OGH 5Ob28/21k

OGH5Ob28/21k27.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, vertreten durch Dr. Irmgard Mairinger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. P*, 2. Z*, beide vertreten durch Dr. Friedrich Harrer, Dr. Iris Harrer‑Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, 3. M* GmbH, *, vertreten durch Dr. Gerhard Huber, Rechtsanwalt in Linz, wegen 135.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der erst‑ und zweitbeklagten Partei gegen das Teil‑ und Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. Jänner 2021, GZ 2 R 146/20h‑76, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. September 2020, GZ 2 Cg 99/17h‑70, teilweise abgeändert, teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132100

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teil‑ und Teilzwischenurteil wird ebenso wie das Urteil des Erstgerichts in Ansehung des Erst‑ und der Zweitbeklagten aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.

 

Begründung:

[1] Der Erstbeklagte ist ärztlicher Leiter der Drittbeklagten. Diese ist Rechtsträgerin von zwei privaten Krankenanstalten – der Klinik S*, in der der Kläger vom 8. 9. bis 22. 9. 2014 stationär aufgenommen war und wo ihm vom Erstbeklagten als Belegarzt am 9. 9. 2014 eine Knieendoprothese implantiert wurde, und des Rehabilitationszentrums B*, in dem er anschließend vom 22. 9. bis 20. 10. 2014 zur Rehabilitation sowie nach der RevisionsOP vom 11. 7. 2016 bis 1. 8. 2016 untergebracht war. Die Zweitbeklagte ist Haftpflichtversicherer des Erstbeklagten, ihre Passivlegitimation ist unbestritten.

[2] Der Kläger hatte immer wieder Traumata am linken Knie erlitten, so 2012 aufgrund eines Schiunfalls. Der Erstbeklagte diagnostizierte eine Varusgonarthrose links und besprach bei einem Termin am 16. 1. 2012 mit ihm die Möglichkeit einer Athroskopie mit vorderem Kreuzband Re‑Ersatz, eine Kniegelenkstotalendoprothese‑Implantation und eine konservative Therapie. Vorerst entschied sich der Kläger gegen die Totalendoprothese.

[3] Nach einer neuerlichen Verletzung am Knie 2013 ließ sich der Kläger wieder vom Erstbeklagten beraten. Die Feststellung, der Erstbeklagte habe ihm die bereits 2012 genannten Möglichkeiten im Hinblick auf die neuerliche Verletzung erklärt, darunter die Totalendoprothese, ihm mehrere Modelle gezeigt und ihm erklärt, je nach interoperativem Befund den geeigneten Prothesentyp zu wählen, hat er mit einer vom Berufungsgericht nicht erledigten Beweisrüge bekämpft. Unbekämpft blieb, dass der Erstbeklagte ihm den Ablauf der Operation erklärte, der Kläger einverstanden war und in die Operation einwilligte.

[4] Am 8. 9. 2014 wurde der Kläger stationär in der Klinik S* aufgenommen und unterfertigte ein Informationsblatt, wonach Eingriff und Behandlungsdurchführung im alleinigen Verantwortungsbereich des Erstbeklagten lag. Die Feststellungen des Erstgerichts zum Inhalt des dem Kläger ausgefolgten Aufklärungsbogens und des mit ihm vom Erstbeklagten geführten Aufklärungsgespräch sind ebenfalls Gegenstand einer nicht erledigten Beweisrüge, so insbesondere, dass dieser mit ihm die Metallentfernung, das Erfordernis der Zementierung von Komponenten bei schlechten Knochenverhältnissen, die Möglichkeit einer Gefäß‑ oder Nervenläsion, die Thrombose‑ und Emboliegefahr, die Möglichkeit eines Infekts, von Wundheilungsstörungen, Bewegungseinschränkungen und Restbeschwerden, die Möglichkeit einer Lockerung und Erforderlichkeit einer Re‑OP, besprach und der Kläger keine Fragen hatte.

[5] Der Erstbeklagte setzte bei der Operation eine CPR‑Knie‑Endoprothese ein, die zertifiziert ist. Er hat große Erfahrung mit derartigen Prothesen, weil er sie oft verwendet.

[6] Der Kläger blieb bis 22. 9. 2014 in der Klinik. Nach seiner Überstellung in das Reha‑Zentrum B*, blieb er dort bis 20. 10. Wegen anhaltender Schmerzen suchte der Kläger eine Schmerzambulanz der Klinik D* in S* auf, wo er fünf Tage stationär war. Ein orthopädisches Konsil dort kam zum Ergebnis, dass die Prothese unauffällig sitze und keine endogene Ursache für die Schmerzen direkt nachvollziehbar sei.

[7] Die Feststellungen, der Kläger habe am 26. 6. 2015 den Erstbeklagten neuerlich wegen Schmerzen, Weichteilschwellung und Bewegungseinschränkungen aufgesucht, dieser habe ihn untersucht, ein Röntgen anfertigen lassen, weitere Physiotherapie empfohlen, dem Kläger das Ergebnis des Röntgen (das keine Frühlockerung gezeigt habe) telefonisch mitgeteilt und ihm empfohlen, mit der Arthroskopie noch weiter zuzuwarten, sindGegenstand einer nicht erledigten Beweisrüge.

[8] Letztlich suchte der Kläger wegen anhaltender Schmerzen im Jänner 2016 Dr. T* auf, der von einer mechanischen Irritation der Knieprothese ausgehend im Sinn eines Oversizing der Femur‑Komponente und dadurch bedingten Bewegungseinschränkungen und Schmerzen sowie rezidivierender Ergussbildung ausging. Deshalb entschloss sich der Kläger zum Austausch der Prothese am 8. 6. 2016, die nunmehr verwendete Prothese (NexGenLPS) ist weltweit verbreitet und wird oft angewendet. Acht Wochen nach der – notwendigen – RevisionsOP hatte der Kläger keine Beschwerden mehr. Die Feststellungen, dass das Oversizing der Oberschenkelkomponente, ein stummer Infekt und die Lockerung auch ohne Innenrotation der Tibiakomponente zur Notwendigkeit einer RevisionsOP geführt hätten, dass eine Fehldrehung der vom Erstbeklagten implantierten Prothese nicht vorlag und die Schmerzen des Klägers auch aufgetreten wären, wäre die Innenrotation etwas geringer gewesen, sind ebenso Gegenstand einer nicht erledigten Beweisrüge wie die Feststellung, dass der Kläger eine im axialen Strahlengang überhängende zu große Prothese implantiert bekommen hatte, diese aber in korrekter Position eingebaut wurde und nicht feststellbar ist, ob dies lege artis erfolgte.

[9] Jedenfalls wies der Kläger bei der RevisionsOP 2016 einen stummen Protheseninfekt mit Proprionibacterium acnes als Zufallsbefund auf, dies ist eine ungewollte Komplikation der vorangegangenen OP in Form eines schicksalhaften Verlaufs mit einer Inzidenz von 0,2 bis 2 %. Postoperativ war es außerdem – ebenso schicksalhaft – zur Lockerung der vom Erstbeklagten implantierten Prothese gekommen.

[10] Das Erstgericht wies das auf Schmerzengeld von 135.000 EUR sA und Feststellung der Haftung für künftige Schäden gerichtete Klagebegehren ab. Dem Kläger sei der Beweis eines Kunstfehlers bei Auswahl und Implantation der Prothese nicht gelungen. Der Erstbeklagte habe ausreichend aufgeklärt. Überdies sei davon auszugehen, dass der Kläger in die OP auch eingewilligt hätte, wäre die Aufklärung des Erstbeklagten nicht vollständig gewesen. Ein Fehlverhalten der Mitarbeiter der Drittbeklagten, die nur für Unterbringung, Verpflegung und pflegerische Versorgung zuständig gewesen sei, sei nicht hervorgekommen.

[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge. In Ansehung der Drittbeklagten hob es das Urteil zur Verfahrensergänzung durch das Erstgericht auf; dies ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. In Bezug auf Erstbeklagten und Zweitbeklagte änderte es in ein stattgebendes Teilurteil überdas Feststellungsbegehren und ein Teilzwischenurteil über das Leistungsbegehren dahin ab, dass das Klagebegehren auf Schmerzengeld von 135.000 EUR dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es folgte der Mängelrüge des Klägers dahin, dass das Sachverständigengutachten zur Beurteilung der Rechtssache unvollständig geblieben und die Tatsachengrundlage daher unzureichend begründet sei. Zur Abklärung des behaupteten Kunstfehlers bei der OP liege ein Stoffsammlungsmangel vor, weil das beantragte (weitere) Gutachten eines Sachverständigen mit den erforderlichen Fachkenntnissen nicht eingeholt worden sei, obwohl der bestellte Sachverständige erklärt habe, das verwendeteProthesenmodell nicht zu kennen. Zu den postoperativen Folgen und der Nachbehandlung liege ein Begründungsmangel vor, weil das Erstgericht dem Sachverständigengutachten gefolgt sei, ohne dessen Grundlagen zu hinterfragen. Dies „bedinge die Aufhebung des Ersturteils, ohne dass auf die weitere Tatsachen- und Beweisrüge näher einzugehen wäre“. Allerdings meinte das Berufungsgericht weiter, diese Mängel seien in Bezug auf erst‑ und zweitbeklagte Partei nicht relevant. Der Kläger habe deren Haftung nämlich nicht nur auf einen Kunstfehler, sondern auch auf Aufklärungsmängel gestützt. Da die Behandlung des Klägers nicht notwendig gewesen sei, um ihn vor drohender Lebensgefahr oder erheblicher Gefahr für seine Gesundheit zu bewahren, sei eine ausführliche Aufklärung geboten gewesen. Als nicht bekämpfte Feststellung zur Schmerzursache meinte das Berufungsgericht das Oversizing der Oberschenkelkomponente und die Innenrotation der Tibiakomponente zu erkennen, als Ursache für die RevisionsOP das Oversizing der Oberschenkelkomponente, den stummen Infekt und die Lockerung. Ob das Oversizing ein Kunstfehler sei, wäre durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären, während die (deutliche) Innenrotation der Tibiakomponente nicht außerhalb des Tolerablen liege. Der Kläger habe mit Beweisrüge nicht bekämpft, dass ihm eine zu große überhängende Prothese implantiert wurde (Oversizing) und dass dies die RevisionsOP notwendig gemacht habe – offen sei nur, ob dies gemeinsam mit oder auch neben dem stummen Infekt und der septischen Lockerung Ursache gewesen sei. Als unbekämpft wertete das Berufungsgericht auch eine Feststellung, dass „ab der Mobilisation neben dem postoperativen Zustand das zu große Implantat und die Innenrotation schmerzbestimmend waren“ (wörtlich lautete die Feststellung aber: „Zunächst resultierten die vom Kläger erlittenen Schmerzen aus dem postoperativen Zustand. Zum Zeitpunkt der beginnenden Mobilisation kommen auch das zu große Implantat [Oversizing] und die Innenrotation in Frage, in welchem Ausmaß welcher Faktor schmerzbestimmend war, ist nicht feststellbar. Der Infekt war nicht schmerzbestimmend.“).

[12] Weilder festgestellte und von den Beklagten behauptete Inhalt von Aufklärungsgespräch und Formblatt – wenn auch mit Beweisrüge bekämpft – auf keine der beiden Schmerzursachen (Oversizing und Innenrotation) Bezug genommen und nicht darüber aufgeklärt habe, dass solche Probleme mit dem Einsetzen, allenfalls der Auswahl der Prothese verbunden sein könnten, wäre über dieses Risiko – falls es sich nicht ohnedies um Kunstfehler gehandelt habe – aufzuklären gewesen. Eine Aufklärung über die Restbeschwerden und Bewegungseinschränkungen genüge nicht. Für die Auffassung des Erstgerichts, der Kläger hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt, fehle es an ausreichendem Vorbringen der dafür behauptungs‑ und beweispflichtigen Beklagten.

[13] Die Revision ließ das Berufungsgericht wegen der Einzelfallabhängigkeit der Entscheidung nicht zu.

[14] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision von erst‑ und zweitbeklagter Partei, in der diese die Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, hilfsweise die Aufhebung anstreben.

[15] Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[16] Die Revision ist zulässig, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zur Verletzung der Aufklärungspflicht im Einzelfall korrekturbedürftig ist, sie ist auch im Sinn ihres Eventualantrags berechtigt.

[17] Die Revisionswerber machen eine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht geltend. Im Rahmen der Risikoaufklärung sei über typische Risken des geplanten Eingriffs aufzuklären, die auch bei größter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden seien, dafür bedürfe es geeigneter Tatsachenfeststellungen. Dass ein Oversizing einer Prothesenkomponente und/oder eine erhöhte Tibiarotation typische Komplikationen bei der Implantation einer Knieprothese seien, sei aber nicht festgestellt, ebenso wenig, dass es sich dabei um erhebliche Risken handle, die geeignet seien, die Entscheidung eines Patienten zu beeinflussen. Eskönntesichdabei daher auch um eine nicht typische und für die Patientenentscheidung erhebliche Komplikation handeln. Selbst wenn ein Oversizing der Prothesenkomponente und eine erhöhte Innenrotation eine typische Komplikation der Operation wären, sei die Aufklärungspflicht nicht verletzt, weil der Erstbeklagte den Kläger über die Möglichkeit von Bewegungseinschränkungen und die Erforderlichkeit einer Re‑OP aufgeklärt habe und der Arzt nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen müsse. Über operationstechnische Details sei nicht aufzuklären. Wegen des unterschiedlichen Haftungsumfangs sei es auch relevant, ob das Oversizing ein Behandlungsfehler oder eine nicht aufgeklärteKomplikation sei. Für das Feststellungsbegehren komme der Nichtaufklärung nur dann Bedeutung zu, wenn sich ein damit verbundenes Risiko verwirklicht habe; mögliche Spätfolgen seien nach den Feststellungen nur betreffend den Infekt nicht auszuschließen, über den der Kläger aber aufgeklärt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

[18] Dazu wurde erwogen:

[19] 1. Der Grundsatz, dass vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz nicht Gegenstand der Revision sein können (vgl RS0042963), ist hier nicht anzuwenden, weil das Berufungsgericht die Mangelhaftigkeit an sich bejahte, die nach seiner – vom erkennenden Senat nicht geteilten – Rechtsauffassung allerdings nicht relevant sei. Dies ist dem Fall vergleichbar, dass das Berufungsgericht die Behandlung einer Mängelrüge infolge vermeintlich rechtlicher Unerheblichkeit des gerügten Mangels unterlässt (vgl RS0043051 [T5]), auch wenn es dies hier nicht getan hat. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts – die zu Lasten von Erst‑ und Zweitbeklagter erfolgte, die als im erstinstanzlichen Verfahren obsiegend keinen Anlass hatten, im Berufungsverfahren etwas zu rügen – ist angesichts dieser prozessualen Lage daher vom Obersten Gerichtshof überprüfbar.

[20] 2. Die Ausführungen der außerordentlichen Revision sind weitgehend zu teilen. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts liegt keine ausreichende Tatsachengrundlage vor, aus der sich jedenfalls eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Erstbeklagten ableiten ließe, und die Frage, ob diesem nicht doch ein Kunstfehler bei der Auswahl der Prothese oder bei deren Implantat unterlaufen ist, ist auch nach der Auffassung des Berufungsgerichts noch nicht ausreichend geklärt.

[21] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung schuldet der Arzt im Rahmen der Erfüllung des ärztlichen Behandlungsvertrags Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den Regeln der ärztlichen Kunst; maßgeblich dafür ist der aktuelle anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft (5 Ob 231/10x mwN). Grundlage für die Haftung eines Arztes oder Krankenhausträgers wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ist das Selbst‑bestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch die Behandlung eingegriffen wird. Der Patient muss daher in die konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen; Voraussetzung für seine sachgerechte Entscheidung ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt (5 Ob 231/10x). Der Patient kann nur dann wirksam einwilligen, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RS0026499). Für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783), es sei denn, der Arzt behauptet und beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RS0038485). Die Haftung des Arztes beschränkt sich auch bei Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung auf die Verwirklichung des Risikos, auf das er hinweisen hätte müssen. Das pflichtwidrige Verhalten – der ohne ausreichende Aufklärung erfolgte und daher rechtswidrige Eingriff – muss den geltend gemachten Schaden verursacht haben (RS0026783 [T6, T9, T11]; 5 Ob 231/10x).

[22] 2.2. Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus Sicht des vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist. Ist der Eingriff medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, ist eine umfassende Aufklärung notwendig (RS0026772). Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (RS0026313). Auch dann muss der Arzt aber nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen (RS0026529). Wollte man etwa nicht nur die Aufklärung über typische Operationsrisken, deren Wahrscheinlichkeit nur bei 0,05 % bis 0,1 % liegen, verlangen, sondern jeweils auch Hinweise auf typische Komplikationen bei Verwirklichung solcher Risken fordern, würde dies die Aufklärungspflicht in unvertretbarer Weise ausdehnen. Den Patienten müsste oftmals eine derartige Fülle von Informationen gegeben werden, dass ihnen die Einschätzung der Lage nicht ermöglicht, sondern erschwert würde (7 Ob 228/11x).

[23] 2.3. Die ärztliche Aufklärungspflicht ist beim Vorliegen sogenannter typischer Gefahren verschärft, wobei sich die Typizität nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus ergibt, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung größter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist und den nicht informierten Patienten überrascht, weil er damit nicht rechnet (RS0026340). Es handelt sich um erhebliche Risken, die geeignet sind, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen, ohne dass auf die Häufigkeit der Verwirklichung des Risikos abzustellen wäre (RS0026581). Abzustellen ist darauf, ob ein ordentlicher und pflichtgetreuer Durchnitts‑(Fach‑)Arzt in der konkreten Situation des behandelnden Arztes als Sachverständiger iSd § 1299 ABGB gemessen am jeweiligen zumutbaren Erkenntnisstand der Ärzte und den aktuell anerkannten Regeln ärztlicher Kunst in der Lage gewesen wäre, das verwirklichte Risiko abzusehen und ob er folglich darüber hätte aufklären müssen (1 Ob 138/16z). Das bedarf einer Feststellungsgrundlage (5 Ob 231/10x). Der Umfang der Aufklärungspflicht ist anhand der getroffenen Feststellungen rechtlich zu beurteilen (RS0026763 [T2]) und ist – da nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten – im Allgemeinen nicht revisibel (RS0026763 [T5]), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste (RS0021095).

[24] 3.1. Die Grundsätze dieser Rechtsprechung hat das Berufungsgericht richtig wiedergegeben. Allerdings verweisen die Revisionswerber zutreffend darauf, dass die Feststellungen des Erstgerichts nicht ausreichen, um von einer Aufklärungspflichtverletzung des Erstbeklagten in Bezug auf Oversizing und/oder Innenrotation der Tibiakomponente auszugehen. Die Negativfeststellung in Bezug auf den Kunstfehler würde dagegen sprechen, insoweit jedenfalls von einer Aufklärungspflicht auszugehen; war die Behandlung fehlerhaft, muss nicht über dieses – dann ja auf einen Kunstfehler zurückgehende – Risiko aufgeklärt werden. Die Frage, ob die Auswahl der Prothese und die Operation selbst lege artis waren, ist hier mangels gesicherter Tatsachengrundlage aber noch nicht geklärt. Vor allem aber fehlen jegliche Feststellungen zur Häufigkeit und Typizität der Beschwerden des Klägers selbst dann, wenn die Auswahl der Prothese und Durchführung der OP ordnungsgemäß gewesen sein sollten. Damit kannauch in rechtlicher Sicht nicht davon ausgegangen werden, dass diesfalls eine allenfalls unrichtige Dimensionierung der Prothese und/oder die konkrete Operation ein häufiges oder ein typisches, für die Patientenentscheidung erhebliches Operationsrisiko wäre, über das jedenfalls aufzuklären gewesen wäre. Die berufungsgerichtliche Wiedergabe der Feststellungen zur Ursache für Schmerzen und RevisionsOP lässt nämlich außer Acht, dassaus dem Umstand, dass für die vom Kläger erlittenen Schmerzen neben dem postoperativen Zustand auch das zu große Implantat (Oversizing) und die Innenrotation in Frage kommen (ohne dass der Anteil feststellbar wäre), noch nicht ableitbar ist, mit den Schmerzen des Klägers habe sich tatsächlich ein aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht. Auch die Feststellung des Erstgerichts, der Nachoperateur sei von einer mechanischen Irritation der Knieprothese ausgehend im Sinn eines Oversizings der Tibiakomponente und dadurch bedingter Bewegungseinschränkungen ausgegangen, der Kläger habe sich deshalb zum Austausch der Prothese entschlossen, lässt nicht die Auslegung zu, die RevisionsOP habe – wie das Berufungsgericht offenbar meint – auch aus objektiver Sicht wegen des Oversizings der Oberschenkelkomponente, des stummen Infekts und der Lockerung erfolgen müssen. Dazu fehlen vielmehr ausreichend präzise Feststellungen, die das Erstgericht nachzutragen haben wird.

[25] 3.2. Damit kann auch die Frage nach einer Aufklärungspflichtverletzung des Erstbeklagten auf Basis der unbekämpften Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden, das Verfahren ist – zusätzlich zu der vom Berufungsgericht betreffend Kunstfehler, postoperativen Folgen und Nachbehandlungen bereits konstatierten unzureichenden Tatsachengrundlage – auch insoweit in erster Instanz ergänzungsbedürftig.

[26] 4. Für das weitere Verfahren wird auch zu bedenken sein, dass sich der Haftungsumfang des Arztes danach unterscheidet, ob ihm ein Behandlungsfehler oder aber eine Aufklärungspflichtverletzung vorzuwerfen ist. Im erstgenannten Fall hätte der Erstbeklagte etwa für die vom Kläger unter Berücksichtigung der ihm zugute kommenden Beweiserleichterung (vgl RS0026209; RS0106890) zu beweisenden schädlichen Folgen des Behandlungsfehlers selbst einzustehen, im Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht hingegen für die Folgen der Verwirklichung des Risikos, auf das er hinweisen hätte müssen (RS0026783 [T6, T9, T11]). Diese Abgrenzung wird auch bei der neuerlichen Entscheidung über das Feststellungsbegehren zu berücksichtigen sein.

[27] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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