European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131715
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Nach ständiger Rechtsprechung haftet ein Sachverständiger, der im Prozess ein unrichtiges Gutachten abgibt, den Parteien gegenüber persönlich nach dem objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB (vgl RIS‑Justiz RS0026319 [T5]; RS0026316; RS0106433). Er kann aufgrund eigener deliktischer Haftung direkt belangt werden (RS0026353 [T3]; RS0026337 [T4 und T5]). Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der in einem Zivilprozess schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, haftet demnach den Prozessparteien gegenüber für die nachteiligen Folgen dieses Versehens (vgl 7 Ob 96/19x).
2. Die von der Klägerin in der Klage gegenüber dem Beklagten erhobenen Vorwürfe, er habe eine notwendige Außenanamnese unterlassen und die herangezogenen medizinischen Unterlagen falsch bewertet, haben sich nicht bewahrheitet.
[2] Der – auf den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen basierenden – Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Beklagte sein Gutachten im Vorprozess lege artis und nach dem Stand der Wissenschaft erstattet hat, tritt die Klägerin in der außerordentlichen Revision nicht mehr entgegen.
[3] Aus den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, dass zur Beurteilung der Frage, ob ein Unfallopfer nach einem schweren Unfall einen Selbstmord in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand begangen hat, zwei in der Wissenschaft vertretbare Argumentationslinien bestehen und der Beklagte diese Frage als Neurotraumatologe beurteilt habe, während der gerichtliche Sachverständige von den Kriterien nach Cording und Saß ausgegangen sei, wonach für das Vorliegen einer derart schweren, die freie Willensbildung ausschließenden Depression eine psychotische Komponente vorliegen müsse, leitet sie aber ab, dass der Beklagte in seinem Gutachten darauf hätte hinweisen müssen, dass es auch eine andere Lehrmeinung nach Cording und Saß gäbe. Das vom Beklagten im Vorprozess abgegebene Gutachten sei daher unvollständig geblieben, weshalb dieses falsch sei.
[4] 3. Ausgehend von den – auf Basis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens – getroffenen Feststellungen haben die Vorinstanzen das Vorliegen auch eines solchen Fehlers im Gutachten des Beklagten ohne eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung verneint:
[5] Zu den Kernaufgaben des Sachverständigen gehört es, aufgrund der einschlägigen Fachkenntnisse jene Methode auszuwählen, die sich zur Klärung der nach dem Gutachtensauftrag jeweils maßgebenden strittigen Tatfrage am besten eignet (RS0119439; 8 Ob 113/15y). Eine Methode kann dabei grundsätzlich so lange als fachgerecht angesehen werden, wie sie von einer anerkannten Schule medizinischer Wissenschaft vertreten wird (RS0026324).
[6] Sowohl der Beklagte als auch der gerichtliche Sachverständige im vorliegenden Verfahren sind für das Fachgebiet der Neurologie/Psychiatrie in der Sachverständigenliste eingetragen. Der Beklagte, ein ausgewiesener Experte der Neurotraumatologie, hat bei seiner fachlichen Beurteilung im Vorprozess den neurotraumatologischen Ansatz gewählt. Dieser Ansatz ist Teil einer anerkannten Schule der medizinischen Wissenschaft bzw eine anerkannte Methode der Neurologie und Psychiatrie und begründet daher kein unvollständiges Gutachten. Nach der Sachverhaltsgrundlage war eine Auseinandersetzung mit den Kriterien nach Cording und Saß nicht zwingend erforderlich. Auch nach der Einschätzung des hier beigezogenen gerichtlichen Sachverständigen muss sich ein Sachverständiger in seinem Gutachten nicht mit sämtlichen Strömungen und Argumentationslinien auseinandersetzen. Vielmehr ist es seine Aufgabe, eine für die Beantwortung der an ihn gestellten Fragen geeignete Methode auszuwählen. Selbst der gerichtliche Sachverständige kam hier zum Schluss, dass im Vorprozess aufgrund des Zusammenhangs zwischen dem Selbstmord des Sohnes der Klägerin und dem Unfallgeschehen im Juli 2013 die vom Beklagten gewählte Beurteilung aus neurotraumatologischer Sicht sinnvoll war und das Erstgericht stellte letztlich – für den Obersten Gerichtshof bindend – fest, dass „die Diagnose einer 'schweren Depression' für den Beklagten zulässig und naheliegend“ war.
[7] 4. Da es der Klägerin somit nicht gelingt, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen, war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
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