OGH 2Ob61/22t

OGH2Ob61/22t27.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*, vertreten durch Dr. Michael Göbel Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei U*, vertreten durch Dr. Elisabeth Messner, Rechtsanwältin in Wien, wegen zuletzt 19.652,92 EUR sA sowie Feststellung über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 7.849,87 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. November 2021, GZ 14 R 96/21x‑40, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. April 2021, GZ 16 Cg 53/19k‑36, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00061.22T.0627.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Am 22. 8. 2019 ereignete sich gegen 21:00 Uhr – es herrschte bereits Dunkelheit – im Kreuzungsbereich der Hauptstraße B 13 mit dem Plattenbergweg, im Gemeindegebiet von Laab am Walde, ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Radfahrer und der Lenker eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren. Der Beklagtenlenker näherte sich der Kreuzung in Richtung Laab am Walde an und wollte nach links in den Plattenbergweg einbiegen. Der Kläger kam mit seinem Fahrrad aus der Gegenrichtung, wollte die Kreuzung mit dem Plattenbergweg geradeaus übersetzen und kollidierte dabei mit dem Anhänger des einbiegenden Beklagtenfahrzeugs.

[2] Der vordere Scheinwerfer des Fahrrades leistete weniger als ein Zehntel der gesetzlich geforderten Lichtstärke. Weiße Rückstrahler an der Front und die gelben Pedalrückstrahler fehlten überhaupt. Die Lichtquelle war in größerer Entfernung wegen ihrer Intensität zwar wahrnehmbar, aber wegen der Unschärfe des Erscheinungsbilds nur schwer identifizierbar. Durch die Verwendung einer verordnungkonformen Beleuchtung hätte die Erkennbarkeit des Radfahrers für den Beklagtenlenker deutlich erhöht werden können. In diesem Fall wäre die Wahrscheinlichkeit der Blickzuwendung gesteigert und in Verbindung mit Pedalrückstrahlern die Identifikation als entgegenkommendes Fahrrad zumindest in einem Bereich von 55 m bis 60 m vor der Kollisionsstelle erleichtert worden.

[3] Das Beklagtenfahrzeug näherte sich dem Plattenbergweg mit einer Geschwindigkeit von ca 15 km/h an, setzte den linken Blinker und holte ein wenig aus, um im rechten Winkel nach links in den Plattenbergweg einzubiegen. Das eingeschaltete Abblendlicht des Beklagtenfahrzeugs war – durch den Fahrbahnverlauf bedingt – auf höchstens 30 m in der Lage, Objekte mit schmaler Silhouette erkennbar zu machen. Die Annäherung des Klägers im Bereich von mehr als 50 m vor der Kollision fand in völliger Dunkelheit mit einer diffusen Lichtquelle statt, die Verwechslungen mit Leitpflockrückstrahlern und den Lichtquellen eines auf einer Bergkuppe befindlichen Autohauses möglich machte. Der Beklagtenlenker hatte in dieser Phase der Annäherung den Eindruck, dass kein Gegenverkehr vorhanden sei und begann daher, nach links in den Plattenbergweg einzubiegen. Der Kläger beschleunigte bei Annäherung an die Unfallstelle auf ca 44 km/h und legte während des Einbiegevorgangs eine Strecke von 25,8 m bis maximal 49 m zurück. Er konnte unmittelbar vor der Kollision noch wirksam bremsen.

[4] Der Beklagtenlenker hätte den Kläger am Beginn des Einbiegemanövers aufgrund der Beleuchtungssituation in einem Abstand von unter 50 m vor Erreichen der Kollisionsstelle erkennen können. Der Kläger hätte durch die Verwendung einer verordnungskonformen Beleuchtung seine eigene Erkennbarkeit für den Beklagtenlenker deutlich erhöhen können und wäre bereits in einem Bereich von 55 m bis 60 m vor der Kollisionsstelle erkennbar gewesen.

[5] Mit seiner 2019 eingebrachten Klage begehrt der Kläger zuletzt die Zahlung von 19.652,92 EUR sA und die Feststellung der – mit der Haftpflichtsumme beschränkten – Haftung der Beklagten für sämtliche unfallskausale Folgen. Der Beklagtenlenker habe die Hauptstraße in entgegenkommender Richtung mit seinem PKW samt Anhänger befahren und beim Einbiegevorgang den Vorrang des Klägers missachtet. Der Kläger habe die anschließende Kollision mit dem Anhänger des Beklagtenfahrzeugs trotz unverzüglicher Bremsreaktion nicht mehr verhindern können, sei dadurch gestürzt und schwer verletzt worden. Das Alleinverschulden treffe den Beklagtenlenker.

[6] Die Beklagte wendet ein, der Beklagtenlenker sei mit ordnungsgemäß eingeschaltetem Abblendlicht gefahren, habe vor der Kreuzung mit dem Plattenbergweg seine Geschwindigkeit bis auf Schrittgeschwindigkeit reduziert und dann den linken Blinker gesetzt. Er sei, nachdem er sich vergewissert habe, dass kein Fahrzeug entgegenkomme, nach links in den Plattenbergweg eingebogen. Erst nach Verlassen der Hauptstraße habe der Beklagtenlenker bemerkt, dass an dem von ihm gezogenen Anhänger ein Anstoß erfolgt sei. Der Kläger habe unmittelbar vor der Kollision eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten. Die auf dem Rennrad montierte Leuchte habe nicht ausgereicht, das Fahrrad für den Beklagtenlenker erkennbar zu machen. Eine Haftung scheide aufgrund des Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses aus.

[7] Das Erstgericht verneinte ein unabwendbares Ereignis, bejahte eine Haftung der Beklagten nach dem EKHG und gewichtete die Betriebsgefahr sowie den Verstoß des Klägers gegen die Beleuchtungsvorschriften gleich schwer.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Dem Beklagtenlenker als Linksabbieger sei ohnehin eine schuldhafte Verletzung des Vorrangs des entgegenkommenden, geradeaus fahrenden Klägers anzulasten, sodass für eine Haftung (bloß) nach dem EKHG kein Raum bleibe. Dessen Verstoß gegen § 66 Abs 1 zweiter Satz StVO und § 60 Abs 3 StVO wiege allerdings gleich schwer. Dass der Beklagtenlenker das sich nähernde Fahrrad auch bei einer gesetzmäßigen Beleuchtung genauso übersehen hätte, habe der Kläger nicht bewiesen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO), über Antrag des Klägers abgeänderten – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird.

1. Schutzgesetzverletzung – Beweislast

[10] 1.1 Bei Verletzung eines Schutzgesetzes ist kein strenger Beweis des Kausalzusammenhangs erforderlich (RS0027640, RS0027462). Zwar kommt es – worauf die Revision zutreffend hinweist – zu keiner Umkehr der Beweislast, allerdings spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der von der Norm zu verhindernde Schaden durch das verbotene Verhalten verursacht wurde (RS0027517; 2 Ob 181/16f mwN). Es obliegt dann dem Beklagten, die Kausalität der Pflichtwidrigkeit – durch Außerkraftsetzung des ihn belastenden Anscheinsbeweises – ernsthaft zweifelhaft zu machen (RS0022599, RS0022474 [T1, T5], zuletzt 2 Ob 181/16f).

[11] Das Erstgericht hat – wenn auch disloziert (US 26) – ohnehin festgestellt, dass die unzureichende Beleuchtung (mangelnde Erkennbarkeit) unfallkausal war. Fragen der Beweislastverteilung, die nur bei Fehlen eines subsumtionsfähigen Sachverhaltssubstrats zur Anwendung kommen (RS0039872), stellen sich daher nicht. Die Bejahung oder Verneinung der natürlichen Kausalität ist eine Frage der Tatsachenfeststellung (RS0023778 [T3]).

[12] 1.2 Wer aber nach § 1311 ABGB wegen Verletzung eines Schutzgesetzes haftet, kann sich von der Haftung nur durch den (vollen) Beweis befreien, dass der Schaden in gleicher Weise und mit gleich schweren Folgen auch eingetreten wäre, wenn er sich vorschriftsgemäß verhalten hätte. Unklarheiten im Sachverhalt gehen zu Lasten des Normübertreters (RS0027364 [insb T17, T18, T26]). Hat der Beklagte einen Mitverschuldenseinwand erhoben, trifft den sich (auch) rechtswidrig verhaltenden Kläger die Behauptungs‑ und Beweislast dafür, dass der Schaden auch ohne Verletzung der Schutznorm eingetreten wäre (RS0027364 [T22]).

[13] Dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Radfahrers (ordnungsgemäßer Beleuchtung) in gleicher Weise und mit gleich schweren Folgen eingetreten wäre, kann den Feststellungen entgegen der Revision nicht entnommen werden. Vielmehr wäre der Auffälligkeitswert des Klägers deutlich gesteigert worden. Ohne entsprechende Beleuchtung war die Sichtbarkeit hingegen nur aus einer Entfernung von unter 50 m gegeben. Die Feststellung, wonach der Beklagtenlenker den Kläger, der während des Abbiegevorgangs 25,8 m bis 49 m zurücklegte, erkennen hätte können, ändert aber nichts daran, dass auf Tatsachenebene letztlich ungeklärt blieb, ob der Beklagtenlenker das Fahrrad bei entsprechender Beleuchtung und damit erhöhter Auffälligkeit vor dem Unfall nicht doch so rechtzeitig wahrgenommen hätte, dass er eine Kollision verhindern hätten können (vgl 2 Ob 120/21t Rz 49).

2. Verschuldensteilung

[14] 2.1 Ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung, bei der im Allgemeinen – von einer krassen Verkennung der Rechtslage abgesehen – eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen ist (RS0087606 [T2]). Eine Ermessensüberschreitung zeigt der Kläger aber nicht auf.

[15] 2.2 Bei der Verschuldensabwägung entscheidet vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs (RS0027389).

[16] Der am Unfall beteiligte Kläger war bei Dunkelheit mit einem Fahrrad unterwegs, das nicht mit einer ordnungsgemäßen Lichtanlage ausgestattet war und bei dem auch die weißen nach vorne wirkenden Rückstrahler sowie die gelben Pedalrückstrahler fehlten. Er hat dadurch die Schutznormen des § 60 Abs 3 StVO und des § 1 Abs 1 Z 3 und 5, Abs 4 FahrradV (BGBl II 146/2001 idF BGBl II 297/2013) verletzt, denen für die Verkehrssicherheit besondere Bedeutung zukommt (RS0027802 [T2]). Der Zweck der für Fahrräder normierten Beleuchtungsvorschriften liegt unter anderem darin, bei Dunkelheit die Wahrnehmbarkeit von Fahrrädern für andere Verkehrsteilnehmer zu erleichtern (RS0027802 [T3]). Da der Kläger das beleuchtete Beklagtenfahrzeug bei Annäherung bereits aus einer Entfernung von 150 m erkennen konnte, steht zwar eine allenfalls relativ überhöhte Geschwindigkeit (44 km/h) nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit einem Verstoß gegen § 20 Abs 1 StVO (RS0073493 [T1]).

[17] Zwar wiegt in der Regel ein Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen über den Vorrang aufgrund der besonderen Wichtigkeit für die Verkehrssicherheit besonders schwer (RS0026775 [T20]). Das bedeutet aber nicht (automatisch), dass jede Verletzung einer Vorrangregel bei der Verschuldensabwägung schwerer ins Gewicht fallen muss als irgend ein anderer Verstoß gegen sonstige Verkehrsvorschriften (RS0026775 [T1]).

[18] So ging der Oberste Gerichtshof bereits bei einer Vorrangverletzung gegenüber einem bei Dunkelheit und Nebel unbeleuchteten Moped von gleichteiligem Verschulden aus (2 Ob 107/82 = ZVR 1983/136). Die vom Kläger ins Treffen geführte Entscheidung (8 Ob 185/81 = ZVR 1983/301), bei der der Verstoß gegen die Beleuchtungsvorschriften vernachlässigt wurde, ist bereits deshalb nicht einschlägig, weil der Sachverhalt nicht den Begegnungsverkehr betraf und der Unbeleuchtete trotz leichter Erkennbarkeit nicht wahrgenommen wurde. Im vorliegenden Fall steht aber fest, dass der Kläger auf der gesamten Annäherungsstrecke aufgrund der Unschärfe des Erscheinungsbilds nur schwer identifizierbar und als bewegte Lichtquelle eines Fahrrads kaum erkennbar war. Erst in einem Abstand von unter 50 m vor der Kollisionsstelle hätte der Beklagtenlenker den Kläger (erstmals) als Radfahrer erkennen können. Dem Beklagtenlenker fällt aufgrund der Erkennbarkeit des Klägers zwar eine Vorrangverletzung zur Last (RS0044241). Wenn die Vorinstanzen aber unter Abwägung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu einem gleichteiligen Verschulden gelangten, stellt dies keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar, kommt doch auch den Beleuchtungsvorschriften besondere Bedeutung für die Verkehrssicherheit zu und ist auch oben aufgezeigte Sorglosigkeit des Klägers mit ins Kalkül zu ziehen.

[19] Die Revision des Klägers war daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[20] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, dient der Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (RS0035962).

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