European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00028.22S.0630.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision des Erstklägers und der Zweitklägerin wird zurückgewiesen.
Die erstklagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.119,44 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 186,57 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Am 24. 6. 2019 gegen 11:20 Uhr fuhr der Erstkläger mit dem von der Zweitklägerin gehaltenen Motorrad im Gemeindegebiet von W* auf der L * aus W* kommend in Richtung K*. Etwa auf Höhe des Straßenkilometers 14,1 lag quer über der Fahrbahn ein umgefallener Baumstamm, welcher von dem den Beklagten je zur Hälfte gehörenden und an die L * angrenzenden Waldgrundstück stammte.
[2] Der Baum brach unmittelbar vor dem Vorfall ab und rutschte über die Böschung auf die Landesstraße. Der Erstkläger fuhr mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von ca 100 km/h. Er passte seine Geschwindigkeit nicht den aufgrund des Lichteinfalls (starker Sonnenschein, starker Wechsel zwischen Licht und Schatten) erschwerten Sichtbedingungen an, sodass er vor dem bereits liegenden Baumstamm nicht rechtzeitig anhalten konnte. Als er diesen erblickte, machte er eine Notbremsung, es gelang ihm jedoch nicht, das Motorrad rechtzeitig zum Stillstand zu bringen, sodass dieses mit dem Stamm kollidierte und der Kläger zu Sturz kam und sich verletzte.
[3] Das Waldgrundstück der Beklagten ist ein Nordost exponierter Mittelhang, mit etwa 30° Neigung, zur Landesstraße hin stark abgeböscht mit etwa 50° bis 60° Neigung. Der umgestürzte Baum war eine Rotkiefer mit einem mindestens 9,2 m langen, vermutlich zwischen 10 und 11 m langen Stamm, der sich auf der Böschung in einem Abstand von 14,5 m zum Straßenrand befand. Der Baum wies infolge eines aufgrund Sonneneinfalls entstehenden natürlichen Astreinigungsprozesses keine Äste mehr auf. Der Stamm war durch den Borkenkäfer und nachgeordnet durch den Kupferstecher befallen, sodass sich die Rinde ablöste. Dies war jedenfalls über ein Jahr hin sichtbar, beeinträchtigte jedoch nicht die Holzsubstanz und verursachte nicht den Baumsturz. Auslöser für den Bruch des Stammes war, dass sich die Holzsubstanz im unteren Stammbereich über mehrere Jahre hindurch durch Eindringen von Fäuleerregern– entweder des Wurzelschwammes oder des Kiefern-Braunporlings – zersetzte und sich das Holzfasergerüst schrittweise auflöste. Dieser Vorgang ist bei einer Rotkiefer von außen nicht bemerkbar, und zwar weder aus größerer Entfernung noch durch bloßen Augenschein von ganz nahe. Die Zersetzung der Holzsubstanz wäre nur durch Bohrungen im unteren Stammbereich erkennbar gewesen. Solche Bohrungen sind in der natürlichen Forstwirtschaft nicht üblich oder vorgesehen, sondern erfolgen nur anlassbezogen, etwa bei einer Zuwachsuntersuchung oder zur Altersbestimmung. Aus ökologischen Gründen ist es forstrechtlich legitim und auch in waldökologisch orientierten Forstkreisen häufig, Spechtbäume/Totholz stehen zu lassen.
[4] Es bestehen keine konkreten Richtlinien oder Normen, welche die Anzahl der erforderlichen Sichtkontrollen bei Waldflächen regeln. Die von der Erstbeklagten mehrmals jährlich durchgeführten Waldkontrollen durch Abfahren oder Abgehen sind grundsätzlich ausreichend. Es wäre jedoch im gegenständlichen Bereich erforderlich, sich ein Stück die Böschung hinunter zu begeben, um diese besser einsehen zu können. Bei dem den Unfall verursachenden Baum bestand aufgrund der Kombination mehrerer Faktoren eine gewisse Gefährdung, nämlich aufgrund des steilen Geländes, welches Richtung Straße noch steiler wird, aufgrund der nicht vorhandenen Äste am Stamm, des fehlenden Unterholzes, welches ein weiteres Abrutschen verhindern würde sowie der Entfernung zur Straße. Aufgrund des Zusammentreffens dieser Faktoren wäre ein Entfernen des Stammes zweckmäßig gewesen, dies war jedoch nicht zwingend unmittelbar erkennbar.
[5] Der Erstkläger begehrt 7.500 EUR Schmerzengeld, sowie – nach Ausdehnung – 3.211 EUR Schadenersatz für diverse Sachschäden und die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden. Die Zweitklägerin begehrt Schadenersatz für den Totalschaden des Motorrads von 4.000 EUR. Die Beklagten hätten ihre Pflichten als Liegenschaftseigentümer grob fahrlässig missachtet, sie treffe das Alleinverschulden am Unfall und die Haftung nach § 1319 ABGB. Der Baum sei erkennbar morsch gewesen und hätte gefällt werden müssen. Der Erstkläger sei aufmerksam und mit angepasster Geschwindigkeit gefahren.
[6] Die Beklagten wandten ein, dass sie den Zustand des Waldes laufend überprüft und schadhafte Bäume entfernt hätten. Sie hätten ihre Pflichten nicht vernachlässigt. Der Baum sei offenkundig erst kurz vor dem Unfallzeitpunkt, aus welchen Gründen auch immer, schicksalhaft umgefallen. Die Kollision sei ausschließlich auf das Alleinverschulden des Erstklägers zurückzuführen, der mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei und auf das Hindernis verspätet und falsch reagiert habe.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige. Die Revision sei zulässig. Der Frage, ob eine Kontrolle von Bäumen, die ohne Äste und mangels Unterholzes nicht gegen ein etwaiges Abrutschen gesichert sind, in gefahrengeneigten Bereichen (steiles Gelände Richtung Straße) auch Bohrungen im Stammbereich erfordert, komme über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.
[9] Gegen dieses Urteil richtet sich die von den Beklagten beantwortete Revision der Kläger.
[10] Die Revision des Erstklägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[11] Die Revision der Zweitklägerin ist jedenfalls unzulässig (§ 502 Abs 2 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
I. Zur Revision des Erstklägers:
[12] I.1.1 Den Waldeigentümer und dessen Leute sowie sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen (wie Nutznießer, Einforstungs‑ oder Bringungsberechtigte, Schlägerungs‑ oder Bringungs-unternehmer) und deren Leute trifft gemäß § 176 Abs 2 ForstG 1975, vorbehaltlich des Abs 4 dieser Bestimmung oder des Bestehens eines besonderen Rechtsgrundes, keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Waldes entstehen könnten; sie sind insbesondere nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, dass dadurch solche Gefahren abgewendet oder vermindert werden. Wird ein Schaden auf Wegen durch den Zustand des danebenliegenden Waldes verursacht, so haften gemäß § 176 Abs 4 Satz 2 ForstG 1975 der Waldeigentümer, sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen und deren Leute keinesfalls strenger als der Wegehalter (Weixelbraun‑Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.07 § 1319a ABGB Rz 36 mwH). Wegen dieser ausdrücklichen Spezialbestimmung ist hier die Haftung auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt (6 Ob 21/01h; 3 Ob 102/19z ua).
[13] I.1.2 Nach der Rechtsprechung ist aus § 176 Abs 2 und Abs 4 ForstG 1975 ableitbar, dass diese den Waldeigentümer mit der Obsorgepflicht bei erkennbar gefährlichem Waldzustand entlang öffentlicher Straßen und Wege belasten (RS0115175).
[14] I.2 Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung eine auffallende Sorglosigkeit, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlichem Maße verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Der objektiv besonders schwere Verstoß muss also auch subjektiv schwer anzulasten sein (RS0030171 [T2]). Die Entscheidung des Berufungsgerichts, wonach den Beklagten nach den maßgeblichen Umständen des konkreten Falls keine grobe Fahrlässigkeit vorwerfbar ist, hält sich im Rahmen der ständigen Rechtsprechung. Mit den Argumenten, es wäre im vorliegenden Fall eine umfassende Kontrolle inklusive einer Bohrung im Stammbereich des Baumes erforderlich gewesen, der erkennbar Totholz gewesen sei, setzt sich die Revision darüber hinweg, dass eine solche Bohrung im vorliegenden Fall ungeachtet des konkreten, auch objektiv sichtbaren Zustands des Baumes weder indiziert war noch in der natürlichen Forstwirtschaft üblich ist. Dem Sachverhalt ist gerade nicht zu entnehmen, dass die für den Unfall ursächliche Schädigung der Holzsubstanz aus dem äußeren Erscheinungsbild des Baumes erkennbar (ableitbar) gewesen wäre (6 Ob 570/92). Das Erstgericht hat ohnehin berücksichtigt, dass aufgrund der konkreten Gegebenheiten bei einer möglichen Nachschau eine Entfernung des Baumes zweckmäßig, aber eben nicht zwingend unmittelbar erkennbar gewesen wäre. Wenn in der fraglichen Unterlassung einer Sicherungsmaßnahme kein extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt erblickt werden kann, liegt grobe Fahrlässigkeit nicht vor (6 Ob 193/00a).
[15] I.3 Bei der Ausführung des Berufungsgerichts, dass der Baum – abgesehen davon, dass er keine Rinde hatte – nicht auffällig gewesen sei (S 10) handelt es sich nicht um eine Feststellung, sondern um einen Teil der Erwägungen des Berufungsgerichts bei der Behandlung der Beweisrüge. Solche Erwägungen fallen in das Gebiet der in dritter Instanz unangreifbaren Beweiswürdigung (vgl RS0043347 [T2]). Die in diesem Zusammenhang behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.
[16] Die Revision des Erstklägers war daher mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
II. Zur Revision der Zweitklägerin:
[17] II.1 Eine Revision ist nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, an Geld oder Geldeswert 5.000 EUR nicht übersteigt. Der absolute Rechtsmittelausschluss des § 502 Abs 2 ZPO geht der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO vor und verhindert jede Anfechtung des berufungsgerichtlichen Urteils (RS0042941 [T3]).
II.2 Mehrere aus einem Unfall Geschädigte sind entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsansicht nach ständiger Rechtsprechung nur formelle Streitgenossen im Sinn des § 11 Z 2 ZPO (RS0110982, zuletzt 2 Ob 189/21i). Ihre Ansprüche sind daher nicht zusammenzurechnen (RS0035615), vielmehr ist die Zulässigkeit der Revision für jeden einzelnen Streitgenossen gesondert zu beurteilen (RS0035710). Der für die Zweitklägerin maßgebliche Wert des Entscheidungsgegenstands im Berufungsverfahren betrug 4.000 EUR. Die außerordentliche Revision war daher – soweit sie sich auf die Zweitklägerin bezieht – gemäß § 502 Abs 2 ZPO als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen (vgl zB 9 Ob 1/10b).
[18] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision lediglich mit der Begründung hingewiesen, dass eine die Bedeutung des Einzelfalls übersteigende Rechtsfrage nicht zu beantworten ist (vgl RS0035979). Sie haben jedoch nicht geltend gemacht, dass die Revision der Zweitklägerin infolge des Werts des Streitgegenstands jedenfalls unzulässig ist (vgl 3 Ob 185/20g). Ihnen gebührt für die Revisionsbeantwortung daher nur Kostenersatz durch den Erstkläger.
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