OGH 14Os57/20v

OGH14Os57/20v21.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Juli 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weinhandl in der Strafsache gegen ***** W***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten ***** W***** und ***** P***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 29. Jänner 2020, GZ 16 Hv 81/19p‑51, sowie über die Beschwerde des Angeklagten W***** gegen den gemäß § 494a Abs 1 StPO gefassten Beschluss nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00057.20V.0721.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden ***** W***** und ***** P***** jeweils des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (1./), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (2./), und der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (3./) schuldig erkannt.

Danach haben sie am 21. August 2019 in Graz im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter

1./ ***** K***** mit gegen ihn gerichteter (US 5) Gewalt unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Mobiltelefon im Wert von 340 Euro, eine Geldbörse unbekannten Werts samt darin befindlichen 35 Euro Bargeld mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem sie ihn von hinten mit Faustschlägen attackierten, mit einer Flasche zu Boden schlugen, Geld und Mobiltelefon forderten, ihn durchsuchten und die Gegenstände an sich nahmen;

2./ Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, nämlich die E‑Card, den Personalausweis, den Staplerführerschein sowie den (deutschen) Führerschein des ***** K*****, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, indem sie diese im Zuge der zu 1./ geschilderten Tat an sich nahmen und später wegwarfen;

3./ unbare Zahlungsmittel, über die sie nicht verfügen durften, nämlich die Bankomatkarte und die Kreditkarte des ***** K***** mit dem Vorsatz, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, unterdrückt, indem sie diese im Zuge der zu 1./ geschilderten Tat an sich nahmen und später wegwarfen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten W***** verfehlt ebenso ihr Ziel wie die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P*****. Soweit die Beschwerden das Urteil uneingeschränkt bekämpfen, inhaltlich aber zu 2./ und 3./ nicht argumentieren, war auf sie keine Rücksicht zu nehmen (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten W*****:

Die Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) und Widersprüchlichkeit (Z 5 dritter Fall) zu 1./ reklamierende Mängelrüge richtet sich gegen die Feststellungen zur Führung eines Schlages mit einer Flasche gegen den Hinterkopf des Opfers (US 5 f) und behauptet, diese würden „diametral den objektiven Tatbegebenheiten sowie auch den objektiven Beweisen“ entgegenstehen. Indem sie zunächst einzelne Verfahrensergebnisse – auch unter Hinweis auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ (vgl aber RIS‑Justiz RS0102162) – eigenständig würdigt, bringt sie die ins Treffen geführten Begründungsmängel nicht zur Darstellung.

Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) liegt nur vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS-Justiz RS0118316). Den ärztlichen Entlassungsbrief des Opfers vom 23. August 2019 haben die Tatrichter – der Beschwerde zuwider – aber ebenso wenig übergangen wie die Lichtbildbeilage der Landespolizeidirektion Steiermark und die Angaben der Zeugen ***** K*****, ***** Kl***** und ***** B***** (US 8).

Widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie nach den Kriterien der Logik oder Empirie nicht nebeneinander bestehen können (RIS‑Justiz RS0117402). In diesem Sinn können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (RIS-Justiz RS0119089).

Ein solches Begründungsdefizit zeigt die Beschwerde nicht auf, vielmehr übt sie durch die selektive Wiedergabe und Interpretation der Angaben des Angeklagten W***** bloß Beweiswürdigungskritik nach Art einer (im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen) Schuldberufung. Dass aus den Beweisergebnissen und der Verantwortung der Angeklagten für den Beschwerdeführer günstigere Schlussfolgerungen möglich gewesen wären, begründet keine Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0098400).

Mit der Behauptung, das Schöffengericht hätte – seiner Pflicht zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit entsprechend – ein medizinisches Gutachten über die Verletzungen des Opfers einholen müssen, weil dieses keine Schnittwunden oder Verletzungen aufwies, die „typischerweise bei einer Flascheninsultation auftreten“, wird die Aufklärungsrüge (Z 5a) nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht. Der Beschwerdeführer erklärt nämlich nicht, warum er an einer darauf abzielenden sachgerechten Antragstellung gehindert war (RIS-Justiz RS0115823, RS0114036).

Zum auf die Verwendung einer Waffe gerichteten Vorsatz des Angeklagten W***** stellte das Schöffengericht fest, dass der Angeklagte P***** „bewusst und willentlich gemäß dem gemeinsamen Tatplan, der vom Erstangeklagten (W*****) diesbezüglich zumindest ernstlich für möglich gehalten wurde, mit dessen Verwirklichung er sich abfand, eine Waffe, nämlich eine Flasche, zur Verübung der Tat“ verwendete (US 6). Darüber hinaus konstatierten die Tatrichter, dass die Angeklagten dem Opfer „bewusst mit Gewalt fremde bewegliche Sachen (…) wegnehmen, sich diese ohne Rechtsanspruch zueignen und sich unrechtmäßig bereichern wollten“ (US 5 f). Welche darüber hinausgehenden Feststellungen zur Verwirklichung der Qualifikation des § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (auch) durch den Angeklagten W***** erforderlich gewesen wären, macht die Rechtsrüge (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) nicht klar. Im Übrigen wird die Qualifikation des bewaffneten Raubes bei Beteiligung mehrerer auch demjenigen zugerechnet, der die Verwendung einer Waffe durch einen anderen Beteiligten kennt und billigt (RIS‑Justiz RS0094036, Eder-Rieder in WK2 StGB § 143 Rz 14).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P*****:

Die Mängelrüge (Z 5) erachtet die Feststellungen zur Führung eines Schlages mit einer Flasche gegen den Hinterkopf des Opfers zu 1./ (US 5 f) als „unvollständig sowie unzureichend“, weil am Tatort weder eine Flasche noch Scherben einer solchen gefunden und aus einer stumpfen Gewalteinwirkung resultierende Verletzungen des Opfers nicht ärztlich dokumentiert oder nachgewiesen worden seien.

Wie bereits zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten W***** ausgeführt, spricht Mangelhaftigkeit iSd Z 5 zweiter Fall nur die unvollständige Berücksichtigung des in der Hauptverhandlung Vorgekommenen im Rahmen der für die Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen angestellten Beweiswürdigung an (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 420 ff). Offenbar unzureichend iSd Z 5 vierter Fall ist wiederum (nur) eine den Kriterien der Logik und Empirie widersprechende Begründung (RIS-Justiz RS0116732, RS0118317).

Dass eine Flasche oder Scherben am Tatort nicht gefunden wurden, hat das Schöffengericht nicht übergangen (US 8). Die Feststellungen zu den Verletzungen des Opfers (US 5) wiederum leiteten die Tatrichter aus dem ärztlichen Entlassungsbrief des Opfers vom 23. August 2019 ab (US 8). Dass dieser eine aus einer stumpfen Gewalteinwirkung resultierende Verletzung nicht dokumentiere oder nachweise, behauptet die Beschwerde bloß, ohne ein Begründungsdefizit im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes aufzuzeigen.

Die Kritik, dass die Tatrichter den Aussagen des Angeklagten W***** in seiner ersten Vernehmung als Beschuldigter wesentliche Bedeutung beigemessen haben (US 6 f), obwohl dieser aus Sicht des Beschwerdeführers zur Tatzeit psychisch und physisch stark beeinträchtigt gewesen sei, bekämpft die Beweiswürdigung nach Art einer (im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen) Schuldberufung. Die Ausführungen zur behaupteten getrübten Wahrnehmung des Angeklagten W***** gehen daher von vornherein ins Leere. Im Übrigen spricht die Beschwerde mit Divergenzen in den Aussagen der Angeklagten zu ihrem Aufenthalt vor der Tat keine Feststellungen zu entscheidenden, also für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage relevanten Tatsachen an, die aber allein Bezugspunkt der Mängelrüge sind (RIS-Justiz RS0106268, RS0117499).

Soweit die Ausführungen zur Mängelrüge „auch unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO erhoben“ werden, werden der wesensmäßige Unterschied der Nichtigkeitsgründe und das daraus resultierende Erfordernis gesonderter Ausführung vernachlässigt (RIS-Justiz RS0115902).

Der

Tatsachenrüge (Z 5a) ist voranzustellen, dass diese nur unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel – unter gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiserwägungen – verhindern

will (RIS-Justiz RS0118780). Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird durch sie nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583).

Mit Hinweisen auf das (vom Erstgericht im Übrigen ohnehin berücksichtigte [US 8]) Fehlen einerseits einer Flasche oder von Scherben am Tatort sowie andererseits einer Dokumentation von „einschlägigen“ Verletzungen am Hinterkopf des Opfers, wird der – gegen die Annahme der Verwendung einer Flasche als Waffe gerichtete – Nichtigkeitsgrund daher ebenso wenig zur Darstellung gebracht wie mit Überlegungen zur „durch exzessiven Konsum von Alkohol- und Suchtmitteln“ verschwommenen Wahrnehmung des Angeklagten W*****.

Das Gleiche gilt für die Kritik an der Würdigung der Angaben der Zeugen ***** G***** und ***** F***** durch das Gericht (US 7) und das Aufzeigen von (vom Erstgericht ohnehin nicht übergangenen) Divergenzen in deren Aussagen (RIS-Justiz RS0100555).

Die gegen die Verwendung einer Waffe gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) erschöpft sich in einer Kritik an den dazu getroffenen Feststellungen und bringt somit materiell‑rechtliche Nichtigkeit nicht prozessordnungskonform zur Darstellung. Letzteres erfordert nämlich das Festhalten am gesamten Urteilssachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die (methodengerecht abgeleitete) Behauptung, dass das Erstgericht bei der Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist (RIS-Justiz RS0099810, RS0116569).

Die in diesem Zusammenhang vertretene Meinung, das Erstgericht wäre aufgrund der Offizialmaxime zu „Feststellungen hinsichtlich entlastender Beweise“ verpflichtet gewesen, weswegen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO vorliege, ist unverständlich.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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