European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00038.22D.0830.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.568,52 EUR (darin 261,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger war seit 1. 1. 2012 bei der Beklagten als Referent der Abteilung Bildung, Jugend und Kultur beschäftigt, wobei ihm die Anrechnung einer Vordienstzeit von zwei Jahren zugebilligt wurde. Mit dem von der Direktor‑Stellvertreterin x unterfertigten Schreiben vom 30. 7. 2020 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis zum Kläger. Der Kläger richtete daraufhin Ende September 2020 ein Schreiben an den Präsidenten der Beklagten, in dem er ihn mit dem Vorwurf konfrontierte, dass er ein „geschlechtliches Verhältnis“ zu x gehabt habe und der Posten als xxx Direktor‑Stellvertreterin im Jahr 2015 ohne weitere Zuständigkeiten nur für sie geschaffen worden sei. Der Kläger forderte den Präsidenten der Beklagten deshalb auf, die Bestellung von x als Direktor‑Stellvertreterin bis längstens 9. 10. 2020 rückgängig zu machen, widrigenfalls er den Vorstand der Beklagten wegen des Straftatbestands der Untreue nach § 153 StGB anzeigen würde, wobei er auch darauf aufmerksam machte, dass dann nicht auszuschließen sei, dass „das Ganze“ an die Öffentlichkeit komme.
[2] Mit Schreiben der Beklagten vom 1. 10. 2020 wurde der Kläger entlassen, ohne dass ein bestimmter Entlassungsgrund angegeben worden wäre. Da der Direktor der Beklagten damals ortsabwesend war, ordnete er an, dass dieses Schreiben – wie bereits früher in dringenden Fällen – mit einer Nachbildung seiner Unterschrift versehen wird. Tatsächlich gab es bei der Beklagten auch vor dem Jahr 2011 einen xxx Direktor‑Stellvertreter, wobei diese Stelle aber im Hinblick auf eine allfällige Rückkehr des vormaligen xxx Direktor‑Stellvertreters erst im Jahr 2015 nachbesetzt wurde. x war vor ihrer Bestellung zur Direktor‑Stellvertreterin bei der Beklagten Leiterin des Präsidialbüros und Leiterin der Abteilung für Kommunikation. Der Vorschlag zur Ernennung von x zur Direktor‑Stellvertreterin kam vom vormaligen Direktor der Beklagten. Mit der Ernennung zur Direktor‑Stellvertreterin übte x ihre Funktion als Leiterin der Abteilung für Kommunikation weiter aus, erhielt aber noch weitere Aufgaben, insbesondere im Bereich des Projektmanagements. Diese Umstände waren dem Kläger nicht bekannt. Er hat die von ihm erhobenen Vorwürfe auch nie überprüft.
[3] Auf das Dienstverhältnis des Klägers ist die Richtlinie für die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse zu den Kammern für Arbeiter und Angestellte und der Bundesarbeitskammer in der Fassung vom 16. 6. 2005 (RILAK 2005) anzuwenden, die auszugsweise wie folgt lautet:
„ § 8 Verhältnis zu anderen Rechtsquellen …
(3) Für die Arbeitnehmer günstigere Regelungen darf eine Arbeiterkammer als Arbeitgeber in folgenden Angelegenheiten nicht treffen: … 6. Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 15) …
(4) Vereinbarungen, die gegen Abs ... 3 verstoßen, sind rechtsunwirksam, sofern in den folgenden Absätzen nicht anderes bestimmt wird. …
§ 15 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(1) Bis zum Ablauf des 10. Arbeitsjahres gelten für die Lösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber die für Angestellte in der Privatwirtschaft maßgeblichen Vorschriften, insbesondere der allgemeine Kündigungs- und Entlassungsschutz des Arbeitsverfassungsgesetzes.
(2) Nach Ablauf des 10. Arbeitsjahres kann das Arbeitsverhältnis nur nach den unten angeführten Bestimmungen gelöst werden … (Z 3) Wird kein Kündigungs- oder Entlassungsgrund angegeben oder erweist sich der angegebene Kündigungs- oder Entlassungsgrund als nicht zutreffend, so ist die Kündigung bzw Entlassung rechtsunwirksam. ...
§ 17 Anrechnung von Vordienstzeiten
(1) Die Begriffe 'Arbeitsjahr' und 'Arbeitsmonat' in dieser Richtlinie bedeuten effektiv in der Arbeiterkammer verbrachte Arbeitszeiten. Andere Zeiten werden für arbeitsrechtliche Ansprüche nur dann angerechnet, wenn dies in gesetzlichen Vorschriften oder Normen der kollektiven Rechtsgestaltung vorgeschrieben ist, oder wenn dies ausdrücklich vertraglich vereinbart wurde. Für vertragliche Vereinbarungen gelten die folgenden Grundsätze.
(2) Für die Einstufung in das Gehaltsschema können einschlägige Vordienstzeiten und Zeiten einer abgeschlossenen, für die Arbeitsleistung einschlägigen Ausbildung voll, Vordienstzeiten und Ausbildungszeiten ohne unmittelbaren Bezug zur vertraglich zugesagten Arbeitsleistung zur Hälfte angerechnet werden. Vordienstzeiten bei einer anderen Arbeiterkammer und beim ÖGB werden – sofern sie einschlägig sind – voll angerechnet.“
[4] Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Bestands seines Dienstverhältnisses, in eventu die Feststellung der Unwirksamkeit seiner Entlassung. Angesichts der für die Beklagte geltenden Zeichnungsvorschriften entfalte das Entlassungsschreiben mangels eigenhändiger Unterschrift des Direktors der Beklagten keine Rechtswirkungen. Durch die Anrechnung von Vordienstzeiten habe der Kläger das zehnte Arbeitsjahr bereits vollendet, weshalb die Entlassung mangels Angabe von Gründen nach § 15 Abs 2 Z 3 RILAK 2005 unwirksam sei. Im Übrigen sei die Entlassung nicht gerechtfertigt, weil der Kläger aufgrund seiner Treuepflicht zur Beklagten sogar verpflichtet gewesen sei, auf die Klärung strafrechtlich relevanten Verhaltens und die Beseitigung von Missständen in der Führungsebene der Beklagten hinzuwirken.
[5] Die Beklagte wendete ein, dass die Entlassung keinen Formvorschriften unterliege und auch keine Verpflichtung bestehe, bestimmte Entlassungsgründe anzugeben. § 15 Abs 2 Z 3 RILAK 2005 sei nicht anwendbar, weil der Kläger erst acht volle Jahre in der Arbeiterkammer verbracht habe und die Vordienstzeitenanrechnung nur für die Gehaltseinstufung relevant sei. Der Beklagten habe durch die unberechtigten Vorwürfe des Klägers eine massive Rufschädigung gedroht, was die Entlassung des Klägers rechtfertige.
[6] Das Erstgericht wies die Klage ab. Da abweichende Vereinbarungen hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Gunsten des Arbeitnehmers nach § 8 Abs 3 Z 6 RILAK 2005 unzulässig seien, könne sich der Kläger ungeachtet der vereinbarten Anrechnung von Vordienstzeiten vor dem zehnten effektiv in der Arbeiterkammer verbrachten Arbeitsjahr nicht auf § 15 Abs 2 Z 3 RILAK 2005 berufen. Die für die Beklagte geltenden Zeichnungsvorschriften würden nichts daran ändern, dass die Entlassung formfrei erfolgen könne. Der Kläger habe durch sein Schreiben sowohl den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit als auch jenen der Ehrverletzung verwirklicht.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die außerordentliche Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, aber nicht berechtigt.
[11] 1. Nach § 78 Abs 2 AKG 2005 hat die Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer, wenn kein Kollektivvertrag gilt, Richtlinien für die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der Arbeiterkammern zu erlassen. Solche Richtlinien sind mangels einer materiellen Gesetzgebungskompetenz der Selbstverwaltungskörper nur Vertragsschablonen, die erst durch vertragliche Unterwerfung Geltung zwischen den Parteien des Dienstverhältnisses erlangen (RIS‑Justiz RS0114722). Dennoch kommt der Auslegung dieser Richtlinien wegen der Vielzahl der davon betroffenen Arbeitnehmer eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu, weshalb die Revision zuzulassen war (siehe RS0042819; RS0109942).
[12] 2. Nach ständiger Rechtsprechung müssen die für die Entlassung eines Arbeitnehmers maßgeblichen Gründe nicht schon in der Entlassungserklärung angeführt werden, sondern es genügt, wenn sie im Zeitpunkt der Entlassung objektiv vorhanden waren (RS0021606; RS0029144). Nach § 15 Abs 1 RILAK 2005 gelten „bis zum Ablauf des 10. Arbeitsjahres“ für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber die für Angestellte in der Privatwirtschaft maßgeblichen Vorschriften. Demgegenüber ist eine Entlassung „nach Ablauf des 10. Arbeitsjahres“ nach § 15 Abs 2 Z 3 RILAK 2005 rechtsunwirksam, wenn kein Entlassungsgrund angegeben wird. Da der Kläger über acht volle Jahre bei der Beklagten beschäftigt war und ihm darüber hinaus zwei Jahre an Vordienstzeiten angerechnet wurden, stellt sich die Frage, ob die Entlassung des Klägers ohne Angabe von Gründen rechtswirksam war.
[13] 3. Nach § 17 Abs 1 RILAK 2005 bedeutet der Begriff „Arbeitsjahr“ in dieser Richtlinie „effektiv in der Arbeiterkammer verbrachte Arbeitszeiten“, weshalb Vordienstzeiten grundsätzlich nicht als Arbeitsjahre zu werten sind. Eine Anrechnung von Vordienstzeiten kann nach § 17 Abs 1 RILAK 2005 für „arbeitsrechtliche Ansprüche“ durch eine ausdrückliche Vereinbarung im Vertrag erfolgen, und zwar zufolge Abs 2 für die Einstufung im Gehaltsschema. Hier ist dies aber auch nur für die Einstufung in die Gehaltsstufe 1 2013 vereinbart worden (Beil ./D). Die späteren Schreiben (Beil ./F; Beil ./B) haben dies nur bestätigt (2016, 2017). Dafür, dass diese darüber und über den nach der RILAK 2005 zulässigen Rahmen hinausgehen wollten, fehlt es an Anhaltspunkten. Damit kann sich der Kläger, der im Zeitpunkt seiner Entlassung erst acht volle Jahre in der Arbeiterkammer tätig war, nicht auf die besonderen Formvorschriften für Entlassungen nach § 15 Abs 2 Z 3 RILAK 2005 berufen.
[14] 4. Der Kläger zieht nicht in Zweifel, dass der Direktor der Beklagten aufgrund seiner Zuständigkeit für die laufende Geschäftsführung in Personalangelegenheiten nach § 77 Abs 2 Z 4 AKG die Entlassung aussprechen durfte und deshalb eine Mitzeichnung des Präsidenten der Beklagten nach § 25 Abs 2 Geschäftsordnung der Kammer für Arbeiter und Angestellte Oberösterreich 1992 (GeoAK OÖ) unterbleiben konnte. Wohl aber meint der Kläger, dass das Unterlassungsschreiben unwirksam sei, weil der Direktor der Beklagten nicht eigenhändig unterschrieben habe und damit die in § 77 AKG und § 25 GeoAK OÖ enthaltenen Zeichnungsvorschriften nicht eingehalten worden seien.
[15] 5. Nach § 886 Satz 3 ABGB genügt eine Nachbildung der eigenhändigen Unterschrift auf mechanischem Wege für die Erfüllung des Schriftformgebots nur dort, wo sie im Geschäftsverkehr üblich ist. Die Entlassungserklärung ist aber nicht an die Schriftform gebunden und kann infolgedessen auch in jeder anderen Form erklärt werden (RS0021587; RS0029092; RS0029112). Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass die Entlassung keiner firmenmäßigen Fertigung bedarf, selbst wenn ihre Mitteilung schriftlich erfolgt (RS0029092).
[16] 6. Richtig ist, dass es dem Direktor auch obliegt, „Geschäftsstücke“ der Kammer nach § 77 Abs 2 Z 5 AKG und § 25 GeoAK OÖ mit dem Präsidenten zu „zeichnen“. Der Begriff „Zeichnung“ bedeutet grundsätzlich eine Vertretungshandlung, die in Schriftform erfolgt (RS0059778). Dementsprechend handelt es sich bei diesen Vorschriften um Vertretungsregelungen für die Abgabe schriftlicher Erklärungen, aber um keine Formvorschriften dahin, dass diese für eine Entlassung erforderlich wären. Eine konkrete Regelung über ein Schriftformgebot für rechtsgeschäftliche Erklärungen der Beklagten für die hier maßgebliche Entlassungserklärung wird vom Kläger auch nicht dargestellt.
[17] 7. Der Kläger bestreitet das Vorliegen eines Entlassungsgrundes, weil er von der Richtigkeit der von ihm erhobenen Anschuldigungen ausgegangen und deshalb berechtigt gewesen sei, die Beklagte auf bestehende Missstände hinzuweisen. Richtig ist, dass den Dienstnehmer bei strafrechtswidrigem Verhalten des Dienstgebers keine Verschwiegenheitspflicht trifft und er im Interesse der Allgemeinheit auch zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt ist (RS0113682). Ein solches Verhalten ist aber nur gerechtfertigt, wenn die erhobenen Anschuldigungen wahr sind oder der Arbeitnehmer zumindest hinreichende Gründe hatte, die Behauptung für wahr zu halten (RS0029754).
[18] 8. Demgegenüber können bloße unsubstantiierte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verhaltens des Dienstgebers keine Schritte rechtfertigen, die geeignet sind, dem Dienstgeber schweren Schaden zuzufügen (RS0113682 [T3]). Haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen begründen deshalb einen Entlassungsgrund (RS0113682). Da der Kläger keine Kenntnis von den Umständen hatte, die zur Ernennung von A* zur zweiten Direktor‑Stellvertreterin führten, und er seine schwerwiegenden Anschuldigungen auch nicht überprüft hat, obwohl ihm bewusst sein musste, dass er den Ruf der Beklagten durch eine Strafanzeige schwer beschädigen würde, war die Entlassung des Klägers gerechtfertigt.
[19] 9. Der Revision des Klägers war daher nicht Folge zu geben.
[20] 10. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 2 Abs 1 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.
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