OGH 8Ob680/90

OGH8Ob680/9020.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Graf und Dr. Jelinek als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing. Dr. Hans Helmut W***, Hotelier, 8020 Graz, Grieskai 14, vertreten durch Dr. Gerald Kleinschuster, Dr. Hans Günther Medwed und Dr. Gerhard Hackenberger, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Elfriede H***, Pensionistin, 8010 Graz, Grillparzerstraße 50, vertreten durch Dr. Ilse Grossauer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes

f. ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 6. Juni 1990, GZ 3 R 169/90-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes f. ZRS Graz vom 12. März 1990, GZ 5 C 307/89x-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

In Abänderung der Urteile der Vorinstanzen wird das Klagebegehren, "die Aufkündigung vom 13. Juni 1989 werde für wirksam erklärt: die Beklagte sei schuldig, die im Hause

Grieskai 16/Orient.Nr.Arche Noah 1, im 2. Stock rechts gelegene Wohnung, bestehend aus einer Küche, 2 Zimmern samt Zubehör (72 m2) zu räumen und dem Kläger von ihren Fahrnissen geräumt zu übergeben," abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit

S 16.062,-- bestimmten Verfahrenskosten (einschließlich S 2.000,-- Pauschalkosten und S 2.343,60 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Mehrheitseigentümer der Liegenschaft EZ 12, KG 63105 Gries, mit dem Haus Grieskai 16 in Graz. Die Beklagte ist Mieterin der aus Küche, zwei Zimmern und Zubehör bestehenden Wohnung im zweiten Stock dieses Hauses. Sie war seinerzeit Miteigentümerin der Liegenschaft, übertrug jedoch mit dem Kaufvertrag vom 14. Juli 1988 ihre 9081/23040-Anteile ihrem Neffen Mag. Norbert H***. Mit der am 15. Juni 1989 der Beklagten zugestellten Aufkündigung kündigte der Kläger das Bestandverhältnis zum 31. Juli 1989 unter Geltendmachung der Kündigungsgründe des § 30 Abs. 1 und Abs. 2 Z 6 MRG auf. Er führte aus, daß die Beklagte im Sommer oder Herbst 1988 aus Alters- und Gesundheitsgründen ihre Wohnung unter Entfernung aller wesentlichen Einrichtungsgegenstände verlassen und ihren ständigen Aufenthalt im "Lamberg'schen Seniorenheim" in der Grillparzerstraße 50 genommen habe. Die aufgekündigte Wohnung diene daher nicht mehr zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses der Beklagten.

Die Beklagte erhob gegen die Aufkündigung Einwendungen. Sie bestritt die Aktivlegitimation des Klägers, weil für die Liegenschaft ein gemeinsamer Verwalter bestellt und daher keiner der Miteigentümer berechtigt sei, selbständig Verwaltungshandlungen vorzunehmen. Die Kündigung des Mietverhältnisses laufe als wichtige Veränderung den berechtigten Interessen der Miteigentumsgemeinschaft zuwider. Im Übergabsvertrag habe sich die Beklagte die Weiterbenützung der Wohnung ausbedungen und der Übernehmer habe ihr ausdrücklich zugesichert, den Fortbestand ihrer Mietrechte zu sichern. Die Beklagte habe sich lediglich nach einer bei einem Sturz erlittenen Fußverletzung zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit in das Lamberg'sche Stiftungshaus begeben, ohne die aufgekündigte Wohnung geräumt zu haben. Sie halte sich fallweise auch dort auf und habe die konkrete Absicht, in einigen Monaten wieder ganz in diese Wohnung zurückzukehren; ihr Neffe werde dann ihre Betreuung übernehmen. Mag. H*** habe ihr die Benützung der Wohnung bis zu ihrem Ableben zugesagt; dagegen habe der Kläger nichts eingewendet. Es liege daher auch ein Kündigungsverzicht vor.

Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung als wirksam und verurteilte die Beklagte zur Räumung des Bestandobjektes. Es traf - zusammengefaßt dargestellt - folgende Feststellungen:

Die Beklagte wohnt seit dem Jahr 1939 in der genannten Wohnung. Im Jänner 1988 begab sie sich wegen eines Fußleidens zu einem einmonatigen Aufenthalt in das Sanatorium Novi in St. Radegund, kehrte sodann für einige Tage in die Wohnung zurück und begab sich anschließend in das Krankenhaus der Elisabethinen, wo sie etwa einen Monat lang blieb. Am 21. März 1988 zog sie im "Lamberg'schen Frauenheim" in Graz, Grillparzerstraße 50 ein und hielt sich dort bis zu einem Aufenthalt im LKH Graz im Dezember 1988 auf. Nachdem die Beklagte im Anschluß an diesen Krankenhausaufenthalt etwa 14 Tage während der Weihnachtszeit in Anger verbracht hatte, kehrte sie in das Frauenheim zurück und hält sich dort nach wie vor auf. Sie bewohnt dort ein Zimmer, das zumindest teilweise möbliert war. Aus der Wohnung am Grieskai ließ sie sich noch zwei Kästen, einen Tisch mit Sesseln, ein Ladenkästchen, einen Frisiertisch und einen Liegestuhl bringen. Im Frauenheim wird die Beklagte regelmäßig verpflegt. Sie kann jetzt wieder mit zwei Stützen gehen; eine Besserung ihrer Gehfähigkeit ist im Sommer 1989 eingetreten. In dem Heim ist ein Lift vorhanden.

Die aufgekündigte Wohnung, in der die Beklagte zuletzt allein lebte, ist derzeit nur mit Kohle beheizbar. Die Beklagte ist aber nicht mehr in der Lage Kohle aus dem Keller in ihre Wohnung zu tragen. Der in dieser Wohnung befindliche Gasherd ist nicht mehr funktionsfähig. Im Haus Grieskai 16 besteht kein Lift. die Beklagte war von November 1988 bis 16. November 1989 nicht in ihrer Wohnung; an diesem Tag half ihr Mag. H*** hinauf. Die Beklagte beabsichtigt, "vielleicht im nächsten Jahr", aber nicht vor dem Sommer 1990 in die Wohnung zurückzukehren.

Der Neffe der Beklagten, Mag. Norbert H***, ist inzwischen bücherlicher Eigentümer der von der Beklagten erworbenen Miteigentumsanteile geworden. Der Kläger hat sich gegenüber dem mit der Verwaltung des Hauses betrauten "Unternehmen" den Abschluß und die Aufkündigung von Mietverträgen vorbehalten.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß gemäß § 833 ABGB in Angelegenheiten des gemeinsamen Eigentums, welche die ordentliche Verwaltung betreffen, wozu die Aufkündigung eines Mietverhältnisses gehöre, die Mehrheit entscheide. Wenn für eine im gemeinsamen Eigentum stehende Liegenschaft ein Verwalter bestellt ist, könne die Mehrheit gemäß § 836 ABGB beschließen, die Verwaltung oder Teile derselben sich selbst vorzubehalten. Da der Kläger Mehrheitseigentümer sei, stehe es ihm frei, die Befugnisse des Verwalters einseitig zu beschränken und sich den Abschluß und die Aufkündigung von Mietverträgen vorzubehalten. Seine Klagelegitimation sei daher gegeben. Die Zusicherung des Minderheitseigentümers gegenüber der Mieterin, ihr den Fortbestand ihrer Mietrechte zu gewährleisten und die Benützung der Wohnung bis zu ihrem Ableben zu ermöglichen, könne auf das vorliegende Verfahren keinen Einfluß haben. Es sei nicht zu erwarten, daß die Beklagte in ihre für sie unbequeme alte Wohnung in absehbarer Zeit zurückkehren werde. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG sei daher verwirklicht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge.

Es stellte ergänzend fest:

Im Kaufvertrag zwischen der Beklagten und Mag. Norbert H*** vom 14. Juli 1988 wurde unter anderem vereinbart:

".... Die Vertragsteile sind übereingekommen, daß die Verkäuferin, auch wenn sie sich im Krankenhaus oder Altersheim aufhalten sollte, bis zu ihrem Ableben Mieterin dieser Wohnung bleibt, wobei der Käufer sich verpflichtet, die von der Hausverwaltung für diese Wohnung allmonatlich vorgeschriebenen Mieten, eventuelle Erhaltungs- oder Reparaturkosten, Betriebskosten, Verwaltungsgebühren etc., zur Gänze zu tragen bzw. der Verkäuferin zu ersetzen, sodaß ihr die zu § 2 Punkt 1. vereinbarte monatliche, wertgesicherte Leibrente von S 5.000,-- unverkürzt für ihren Lebensunterhalt verbleibt. Der Käufer verpflichtet sich weiters, einer allenfalls von den übrigen Miteigentümern des Hauses Grieskai 16 beabsichtigten oder ausgesprochenen gerichtlichen Kündigung zu widersprechen und verpflichtet sich der Käufer, der Verkäuferin die Benützung dieser Wohnung auf Lebensdauer mit allen rechtlichen Mitteln zu gewährleisten. Hingegen verpflichtet sich die Verkäuferin, diese Wohnung nicht weiterzugeben und auch keinerlei über ihre Lebensdauer hinausgehenden Berechtigungen an dieser Wohnung zu begründen, sodaß der Käufer im Zeitpunkt des Ablebens der Verkäuferin über diese Wohnung verfügen kann."

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, daß die Aufkündigung eines Bestandverhältnisses mit einem Dritten - die Beklagte sei im maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr Miteigentümerin des Hauses gewesen - grundsätzlich zu den Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung gehöre. Dieser Bereich werde allerdings überschritten, wenn ein an sich zur ordentlichen Verwaltung zählendes Geschäft gegen die bekannten Interessen eines Minderheitseigentümers und gegen die zwischen den Teilhabern getroffenen Vereinbarungen verstößt. Ein derartiger Fall sei hier jedoch nicht gegeben. Abgesehen davon, daß eine der Aufkündigung des Bestandverhältnisses mit der Beklagten entgegenstehende Vereinbarung zwischen den Miteigentümern weder behauptet wurde noch im Verfahren hervorgekommen sei, könne trotz des Inhaltes des Kaufvertrages zwischen der Beklagten und Mag. Norbert H*** nicht gesagt werden, daß die Aufkündigung etwa nicht im Interesse aller Miteigentümer - betrachtet vom Standpunkt der Eigentümergesamtheit - gelegen wäre. Der Umstand, daß sich der nunmehrige Minderheitseigentümer Mag. H*** der Beklagten gegenüber vertraglich verpflichtete, dieser die Benützung der Wohnung auf Lebensdauer mit allen rechtlichen Mitteln zu gewährleisten, vermag nach Ansicht des Berufungsgerichtes ein gegenüber der Mehrheit zu berücksichtigendes Interesse des Genannten nicht zu begründen. Demnach habe das Erstgericht die Aktivlegitimation des Klägers zu Recht bejaht. Da im übrigen der Kündigungsgrund des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG verwirklicht sei, müsse die Berufung der Beklagten erfolglos bleiben. Die Revision sei nicht zuzulassen, weil keine Frage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs. 1 ZPO vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte außerordentliche Revision der Beklagten, die aus nachstehend angeführten Gründen zulässig und berechtigt ist:

Zunächst ist klarzustellen, daß ein Mehrheitseigentümer trotz Bestellung eines Hausverwalters grundsätzlich zur Vornahme von Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung weiterhin berechtigt bleibt (Gamerith in Rummel, ABGB, Rz 7 zu § 837; SZ 57/60 ua); dies umso mehr, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - der Kläger gegenüber dem "mit der Verwaltung des Hauses betrauten Unternehmen" ua. die Aufkündigung von Mietverträgen vorbehalten hat. Es ist auch richtig, daß die Kündigung von Mietverträgen grundsätzlich eine Angelegenheit der ordentlichen Verwaltung ist (Gamerith aaO, Rz 5 zu § 833; SZ 43/157). Bei der die Mehrheit der Stimmen entscheidet (SZ 57/60 ua). Verstößt aber nach den Umständen des Falles ein an sich zur ordentlichen Verwaltung zählendes Geschäft gegen die bekannten Interessen eines Minderheitseigentümers, so wird der Bereich ordentlicher Verwaltung überschritten. Die ordentliche Verwaltung durch die Mehrheit hat nämlich auch die wohlverstandenen Interessen der überstimmten oder übergangenen Minderheit einzubeziehen. Es handelt sich diesfalls um eine außerordentliche Verwaltungsmaßnahme, die nur einstimmig oder mit rechtsgestaltender Entscheidung des Außerstreitrichters wirksam zustande kommt (MietSlg. 38.050 ua). Die Vertretungsbefugnis der Mehrheit erstreckt sich nur auf die Fälle der ordentlichen Verwaltung, nicht aber auf infolge Widerspruchs der überstimmten Minderheit oder deren Übergehung nicht unbedingt wirksame Veränderungen (vgl. SZ 23/351; MietSlg. 38.050). Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß die Beklagte früher selber Miteigentümerin der Liegenschaft Grieskai 16 war. Sie übertrug ihr Miteigentum dem nunmehrigen Minderheitseigentümer Mag. Norbert H*** nur unter der Voraussetzung, daß sie lebenslang in der Wohnung verbleiben könne. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß Mag. H*** - der eine eigene vertragliche Verpflichtung gegenüber seiner Rechtsvorgängerin übernahm, sie in der Wohnung zu belassen, und daher auch zur Einhaltung dieser Zusage verpflichtet ist - ein besonderes Interesse auf Belassung der Beklagten in der genannten Wohnung hat. Darauf hat sich die Beklagte von allem Anfang an berufen und sie hat dies durch die Vorlage des Übergabsvertrages vom 14. Juli 1988 auch einwandfrei unter Beweis gestellt. Das evidente Interesse ihres Rechtsnachfolgers, dem ein vertragswidriges Verhalten nicht zu unterstellen ist, manifestiert sich schließlich auch darin, daß er sich in dem genannten Vertrag verpflichtete, einer von den übrigen Miteigentümern beabsichtigten oder ausgesprochenen Kündigung zu widersprechen. Die Einbringung der vorliegenden Aufkündigung kann nicht mehr als zur ordentlichen Verwaltung stehend angesehen werden. Es handelt sich dabei diesfalls vielmehr um eine außerordentliche Verwaltungsmaßnahme, die - wie oben bereits ausgeführt wurde - nur einstimmig oder mit rechtsgestaltender Entscheidung des Außerstreitrichters zustandekommen kann.

Der Einwand der Beklagten, daß dem Kläger die Aktivlegitimation zur vorliegenden Aufkündigung fehle, ist daher berechtigt. Die dargelegten Grundsätze haben zur Folge, daß der außerordentlichen Revision der Beklagten Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen durch Abweisung des Klagebegehrens abzuändern waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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