OGH 5Ob157/11s

OGH5Ob157/11s20.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers Dr. A* M*, vertreten durch Dr. Christian Prader, Mag. Ulrich Ortner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen den Antragsgegner K* B*, vertreten durch Dr. Joachim Tschütscher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen § 52 Abs 1 Z 1 WEG iVm § 9 Abs 3 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss (richtig: Sachbeschluss) des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 14. Juli 2011, GZ 4 R 249/11p‑68, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:E100348

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG und § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

1. Der Antragsteller begehrt die Neufestsetzung der Nutzwerte für eine Liegenschaft, an der für ihn und den Antragsgegner Wohnungseigentum begründet ist. Infolge vom Antragsgegner eigenmächtig vorgenommener baulicher Änderungen - er habe seine Wohnungseigentumsobjekte mit Objekten der ebenfalls in seinem Eigentum stehenden Nachbarliegenschaft baulich verbunden - sei die Wohnungseigentumstauglichkeit dieser Objekte des Antragsgegners verlorengegangen, weil keine bauliche Abgeschlossenheit mehr bestehe. Das habe eine sanierungsbedürftige partielle Nichtigkeit der Wohnungseigentumsbegründung nach sich gezogen.

Der Antragsgegner sei weder zu einer Änderung des Wohnungseigentumsvertrags noch zu einer Herstellung der Wohnungseigentumstauglichkeit seiner Objekte bereit.

Beide Vorinstanzen wiesen das § 9 Abs 3 WEG zu unterstellende Begehren ab, weil eine Nutzwertfestsetzung unter Einhaltung zwingender Grundsätze im vorliegenden Fall unmöglich sei.

2. Der Antragsteller beharrt in seinem außerordentlichen Rechtsmittel darauf, dass aufgrund der Amtswegigkeit des Nutzwertfestsetzungsverfahrens jedenfalls eine Entscheidung getroffen werde müsse und sei es auch nur, um dem Antragsteller einen „Fahrplan“ für eine Sanierungsmöglichkeit zu geben, wie das im vergleichbaren Fall der Entscheidung 5 Ob 279/00s immolex 2001/104 = wobl 2001/54 (Call) geschehen sei.

Rechtliche Beurteilung

3. Dazu ist Folgendes klarzustellen:

3.1 Zufolge § 3 Abs 2 WEG idgF ist die Begründung von Wohnungseigentum nur mehr zulässig, wenn sie sich auf alle wohnungseigentumstauglichen Objekte bezieht, die nach der Widmung der Miteigentümer als Wohnungseigentumsobjekte vorgesehen sind. Es obliegt daher allein der Entscheidung der Miteigentümer, ob sie an wohnungseigentumstauglichen Objekten Wohnungseigentum begründen oder diese in der Allgemeinfläche belassen wollen (vgl Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht22 Band II, § 3 WEG Rz 30). Mit dieser Einführung obligatorischer Wohnungseigentumsbegründung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Entstehung neuer Mischhäuser zu verhindern (5 Ob 94/10z wobl 2011/92). Seit der Stammfassung des WEG 2002 ist also eine nur partielle Wohnungseigentumsbegründung an einer Liegenschaft nicht mehr zulässig.

3.2 § 3 Abs 2 WEG verlangt die Erfassung aller wohnungseigentumstauglichen und nicht als allgemeine Teile gewidmeten Objekte im Rahmen der Nutzwertfestsetzung und die tatsächliche Wohnungseigentumsbegründung daran (5 Ob 311/03a wobl 2004/74 mwN).

3.3 Eine Nutzwertfestsetzung ist ausnahmslos rechtsgrundabhängig und schafft keinen zivilrechtlichen Ersatztitel (5 Ob 272/00m wobl 2001/55 [insoweit zust Call]).

Es kommt daher für die Nutzwertfestsetzung nicht nur auf die abstrakte Tauglichkeit von Objekten an, sondern auf die konkrete Widmung als Wohnungseigentumsobjekt, Zubehörwohnungseigentum oder allgemeinen Teil (RIS‑Justiz RS0114928 ua).

3.4 Daher kann aber auch in einem Verfahren nach § 9 Abs 2 bzw Abs 3 WEG von Widmungen nicht abgegangen werden. Die Nutzwertfestsetzung hat die diesbezügliche vertragliche Einigung (Widmungsakt) nachzuvollziehen (vgl 5 Ob 29/08p immolex 2008/148 [Stibi]; vgl RIS‑Justiz RS0114274).

3.5 Wird daher durch bauliche Änderungen an Objekten, an denen bereits Wohnungseigentum begründet ist, deren Wohnungseigentumstauglichkeit iSd § 2 Abs 2 WEG beseitigt, wie das hier durch Verbindungen mit Objekten auf einer Nachbarliegenschaft der Fall ist, kommt eine Einordnung solcher Objekte als allgemeine Teile der Liegenschaft oder als Zubehörwohnungseigentum durch eine Nutzwertentscheidung nicht in Betracht.

Eine Rückführung solcher Anteile in schlichtes Miteigentum ist zufolge § 3 Abs 2 WEG unzulässig. An der rechtlichen Unmöglichkeit, gemischtes Eigentum neu zu begründen, scheitert die Vergleichbarkeit mit dem der Entscheidung 5 Ob 279/00s zugrundeliegenden Fall, in dem ein unrichtigerweise als selbständiges WE‑Objekt parifiziertes Freischwimmbecken, das ebenfalls nicht als allgemeiner Teil der Liegenschaft behandelt werden konnte, in schlichtes Miteigentum zu überführen war.

3.6 In einem Nutzwertfestsetzungsverfahren, das als Regelungsstreitigkeit konzipiert ist und in dem ohne Bindung an ein gestelltes Begehren und ohne Dispositionsbefugnis der Parteien zu entscheiden ist, kann eine Festsetzung der Nutzwerte aber nur unter Einhaltung der zwingenden gesetzlichen Bestimmungen und unter Beachtung der privatrechtlichen Einigung (Widmung) erfolgen.

Lassen diese Grundsätze aber keine rechtlich und vertraglich zulässigen Zuordnungen für die gesamte Liegenschaft zu, steht § 3 Abs 2 WEG auch einer Teilentscheidung entgegen.

In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen das Begehren auf Neufestsetzung der Nutzwerte abgewiesen. Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG stellen sich dabei nicht.

Die Rechtsfolgen einer gegen zwingende Bestimmungen verstoßenden Nutzwertfestsetzung und darauf basierender Grundbuchseintragungen (vgl ausführlich Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 9 WEG Rz 11 mwN) sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers war daher zurückzuweisen.

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