European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121497
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
Der beklagte Rechtsanwalt beriet den Kläger anlässlich des Verkaufs einer Liegenschaft. Daraus leitete der Kläger Ansprüche wegen umsatzsteuerrechtlicher Fehlberatung ab. Der Kläger sei zu einer Vorsteuerrückrechnung nach § 12 Abs 10 UStG in Höhe von 47.638,59 EUR verpflichtet worden, was vermieden hätte werden können.
Das Klagebegehren in dieser Höhe wurde von den Vorinstanzen übereinstimmend abgewiesen (und ist mangels Revision des Klägers nicht mehr Verfahrensgegenstand).
Mit derselben Klage machte der Kläger weitere 16.172,16 EUR geltend. Der Beklagte habe ihn in der Folge auch dahin falsch beraten, gegen die Käuferin der Liegenschaft eine – in Wahrheit aussichtslose – Klage auf Unterfertigung einer Vertragsergänzung sowie auf Zahlung von 2.247,50 EUR (Steuerberatungshonorar von 900 EUR und anteilige Versicherungsprämie von 1.347,50 EUR) zu erheben, welche der Kläger später – nach richtiger Rechtsberatung durch einen anderen Anwalt – unter Anspruchsverzicht zurückgezogen habe. Er hätte dem Beklagten ein Akonto von 5.000 EUR, dem neuen Anwalt für dessen Vertretung 1.398,24 EUR gezahlt, im Vorverfahren 673 EUR an Pauschalgebühr tragen und dem Prozessgegner 9.100,92 EUR an Prozesskosten ersetzen müssen. Auch diese Kosten wären bei ordnungsgemäßer Beratung nicht angefallen.
Die Vorinstanzen sprachen übereinstimmend dem Kläger hieraus einen Teilbetrag von 15.499,16 EUR zu und wiesen ein Teilbegehren von 673 EUR ab. Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
Gegen die Klagsstattgebung wendet sich der Beklagte mit einer „außerordentlichen“ Revision.
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht legte das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor. Diese Vorgangsweise entspricht jedoch nicht der Rechtslage.
1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand – und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts –, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RIS-Justiz RS0053096).
Mehrere in einer Klage geltend gemachte Forderungen sind nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen, wenn sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl RIS-Justiz RS0042741). Bei der Beurteilung ist von den Klagsangaben auszugehen (RIS-Justiz RS0106759); es kommt auch bei der Prüfung der Rechtsmittelzulässigkeit nicht auf nachträgliche Behauptungen oder Feststellungen in der erstgerichtlichen Entscheidung an (4 Ob 167/17p mwN).
Ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang liegt nur vor, wenn die Forderungen aus einer gemeinsamen Tatsache oder einem gemeinsamen Rechtsgrund entstanden sind (RIS-Justiz RS0037905). Ein tatsächlicher Zusammenhang ist dann zu bejahen, wenn alle Klagsansprüche aus demselben Sachverhalt abzuleiten sind, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RIS-Justiz RS0042766). Im rechtlichen Zusammenhang stehen Ansprüche insbesondere, wenn sie aus einer Gesetzesvorschrift oder aus einem einheitlichen Rechtsgeschäft abgeleitet werden. Ein rechtlicher, zumindest aber ein tatsächlicher Zusammenhang mehrerer Ansprüche wird in der Regel auch bei einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang dieser Ansprüche bestehen (RIS-Justiz RS0037648).
Ein innerer tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht jedoch dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RIS‑Justiz RS0037899).
Hat das Berufungsgericht über mehrere Entscheidungsgegenstände entschieden, deren Werte nicht zusammenzurechnen sind, ist die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (§ 55 Abs 4 JN).
2. Auch wenn die Ansprüche des Klägers in Zusammenhang mit derselben Grundstückstransaktion stehen, werden sie dennoch aus verschiedenen vom Kläger behaupteten Pflichtverletzungen des Beklagten abgeleitet, und zwar einerseits aus der unrichtigen bzw unvollständigen Beratung über umsatzsteuerrechtliche Aspekte des Grundstücksverkaufs und andererseits aus der Schlechtberatung und Verleitung zur Klagsführung in Bezug auf die Vereinbarungen des Klägers mit dem Grundstückskäufer. Aus diesen behaupteten unterschiedlichen Pflichtverstößen werden auch unterschiedliche Forderungen abgeleitet, nämlich einerseits die dem Kläger zusätzlich angefallene Umsatzsteuer und andererseits im Kern Verfahrenskosten aus der vergeblichen Klagsführung gegen den Grundstückskäufer. Jeder dieser Ansprüche kann für sich allein unabhängig vom anderen bestehen, wie auch aus dem Umstand erhellt, dass die Forderung in Ansehung der Umsatzsteuer bereits rechtskräftig abgewiesen wurde. Daher sind die Klagsforderungen nicht zusammenzurechnen (vgl 4 Ob 59/15b; 7 Ob 173/15i). Der revisionsgegenständliche Anspruch übersteigt damit zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR.
3. Hat das Berufungsgericht ausgesprochen, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig ist, so kann gemäß § 505 Abs 4 ZPO eine Revision (die hier nicht vorliegenden Fälle des § 502 Abs 5 ZPO ausgenommen) nur erhoben werden, wenn der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteigt (außerordentliche Revision). Übersteigt der Wert des Entscheidungsgegenstands in zweiter Instanz wohl 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR, und hat das Berufungsgericht ausgesprochen, die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig, so kann eine Partei gemäß § 508 Abs 1 ZPO (nur) einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde.
4. Wird gegen eine Entscheidung, die nur mittels Abänderungsantrag angefochten werden kann, eine ordentliche oder eine außerordentliche Revision erhoben, so hat – auch wenn das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist – das Erstgericht dieses Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen. Solange eine Abänderung des Zulassungsausspruchs durch das Berufungsgericht nicht erfolgt, mangelt es dem Obersten Gerichtshof an der funktionellen Zuständigkeit (7 Ob 37/13m, 7 Ob 173/15i). Er darf nur und erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RIS-Justiz RS0109623, RS0109501 [T4]).
5. Der Akt ist daher dem Erstgericht zurückzustellen, welches das Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen hat.
Ob die im Schriftsatz enthaltenen Ausführungen den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entsprechen, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RIS-Justiz RS0109623 [insb T2, T4, T5, T8], RS0109501 [insb T12], RS0109620 [insb T2]).
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