Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Gericht erster Instanz die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 25. 9. 1996 hat die beklagte Partei dem Kläger die Invaliditätspension mit Ablauf des Monats Oktober 1996 entzogen. Die dagegen erhobene Klage wurde vom Landesgericht Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht mit Urteil vom 7. 6. 2000 abgewiesen. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers mit Urteil vom 19. 9. 2000 nicht Folge. Mangels Erhebung einer Revision erwuchs das erstinstanzliche Urteil mit 1. 11. 2000 in Rechtskraft. Am 12. 10. 2000 langte bei der beklagten Partei folgender antrag des Klägers ein: "Am 27. Oktober 2000 vollende ich das 57. Lebensjahr. Wie Ihnen aus dem umfangreichen beim Landesgericht Innsbruck anhängig gewesenen Verfahren bekannt ist, bin ich nicht mehr in der Lage, den bisher ausgeübten Arbeisplatz weiter auszuüben und bin ich berufsunfähig im Sinne der neuen gesetzlichen Bestimmungen. Ich ersuche daher um Zuerkennung der Pension ab 1. November 2000."
Mit Schreiben vom 21. 11. 2000, das eine Rechtsbelehrung über die Bestimmung des § 362 ASVG enthielt und dem Kläger am 23. 11. 2000 zugestellt wurde, forderte die beklagte Partei den Kläger auf, innerhalb der nächsten vier Wochen eine entsprechende Bescheinigung darüber vorzulegen, dass sich sein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert hat. Da der Kläger, dem über sein Ersuchen eine Verlängerung der Vorlagefrist bis Ende Dezember 2000 eingeräumt wurde, auch in der Folge keine Bescheinigungsmittel vorlegte, wies die beklagte Partei mit Bescheid vom 10. 1. 2001 den neuerlichen Antrag auf Gewährung der Invaliditätspension zurück, weil er innerhalb der Jahresfrist des § 362 ASVG ohne Bescheinigung einer wesentlichen Änderung der Anspruchsvoraussetzungen gestellt worden sei.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Dem Kläger sei es nicht gelungen, durch die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Bescheinigungsmittel eine wesentliche Änderung seines vormaligen Gesundheitszustandes glaubhaft zu machen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Dem Gericht komme keine Überprüfungsbefugnis hinsichtlich der Einhaltung der in § 362 ASVG festgelegten verfahrensrechtlichen Vorschriften zu. Zutreffend sei das Erstgericht im Übrigen zu dem Ergebnis gelangt, dass aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Attesten keine nachvollziehbare Änderung seines Gesundheitszutandes gegenüber den Ergebnissen im Vorverfahren erkennbar und bescheinigt sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig (§ 46 Abs 2 Z 3 ASGG iVm § 47 Abs 2 ASGG) und berechtigt.
Ist die Zuerkennung einer Invaliditätspension mangels entsprechender Minderung der Arbeitsfähigkeit abgewiesen worden oder eine solche Leistung aus dem gleichen Grund entzogen worden, ist ein vor Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft der Entscheidung gestellter neuerlicher Antrag zurückzuweisen, wenn keine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Zustandes glaubhaft bescheinigt ist oder innerhalb einer vom Versicherungsträger gesetzten angemessenen Frist bescheinigt wird (§ 362 Abs 2 ASVG). Hat der Versicherungsträger einen solchen Antrag zurückgewiesen und vermag der Versicherte dem Gericht eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustandes glaubhaft zu machen, ist das gerichtliche Verfahren ohne Rücksicht auf das Fehlen einer bescheidmäßigen Entscheidung durchzuführen und in der Sache selbst zu entscheiden (§ 68 Abs 1 ASGG).
Der Zweck der in § 362 ASVG vorgesehenen einjährigen Sperrfrist liegt offensichtlich darin, den Versicherungsträger von Neuanträgen zu entlasten, die ansonsten ohne maßgebliche Änderung der Sachverhaltsgrundlage laufend gestellt werden könnten. Der vorliegende Fall ist nun dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger am 12. 10. 2000 bei der beklagten Partei die Zuerkennung einer Invaliditätspension ab 1. 11. 2000 mit der ausdrücklichen Begründung beantragt hat, am 27. 10. 2000 das 57. Lebensjahr zu vollenden und im Übrigen berufsunfähig im Sinne der neuen gesetzlichen Bestimmungen zu sein.
Zum 1. 11. 2000 stand bereits § 255 Abs 4 ASVG idF des SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, in Kraft, wonach ein Versicherter, der das 57. Lebensjahr vollendet hat, als invalid gilt, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit nachzugehen, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat. Nach den Gesetzesmaterialien (AB 187 BlgNR XXI. GP 4) soll mit dieser Bestimmung "als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ... unter einem der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr vollendet und durch zehn Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden." In seiner Sitzung vom 31. 5. 2000 hat der Ausschuss für Arbeit und Soziales auch festgestellt, dass mit § 255 Abs 4 (§ 273 Abs 3) ASVG insbesondere für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen ein wirksamer Berufsschutz geschaffen werden soll (AB 187 BlgNR XXI. GP 3). Ausgehend von dem dargestellten Zweck der einjährigen Sperrfrist können die Bestimmungen des § 362 Abs 2 ASVG und des § 68 Abs 1 ASGG nicht so verstanden werden, dass sie auch dann eine Bescheinigung einer wesentlichen Änderung des Zustandes fordern, wenn innerhalb der Jahresfrist ein neuerlicher Antrag auf eine Pensionsleistung gestellt wird, die gegenüber der zuvor begehrten erleichterte Zugangsvoraussetzungen aufweist. Vielmehr ist der Wortlaut teleologisch dahin zu reduzieren, dass die Sperrfrist nur einen erneuten Antrag auf diejenige Leistung verhindern soll, bezüglich derer das Fehlen der Voraussetzungen bereits kurze Zeit zuvor rechtskräftig festgestellt wurde.
In diesem Sinn war der Kläger nicht gehalten, mit seiner neuen Antragstellung zum Stichtag 1. 11. 2000 eine wesentliche Änderung seines gesundheitlichen Zustandes gegenüber dem Versicherungsträger und dem Gericht glaubhaft zu machen. Der Bescheid, mit dem der Antrag des Klägers vom 12. 10. 2000 zurückgewiesen wurde, ist durch die Klagserhebung außer Kraft getreten. Aus § 68 Abs 1 ASGG folgt, dass das Gericht im Rahmen seiner sukzessiven Kompetenz in der Sache selbst zu entscheiden hat, wenn der Versicherungsträger - zu Unrecht - keine Sachentscheidung getroffen hat, weil aus seiner Sicht eine wesentliche Änderung des Zustandes nicht bescheinigt war. Andernfalls würde ein wirksamer Rechtsschutz des Versicherten gegen einen unrichtigen Zurückweisungsbescheid des Versicherungsträgers fehlen. In diesem Sinn sind die Zurückweisungsbeschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und es ist dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten (§ 52 Abs 1 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)