European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00054.21W.0519.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der nach dem 1. 1. 1964 geborene Kläger beantragte erstmals am 10. 11. 2017 die Zuerkennung einer Invaliditätspension. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. 1. 2018 ab.
[2] Dagegen erhob der Kläger in einem Vorverfahren beim Erstgericht Klage mit dem Begehren auf Zuerkennung einer Invaliditätspension. Mit Urteil vom 22. 1. 2019 wies das Erstgericht im Vorverfahren das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Invaliditätspension in gesetzlicher Höhe ab 1. 12. 2017 ab. Es stellte fest, dass beim Kläger ab 1. 12. 2017 vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten vorliege und Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar seien. Der Kläger habe daher Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation. In diesem Umfang bestätigte das Berufungsgericht im Vorverfahren mit Urteil vom 5. 6. 2019 die Entscheidung des Erstgerichts. Die Entscheidung des Berufungsgerichts wurde dem Kläger am 19. 6. 2019 zugestellt und erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
[3] Am 25. 8. 2020 beantragte der Kläger neuerlich die Zuerkennung einer Invaliditätspension.
[4] Mit Bescheid vom 28. 8. 2020 wies die beklagte Pensionsversicherungsanstalt diesen Antrag zurück. Der Antrag sei innerhalb der Sperrfrist des § 362 Abs 2 ASVG gestellt worden, eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands des Klägers sei nicht glaubhaft bescheinigt worden.
[5] Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zuerkennung einer Invaliditätspension ab 1. 9. 2020. Die Voraussetzungen des § 362 Abs 2 ASVG seien nicht gegeben: im Vorverfahren sei der Antrag des Klägers auf Invaliditätspension nicht deshalb abgewiesen worden, weil keine geminderte Arbeitsfähigkeit vorliege, sondern weil ungeachtet der festgestellten vorübergehenden Invalidität berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar seien. Der neuerliche Antrag des Klägers sei daher nicht von einer Bescheinigung der Verschlechterung des Gesundheitszustands abhängig. Eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands des Klägers werde nicht behauptet. Nach wie vor sei der Kläger gemindert arbeitsfähig.
[6] Die Beklagte wandte ein, dass der Kläger eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands nicht bescheinigt habe, weshalb die Klage zurückzuweisen sei.
[7] Das Erstgericht wies die Klage zurück.
[8] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Voraussetzung eines Anspruchs auf Invaliditätspension sei das Vorliegen dauerhafter Invalidität. Vorübergehende Invalidität, wie sie beim Kläger vorliege, sei diesem Zustand nicht gleichzusetzen. Im Vorverfahren sei der Anspruch auf Invaliditätspension nicht nur wegen der Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit von beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation, sondern auch wegen des Fehlens der entsprechenden Minderung der Arbeitsfähigkeit des Klägers gescheitert. Eine für die Zulässigkeit des gerichtlichen Verfahrens gemäß § 68 Abs 1 ASGG erforderliche wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustands habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht.
[9] Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO zeigt der Kläger in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht auf.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Kläger hält an seinem Rechtsstandpunkt fest, dass sein Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension aus anderen Gründen als dem Fehlen einer entsprechenden Minderung der Arbeitsfähigkeit abgewiesen worden sei. § 362 ASVG sei daher schon nach seinem Wortlaut nicht anwendbar. Das Ausmaß der Invalidität des Klägers sei nicht die tragende Begründung der Entscheidung im Vorverfahren gewesen. Der Kläger müsse daher keine Verschlechterung seines Gesundheitszustands bescheinigen.
[11] 1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Das ist hier in Bezug auf § 362 Abs 1 und 2 ASVG idF des SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, der Fall.
[12] 2.1 § 362 lautet auszugsweise (Hervorhebungen durch den Senat):
„ Zurückweisung von Leistungsanträgen in der Unfall- und Pensionsversicherung
§ 362. (1) Ist die Zuerkennung des Anspruches auf eine Versehrtenrente oder der Antrag auf eine Erhöhung der Versehrtenrente mangels einer entsprechenden Einbuße an Erwerbsfähigkeit abgewiesen … worden und wird vor Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft der Entscheidung der Antrag auf Zuerkennung (Erhöhung) der Versehrtenrente neuerlich eingebracht, ohne dass eine wesentliche Änderung (§ 183 Abs. 1 zweiter Satz) der zuletzt festgestellten Unfallsfolgen glaubhaft bescheinigt ist oder innerhalb einer vom Versicherungsträger gesetzten angemessenen Frist bescheinigt wird, so ist der Antrag zurückzuweisen.
(2) Abs. 1 ist bei Ablehnung eines Antrages auf Zuerkennung … einer Pension aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit mangels entsprechender Minderung der Arbeitsfähigkeit … so anzuwenden, dass an die Stelle des Ablaufes eines Jahres der Ablauf von 18 Monaten und an die Stelle der Unfallfolgen die Minderung der Arbeitsfähigkeit tritt. …“
[13] 2.2 Diese Bestimmungen haben ihre geltende Fassung im hier gegebenen Zusammenhang im Wesentlichen mit dem BBG 2011, BGBl I 2010/111, sowie den Änderungen durch das SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, erhalten. In den Gesetzesmaterialien zum SRÄG 2012 (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 26 heißt es dazu: „Nach § 362 Abs. 2 ASVG ist ein erneuter Antrag auf Invaliditäts(Berufsunfähigkeits)pension dann zurückzuweisen, wenn er vor Ablauf einer Frist von 18 Monaten gestellt wird, ohne dass eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes (die zu einer weiteren Minderung der Arbeitsfähigkeit führt) eingetreten ist.“ Der Zweck der in § 362 ASVG vorgesehenen Sperrfrist liegt darin, den Versicherungsträger von Neuanträgen zu entlasten, die ansonsten ohne maßgebliche Änderung der Sachverhaltsgrundlage laufend gestellt werden könnten (10 ObS 40/02h; 10 ObS 88/15m SSV‑NF 29/68; RS0130560).
[14] 2.3 Mit dem SRÄG 2012 wurde dem § 362 ASVG folgender Absatz 4 angefügt (Art 5 Z 62 BGBl I 2013/3): „(4) Abweichend von Abs. 2 ist ein neuerlicher Antrag vor Ablauf der Frist von 18 Monaten auch dann nicht zurückzuweisen, wenn
1. …
2. das Arbeitsmarktservice zur begründeten Auffassung gelangt, dass die Realisierbarkeit beruflicher Maßnahmen der Rehabilitation nicht oder nicht mehr gegeben ist.“
[15] 3.1 Erste Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 362 Abs 1 iVm Abs 2 ASVG ist, dass die vorangegangene Abweisung eines Antrags auf dieselbe Leistung (10 ObS 40/02h, RS0116711) deswegen erfolgt ist, weil die Leistung materiell zu Unrecht beantragt wurde, dass also bereits eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem in Rede stehenden Anspruch erfolgte und darüber abgesprochen wurde ( Kneihs in SV‑Komm [236. Lfg] § 362 ASVG Rz 5).
[16] 3.2 Der Kläger unterliegt unstrittig dem Anwendungsbereich des SRÄG 2012 (vgl § 669 Abs 5 ASVG). Für Versicherte im Anwendungsbereich des SRÄG 2012 besteht ein Anspruch auf Invaliditätspension – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – nur mehr dann, wenn Invalidität (§ 255 ASVG) aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands voraussichtlich dauerhaft vorliegt (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG) und kein Rechtsanspruch auf zumutbare und zweckmäßige berufliche Maßnahmen der Rehabilitation (§ 253e ASVG) gegeben ist (§ 254 Abs 1 Z 2 ASVG idF SVÄG 2016, BGBl I 2017/29).
[17] 3.3 Die Arbeitsfähigkeit ist voraussichtlich dauerhaft gemindert, wenn eine Besserung des Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist. Im Anwendungsbereich des SRÄG 2012 muss der Versicherte beweisen (RS0130217 [T3]), dass eine Besserung des Gesundheitszustands mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist, damit feststeht, dass Invalidität „voraussichtlich dauerhaft vorliegt“. In diesem Sinn genügt es, wenn eine die Invalidität beseitigende Besserung des Gesundheitszustands der versicherten Person mit hoher Wahrscheinlichkeit (im Sinne des Regelbeweismaßes der ZPO) nicht zu erwarten ist (10 ObS 52/16v SSV‑NF 30/66). Es reicht nicht aus, dass irgendeine Besserungsmöglichkeit des Gesundheitszustands des Versicherten besteht, sondern entscheidend ist eine kalkülsrelevante, die Invalidität beseitigende Besserung (10 ObS 111/15v).
[18] 3.4 Von der dauerhaften ist die vorübergehende Invalidität im Sinn des § 255b ASVG zu unterscheiden. Dabei handelt es sich um Invalidität, die lediglich „befristet“, wenigstens aber im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt. Vorübergehende Invalidität ist – im Gegensatz zu dauernder Invalidität – eine „behebbare“ Arbeitsunfähigkeit (10 ObS 52/16v SSV‑NF 30/66; RS0085150).
[19] 4.1 Bereits im Vorverfahren lag der Neuantrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension nach dem 1. 1. 2017, sodass der Kläger infolge der Anwendbarkeit des SVÄG 2016 und des SVÄG 2017 (BGBl I 2017/38, § 700 Abs 1,§ 704 ASVG) einen Rechtsanspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation gemäß § 253e ASVG hatte, obwohl bei ihm nur vorübergehende Invalidität vorlag (§ 253e Abs 1 ASVG idF SVÄG 2017 verweist auf § 255b ASVG; zur näheren Vorgangsweise siehe Sonntag , Neue Entwicklungen bei der beruflichen Rehabilitation, ASoK 2017, 402 [410]).
[20] 4.2 Damit haben die Vorinstanzen in Übereinstimmung mit der dargestellten Rechtslage zutreffend die Anwendbarkeit des § 362 ASVG im konkreten Fall bejaht: Denn der Anspruch des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension wurde im Vorverfahren bereits wegen Fehlens dauerhafter Invalidität (§ 254 Abs 1 Z 1 ASVG) abgewiesen. Beim Kläger lag lediglich vorübergehende, daher behebbare (besserbare) Invalidität vor. Sein Anspruch auf Invaliditätspension wurde schon aus diesem Grund im Vorverfahren „mangels einer entsprechenden Einbuße an Erwerbsfähigkeit“ im Sinn des § 362 Abs 1 iVm Abs 2 ASVG abgewiesen.
[21] 4.3 Daran ändert der Umstand, dass der Kläger einen Rechtsanspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation hat, nichts. Invalidität ist das Herabsinken der Arbeitsfähigkeit im – abhängig von der Frage, ob Berufsschutz vorliegt oder nicht – jeweils relevanten Ausmaß aus gesundheitlichen Gründen („aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustands“, § 254 Abs 1 Z 1 ASVG). Liegt dauerhafte Invalidität im Sinn eines nicht besserbaren Gesundheitszustands und damit verbunden des dauerhaften Herabsinkens der Arbeitsfähigkeit vor, so ist zwar denkbar, dass – etwa aufgrund eines bestehenden Berufsschutzes – berufliche Rehabilitierbarkeit gegeben ist, sodass kein Anspruch auf Invaliditätspension besteht (vgl wiederum 10 ObS 52/16v). Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor. Denn bei vorübergehender Invalidität handelt es sich, wie ausgeführt, gerade nicht um einen Fall eines nicht besserbaren Gesundheitszustands.
[22] 4.4 Der Gesetzgeber des SRÄG 2012 hat Fälle bedacht, in denen sich medizinische oder berufliche Maßnahmen der Rehabilitation als nicht realisierbar herausstellen, und für solche Fälle normiert, dass die Sperrfrist des § 362 Abs 2 ASVG nicht gilt (§ 362 Abs 4 ASVG). Ein solcher Fall – insbesondere hier des § 362 Abs 4 Z 2 ASVG – liegt jedoch hier nicht vor.
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