OGH 7Ob49/22i

OGH7Ob49/22i25.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U* H*, vertreten durch die Waitz Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen (restlich) 463.557,18 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2022, GZ 2 R 1/22p‑21, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00049.22I.0525.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] H* S* (in der Folge Betreuer) betreute die Familie der Klägerin zunächst als Außendienstmitarbeiter der Beklagten und in der Folge als selbständiger Versicherungsagent in Versicherungsangelegenheiten. Er war von der Beklagten mit der Versicherungsvermittlung betraut und daher berechtigt, Anträge auf Abschluss, Verlängerung oder Änderung eines Versicherungsvertrags sowie den Widerruf solcher Anträge, während des Versicherungsverhältnisses zu machende Anzeigen der Versicherungsnehmer, Kündigungs‑ und Rücktrittserklärungen oder sonstige Erklärungen der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis betreffend entgegenzunehmen und die von der Versicherung ausgefertigten Versicherungsscheine oder Nachträge an Versicherungsnehmer auszuhändigen. Er verfügte hingegen zu keinem Zeitpunkt über eine Inkassovollmacht der Beklagten und war nicht berechtigt ohne schriftliche Vollmacht Geschäfte für die Beklagte abzuschließen oder Willenserklärungen für sie abzugeben. Die Klägerin schloss mit der Beklagten nur Versicherungsverträge ab, darunter auch fondsgebundene Lebensversicherungen.

[2] Nachdem der Betreuer zunächst die Versicherungsagenden für die Familie der Klägerin abwickelte, bot er ihr in den 1990er‑Jahren auch eine Vermögensanlage an. Er behauptete, es handle sich um eine Veranlagungsform für Mitarbeiter der Beklagten, die auch besonderen Kunden angeboten werden könnesowie weiters, dass diese Veranlagungsform hohe Zinserträge biete und nur über ihn abgeschlossen werden könne. Die Klägerin übergab daraufhin dem Betreuer bei sich zu Hause über einen Zeitraum von rund 20 Jahren größere Bargeldbeträge deren Erhalt der Betreuer zunächst handschriftlich bestätigte. Er sagte ihr, dass im Anschluss daran der Vertrag bei ihm im Sekretariat ausgefertigt würde und übergab der Klägerin Bestätigungen über einen Einmalerlag mit einer regelmäßigen Bindungsdauer von einem Jahr und fixer Verzinsung. Diese Bestätigungen waren teilweise weder gestempelt noch unterschrieben, teilweise gestempelt, aber nicht oder nur vom Betreuer unterschrieben und teilweise mit dessen und einer Fantasieunterschrift versehen. Dafür verwendete der Betreuer das in der Geschäftsstelle der Beklagten aufliegende Briefpapier sowie deren Stempel. Der Betreuer benutzte die ihm von den Kunden ausgehändigten Geldbeträge um Verluste im Zusammenhang mit Aktienspekulationen abzudecken oder von anderen Kunden ausgehändigte „Einmalerläge“ zurückzuzahlen. Die von ihm behauptete Veranlagungsform existierte nicht. Im Juni 2019 wurde der Betreuer dafür (unter anderem) wegen des Verbrechens des schweren Betrugs verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass auch vorsätzliche unerlaubte Handlungen in Erfüllung einer vertraglichen Pflicht in einer dem Schuldner zurechenbaren Weise vom Erfüllungsgehilfen (§ 1313a ABGB) begangen werden können, dass jedoch hiezu ein innerer Sachzusammenhang der schädigenden Handlung des Erfüllungsgehilfen mit der Vertragserfüllung gefordert, also umgekehrt jede Schädigung ausgeschlossen wird, die der Gehilfe dem Gläubiger nur gelegentlich (anlässlich) der Erfüllung zugefügt hat und die einer selbständigen unerlaubten Handlung entsprungen ist. Nur dann, wenn die unerlaubte Handlung des Gehilfen in den Aufgabenbereich eingreift, zu dessen Wahrnehmung er vom Schuldner bestimmt worden ist, hat der Schuldner dafür einzustehen (RS0028626). Diese Grundsätze der Gehilfenhaftung gelten auch für Vertragsgehilfen und Vermittler im vorvertraglichen Bereich, also bei Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten (RS0028857 [T3]; RS0017185; RS0028470). Mit der Haftungsbegrenzung auf vorhersehbare Gefahren soll eine uferlose, unbegrenzte Haftung des Geschäftsherrn für Delikte seines Gehilfen vermieden werden (RS0028517 [T2]).

[4] Ähnliches gilt nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre auch im Anwendungsbereich des § 1315 ABGB, wenn sich der Geschäftsherr einer untüchtigen Person zur Besorgung seiner Angelegenheiten bedient. Da sich die Untüchtigkeit immer nur auf die Besorgung der übertragenen Tätigkeit bezieht, können nur Schädigungen in Ausführung der Besorgung den Geschäftsherrn ersatzpflichtig machen, nicht jedoch jene, die bloß gelegentlich der Besorgung erfolgen (RS0029001 = 8 Ob 81/83 = ZVR 1985, 85; 1 Ob 687/86; Koziol, Haftpflichtrecht II3 D 3 Rz 28; Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.08 § 1315 Rz 18; Huber in Schwimann/Neumayr, ABGB‑TaKom5 § 1315 ABGB Rz 4; Reischauer in Rummel 3 § 1315 ABGB Rz 7).

[5] Die mitunter schwierige Abgrenzungsfrage, ob der Gehilfe „bei der Erfüllung“ bzw „bei der Besorgung“ der Angelegenheiten des Geschäftsherrn oder bloß „gelegentlich“ der Erfüllung bzw Besorgung handelte, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass eine erhebliche Rechtsfrage nur dann vorliegt, wenn aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts korrigiert werden müsste (vgl 3 Ob 283/06y).

[6] 1.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach weder eine Haftung nach § 1313a ABGB noch nach § 1315 erster Fall ABGB besteht, bedarf keiner Korrektur, ist doch weder aus dem Umstand, dass der Unternehmensgegenstand der Beklagten neben dem Betrieb der Versicherung auch die Vermittlung, Anschaffung und Veräußerung von Wertpapieren umfasst, noch aus der Tatsache, dass die Klägerin auch fondsgebundene Lebensversicherungsverträge abschloss, ableitbar, dass die Beklagte den Betreuer mit der Anlageberatung oder der Entgegennahme von Kundengeldern für Anlagegeschäfte betraut hätte. Vielmehr steht fest, dass sich die Beklagte des Betreuers ausschließlich zum Zweck der Vermittlung von Versicherungsverträgen sowie der Entgegennahme bestimmter mit dem Versicherungsverhältnis zusammenhängender Erklärungen bediente, der Betreuer über keine Inkassovollmacht verfügte und die Klägerin mit der Beklagten nur Versicherungsverträge abschloss. Damit ist die Rechtsansicht, es fehle am notwendigen inneren Zusammenhang sowohl mit der Erfüllung als auch mit der Besorgung der Angelegenheiten der Beklagten, sodass im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben könne, ob § 1315 erster Fall ABGB im Fall des Vorliegens einer Sonderverbindung überhaupt anwendbar sei, nicht korrekturbedürftig (dagegen etwa 6 Ob 137/02v; dafür etwa Reischauer in Rummel 3 § 1313a Rz 25; Koziol, ÖBA 2007, 744 [746]).

[7] 2.1. Eine Anscheinsvollmacht (= Vollmacht wegen Vertrauens auf den äußeren Tatbestand) setzt voraus, dass Umstände vorliegen, die geeignet sind, im Dritten den begründeten Glauben an die Berechtigung des Vertreters zum Abschluss des beabsichtigten Geschäfts zu erwecken (RS0019609). Um Vertretungsmacht begründen zu können, muss der „äußere Tatbestand“ vom Vertretenen selbst geschaffen sein (RS0020145). Die Beurteilung von Bestand und Reichweite einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht stellt typischerweise eine Einzelfallbeurteilung dar (RS0020145 [T15 und T17]). Der Oberste Gerichtshof sprach bereits aus, dass die Verwendung von Geschäftspapier und Geschäftsstampiglie oder Telefax durch einen Bankangestellten nicht für die Annahme ausreicht, dass dieser zum Abschluss jeden Geschäfts bevollmächtigt sei, das sich dem Betriebsgegenstand zuordnen lässt (7 Ob 705/84; 5 Ob 527/90). Wäre dem so, so bedeutete dies eine Haftung der Bank für alle Handlungen ihrer Angestellten schlechthin, seien sie dazu befugt oder nicht. Gerade im Bankbereich besteht ein System abgestufter Ermächtigungen an die an sich nicht vertretungsbefugten Mitarbeiter, selbst für den Leiter einer Filiale (8 Ob 86/20k mwN).

[8] 2.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, diese Judikatur könne sinngemäß im Versicherungsbereich angewendet werden, sodass die Verwendung des Briefpapiers und von Stempeln der Beklagten, einer Visitenkarte und E‑Mail‑Signatur mit dem Hinweis „Versicherungsagentur der Beklagten“ und „Filialdirektor“, einer E‑Mail‑Adresse mit der Domain der Beklagten sowie eines Büros im Gebäude der Beklagten mit der Aufschrift „Filialdirektor“, nicht ausreichen, um bei der Klägerin den begründeten Glauben an die Berechtigung des Betreuers zur Anlageberatung oder zur Entgegennahme von Kundengeldern für Anlagegeschäfte hervorzurufen, ist nicht korrekturbedürftig.

[9] 2.3. Da nicht entscheidend ist, welchen Eindruck die Klägerin betreffend die Befugnis des Betreuers hatte, sondern Umstände vorliegen müssen, die geeignet sind, im Dritten den begründeten Glauben an die Berechtigung des Vertreters zu erwecken (RS0019609), und die Klägerin weiters nicht darlegt, durch welche konkreten Umstände die Beklagte den Anschein erweckt habe, dass der Betreuer für sie umfassend vertretungsbefugt sei, liegen auch die behaupteten sekundären Feststellungsmängel nicht vor.

[10] 3. Die Behauptung, die Beklagte schulde den eingeklagten Betrag auch nach § 45 Abs 2 VersVG stellt die Klägerin in der Revision erstmals auf; dass sie ihren Anspruch in erster Instanz auf jeden erdenklichen Rechtsgrund gestützt hat, reicht ohne Behauptung der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht aus (vgl RS0037591). Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, warum diese Bestimmung hier als Anspruchsgrundlage geeignet sein soll.

[11] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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