OGH 12Os14/22h

OGH12Os14/22h28.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher in der Strafsache gegen * L* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 27. September 2021, GZ 79 Hv 33/21s‑56, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00014.22H.0428.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * L* mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./1./), je eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (I./2./) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (II./) sowie jeweils mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III./) und des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.

Danach hat er in K*

[2] I./ mit der unmündigen, nämlich am * 2004 geborenen X* W*

[3] 1./ von Anfang 2013 bis Ende 2015 in wiederholten Angriffen dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er sie vaginal digital penetrierte;

[4] 2./ am 16. Juni 2016 den Beischlaf unternommen, indem er sie vaginal mit seinem erigierten Penis penetrierte, wodurch X* W* eine an sich schwere Körperverletzung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, erlitt;

[5] II./ am 16. Juni 2016 bei der zu I./2./ beschriebenen Tathandlung X* W* mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie bei den Handgelenken erfasste, auf das Bett drückte und festhielt;

[6] III./ durch die zu I./1./ und I./2./ beschriebenen Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen X* W* mit dieser geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

[7] IV./ von Anfang 2010 bis Dezember 2016 den nachgenannten Personen, die seiner Obhut unterstanden und das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, körperliche und seelische Qualen zugefügt, und zwar

[8] 1./ der am * 2004 geborenen X* W* durch „wiederholtes Versetzen von Schlägen“ gegen ihr Gesicht, wiederholtes Auswaschen ihres Mundes mit einer Kiwi‑Seife, häufiges Beschimpfen und Anschreien und indem er sie wiederholt zu Boden drückte, festhielt und ihr Gesicht bespuckte;

[9] 2./ der am * 2001 geborenen C* W* durch wiederholtes Auswaschen ihres Mundes mit einer Kiwi‑Seife, häufiges Beschimpfen und Anschreien und indem er sie wiederholt dadurch bestrafte, dass er sie veranlasste, drei Stunden in der Ecke zu stehen oder sie unter die eiskalte Dusche stellte sowie sie im März 2016 an ihrem Hals erfasste, hochhob und gegen die Wand drückte.

Rechtliche Beurteilung

[10] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, „9a“ und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[11] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung (ON 55 S 21 f) der nachangeführten Beweisanträge (ON 55 S 19 f) Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.

[12] Der Antrag auf Vernehmung des Zeugen * F* zum Beweis dafür, dass der Angeklagte X* W* am 16. Juni 2016 nicht vergewaltigt oder missbraucht habe, weil der Genannte „gemeinsam mit dem Angeklagten am 16. Juni 2016 den Tag bzw den Nachmittag verbracht“ habe, ließ nicht erkennen, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse. Vielmehr wäre darzulegen gewesen, warum sich der beantragte Zeuge an einen mehr als fünf Jahre zurückliegenden Tag konkret und lückenlos erinnern sollte (vgl RIS‑Justiz RS0118444 [insbesondere T9]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330 ff).

[13] Der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung der Polizeibeamtin * T* zum Beweis dafür, dass einzelne „Behauptungen frei erfunden“ seien, weil das Opfer in seiner kontradiktorischen Vernehmung angegeben habe, im Rahmen der polizeilichen Vernehmung gegenüber der Genannten Angaben gemacht zu haben, die diese „mutwillig nicht in das Protokoll aufgenommen“ und wonach diese „die Aussage eigenmächtig verändert“ habe, geht schon deshalb ins Leere, weil er nicht aktenkonform argumentiert (vgl die Protokolle über die kontradiktorische Vernehmung ON 10 und 14).

[14] Soweit der Antrag auf Vernehmung fünf näher bezeichneter Zeugen zum Beweis dafür gestellt wurde, dass das Opfer keine Angst vor dem Angeklagten gehabt habe, ihm sogar „zugewandt“ gewesen sei und seine Aufmerksamkeit gesucht habe, zielte er nicht auf die Klärung für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage erheblicher Umstände (RIS-Justiz RS0118319).In Ansehung des Beweisthemas, dass die Anschuldigungen des Opfers frei erfunden seien und der Angeklagte es „weder sexuell missbraucht noch vergewaltigt noch misshandelt“ habe, ließ der Antrag erneut nicht erkennen, warum die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS‑Justiz RS0118444).

[15] Der Antrag auf Beischaffung der Klassenbücher der Volksschule bzw der Mittelschule * und (in eventu) Vernehmung der Direktorin der genannten Volksschule zum Beweis dafür, dass das Opfer entgegen seiner Aussage in der kontradiktorischen Vernehmung im Zeitraum von 2010 bis 2016 durchgehend die Schule besucht habe, zielte nicht auf den Nachweis eines schuld‑ oder subsumtionserheblichen Umstands (vgl im Übrigen ON 55 S 21 f).

[16] Soweit dieser Beweisantrag allerdings ersichtlich darauf gerichtet war, die Glaubwürdigkeit des Opfers zu erschüttern, war er grundsätzlich auf erhebliche Tatsachen gerichtet, weil die Beweisführung zur Beweiskraft von – wie hier – schulderheblichen Beweismitteln ihrerseits für die Schuldfrage von Bedeutung ist (RIS‑Justiz RS0028345; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 340, 350).

[17] Berechtigt ist ein solcher Antrag aber nur dann, wenn sich aus dem Antragsvorbringen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, der betreffende Zeuge habe in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt, wenn also etwa dargetan wird, dass der Zeuge rechtskräftig wegen Verleumdung verurteilt worden ist, zum konkreten Verfahrensgegenstand bereits falsche Angaben gemacht hat oder eine habituelle Falschbezichtigungstendenz erkennen lässt (RIS‑Justiz RS0120109). Diesen Erfordernissen wird der gegenständliche Beweisantrag nicht gerecht.

[18] Die beantragte Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens über die Erlebnisbasiertheit der Angaben der X* W* durfte schon deshalb unterbleiben, weil vom Antragsteller nicht einmal behauptet wurde, dass die Genannte und deren gesetzliche Vertreter die erforderliche Zustimmung zu einer Exploration erteilt hätten oder erteilen würden (RIS‑Justiz RS0118956 [T3 und T4], RS0098015 [T3]).

[19] Das die Anträge jeweils ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).

[20] Die Mängelrüge zum Schuldspruch IV./1./ behauptet Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) und das Vorliegen eines Widerspruchs (Z 5 dritter Fall) in Bezug auf die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5) und deren Referat im Erkenntnis (§ 270 Abs 2 Z 4 [§ 260 Abs 1 Z 1] StPO). Denn dem Angeklagten werde im Urteilstenor(US 2) das wiederholte Versetzen von Schlägen ins Gesicht der X* W* angelastet, während er der Genannten nach den Feststellungen zur objektiven Tatseite lediglich ein Mal im Jahr 2010 ins Gesicht geschlagen habe (US 4). Nach den Feststellungen zu subjektiven Tatseite hinwieder seisein Vorsatz auf das wiederholte Versetzen von Schlägen gerichtet gewesen (US 4).

[21] Sie verfehlt schon deshalb ihr Ziel, weil aus Z 5 nur Widersprüche in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen von Bedeutung sind (RIS‑Justiz RS0117499), wovon hier angesichts der Vielzahl der – unbekämpft gebliebenen – festgestellten weiteren Tathandlungen (US 4) keine Rede sein kann.

[22] Die Tatsachenrüge (Z 5a) weckt mit dem Hinweis auf die Aussage des als Zeugen vernommenen Psychologen Dr. P* wonach er während des Tatzeitraums bei X* W* keine Wahrnehmungen oder Hinweise zu einem allfälligen sexuellen Missbrauch oder auf weitere Misshandlungen gemacht habe, beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen.

[23] Vielmehr bekämpft der Beschwerdeführer mit eigenen Beweiswerterwägungen zur Aussage dieses Zeugen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.

[24] Die Rechtsrüge („Z 9a“) zum Schuldspruch III./ vermisst Feststellungen dazu, ob sich X* W* (auch) bei den Übergriffen am Nachmittag schlafend stellte. Sie leitet jedoch nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565), weshalb die von der Beschwerde ausdrücklich angeführten Feststellungen, wonach das (damit begriffsnotwendig nicht schlafende) Opfer „erstarrt vor Angst“ war (US 5) und der Angeklagte seine Stellung als Aufsichtsperson ihm gegenüber bewusst und gewollt missbrauchte, um die urteilsgegenständlichen geschlechtlichen Handlungen mit diesem vorzunehmen (US 6), für die rechtsrichtige Subsumtion nach § 212 Abs 1 StGB nicht ausreichen sollten.

[25] Die Subsumtionsrüge (Z 10) zum Schuldspruch II./ vermisst Feststellungen, wonach sich der Vorsatz des Angeklagten auch auf die fehlende Einwilligung der X* W* bezogen habe. Damit orientiert sie sich prozessordnungswidrig nicht an den Urteilsannahmen (RIS‑Justiz RS0099810), wonach der Angeklagte bewusst und gewollt Gewalt einsetzte, um den für ihn zu erwartenden Widerstand des Opfers gegen die von ihm gewollte Vornahme des Beischlafs zu überwinden und es zur Duldung des Beischlafs zu nötigen (US 5 f).

[26] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO zurückzuweisen.

[27] Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt – wie auch die Generalprokuratur aufzeigt – hinzuzufügen:

[28] Zum Schuldspruch wegen des Verbrechens der Vergewaltigung (II./) ist das Tatzeitrecht (§ 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116) günstiger (§ 61 StGB) als das vom Erstgericht angewendete Urteilszeitrecht (§ 201 Abs 1 StGB idgF). Da der Strafsatz des § 201 Abs 1 StGB hier aber für die Strafrahmenbildung nicht von Bedeutung ist, bestand diesbezüglich kein Anlass zu einem Vorgehen gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 f).

[29] Die zum Schuldspruch III./ getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte die Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung als Aufsichtsperson des minderjährigen Opfers setzte (US 6, 12), sind rechtsrichtig § 212 Abs 1 Z 2 StGB und nicht der vom Erstgericht verfehlt angenommenen (rechtlich gleichwertigen: vgl Philipp inWK2 StGB § 212 Rz 2) Z 1 des § 212 Abs 1 StGB zu subsumieren.

[30] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO), das aufgrund der Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof an die aufgezeigten Rechtsfehler nicht gebunden ist (RIS-Justiz RS0118870).

[31] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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