternteil im gemeinsamen Haushalt leben (§ 2 Abs 1 Z 4 FamZeitbG). Als Familienzeit ist nach § 2 Abs 4 FamZeitbG der Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen zu verstehen, in dem sich ein Vater aufgrund der kürzlich erfolgten Geburt seines Kindes ausschließlich seiner Familie widmet und dazu die Erwerbstätigkeit unterbricht, keine andere Erwerbstätigkeit ausübt, keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sowie keine Entgeltfortzahlung aufgrund von oder Leistungen bei Krankheit erhält. Ein gemeinsamer Haushalt liegt nach § 2 Abs 3 FamZeitbG nur dann vor, wenn der Vater, das Kind und der andere Elternteil in einer dauerhaften Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und alle drei an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind, wobei eine höchstens bis zu zehn Tagen verspätet erfolgte Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an dieser Wohnadresse nicht schadet.

[16] I.2.2. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zum FamZeitbG (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  1) ergibt, sollen erwerbstätige Väter, die sich direkt nach der Geburt ihres Kindes intensiv und ausschließlich der Familie widmen, eine finanzielle Unterstützung erhalten. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Familiengründungszeit wichtig ist, damit das Neugeborene rasch eine sehr enge emotionale Bindung (auch) zum Vater aufbauen kann. Der Vater soll seine unter den Auswirkungen der gerade erfolgten Geburt stehende Partnerin bei der Pflege und Betreuung des Säuglings, bei den Behördenwegen, bei Haushaltsarbeiten etc bestmöglich unterstützen, um den Zusammenhalt in der Familie von Anfang an zu stärken.

[17] I.2.3. Ausgehend von diesem Gesetzeszweck verneint der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung einen Anspruch auf Familienzeitbonus während des Krankenhausaufenthalts von Mutter und Kind nach der Geburt (RIS‑Justiz RS0132377; vgl auch RS0133088), weil in dieser Zeit die Pflege und die Betreuung des Kindes durch Leistungen der Krankenanstalt abgedeckt werden (10 ObS 84/22h [Pkt 3.2.]; 10 ObS 69/20z; 10 ObS 29/20t SSV‑NF 34/29 [Pkt 2.]; 10 ObS 147/19v SSV‑NF 34/2 [Pkt 2.1. und 5.2.]; 10 ObS 115/19p [Pkt 2.]; 10 ObS 101/19d SSV‑NF 33/48 [Pkt 3.2]; 10 ObS 109/18d SSV‑NF 32/67 [Pkt 3.2]). Dies wird vom Kläger nicht in Zweifel gezogen.

[18] I.2.4. Mit der Novelle zum FamZeitbG BGBl I 2019/24 wurde mit § 2 Abs 3a FamZeitbG eine Ausnahmebestimmung dazu geschaffen. Danach wird ausnahmsweise der gemeinsame Haushalt iSd § 2 Abs 3 FamZeitbG bei einem medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt des Kindes angenommen, wenn es durch den Vater und den anderen Elternteil im Mindestausmaß von jeweils durchschnittlich vier Stunden täglich persönlich gepflegt und betreut wird; ein solcher Krankenhausaufenthalt des Kindes steht dem Vorliegen einer Familienzeit nach § 2 Abs 4 FamZeitbG nicht entgegen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Versorgung eines erkrankten Kindes während eines Krankenhausaufenthalts zwar typischerweise von der Krankenanstalt übernommen wird, der Zweck der Familienzeit aber dennoch erreicht werden kann, wenn die Eltern ihr Kind im Krankenhaus persönlich pflegen (10 ObS 82/21p [Pkt 2.8.]).

[19] I.2.5. Nach dem Wortlaut des Gesetzes liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Familienzeitbonus nach den §§ 2 Abs 1 Z 3 und 4 iVm Abs 3 und 4 FamZeitbG während des Krankenhausaufenthalts des Kindes nicht vor. Mangels Pflege und Betreuung des Kindes durch den Vater kommt auch die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs 3a FamZeitbG nicht zum Tragen.

[20] I.3.1. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers fordert der Gesetzeszweck keine den Gesetzeswortlaut korrigierende Rechtsfindung. Dabei ist es unerheblich, ob es sich methodisch um eine Analogie oder um eine teleologische Reduktion handelt, weil beides gleichermaßen unzulässig ist, wenn Gesetzeswortlaut und klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (RS0008880 [T23]).

[21] I.3.2. Die Zielsetzung des FamZeitbG, Familien zu stärken, den Aufbau einer emotionalen Beziehung des Neugeborenen zum Vater zu fördern und erwerbstätige Väter, die sich nach der Geburt des Kindes intensiv und ausschließlich der Familie widmen, finanziell zu unterstützen, kann nicht verwirklicht werden, solange sich der Vater dem Kind tatsächlich nicht hinreichend intensiv widmet, unabhängig davon, aus welchen Gründen der Aufbau einer emotionalen Beziehung infolge Unterbleibens der Pflege und Betreuung nicht möglich ist. Dieser klaren Absicht des Gesetzgebers würde das vom Kläger gewünschte Ergebnis widersprechen. Dass der Gesetzgeber im Rahmen der Novelle BGBl I 2019/24, als er die Ausnahme des § 2 Abs 3a FamZeitbG schuf, das Unterbleiben der Pflege und Betreuung durch den Vater wegen Auftretens einer Pandemie (oder anderen nach dem Gesetzeszweck nicht relevanten Umständen) nicht bedachte, ändert nichts daran, dass im Fall eines medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalts ein Anspruch auf Familienzeit nur dann bestehen sollte, wenn der Vater das Kind zumindest jeweils durchschnittlich vier Stunden täglich persönlich gepflegt und betreut hat (so bereits 10 ObS 132/19p SSV‑NF 33/72 [Pkt 3.3]).

[22] I.4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Familienzeitbonus am 30. und 31. Juli 2021 nicht vorlagen, entspricht daher der Rechtslage, sodass der Revision des Klägers nicht Folge zu geben war.

[23] I.5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

II. Zur Revision der Beklagten

[24] II.1. Die Beklagte bekämpft den teilweisen Zuspruch des Familienzeitbonus im Zeitraum von 1. August 2021 bis 29. August 2021 im Wesentlichen mit dem Argument, dass ein anteiliger Anspruch auf Familienzeitbonus nicht vorgesehen sei, wie dies auch ständige Rechtsprechung bis zur Entscheidung 10 ObS 161/21f gewesen sei.

[25] II.2. In der angeführten Entscheidung ging der Oberste Gerichtshof von der früheren Rechtsprechung nach neuerlicher Auseinandersatzung mit den §§ 2 und 3 FamZeitbG und der dazu geäußerten Kritik der Lehre ab (RS0133955). Primäres Argument dafür war der Umstand, dass sich aus dem für die Anspruchsberechtigung maßgeblichen § 2 FamZeitbG nicht zwingend ergibt, dass der Anspruch auf Familienzeitbonus materiell nicht auch für einen kürzeren Zeitraum als den nach der verfahrensrechtlichen Bestimmung des § 3 Abs 3 FamZeitbG gewählten bestehen kann. Aus § 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG folgt lediglich, dass sich der Vater im gesamten Zeitraum, in dem ein Anspruch besteht, in Familienzeit befinden muss, die zwischen 28 und 31 Tage beträgt. Die Festlegung eines verbindlichen Anspruchszeitraums gemäß § 3 Abs 3 FamZeitbG ist daher allein für das Verwaltungsverfahren maßgeblich, nicht jedoch für die Frage der Anspruchsberechtigung. Der gänzliche Wegfall des Anspruchs im Fall des Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen auch nur an einem Tag des gewählten Bezugszeitraums steht überdies in Widerspruch zum Zweck der Gewährung eines Familienzeitbonus, Väter dazu zu motivieren, sich nach der Geburt des Kindes intensiv dem Kind und der Familie zu widmen.

[26] II.3. Daran hielt der Oberste Gerichtshof jüngst in der (der Beklagten im Zeitpunkt der Erhebung der Revision noch nicht bekannten) Entscheidung 10 ObS 60/22d fest und folgte den nunmehr in der Revision (im Wesentlichen wortgleich) dagegen ins Treffen geführten Argumenten nicht. Die von der Beklagten als bedeutsam angesehene Rechtsfrage ist somit bereits geklärt (vgl RS0112921 [T5]), sodass ihre Revision zurückzuweisen ist.

[27] II.4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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