OGH 10ObS298/88

OGH10ObS298/8820.12.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Prohaska (Arbeitgeber) und Günter Eberhard (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerd O***, Lehrling, 6890 Lustenau, Alpstraße 47, vertreten durch Dr.Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei A*** U***, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65,

vertreten durch Dr.Adolf Fiebich, Dr.Vera Kremslehner und Dr.Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.Juni 1988, GZ 5 Rs 91/88-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. Februar 1988, GZ 35 Cgs 1115/87-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Lustenau. Er nahm am 28.März 1987 an deren Jahreshauptversammlung teil. Als er etwa eine Viertelstunde nach dem Ende mit einem PKW auf kürzestem Weg zu seiner Wohnung zurückkehren wollte, wurde er bei einem Verkehrsunfall verletzt und befand sich deshalb bis 30.Oktober 1987 im Krankenstand. Als Folge des Unfalls verblieb eine geringe endlagige Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk ohne sichbare Veränderung im Sinn einer Kopfnekrose und am linken Kniegelenk eine endlagige Bewegungseinschränkung in der Beugung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt deshalb seit dem 4.September 1987 40 %. Der Kläger begehrte zuletzt, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm vom 27.September bis 30.Oktober 1987 eine Versehrtenrente im Ausmaß der Vollrente und ab 31.Oktober 1987 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 40 % der Vollrente zu gewähren. Die beklagte Partei bestritt, daß die Teilnahme an der Jahreshauptversammlung zur Ausübung der im § 176 Abs 1 Z 7 ASVG genannten Pflichten gehöre.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in der Form statt, daß es die vom Kläger begehrte Versehrtenrente als vorläufige Rente feststellte. Es nahm noch folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die Teilnahme an der Jahreshauptversammlung war für jedes Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Pflicht. Die Tagesordnung sah die Begrüßung, die Genehmigung der Tagesordnung, das Verlesen der Verhandlungsschrift über die letzte Jahreshauptversammlung, den Tätigkeitsbericht des Kommandanten, den Kassabericht, die Auszeichung für sehr gute Probenbesuche, die Aufnahme neuer Mitglieder, die Wahl eines Kassaprüfers, die Wahl von vier Delegierten zum Verbandstag und von vier Delegierten zum Bodensee-Feuerwehrbund sowie einem Punkt "Allfälliges" vor. In seinem Tätigkeitsbericht informierte der Kommandant die anwesenden Mitglieder unter anderem darüber, was vom Landesfeuerwehrverband an Ausbildung für das kommende Jahr vorgeschrieben wird und welche Geräte im kommenden Jahr von der Freiwilligen Feuerwehr, deren Mitglied der Kläger ist, angeschafft werden und was dort im organisatorischen und administrativen Bereich anfallen wird. Im Rahmen des Tagesordnungspunktes "Allfälliges" informierte der zuständige Bezirksfeuerwehrinspektor über die Geschehnisse im Landesfeuerwehrverband.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm als erwiesen angenommenen Sachverhalt dahin, daß die Jahreshauptversammlung auch Ausbildungscharakter gehabt habe, weil das Wissen um die Schaffung und Erhaltung einer Organisation, wie sie die Feuerwehr darstelle, ein Teil der Ausbildung sei. Beim Unfall des Klägers handle es sich daher um einen gemäß § 176 Abs 1 Z 7 ASVG den Arbeitsunfällen gleichgestellten Unfall.

Das Berufungsgericht wies infolge Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren ab. Die Tagesordnung der Hauptversammlung habe großteils Punkte enthalten, die sicherlich das Wissen um die Schaffung und Erhaltung der Organisation erhöht hätten. Damit falle sie aber noch nicht unter die Ausbildung, weil darunter nach dem allgemeinen Verständnis nur die Schulung der Mitglieder im Hinblick auf einen Einsatzfall zu verstehen sei. Bei der Hauptversammlung handle es sich vielmehr um das satzungsgemäße Organ der eine öffentlich-rechtliche Körperschaft bildenden Ortsfeuerwehr, die nach der für sie geltenden Satzung der Ausübung bestimmter Rechte der Mitglieder, wie der Genehmigung des Jahresvoranschlags und der Wahl des Ortsfeuerwehrkommandanten, und damit der Aufrechterhaltung der Organisation und nicht der Ausbildung diene.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 176 Abs 1 Z 7 ASVG sind den Arbeitsunfällen Unfälle gleichgestellt, die sich in Ausübung der den Mitgliedern von freiwilligen Feuerwehren (Feuerwehrverbänden) und anderen im einzelnen bezeichneten Organisationen im Rahmen der Ausbildung, der Übungen und des Einsatzfalles obliegenden Pflichten ereignen. Gemäß dem nachfolgenden Absatz 5 ist § 175 Abs 2 Z 1 ASVG entsprechend anzuwenden. Es steht daher auch der Weg zum oder von dem Ort, an dem die Ausbildung, die Übung oder der Einsatz stattfindet, unter Versicherungsschutz. Der Erfolg der Klage hängt somit davon ab, ob der Besuch der Jahreshauptversammlung zu den Pflichten gehört, die den Mitgliedern einer freiwilligen Feuerwehr im Rahmen der Ausbildung - die anderen Fälle kommen von vornherein nicht in Betracht - obliegen.

Das Berufungsgericht erkannte zutreffend, das unter "Ausbildung" im Sinn der angeführten Gesetzesstelle nur die Vermittlung von Kenntnissen, die bei Einsatzfällen gebraucht werden, zu verstehen ist. Dies ergibt sich nicht nur aus der Bedeutung des Wortes in seinem Zusammenhang (vgl § 6 ABGB), weil neben den Einsatzfällen offensichtlich jene Tätigkeiten angeführt werden sollten, welche die Beteiligung an einem Einsatz ermöglichen sollen; es spricht dafür, wie schon das Berufungsgericht hervorhob, auch die Entstehungsgeschichte des § 176 Abs 1 Z 7 ASVG. Diese Bestimmung ersetzt nämlich § 8 Abs 1 Z 3 lit d ASVG in der Stammfassung (BGBl.1955/189), der die Teilversicherung in der Unfallsversicherung für die Angehörigen von freiwilligen Feuerwehren und anderen Organisationen "in Ausübung der ihnen als Mitglieder oder freiwillige Helfer dieser Organisationen obliegenden Pflichten" vorsah. Diese Teilversicherung wurde in der 9.ASVGNov. BGBl.1962/13, durch die geltende Regelung ersetzt, wobei in der Begründung des Initiativantrages (517 BlgNR 9.GP 77) ausdrücklich auf die Schwierigkeiten hingewiesen wurde, die die Abgrenzung des Unfallversicherungsschutzes nach der wiedergegebenen Bestimmung der Stammfassung bereitete. Die Entstehungsgeschichte verbietet daher eine Auslegung der geltenden Bestimmung in der Richtung, daß Mitglieder immer dann unter Versicherungsschutz stehen, wenn sie in Ausübung ihrer Pflichten handeln.

Dem Berufungsgericht ist zwar darin beizupflichten, daß die Teilnahme an der "Jahreshauptversammlung" (womit offensichtlich die ordentliche Feuerwehrversammlung gemäß § 10 der Satzung der Ortsfeuerwehren von Vorarlberg, festgelegt in der Anlage II zur VO der Vorarlberger Landesregierung LGBl.1949/17 zur Durchführung der Feuerpolizeiordnung LGBl.1949/16 gemeint ist) in erster Linie die Ausübung der satzungsgemäßen Rechte ihrer Mitglieder zum Gegenstand hat. Dies hindert es aber nicht, daß sie daneben auch Zwecken der Ausbildung dienen kann. Dabei kommt es für den Versicherungsschutz nicht darauf an, ob die konkrete Versammlung hiezu gedient hat, sondern ob sie hiefür bestimmt war. Entscheidend ist also, ob das verletzte Mitglied der freiwilligen Feuerwehr annehmen durfte und mußte, daß bei der Versammlung der Ausbildung zuzuordnende Kenntnisse vermittelt werden, und daß es deshalb zum Besuch der Versammlung verpflichtet ist. Dafür spricht nicht zuletzt der Wortlaut des § 176 Abs 1 Z 7 ASVG, weil nach dieser Bestimmung der Versicherungsschutz nicht davon abhängt, ob sich der Unfall bei der Ausbildung ereignete; es kommt vielmehr darauf an, ob er auf eine im Rahmen der Ausbildung obliegende Pflicht zurückzuführen ist. Wenn also die Feuerwehrversammlung (auch) zur Ausbildung bestimmt und das Mitglied der freiwilligen Feuerwehr deshalb zur Teilnahme verpflichtet ist, kommt § 176 Abs 1 Z 7 ASVG unabhängig davon zum Tragen, ob in der Folge tatsächlich der Ausbildung zuzuordnende Kenntnisse vermittelt wurden.

In dem hier zu behandelnden Fall ist auf die §§ 5 und 6 der schon zitierten Satzung der Ortsfeuerwehren von Vorarlberg hinzuweisen, aus denen hervorgeht, daß ein aktiver Wehrmann verpflichtet ist, an allen für ihn bestimmten Veranstaltungen zur Schulung regelmäßig und eifrig teilzunehmen, daß aber auf der anderen Seite die Teilnahme an den Verhandlungen und Abstimmungen der Feuerwehrversammlung bloß ein Recht ist. Daraus folgt, daß ein aktiver Wehrmann nur, aber immer dann die Pflicht hat, an der Feuerwehrversammlung teilzunehmen, wenn diese zur Schulung bestimmt ist.

Bei der Feuerwehrversammlung, die der Kläger besuchte, wurden zwar nur Informationen weitergegeben, welche die Organisation betrafen, es wurde aber kein für den Einsatzfall notwendiges Wissen vermittelt. Die Weitergabe solcher Informationen gehört entgegen der Ansicht des Erstgerichtes und des Klägers nicht zur Ausbildung. Dies schließt jedoch nicht aus, daß die Versammlung zur Schulung und damit zur Ausbildung bestimmt war. Um dies beurteilen zu können, sind weitere Feststellungen notwendig. In diesem Zusammenhang wird insbesondere festzustellen sein, ob bei den ordentlichen Feuerwehrversammlungen der letzten Jahre Kenntnisse vermittelt wurden, die bei Einsatzfällen gebraucht werden. Ferner wird zu klären sein, aus welchen Gründen die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr zur Teilnahme an der Versammlung verpflichtet waren. Die Rechtssache war daher an das Erstgericht zurückzuweisen, zumal die im § 2 Abs 1 ASGG iVm § 496 Abs 3 ZPO für die Zurückverweisung an das Berufungsgericht festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte