European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00016.21W.0308.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Miteigentümerin einer Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum an einem Objekt. Die Beklagte ist ebenfalls Miteigentümerin dieser Liegenschaft verbunden mit Wohnungseigentum an mehreren Objekten. Daneben ist sie schlichte Miteigentümerin von 1.092/2650tel Anteilen an dieser Liegenschaft. Alle übrigen Liegenschaftsanteile sind mit Wohnungseigentum an näher bezeichneten Objekten verbunden. Die Einverleibung des Wohnungseigentums erfolgte 2006; aufgrund der schlichten Miteigentumsanteile der Beklagten handelt es sich um ein „Mischhaus“. Nach dem der Wohnungseigentumsbegründung zugrunde liegenden Nutzwertgutachten sollte auch mit diesen Miteigentumsanteilen Wohnungseigentum am Objekt WE 1 begründet werden, das aus Geschäftsräumlichkeiten im Keller, im Erdgeschoss und einem im ersten Obergeschoss gelegenen „Verkaufsraum“ im Ausmaß von 156,10 m² bestehen sollte. Dieser „Verkaufsraum“ ist eine schmale Fläche am Westrand der Liegenschaft, die räumlich in das Geschäftshaus integriert ist, das auf den der Beklagten allein gehörenden Nachbargrundstücken liegt. Eine räumliche Abtrennung dieses „Verkaufsraums“ zu diesen Grundstücken bestand nie. Im Wohnungseigentumsvertrag aus 2004 wurde das Objekt WE 1 für Geschäftszwecke gewidmet. Tatsächlich wurden die Räumlichkeiten im Erdgeschoss für ein Einkaufszentrum und ein Lebensmittelgeschäft genutzt. Im Verkaufsraum im Obergeschoss war zunächst ein Sportgeschäft, später ein Selbstbedienungsrestaurant und danach ein Haushalts‑ und Werkzeuggeschäft. Zuletzt befand sich dort eine große, für die Öffentlichkeit auch an den Wochenenden zugängliche Modelleisenbahnanlage. Eine grundbücherliche Durchführung des Wohnungseigentumsvertrags scheiterte an der mangelnden baulichen Abgeschlossenheit des Verkaufsraums im ersten Obergeschoss. Mit einem Nachtrag zum Wohnungseigentumsvertrag vom 17. 6. 2005 vereinbarten die Vertragsparteien daher die „Begründung von Wohnungseigentum auf Grundlage des WEG 1975“. Wohnungseigentum sollte danach nur an den übrigen Einheiten begründet werden, die Einheit WE 1 sollte im schlichten Miteigentum verbleiben, wobei dem Rechtsvorgänger der Beklagten mit Wirkung für beiderseitige Rechtsnachfolger das Recht eingeräumt wurde, den bisher als WE 1 bezeichneten Teil des Gebäudes alleine zu nutzen. Für diesen Miteigentumsanteil sollten die Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes sinngemäß gelten. Diese Benutzungsregelung ist im Grundbuch auch angemerkt.
[2] Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Unterlassung der Nutzung des Objekts als Fitness‑Center/Sportstätte, hilfsweise nur die Nutzung außerhalb der ursprünglichen Öffnungszeiten von Montag bis Samstag, 08:00 Uhr bis 18:00 Uhr.
[3] Das Erstgericht wies Haupt‑ und Eventualbegehren ab. Da für diese Verkaufsfläche keine spezielle Geschäftsraumwidmung vereinbart worden sei, sei die Umwandlung von Gegenstand und Betriebsform des im Objekt geführten Unternehmens keine genehmigungsbedürftige Änderung. Ob die Beklagte als Wohnungseigentümerin oder als schlichte Miteigentümerin in Anspruch genommen werde, mache keinen Unterschied. Ihr alleiniges Nutzungsrecht umfasse das Recht zu physischen Veränderungen, das dem Rechtsvorgänger der Beklagten im Wohnungseigentumsvertrag ausdrücklich zugestanden worden sei. Negative Einwirkungen des Fitness‑Studios auf die Miteigentümer habe das Beweisverfahren nicht ergeben.
[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Benützungsvereinbarung habe die Umgestaltung allgemeiner Gebrauchsbefugnisse eines Miteigentümers in Sondernutzungsrechte an bestimmten Sachteilen bewirkt. Dem stehe § 828 ABGB nur dann entgegen, wenn eine Widmungsänderung oder ein Eingriff in die Substanz in die Rechtssphäre der übrigen Teilhaber eingreife und deren schutzwürdige Interessen berühre, was nicht der Fall sei. Aufgrund der unspezifischen Geschäftsraumwidmung hätten sich die Mit‑ und Wohnungseigentümer mit jeder Art der Verwendung des Geschäftslokals einverstanden erklärt, was auch die bisherige Nutzung zeige, die zu einer sehr hohen Besucherfrequenz und Öffnungszeiten selbst am Wochenende geführt habe.
[5] Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht über Abänderungsantrag der Klägerin nachträglich zu. Die Frage einer Fehlbeurteilung im Einzelfall und einer Überschreitung des Ermessensspielraums in Bezug auf die Geschäftsraumwidmung rechtfertige die Anrufung des Obersten Gerichtshofs.
[6] In ihrer Revision beantragt die Klägerin die Abänderung im Sinn einer Klagestattgebung, hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[7] Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig und kann auch keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[9] 1. Die Klägerin meint, den Vorinstanzen sei eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung bei der Auslegung des Wohnungseigentums- und Kaufvertrags unterlaufen, weil sie sich auf die Entscheidung 5 Ob 41/18t stützten, die aber ein Mischhaus nach WEG 1975 betroffen habe. Seit dem WEG 2002 sei die Gründung von Mischhäusern nicht mehr möglich, sodass die Wohnungseigentumsbegründung und die Benutzungsvereinbarung nichtig seien. Bei der Prüfung der Verletzung schutzwürdiger Interessen anderer Miteigentümer hätten die Vorinstanzen ihren Ermessensspielraum weit überschritten.
[10] Dazu wurde erwogen:
[11] 2.1. In der Entscheidung 5 Ob 41/18t (immolex 2018/100 [Neugebauer‑Herl]) befasste sich der erkennende Senat mit einem auf § 523 ABGB gestützten Eigentumsfreiheitsanspruchs der klagenden Mit‑ und Wohnungseigentümer gegen schlichte Miteigentümer, denen aufgrund einer Benützungsvereinbarung an einem laut Wohnungseigentumsvertrag als allgemeiner Teil verbliebenen Geschäftslokal ausschließliche Nutzungsrechte zukamen. Auch dort war die Frage der Änderung des im Geschäftslokal betriebenen Unternehmensgegenstands zu beantworten. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn sich die Vorinstanzen an den dort höchstgerichtlich bereits vorgegebenen Grundsätzen orientierten, selbst wenn dort ein nach WEG 1975 weiter bestehendes „Mischhaus“ vorlag, hier hingegen die Wohnungseigentumsbegründung bereits nach Inkrafttreten des WEG 2002 erfolgte:
[12] 2.2. Grundsätzlich ist nach § 3 Abs 2 WEG 2002 an allen wohnungseigentumstauglichen und als Wohnungseigentumsobjekte gewidmeten Liegenschaftsanteilen Wohnungseigentum zu begründen (obligatorische Wohnungseigentumsbegründung – RS0118850). Die Bestimmung bezweckt primär das Verhindern des Entstehens neuer Mischhäuser und langfristig die Überführung von Mischhäusern in „reine“ Wohnungseigentumsanlagen (Pittl in GeKo Wohnrecht II § 3 WEG 2002 Rz 7). Allerdings sind die Konsequenzen der rechtlichen Unmöglichkeit der Begründung gemischten Eigentums (vgl 5 Ob 157/11s) nach Inkrafttreten des WEG 2002 hier nicht näher zu erörtern, ebensowenig die Anwendung des Übergangsrechts (§ 57 Abs 1 und 2 WEG 2002). Auch wenn man mit der Revisionswerberin von einer Nichtigkeit der Wohnungseigentumsbegründung ausgehen wollte, sodass hier nur schlichte Miteigentumsanteile verbunden mit entsprechenden Gebrauchsregelungen anzunehmen wären, müsste die inhaltliche Entscheidung über das Vorliegen und die Zulässigkeit einer Widmungsänderung nach den zu 5 Ob 41/18t vorgegebenen Kriterien erfolgen. Warum die vertragliche Einigung der Miteigentümer und die von ihnen einvernehmlich getroffene Benützungsregelung im Verhältnis der Vertragsparteien zueinander nichtig sein sollten, führt die Revisionswerberin nicht näher aus. Warum der Erwerb schlichter Miteigentumsanteile unter wechselseitiger Einräumung alleiniger Nutzungsrechte rechtlich unmöglich sein sollte, istnichtzu erkennen.
[13] 2.3. Die Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB kann von jedem Miteigentümer (Wohnungseigentümer) nicht nur gegen Dritte, sondern auch gegen andere Miteigentümer (Wohnungseigentümer) erhoben werden. Für die Beseitigung einer behauptetermaßen eigenmächtig vorgenommenen Änderung macht es dabei keinen Unterschied, ob der Beklagte als Wohnungseigentümer oder als schlichter Miteigentümer in Anspruch genommen wird (5 Ob 41/18t mwN).
[14] 2.4. Dass das als WE 1 bezeichnete Objekt im ersten Obergeschoss zwar nach wie vor im schlichten Miteigentum steht, aber im Rahmen einer – im Grundbuch angemerkten – Benützungsvereinbarung dem Rechtsvorgänger der Beklagten zur alleinigen Nutzung überlassen wurde, ist im Revisionsverfahren ebenso wenig strittig wie die Überbindung dieser Benützungsvereinbarung auf die Beklagte. Davon auszugehen, dass der Beklagten als Miteigentümerin, der der physische Besitz dieses Teils der Liegenschaft zur alleinigen Nutzung überlassen wurde, die ausschließliche rechtliche Verfügungsgewalt über diesen Teil zukommt (5 Ob 41/18t), ist daher nicht zu beanstanden. § 828 ABGB stünde dem nur dann entgegen, wenn eine Widmungsänderung oder ein Eingriff in die Substanz in die Rechtssphäre der übrigen Miteigentümer eingriffe und deren wichtige Interessen berührte (5 Ob 41/18t; RS0013205; RS0013604).
[15] 2.5. Das Änderungsrecht des § 16 Abs 2 WEG 2002 betrifft nur Wohnungseigentümer, nicht aber schlichte Miteigentümer in Mischhäusern, weil Inhalt und Umfang der Sondernutzungsrechte sich diesfalls nach der getroffenen Benützungsvereinbarung bestimmen. Hier haben die Mit‑ und Wohnungseigentümer im Wohnungseigentumsvertrag aber vereinbart, dass der Rechtsvorgänger der Beklagten gleich einem Wohnungseigentümer zur alleinigen Nutzung des ihm zugeordneten Objekts WE 1 berechtigt sein soll. Es ist daher für die Frage, zu welchem Zweck dieses Objekt verwendet werden darf, wie bei einem Wohnungseigentumsobjekt auf diese Widmung im Vertrag abzustellen und aufgrund des hier vertraglich geschaffenen Gleichklangs zwischen Mit‑ und Wohnungseigentümern auch auf die Rechtsprechung zur Widmungsänderung iSd § 16 Abs 2 WEG 2002 zurückzugreifen – wie dies im Übrigen auch die Revisionswerberin selbst tut (vgl 5 Ob 41/18t).
[16] 3.1. Maßgeblich ist somit, welche Widmung die Mit‑ und Wohnungseigentümer vertraglich für die noch immer im schlichten Miteigentum stehenden Räumlichkeiten WE 1 vereinbart haben. Grundsätzlich ist es eine Frage des Einzelfalls, ob die Umwandlung des Gegenstands eines in einem Wohnungseigentumsobjekt geführten Unternehmens eine genehmigungsbedürftige Änderung bewirkt (vgl RS0119528) und auch das rechtswirksame Zustandekommen und der Inhalt einer Widmung von Teilen einer im Wohnungseigentum stehenden Liegenschaft hängt regelmäßig von den Umständen des zu beurteilenden Falls ab (RS0120725 [T3]). Ob die vertragliche Einigung der Mit‑ und Wohnungseigentümer im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, könnte nur dann eine erhebliche Rechtsfrage aufwerfen, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (5 Ob 72/19b). Dies ist hier aber nicht der Fall:
[17] 3.2. Nach dem Wohnungseigentumsvertrag haben die Parteien für das Objekt WE 1 eine unspezifizierte Geschäftsraumwidmung vereinbart. Alle Mit‑ und Wohnungseigentümer haben ihre Zustimmung zu baulichen Adaptierungen erteilt, die für die Verfolgung der Geschäftszwecke nützlich oder erforderlich erscheinen. Für die Beurteilung der (eigenmächtigen) Widmungsänderung ist die gültige Widmung des betreffenden Objekts der beabsichtigten bzw tatsächlichen Verwendung gegenüberzustellen (RS0101800 [T1, T2, T4, T8]). Die Nutzung der Räumlichkeit als Fitness‑Studio unter eine (unspezifizierte) Geschäftsraumwidmung fallend zu werten, ist nicht zu beanstanden. Mit der Entscheidung des Fachsenats 5 Ob 105/16a wurde die frühere, insoweit nicht differenzierende Rechtsprechung (RS0119528), wonach auch bei völlig unspezifischer Geschäftsraumwidmung generell das Vorliegen einer Widmungsänderung am Kriterium der Verkehrsüblichkeit festzumachen sein soll, eingeschränkt und präzisiert. Die Frage der Verkehrsüblichkeit der Nutzungsänderung ist demnach bei einer unspezifischen Geschäftsraumwidmung – wie sie auch hier vorliegt – nur von ganz untergeordneter Bedeutung. Sie bedarf daher hier keiner weiteren Erörterung.
[18] 3.3. Soweit sich die Revisionswerberin zur Begründung der Widmungsänderung selbst auf längere Öffnungszeiten abends und an den Wochenenden bezieht und mit der Entscheidung 5 Ob 160/17s argumentiert, übersieht sie, dass allfällige Beeinträchtigungen durch längere Öffnungszeiten danach erst dann zu prüfen sind, wenn eine Widmungsänderung tatsächlich zu bejahen wäre. Außerdem waren die Geschäfte im Objekt auch zuvor teils bis 19:30 Uhr geöffnet und die Modelleisenbahnanlage stand dem Publikum sogar an Wochenenden für den Besuch offen. Eine wesentliche Veränderung der Öffnungszeiten lässt sich aus den Feststellungen des Erstgerichts somit gar nicht ableiten.
[19] 3.4. Das Erstgericht ging davon aus, dass sich im Vergleich zu vorher ansässigen Unternehmen die Besucherfrequenz durch das Fitness‑Center nicht erhöhte, dies auch nicht dadurch, dass Kunden des Fitness‑Centers den auf der Liegenschaft vorhandenen Geschäftseingang benutzen. Die Kunden des Fitness‑Studios benützen auch den östlichen Eingang nicht häufiger. Diese Feststellungen reichen für die rechtliche Beurteilung aus. Welche Parkplätze Kunden des Fitness‑Studios nach 21:00 Uhr verwenden, ist nicht relevant, weshalb die behauptete sekundäre Mangelhaftigkeit – die das Berufungsgericht frei von Rechtsirrtum verneint hat – nicht vorliegt. Die dazu behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[20] 4. Damit ist die übereinstimmende Beurteilung der Vorinstanzen, hier seiaufgrund der konkreten Vertragslage nicht von einer genehmigungsbedürftigen Widmungsänderung beim Objekt WE 1 auszugehen, entgegen der in der Zulassungsbegründung geäußerten Auffassung auch im Einzelfall nicht korrekturbedürftig. Die Frage der (allfälligen) Unzulässigkeit der Wohnungseigentumsbegründung an einem Mischhaus nach dem WEG 2002 ist für diese Beurteilung rechtlich nicht relevant.
[21] 5. Die Revision war daher zurückzuweisen.
[22] 6. Gemäß §§ 40, 50 ZPO hat die Klägerin die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
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