OGH 2Ob71/21m

OGH2Ob71/21m5.8.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Slobodaals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* A*, vertreten durch Mag. Heinz Templ, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Z* GmbH, *, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. DI D* N*, vertreten durch Dr. Gert Folk, Rechtsanwalt in Kapfenberg, 3. P* Gesellschaft mbH, *, und 4. P* K*, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner und andere Rechtsanwälte in Graz, sowie 5. J* F*, und 6. M* S*, beide vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in Wien, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der drittbeklagten Partei B* GmbH, *, vertreten durch Ebner Aichinger Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 18.312 EUR, Rente und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2021, GZ 16 R 118/20w‑81, womit das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. Juli 2020, GZ 59 Cg 52/13w‑71, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132639

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Vater der am 6. 9. 1998 geborenen Klägerin wurde am 16. 7. 2010 bei einem Arbeitsunfall auf einer Baustelle in Wien vom herabstürzenden Arm einer Betonpumpe getroffen und tödlich verletzt.

[2] Mit der am 12. 7. 2013 eingebrachten Klage begehrte die im weiteren Prozessverlauf durch einen Verfahrenshelfer vertretene Klägerin Zahlung von 18.312 EUR (Trauerschmerzengeld; Unterhaltsentgang bis zur Einbringung der Klage) und einer monatlichen Rente ab 1. 8. 2013 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für noch unbekannte künftige Unfallfolgen. Ihr Vater sei auf einer Baustelle tätig gewesen. Der Unfall sei insbesondere auf die mangelnde Koordinierung der nacheinander durchgeführten Bauarbeiten und eine den Beklagten anzulastende Verletzung der entsprechenden Schutz‑ und Sicherungspflichten zurückzuführen. Der Tod des Vaters sei für die Klägerin ein traumatisierendes Erlebnis mit Krankheitswert gewesen und rechtfertige ein Schmerzengeld von 15.000 EUR. Unter Berücksichtigung der Einkünfte des Vaters und der Waisenrente entgehe der Klägerin ein monatlicher Unterhalt von 92 EUR, aus dem sich der weitere Schadensbetrag und die geforderte Rente ergebe.

[3] Die Beklagten und die Nebenintervenientin beantragten, das Klagebegehren abzuweisen und erstatteten detailliertes Gegenvorbringen.

[4] In weiterer Folge fanden mehrere Tagsatzungen statt, in denen Beweise aufgenommen wurden. Am Ende der Tagsatzung vom 19. 10. 2015 gab die Erstrichterin bekannt, dass „mit der Übermittlung des Protokolls für die heutige Verhandlung auch jeweils drei Sachverständige, deren Bestellung durch das Gericht beabsichtigt ist, namentlich bekanntgegeben werden, dies zur allfälligen Äußerungsmöglichkeit durch die PV“. Nach einer weiteren Erörterung wurde die Tagsatzung „zur Einholung des beantragten Gutachtens“ auf unbestimmte Zeit erstreckt. Das Erstgericht verfügte am 12. 8. 2016 die Zustellung der Protokollsabschriften an die Parteienvertreter, dem Verfahrenshelfer der Klägerin wurde sie am 17. 8. 2016 zugestellt. Die in Aussicht gestellte Nennung von Sachverständigen war aber nicht beigefügt.

[5] Erst mit Beschluss vom 12. 2. 2019 übermittelte die Erstrichterin den Parteien den Entwurf eines Beschlusses über die Bestellung eines Sachverständigensamt der an ihn gerichteten Fragenliste. Sie stellte es den Parteien frei, allfällige ergänzende Fragen zu formulieren und dem Gericht schriftlich bekannt zu geben. Der Beschluss wurde dem Verfahrenshelfer der Klägerin am 13. 2. 2019 zugestellt. Eine Reaktion der Klägerin bzw ihres Vertreters darauf erfolgte ebenso wenig, wie eine Betreibungshandlung im Zeitraum davor.

[6] In der Folge wandten die Beklagten und die Nebenintervenientin die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche mangels gehöriger Fortsetzung des Verfahrens iSd § 1497 ABGB im Zeitraum von Oktober 2015 bis Februar 2019 ein.

[7] Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO, dass die geltend gemachten Ansprüche nicht verjährt seien. Es sei am Prozessgericht gelegen gewesen das Verfahren fortzusetzen, sodass der Klägerin nur vorgeworfen werden könne, dessen ausstehende Prozesshandlung nicht betrieben zu haben. Nachdem am 17. 8. 2016 zwar das Tonbandprotokoll der vorangegangenen Tagsatzung, entgegen der Ankündigung aber nicht auch gleichzeitig ein Sachverständigenvorschlag übermittelt worden sei, wäre der Verfahrenshelfer verpflichtet gewesen, Betreibungsmaßnahmen zu setzen. Dennoch sei er bis zur Zustellung des Beschlusses vom 12. 2. 2019 untätig geblieben, was einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren entspreche. Da erst bei Untätigkeit von zumindest drei Jahren so vorzugehen sei, als wäre die Klage nicht innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist eingebracht worden, sei das Klagebegehren nicht verjährt.

[8] Das Berufungsgerichtänderte diese Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es sei zwar richtig, dass die Klägerin nach der Tagsatzung, in der die Verhandlung auf unbestimmte Zeit erstreckt worden sei, damit rechnen habe dürfen, dass das Erstgericht das Verfahren amtswegig fortsetzen werde. Zwischen dieser Verhandlungstagsatzung und dem nächsten relevanten Schritt sei aber ein Zeitraum von deutlich mehr als drei Jahren verstrichen, ohne dass seitens der Klägerin Schritte unternommen worden seien, um das Verfahren wieder in Gang zu bringen. Die Zustellung des Tagsatzungsprotokolls sei nur als Verarbeitung der vorherigen Tagsatzung und nicht als die Verjährung hemmender Prozessfortschritt durch das Gericht zu werten.

[9] Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob von gehöriger Fortsetzung des Verfahrens auch dann die Rede sein könne, wenn vom säumigen Gericht innerhalb von drei Jahren zwar ein formaler Schritt in Form der Zustellung eines Verhandlungsprotokolls gesetzt, der eigentliche Prozess aber nicht fortgeführt werde und der Kläger dennoch keine Betreibungsmaßnahmen setze.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[11] Die Beklagten und die Nebenintervenientin beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, die Revision als unzulässig zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die von ihm dargestellte Rechtsprechung im Einzelfall unrichtig angewendet hat; sie ist auch berechtigt.

[13] Die Klägerin macht geltend, sie habe erst im August 2016 erkennen können, dass der vom Gericht angekündigte Verfahrensschritt, nämlich die Mitteilung der zur Auswahl stehenden Sachverständigen, nicht gesetzt worden sei. Erst ab diesem Zeitpunkt könne der Klägerin Untätigkeit vorgeworfen werden.

[14] Hiezu wurde erwogen:

[15] 1. Gemäß § 1497 ABGB wird die Verjährung durch die Erhebung der Klage nur unter der weiteren Voraussetzung unterbrochen, dass die Klage gehörig fortgesetzt wird. Nach der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung ist nicht gehörige Fortsetzung anzunehmen, wenn die Untätigkeit des Klägers ungewöhnlich ist und er damit zum Ausdruck bringt, dass ihm an der Erreichung des Prozessziels nichts mehr gelegen ist (2 Ob 190/10w; RS0034765).

[16] 2. Aus der Untätigkeit des Klägers kann aber grundsätzlich nicht auf Verjährung geschlossen werden, wenn er gar nicht gehalten war, eine (weitere) Prozesshandlung vorzunehmen, um einem Verfahrensstillstand wirksam zu begegnen (RS0034755). Der Berechtigte ist im Allgemeinen nicht verhalten, zur Vermeidung der in § 1497 ABGB normierten Rechtsnachteile das von sich aus säumige Prozessgericht zu betreiben (RS0034722). Konnte oder musste der Kläger daher eine Tätigkeit des Gerichts erwarten, lässt seine Untätigkeit nicht ohne weiteres den Schluss zu, es sei ihm an der Erreichung des Prozessziels nichts gelegen (4 Ob 240/17y; RS0034722 [T6]).

[17] 3. Allerdings darf der Kläger auch dann, wenn er eine Tätigkeit des Gerichts erwarten konnte und musste, nicht „ad infinitum“ untätig bleiben (5 Ob 143/18t; RS0034672). In diesen Fällen geht die Rechtsprechung dann von einer nicht gehörigen Fortsetzung iSd § 1497 ABGB aus, wenn die Partei ungebührlich lange Zeit hindurch inaktiv geblieben ist (4 Ob 240/17y; 1 Ob 117/01i), wobei ein großzügiger Maßstab angewendet wird (2 Ob 140/09s; 1 Ob 115/00v; RS0034755 [T7, T8]; RS0034681 [T3]; RS0109334 [T2]). Danach ist der Kläger im Allgemeinen erst ab einer Untätigkeit von drei Jahren so zu behandeln, als hätte er von vornherein die Klage nicht innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist angebracht (5 Ob 143/18t; 4 Ob 240/17y; 2 Ob 190/10w; 2 Ob 140/09s; 1 Ob 117/01i; RS0034681).

[18] 4. Hier hat das Erstgericht nach seiner Ankündigung in der mündlichen Verhandlung vom 19. 10. 2015 die Protokollsabschrift erst am 17. 8. 2016 zugestellt und die in Aussicht gestellte Nennung von drei Sachverständigen nicht beigefügt. Ab diesem Zeitpunkt konnte die Klägerin nicht mehr erwarten, dass das Gericht von sich aus tätig wird. Erst mit Zustellung des Beschlusses vom 12. 2. 2019 wurde seitens des Gerichts der nächste, längst fällige Verfahrensschritt gesetzt, sodass ab diesem Zeitpunkt eine Betreibung durch die Klägerin nicht mehr nötig war. Die der Klägerin anzulastende Inaktivität währte somit vom August 2016 bis Februar 2019, demnach deutlich weniger als die nach der Rechtsprechung maßgebliche Grenze von (rund) drei Jahren.

[19] 5. Während das Erstgericht in Übereinstimmung mit dieser Rechtslage entschieden hat, hielt das Berufungsgericht die Protokollzustellung für unbeachtlich, weil damit „lediglich die Verarbeitung der vorangegangenen Tagsatzung erfolgt, aber gerade kein Prozessfortschritt erreicht“ worden sei. Mit dieser Argumentation vernachlässigt es jedoch, dass der vom Erstgericht angekündigte Verfahrensschritt, den die Klägerin erwarten durfte, keineswegs nur in der Übermittlung der Protokollsabschrift bestehen sollte, sondern auch in der Nennung von Sachverständigen mit einer Äußerungsmöglichkeit der Parteien, eine Maßnahme also, die durchaus dem Prozessfortschritt, nämlich der Bestellung eines geeigneten und nicht befangenen Sachverständigen dienen sollte.

[20] Davon ausgehend geht die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage von unzutreffenden Prämissen aus. § 1497 ABGB stellt für die gehörige Fortsetzung auf die Sphäre des Klägers ab. Solange dieser mit einer Prozesshandlung des Gerichts rechnen darf, wird die ihm von der Rechtsprechung zugebilligte dreijährige Frist für eigenes Betreiben des säumigen Gerichts nicht in Gang gesetzt.

[21] 6. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass zwischen der Zustellung der Protokollsabschrift durch das Erstgericht und der Zustellung des Beschlusses über die beabsichtigte Sachverständigenbestellung zur Äußerung weit weniger als drei Jahre lagen. Im Sinne der erörterten Rechtsprechung ist deshalb nicht von der Verjährung der geltend gemachten Ansprüche der Klägerin auszugehen.

[22] 7. In Stattgebung der berechtigten Revision der Klägerin ist daher das die Verjährung verneinende Zwischenurteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 52 Abs 4, 393 Abs 4 ZPO.

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