OGH 6Ob119/22a

OGH6Ob119/22a29.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S*, 2. M*, 3. A*, 4. Dr. H*, 5. M*, 6. E*, 7. Ü*, 8. T*, 9. R*, 10. Ing. M*, 11. F*, 12. N*, 13. H*, 14. R*, 15. Ing. P*, 16. K*, alle vertreten durch Dr. Max Kapferer und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei DI Mag. N*, Rechtsanwalt, *, wegen (insgesamt) 51.445,16 EUR sA, in Ansehung der zehntklagenden Partei wegen 6.637,84 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 3. Februar 2022, GZ 4 R 263/21m‑25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. August 2021, GZ 30 C 399/20p‑21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00119.22A.0829.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die zehntklagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Sechzehn Wohnungseigentümer nehmen den beklagten Rechtsanwalt wegen Schadenersatz in Anspruch. Der Zehntkläger begehrt einen jeweils 5.000 EUR nicht übersteigenden Betrag an Ersatz für Sanierungsaufwand einerseits und für Prozesskosten andererseits.

[2] Das Erstgericht wies die Klage ab.

[3] Das Berufungsgericht gab dagegen mit dem angefochtenen Zwischenurteil dem Klagebegehren dem Grunde nach statt und erklärte die ordentliche Revision (weil die Forderungen aller anderen Kläger auch jeweils zusammengerechnet 5.000 EUR nicht übersteigen nur im Verfahren gegenüber dem Zehntkläger [im Weiteren nur mehr: Kläger]) nachträglich doch für zulässig, weil dieser dem Berufungsgericht „eine derartige Fülle von Formalfehlern im Berufungsverfahren“ vorwerfe, „über welche in der selben Instanz zu entscheiden dem Berufungssenat als nicht opportun“ erscheine.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die vom Kläger beantwortete Revision des Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts jedenfalls unzulässig:

[5] 1. Der erkennende Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, es habe eine Zusammenrechnung der beiden Forderungen des Klägers stattzufinden, weil seine Ansprüche in einem „derart engen Lebenssachverhalt gründen, nämlich jeweils in einem behaupteten anwaltlichen Fehlverhalten des Beklagten“, nicht.

[6] 2. In § 55 JN sind – zur Ermittlung des Werts des Streitgegenstands – zwei verschiedene Fälle der Zusammenrechnung von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen geregelt: einerseits der Fall der objektiven Klagenhäufung (Anspruchshäufung) und andererseits jener der subjektiven Klagenhäufung (Parteienhäufung).

[7] Dass hier kein Fall einer Zusammenrechnung im Sinne einer subjektiven Klagenhäufung nach § 55 Abs 1 Z 2 JN (Forderungen materieller Streitgenossen) vorliegt, bezweifelt die Revision selbst nicht.

[8] 3.1. Einzugehen ist hier daher nur mehr auf die Frage des Vorliegens einer objektiven Klagenhäufung (also der Geltendmachung von mehreren von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhobenen Forderungen in einer Klage) iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN. Eine Zusammenrechung nach dieser Bestimmung hat als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung (RS0110872 [T8]; RS0122950) nur dann stattzufinden, wenn die mit einer Klage geltend gemachten Forderungen in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen.

[9] 3.2. Ein tatsächlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn allen Ansprüchen derselbe Klagegrund zugrunde liegt und keiner der Ansprüche die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts – zumindest zum Grund des Anspruchs – erfordert (vgl RS0037899 [T3]). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus einer Gesetzesvorschrift oder einem einheitlichen Rechtsgeschäft abgeleitet werden (RS0037648) und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RS0037648 [T18, T19]).

[10] Kein Zusammenhang iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN besteht dagegen dann, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RS0037648 [T18]; vgl auch RS0037899 sowohl zum tatsächlichen wie zum rechtlichen Zusammenhang).

[11] 3.3. Beispielsweise verneint wird die Zusammenrechnung bei mehreren Verstößen gegen eine durch eine Konventionalstrafe abgesicherte Unterlassungserklärung (1 Ob 14/19v) und – für den vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung – bei mehreren und aus verschiedenen Pflichtverstößen abgeleiteten Ansprüchen gegen einen Anwalt aus Anlass des Verkaufs einer Liegenschaft (Ersatz für den durch die umsatzsteuerrechtliche Fehlberatung verursachten Schaden einerseits und andererseits für den Prozesskostenschaden, welcher aus der Falschberatung gegenüber dem Mandanten resultiert, er könne gegen die Käuferin dieser Liegenschaft eine – in Wahrheit aussichtslose – Klage auf Unterfertigung einer Vertragsergänzung und Zahlung erheben [7 Ob 187/17a]). Auch im Fall der Geltendmachung von Ansprüchen wegen Schadenersatz für Prozesskosten gegen einen Anwalt, der für seinen Mandanten eine Pflichtteilsergänzung durchsetzen sollte, wird die Zusammenrechnung abgelehnt, wenn die von diesem eingebrachte Klage im ersten Prozess an unterlassenem Vorbringen scheiterte und die daraufhin erhobene zweite (dieses Vorbringen enthaltende) Klage wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen wurde (4 Ob 59/15b).

[12] 4. Ausgehend von den dargestellten Rechtsgrundlagen und der erörterten Rechtsprechung liegt auch im vorliegenden Fall mangels rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhangs iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN kein 5.000 EUR übersteigender Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts vor:

[13] Nach den allein maßgeblichen Klagebehauptungen (RS0042741; RS0106759) leitet der Kläger seine beiden Ansprüche aus unterschiedlichen Pflichtverletzungen des beklagten Rechtsanwalts ab. Seine Forderung auf Ersatz der Sanierungskosten stützt er darauf, dass der Beklagte entgegen dem ausdrücklichen Auftrag nicht „umgehend“ Klage gegen die Rechtsnachfolger des Bauträgers eingebracht habe, sodass sein Anspruch auf Ersatz des von ihm getragenen Aufwands für die Sanierung der Bauausführungsmängel an der Wohnanlage per 17. 12. 2016 verjährt sei. Den Ersatz der Prozesskosten leitet er demgegenüber aus einem eigenständigen Fehlverhaltensvorwurf, nämlich einer zeitlich nachgelagerten anwaltlichen Fehlberatung ab, und zwar aus der unrichtigen Mitteilung im Jänner 2017, wonach die Verjährung der in Rede stehenden Schadenersatzansprüche gegenüber dem Bauträger noch nicht eingetreten sei. Diese Information sei letztlich Grund dafür gewesen, dass er seinen (durch eine andere Rechtsvertretung geltend gemachten) Anspruch gegenüber dem Bauträger später doch noch (allerdings aufgrund des Verjährungseintritts erfolglos) gerichtlich verfolgt habe, wodurch er entsprechende Verfahrenskosten zu tragen gehabt habe.

[14] Die beiden Ansprüche werden damit nicht auf identes anspruchsbegründendes Tatsachenvorbringen gestützt, sondern (wie in der zu 7 Ob 187/17a ergangenen Entscheidung zu einer Liegenschaftstransaktion erörtert)  aus unterschiedlichen Pflichtverletzungen des Anwalts abgeleitet. Sie können jeweils für sich allein und unabhängig vom anderen Anspruch bestehen, also ein unterschiedliches rechtliches und tatsächliches Schicksal haben.

[15] 5. Mangels Zusammenrechnung ist die Revisionszulässigkeit damit gesondert für jeden der beiden Entscheidungsgegenstände des Berufungsgerichts zu beurteilen (§ 55 Abs 4 JN) und die Revision des Beklagten folglich nach § 502 Abs 2 ZPO als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen.

[16] 6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 40 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat auf den maßgeblichen Rechtsmittelausschluss nicht hingewiesen und muss deshalb die Kosten seiner nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienenden Revisionsbeantwortung selbst tragen (RS0035979; 9 Ob 28/22s).

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