OGH 1Ob179/21m

OGH1Ob179/21m25.1.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* GmbH, *, vertreten durch Dr. Harald Friedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J.*gesm.b.H., *, vertreten durch Mag. Andreas Fehringer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die außerordentliche Revision derklagenden Partei gegen dasUrteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. Mai 2021, GZ 39 R 71/21m‑24, mit dem dasUrteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 25. Jänner 2021, GZ 9 C 290/19h‑20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00179.21M.0125.000

 

Spruch:

 

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden in der Hauptsache dahin abgeändert, dass Punkt 3 des erstinstanzlichen Urteils ersatzlos entfällt und dessen Punkt 2 wie folgt lautet:

„Es wird festgestellt, dass kein wirksames Mietverhältnis zwischen den Streitteilen über die auf der Nordseite des auf der Liegenschaft KG *, EZ *, errichteten Gebäudes gelegene und als Werbefläche genutzte Feuermauer aufgrund des von der S*gesellschaft m.b.H. (FN *) mit der Beklagten abgeschlossenen Mietvertrags vom 27. 6. 2001 besteht“.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.459,89 EUR (darin 328,55 EUR USt und 488,60 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Mehrheitseigentümerin einer zunächst im schlichten Miteigentum stehenden Liegenschaft schloss 1997 mit der Beklagten einen Mietvertrag auf unbestimmte Zeit über eine an einer Feuermauer des darauf errichteten Mehrparteienhauses befindliche Werbefläche („Schaufläche“). Der Vertrag enthielt einen fünfjährigen Kündigungsverzicht des Vermieters. Am 27. 6. 2001 schloss diese Mehrheitseigentümerin mit der Beklagten einen weiteren unbefristeten Mietvertrag über diese Fläche mit einem 20‑jährigen Kündigungsverzicht. Die Zustimmung der anderen Miteigentümer wurde nicht eingeholt.

[2] Die Klägerin erwarb 2003 über eine „Verkäuferkette“ von der Mehrheitseigentümerin Miteigentumsanteile an der Liegenschaft. Die Grundbuchseintragung erfolgte im Jänner 2004. Die Klägerin wurde dadurch Minderheitseigentümerin der Liegenschaft. 2011 schrieb sie der Beklagten einen monatlichen Mietzins für die Werbefläche vor. Die Bezahlung erfolgte an einen von der Klägerin beauftragten Rechtsanwalt, der die bezahlten Beträge „treuhändig verwahrte“. Zwischen 2015 und 2017 unterzeichneten sämtliche damaligen Miteigentümer der Liegenschaft einen Wohnungseigentumsvertrag. Darin wurde der Klägerin die „Feuermauer Schaufläche“ als (Zubehör‑)Wohnungseigentumsobjekt zur ausschließlichen Nutzung zugewiesen. Die Einverleibung des Wohnungseigentums der Klägerin erfolgte am 13. 6. 2017. An diesem Tag teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass „zwischen“ dieser und der ursprünglichen Mehrheitseigentümerin der Liegenschaft kein Mietverhältnis zustandegekommen sei und daher auch kein solches zur Klägerin bestehe. „Aus Vorsicht“ kündigte sie einen allenfalls bestehenden Mietvertrag per 1. 10. 2017 bzw 1. 1. 2018 und ersuchte die Beklagte, keine Zahlungen mehr an den erwähnten Rechtsanwalt zu leisten.

[3] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass beide (1997 und 2001) von der damaligen Mehrheitseigentümerin mit der Beklagten abgeschlossenen Mietverträge unwirksam seien. Hilfsweise zu ihrem – auf den Mietvertrag aus 2001 bezogenen – zweiten Feststellungsbegehren begehrt sie die Feststellung, dass zwischen den Parteien seit 1. 10. 2017 bzw 1. 1. 2018 „kein Mietverhältnis mehr“ bestehe.

[4] Das Erstgericht gab dem ersten – auf den Mietvertrag aus 1997 bezogenen – Feststellungsbegehren statt und wies das zweite Feststellungsbegehren sowie das dazu erhobene Eventualbegehren ab. Der klagestattgebende Teil des Ersturteils erwuchs in Rechtskraft.

[5] Das Berufungsgericht gab der gegen die Abweisung des zweiten – auf den Mietvertrag aus 2001 bezogenen – Feststellungsbegehrens sowie des dazu erhobenen Hilfsbegehrens gerichteten Berufung der Klägerin nicht Folge. Es ging davon aus, dass der 2001 von der damaligen Mehrheitseigentümerin mit der Beklagten abgeschlossene Mietvertrag über die Werbefläche aufgrund des unüblich langen Kündigungsverzichts der Vermieterin nicht in den Bereich der ordentlichen Verwaltung der Liegenschaft falle und daher nur mit Zustimmung sämtlicher Miteigentümer wirksam abgeschlossen werden hätte können. Da eine solche nicht eingeholt worden und keine Grundlage für eine alleinige „Verfügungsbefugnis“ der Mehrheitseigentümerin ersichtlich sei, seien die übrigen Miteigentümer der Liegenschaft durch diesen Vertrag nicht gebunden worden. Die Beklagte habe die vermietete Werbefläche ihnen gegenüber daher titellos benützt. Die ursprüngliche Mehrheitseigentümerin sei hingegen an den Vertrag gebunden. Da die Klägerin ihre Berechtigung von dieser ableite und „bis 2018“ von der Beklagten Mietzinszahlungen „in welcher Form auch immer“ angenommen habe, „könne sie sich gegenüber dieser nicht auf die Unwirksamkeit des Mietvertrags aus dem Jahr 2001 stützen, möge sie vorerst auch nicht alleinige Vermieterin der Werbefläche gewesen sein“. Mit Eintragung ihres Wohnungseigentums (unter anderem) an der Werbefläche sei die Klägerin aufgrund der in § 4 WEG angeordneten gesetzlichen Vertragsübernahme „vollumfänglich“ (also auch hinsichtlich der darin enthaltenen Kündigungsbeschränkung) an diesen Mietvertrag gebunden. Die ordentliche Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch zulässig (§ 502 Abs 5 Z 2 ZPO) und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Bei einer im schlichten Miteigentum stehenden Liegenschaft stellt sich die Frage, wer zum Abschluss eines Mietvertrags mit Wirkung für alle Miteigentümer befugt ist, die nach den Regeln der Verwaltung des Miteigentums (§§ 833 ff ABGB) sowie des Stellvertretungsrechts zu beantworten ist.

[8] 2. Die Vermietung einer im Miteigentum stehenden Liegenschaft oder von Teilen einer solchen Liegenschaft zu ortsüblichen Bedingungen ist grundsätzlich eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung (RIS‑Justiz RS0013564 [T1, T3, T9]). Die Vereinbarung unüblicher Bedingungen – insbesondere einer nicht ortsüblichen Vertragsdauer – betrifft hingegen die außerordentliche Verwaltung (vgl RS0013584; RS0013564 [T8]). In der Rechtsprechung wurden etwa ein Kündigungsverzicht auf Lebenszeit des Mieters (6 Ob 69/98k mwN) oder die Verlängerung eines auf 10 Jahre abgeschlossenen Bestandvertrags auf unbestimmte Zeit bei gleichzeitigem Kündigungsverzicht (2 Ob 582/87) als unüblich angesehen. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach der hier zu beurteilende Kündigungsverzicht für 20 Jahre (bei einer Werbefläche) unüblich sei und dessen Vereinbarung daher eine „wichtige Veränderung“ im Sinn des § 834 ABGB darstelle, ist der weiteren Beurteilung auch deshalb zugrundezulegen, weil die Beklagte dem Standpunkt der Klägerin, wonach der 2001 erfolgte Abschluss des Mietvertrags wegen der darin enthaltenen Kündigungsbeschränkung eine „außerordentliche Verwaltungsmaßnahme“ dargestellt habe, zu der keine „Verfügungsbefugnis“ der damaligen Mehrheitseigentümerin bestanden habe, nicht entgegentrat. Auch ihre Revisionsbeantwortung enthält dazu keine Ausführungen. Für diese Rechtsansicht spricht auch die Erwägung, dass schwer absehbar war, wie sich die Nachfrage – und damit der Preis – für derartige Werbemöglichkeiten in diesem langen Zeitraum entwickeln würde.

[9] 3. Die Vertretungsbefugnis der Mehrheit der Miteigentümer erstreckt sich nur auf die Fälle der ordentlichen Verwaltung, nicht hingegen auf wichtige Veränderungen im Sinn des § 834 ABGB (vgl RS0013446; RS0013561 [T1] = 8 Ob 680/90; RS0013665 [T13] = 6 Ob 236/00z). Letztere bedürfen entweder der Einstimmigkeit oder der Einhaltung der Vorschriften des § 835 ABGB (vgl RS0013692; RS0013665; RS0013671; RS0013223 [T2] = 5 Ob 2148/96k). Ein sämtliche Miteigentümer bindender Abschluss des zweiten Mietvertrags (im Jahr 2001) mit der Beklagten allein durch die damalige Mehrheitseigentümerin wäre daher nur mit Zustimmung aller anderen Miteigentümer oder – wenn diese nicht erlangt werden hätte können und die übrigen Miteigentümer nicht im Sinn des § 835 erster Teilsatz ABGB austreten hätten wollen – mit Genehmigung des Außerstreitgerichts möglich gewesen (RS0013665 [insb T4, T14]). Weitere Voraussetzung wäre gewesen, dass überhaupt ein gültiger Mehrheitsbeschluss vorliegt, was erfordert hätte, dass der Minderheit Gehör eingeräumt worden wäre (vgl 6 Ob 236/00z; 3 Ob 144/08k; 1 Ob 207/14v). Wäre dies nicht der Fall gewesen, läge kein wirksamer Beschluss der Mehrheit vor, weil den übrigen Miteigentümern zumindest die Gelegenheit gegeben werden muss, zum Vorhaben des Mehrheitseigentümers Stellung zu nehmen (und ihn allenfalls davon abzubringen). Die sich daraus ergebende Unwirksamkeit der Willensbildung bestünde auch gegenüber dem Dritten (hier der Beklagten) und der mit ihm (ihr) geschlossene Vertrag wäre daher ungültig (vgl 1 Ob 207/14v; RS0013692 [T7, T8]; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas 4 § 834 ABGB Rz 13 mwN).

[10] 4. Die Beklagte behauptete gar nicht, dass die übrigen Miteigentümer dem zweiten Vertragsabschluss zugestimmt hätten. Dies ergibt sich auch nicht aus den dem Berufungsurteil zugrundegelegten Feststellungen, vielmehr ging das Berufungsgericht von einer „überstimmten Minderheit“ aus, allerdings ohne dass eine Konsultation der übrigen Miteigentümer feststünde. Somit kam 2001 kein wirksamer Mietvertrag zwischen der Beklagten und den Miteigentümern der Liegenschaft zustande. Dem auf die Feststellung des Nichtbestehens eines sich aus diesem Vertrag ergebenden Mietverhältnisses bezogenen (zweiten) Feststellungsbegehren – das sich nach dem Klagevorbringen zweifellos auf ein sämtliche Miteigentümer bindendes Mietverhältnis und nicht auf eine bloß für die ursprüngliche Mehrheitseigentümerin wirkende Vereinbarung bezieht – kommt daher Berechtigung zu. Dass dieses nach seinem Wortlaut auf die Feststellung der „Unwirksamkeit des Mietvertrags“ gerichtet ist, was als Vorfrage für die Beurteilung des (Nicht‑)Bestehens eines Rechts oder Rechtsverhältnisses nicht feststellungsfähig wäre (RS0038804), schadet nicht, weil das Begehren unter Berücksichtigung des Klagevorbringens dahin zu verstehen ist, dass die Feststellung des Nichtbestehens des von der Beklagten aus dieser Vereinbarung abgeleiteten Mietrechts angestrebt wird.

[11] 5. Welche konkreten rechtlichen Erwägungen das Berufungsgericht mit seinen Ausführungen, die Klägerin könne der Beklagten die Unwirksamkeit des Mietvertrags aus 2001 nicht entgegenhalten, weil sie von ihr (teilweise über ihren Rechtsanwalt) über Jahre hinweg Mietzinse entgegengenommen und ihr diese teilweise auch vorgeschrieben habe, zum Ausdruck bringen wollte, ist unklar. Sollte das Berufungsgericht von einer schlüssigen Genehmigung des mangels Zustimmung sämtlicher Miteigentümer unwirksamen Mietvertragsausgegangen sein, wäre eine solche für die übrigen Miteigentümer nicht bindend gewesen. Dass der Klägerin die „Werbefläche“ von sämtlichen Miteigentümern schon vor Wohnungseigentumsbegründung zur ausschließlichen Benützung überlassen worden wäre, sodass sie mit ihrem Handeln auch die anderen Miteigentümer verpflichten hätte können (vgl RS0042537), ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht. Vielmehr ging schon das Erstgericht unbekämpft davon aus, dass an der allenfalls als Benützungsvereinbarung zu qualifizierenden Vereinbarung aus dem Jahr 1997 nicht alle damaligen Miteigentümer beteiligt waren. Ein von der Klägerin (durch schlüssiges Verhalten) selbst begründetes Mietverhältnis ist nicht Gegenstand des Begehrens.

[12] 6. Dem in dritter Instanz verbliebenen Hauptbegehren ist somit entgegen der Ansicht der Vorinstanzen mit der Maßgabe Folge zu geben, dass dem Urteilsspruch eine dem erkennbar verfolgten Rechtsschutzziel entsprechende Formulierung gegeben wird (RS0038852). Auf das weitere Begehren, das sich auf die Beendigung eines auf die Klägerin übergegangenen Vertragsverhältnisses bezieht, aber nur eventualiter erhoben wurde, muss aufgrund des erfolgreichen Hauptbegehrens nicht eingegangen werden.

[13] 7. Die aufgrund der Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen für alle drei Instanzen neu zu fassende Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 und 41 ZPO.

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