OGH 10ObS96/20w

OGH10ObS96/20w19.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei T*, geboren * 2006, vertreten durch die gesetzliche Vertreterin R*, beide *, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65–67, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Mai 2020, GZ 12 Rs 14/20 w‑12, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130629

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der 2006 geborene Kläger ist seit 1. 6. 2016 Mitglied der Feuerwehrjugend der Freiwilligen Feuerwehr S*. Am 1. 3. 2019 nahm er an einer von der Jugendbetreuerin organisierten Gruppenaktivität in einem „Erlebnisbad“ teil und brach sich dort beim Rutschen einen Teil des Schneidezahns aus.

[2] Mit Bescheid vom 3. 7. 2019 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab und sprach aus, dass kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe.

[3] Das Erstgerichtwies das dagegen erhobene, auf Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall und Gewährung einer Versehrtenrente gerichtete Klagebegehren ab.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision nicht zu, weil sich die Entscheidung an der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs orientiere.

[5] Rechtlich verneinte es das Bestehen von Versicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG, weil der Besuch im Erlebnisbad nicht in den Bereich der Ausbildung, sondern in den Bereich der „sinnvollen Freizeitgestaltung“ im Sinn der „Dienstanweisung Feuerwehrjugend“ des Landesfeuerwehrkommandos Oberösterreich (DAFJ) falle.

[6] Es liege auch keine versicherte „Umgebungstätigkeit“ im Sinn des § 176 Abs 1 Z 7 lit b ASVG vor, weil die Teilnahme am Ausflug nicht zu den Kernaufgaben und dem unmittelbaren Wirkungsbereich der Freiwilligen Feuerwehr gehöre und weder der Öffentlichkeitsarbeit noch der Beschaffung von Geldmitteln oder der Gewinnung neuer Mitglieder gedient habe. Ob der Kläger in die Zusatzversicherung in der Unfallversicherung einbezogen sei und ob ein Antrag nach § 22 Abs 4 Satz 1 ASVG gestellt worden sei, könne daher dahinstehen.

[7] Der Revisionswerber macht geltend, im Hinblick auf die divergierenden Entscheidungen 10 ObS 139/17i und 10 ObS 167/19k liege eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vor. Der Tatbestand des § 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG sei erfüllt, weil bei Kindern der Begriff der Ausbildung auch die Entwicklung der Persönlichkeit umfasse; jener des § 176 Abs 1 Z 7 lit b ASVG sei erfüllt, weil die Feuerwehren zu einer gezielten Jugendarbeit verpflichtet seien.

[8] Die außerordentliche Revision des Klägers ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[9] 1.1. Mit § 176 Abs 1 Z 7 ASVG wurde der Versicherungsschutz für Zivilschutzorganisationen (ua für Freiwillige Feuerwehren) auf Tätigkeiten ausgeweitet, die sich in Ausübung der ihren Mitgliedern im Rahmen der Ausbildung, der Übungen und des Einsatzfalls obliegenden Pflichten ereignen (§ 176 Abs 1 Z 7 lit a ASVG).

[10] 1.2. Unter dem Begriff „Ausbildung“ ist nur die Vermittlung von Kenntnissen, die bei Einsatzfällen gebraucht werden, zu verstehen (10 ObS 63/92 SSV-NF 6/123 = RS0084286 [T4]; 10 ObS 298/88 SSV‑NF 2/140). Dabei hängt der Versicherungsschutz aber nicht davon ab, dass sich der Unfall bei der Ausbildung ereignete. Vielmehr kommt es darauf an, ob er auf eine im Rahmen der Ausbildung obliegende Pflicht zurückzuführen ist (RS0084286 [T1]). Entscheidend ist, ob das Mitglied annehmen durfte und musste, dass bei der Veranstaltung der Ausbildung zuzuordnende Kenntnisse vermittelt würden, und dass er deshalb zum Besuch der Veranstaltung verpflichtet sei (10 ObS 298/88 SSV‑NF 2/140).

[11] 1.3. Dafür, dass beim Ausflug in das „Erlebnisbad“ auch die für Einsätze erforderlichen Kenntnisse vermittelt worden wären, besteht kein Anhaltspunkt. Der Kläger hat auch nicht behauptet, dass er mit der Teilnahme am Ausflug eine ihm im Rahmen der Ausbildung obliegende Pflicht erfüllt hätte. Das Vorbringen, der Ausflug würde in kindgerechter Weise die für die Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr nützlichen Charaktereigenschaften entwickeln, ist zur Dartuung einer Verpflichtung nicht ausreichend. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO wird mit diesem Vorbringen nicht aufgezeigt.

[12] 2.1. Mit § 176 Abs 1 Z 7 lit b ASVG (in der Fassung der 55. ASVG-Novelle BGBl I 1998/138) wurde der Versicherungsschutz für Zivilschutzorganisationen auf Tätigkeiten ausgedehnt, die deren Mitglieder im Rahmen des gesetzlichen oder satzungsmäßigen Wirkungsbereichs der Zivilschutzorganisation ausüben und die zuvor nicht geschützt waren, weil sie nicht unter Ausbildung, Übung oder Einsatz subsumierbar sind (vgl RS0109066). Die Mitglieder dieser Organisationen sollten auch in Ausübung von Aktivitäten, die in den jeweiligen Satzungen (Statuten usw) der Organisationen festgeschrieben sind und der Aufbringung der Mittel zur Erfüllung ihrer altruistischen Aufgaben dienen („Umgebungstätigkeiten“), Versicherungsschutz genießen (10 ObS 167/19k SSV‑NF 33/80; 10 ObS 175/19m). Geschützt sind damit nur Tätigkeiten, die in einem Zusammenhang mit der Verwirklichung des gemeinnützigen Tätigwerdens stehen, wie die Öffentlichkeitsarbeit, und Hilfstätigkeiten, die der Lukrierung von Spenden zur Finanzierung der betreffenden Organisationen dienen (10 ObS 42/17z SSV-NF 31/32 = DRdA 2018/7, 53 [Mathy]; Müller in SV-Komm [273. Lfg] § 176 ASVG Rz 125).

[13] 2.2. Als geschützte „Umgebungstätigkeiten“ beurteilte die Rechtsprechung etwa Tätigkeiten, die dem Aufbringen finanzieller Mittel zur Erfüllung der altruistischen Tätigkeit dienen, wie etwa die Beteiligung an ortsüblichen Festtagsmärkten (2 Ob 74/14t) oder Tätigkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, sofern diese der Außendarstellung zwecks Erhöhung des Ansehens, der Förderung der Spendenbereitschaft und zum Wecken des Interesses für eine ehrenamtliche Tätigkeit dienen. Unter dem Gesichtspunkt der Öffentlichkeitsarbeit wurde der Versicherungsschutz eines für die Jugendarbeit zuständigen Feuerwehrkommandanten bejaht, der sich im Rahmen eines Empfangs der Feuerwehrjugend aus Anlass ihres Erfolgs beim Bundeswettbewerb der Freiwilligen Feuerwehren beim Abschießen eines Feuerwerks verletzte (10 ObS 139/17i SSV-NF 32/9 = DRdA 2019/8, 71 [Hörmann]). Maßgeblich für die Qualifikation als Öffentlichkeitsarbeit war, dass es sich nicht bloß um eine interne Gemeinschaftsveranstaltung handelte, sondern um eine öffentliche Veranstaltung unter Beteiligung von – auch überregionalen – Vertretern der Politik und der Feuerwehr.

[14] Bejaht wurde der Versicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 7 lit b ASVG auch für eine Besprechung, die der Organisation eines Grillfests diente, das die Pflege des Kontakts mit anderen Hilfsorganisationen zum Ziel hatte und der Organisation des örtlichen Hilfs- und Rettungswesens diente (10 ObS 153/07h SSV-NF 21/89 = ZAS 2009/11, 79 [Naderhirn] = DRdA 2009/38, 396 [Müller]).

[15] 2.3. Hingegen sind betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen ehrenamtlicher Mitarbeiter von Zivilschutzorganisationen grundsätzlich nicht versichert (Müller in SV-Komm [273. Lfg] § 176 ASVG Rz 125; 10 ObS 42/17z). In der Rechtsprechung wurden die Durchführung einer gemeinsamen Jause (10 ObS 63/07y SSV‑NF 21/39), die Reparatur einer Satellitenanlage am Feuerwehrhaus zum Zweck des gemeinsamen Fernsehens (10 ObS 42/17z), das Zurückbringen von Helfern, die die Freiwillige Feuerwehr beim Abladen eines Geschirrspülers unterstützt hatten (10 ObS 175/19m) sowie die Teilnahme an einem Feuerwehrfest einer Freiwilligen Feuerwehr eines Nachbarorts im Rahmen einer Abordnung der eigenen Freiwilligen Feuerwehr (10 ObS 80/20t) nicht als geschützte Tätigkeiten qualifiziert. Auch die Tätigkeit als Begleitperson bei Schiausflügen der jeweiligen Jugendorganisation fällt nicht unter den Versicherungsschutz des § 176 Abs 1 Z 7 lit b ASVG (10 ObS 167/19k SSV‑NF 33/80; 10 ObS 70/12k SSV‑NF 26/41).

[16] 2.4. Dazu hat der Oberste Gerichtshof jüngst klargestellt, dass die im Rahmen eines Schitags geleistete Betreuungstätigkeit, auch wenn sie unter dem Aspekt der Nachwuchspflege zum Erhalt des Mitgliederstands für die Freiwillige Feuerwehr nützlich ist, nicht in einem ausreichend engen Zusammenhang mit der gemeinnützigen Tätigkeit der Freiwilligen Feuerwehr steht und für die Begründung des Versicherungsschutzes nach § 176 Abs 1 Z 7 lit b ASVG nicht ausreicht (10 ObS 167/19k SSV‑NF 33/80).

[17] 2.5. Ausgehend von dieser Rechtsprechung, die die Tätigkeit als Betreuungspersonen bei Freizeitaktivitäten der Jugendorganisation nicht in den Versicherungsschutz einbezieht, haben die Vorinstanzen den Versicherungsschutz eines jugendlichen Teilnehmers an einer solchen Aktivität vertretbar verneint. Mit dem Hinweis auf die gesetzliche Zielsetzung einer gezielten Jugendarbeit (§ 1 Abs 2 oö FeuerwehrG) zeigt der Revisionswerber nicht auf, dass die Vorinstanzen von der dargestellten Rechtsprechung abgewichen wären.

[18] 2.6. Die vom Revisionswerber behauptete Divergenz zwischen den Entscheidungen 10 ObS 167/19k und 10 ObS 139/17i liegt nicht vor. Während die Entscheidung 10 ObS 167/19k eine interne Freizeitveranstaltung der Feuerwehrjugend zum Gegenstand hat, ereignete sich der Unfall des Klägers zu 10 ObS 139/17i bei dessen Tätigkeit im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung, an der überregionale Vertreter der Politik und der Feuerwehren teilnahmen. Es handelte sich daher in diesem Fall um Öffentlichkeitsarbeit, die – wie ausgeführt – unter Unfallversicherungsschutz steht.

[19] 3. Da der Revisionswerber insgesamt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist seine außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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