OGH 6Ob203/19z

OGH6Ob203/19z23.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*****, 2. Mag. D*****, 3. Dr. M*****, alle vertreten durch Dr. Karl Schön, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J*****, vertreten durch Fidi Unger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Herausgabe von Urkunden und Bucheinsicht, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 17. Juni 2019, GZ 1 R 403/18p-13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 11. Oktober 2018, GZ 7 C 826/17x-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00203.19Z.0423.000

 

Spruch:

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Umfang der rechtskräftigen Stattgebung des Klagebegehrens auf Herausgabe von Abschriften der Jahresabschlüsse der B***** KEG der Jahre 2010 bis 2014 sowie Gewährung von Einsicht in die Bücher und Schriften der Jahre 2010 bis 2015 unberührt bleiben, werden im darüber hinausgehenden Umfang einschließlich des durchgeführten Verfahrens als nichtig aufgehoben.

Das von den klagenden Parteien erhobene Begehren ist im außerstreitigen Verfahren zu behandeln und zu erledigen.

Die als verfahrenseinleitender Antrag im Außerstreitverfahren zu behandelnde Klage wird dem Handelsgericht Wien überwiesen.

Die Kosten der für nichtig erklärten Verfahren erster und zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 631,71 EUR (darin 246,10 EUR Barauslagen und 64,27 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Beklagte ist unbeschränkt haftende Gesellschafterin, die Kläger sind Kommanditisten der 2004 in das Firmenbuch eingetragenen B***** KEG (künftig: KEG) mit Sitz in W*****.

Mit am 29. 12. 2017 eingebrachter Klage begehrten die Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihnen die Jahresabschlüsse der KEG 2003 bis 2014 in Abschrift herauszugeben und ihnen Einsicht in die Bücher und Schriften der Jahre 2003 bis 2015 zu gewähren. Dazu stützten sie sich auf § 166 UGB. Über Verlangen der Kläger habe die Beklagte die Herausgabe und Einsicht zugesagt, sei dem aber nicht nachgekommen. Mit Schriftsatz vom 20. 2. 2018 brachten sie vor, es bestünden Hinweise, dass Gewinnausschüttungen möglich gewesen seien, weil ein (Bridgesport-)Verein bis 2008 hohe Einnahmen erzielt hätte, die an die KEG abzuführen gewesen seien.

Sie bewerteten das Klagebegehren mit 3.500 EUR.

Die Beklagte beantragte die Klageabweisung. Sie wandte unter anderem die Verjährung jener Ansprüche ein, die sich auf mehr als sieben Jahre zurückliegende Zeitperioden bezögen.

Das Erstgericht gab der Klage hinsichtlich der Jahresabschlüsse der Jahre 2010 bis 2014 und der Einsicht in die Bücher und Schriften der Jahre 2010 bis 2015 statt und wies das Mehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger gegen den klageabweisenden Teil des Urteils Folge und änderte dieses im gänzlich klagestattgebenden Sinn ab.

Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Verjährung des Kontrollrechts des Kommanditisten nicht vorliege. Die Bewertung gründe sich auf das Klagevorbringen zu den Einnahmen der KEG bis 2008.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen und das Verfahren für nichtig zu erklären. Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen oder hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

1. An die Bewertung des Streitgegenstands gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO durch das Berufungsgericht ist der Oberste Gerichtshof gebunden, es sei denn, das Berufungsgericht hätte – was hier nicht der Fall ist – zwingende gesetzliche Bewertungsvorschriften verletzt oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042515 [T9 ua]; RS0042385 [T22 ua]). Hier hat das Berufungsgericht die wirtschaftliche Bedeutung seines Entscheidungsgegenstands abweichend von der Bewertung durch die Parteien selbständig eingeschätzt und dies unter Hinweis auf das Klagevorbringen nachvollziehbar begründet. Die von den Klägern in ihrer Revisionsbeantwortung behauptete, nicht weiter konkretisierte Ermessensüberschreitung ist nicht ersichtlich.

2. Hinsichtlich der vom Berufungsgericht als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO qualifizierten Rechtsfrage wird auf die Entscheidung 6 Ob 141/19g (= GesRZ 2020, 61 [ablehnend Feltl ]) verwiesen.

3. Zu Recht rügt die Revisionswerberin aber das Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes des § 477 Abs 1 Z 6 ZPO.

3.1. Für die Beurteilung, ob eine Rechtssache im streitigen oder außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist, kommt es auf den Wortlaut des Entscheidungsbegehrens und die zu seiner Begründung vorgebrachten Sachverhaltsbehauptungen an (6 Ob 162/19w; RS0013639 [T1, T11 ua]).

3.2. Die erforderliche Abgrenzung wird durch den inneren Zusammenhang des jeweils geltend gemachten Anspruchs mit einer entweder in die streitige oder in die außerstreitige Gerichtsbarkeit verwiesenen Materie bestimmt (6 Ob 162/19w; RS0012214 [T6]). Insofern ist das außerstreitige Verfahren ungeachtet des ausschließlichen Verweisungsausspruchs des § 1 Abs 2 AußStrG auch ohne gesetzliche Anordnung jedenfalls dann anzuwenden, wenn sich dies aus der Natur des Anspruchs und der durch seine Geltendmachung hergestellten Rechtsbeziehungen zwischen dem Antragsteller und dem Gericht ergibt (6 Ob 162/19w; RS0005781).

3.3. Gehört ein im Streitverfahren geltend gemachter Anspruch in Wahrheit in das Außerstreitverfahren, so ist gemäß § 40a JN vorzugehen. Dies gilt auch dann, wenn sich die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs erst im Rechtsmittelverfahren herausstellt (RS0046245), es sei denn, es wäre nach § 42 Abs 3 JN schon bindend über die Zulässigkeit des (außer-)streitigen Rechtswegs abgesprochen worden (RS0046245 [T6]; vgl RS0035572). Eine solche Bindung ist bereits dann zu bejahen, wenn sich ein Gericht nur in den Entscheidungsgründen mit dem Vorliegen der Prozessvoraussetzungen auseinandergesetzt hat (RS0035572 [T30]). Die bloß implizite Bejahung in Form meritorischer Behandlung durch die Vorinstanzen reicht für eine bindende Bejahung der Zulässigkeit des (streitigen) Rechtswegs aber nicht aus (RS0039857 [T1]).

4.1. Vor dem 1. 1. 2007 entstandene Kommanditerwerbsgesellschaften („KEG“) gelten mit 1. 1. 2007 als Kommanditgesellschaften (§ 907 Abs 2 UGB). Nach ständiger Rechtsprechung sind jegliche Anträge nach § 166 UGB im Verfahren außer Streitsachen zu behandeln, auch wenn dies in § 120 Abs 1 Z 2 JN nur für Angelegenheiten nach § 166 Abs 3 ausdrücklich vorgesehen ist (6 Ob 229/19y; RS0059108 [T1]; Kammel in Straube/Ratka/Rauter , UGB I 4 § 166 Rz 19; S.-F. Kraus in U. Torggler , UGB 3 § 166 Rz 8; Feltl , UGB § 166 E 36; G. Nowotny , Die gerichtliche Zuständigkeit im Gesellschafts- und Privatstiftungsrecht, NZ 2013, 33 [34]; vgl RS0045816).

4.2. Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass die Kontroll- und Auskunftsrechte des Kommanditisten im Außerstreitverfahren geltend zu machen sind, besteht lediglich in dem Fall, dass nicht nur diese Rechte des Gesellschafters als solche strittig sind, sondern auch ihre tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen, wie etwa die Gesellschafterstellung, Beteiligung an der Gesellschaft oder Identität der Gesellschaft (6 Ob 229/19y; RS0046144).

5.1. Mit der vorliegenden Klage machen die Kläger die von § 166 Abs 1 UGB eingeräumten Kontrollrechte als Kommanditisten geltend. Die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen dieser Ansprüche im Sinn der dargestellten Rechtsprechung sind nach dem Klagevorbringen nicht strittig. Für die geltend gemachten Ansprüche ist daher der streitige Rechtsweg nicht zulässig.

5.2. Das weitere Klagevorbringen, wonach die Beklagte die Übergabe der Jahresabschlüsse zugesagt habe, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Selbst wenn man darin – wie das Berufungsgericht – die Behauptung einer zusätzlichen vertraglichen Anspruchsgrundlage sähe, wäre diese auf das (allenfalls konstitutive) Anerkenntnis des aus § 166 Abs 1 UGB abgeleiteten Anspruchs beschränkt. Eine derartige bloße Bekräftigung des gesetzlichen Anspruchs vermag an dessen inneren Zusammenhang mit der in die außerstreitige Gerichtsbarkeit verwiesenen Materie (vgl RS0012214 [T6]) nichts zu ändern (vgl Rassi , Verfahrensrechtliche Fragen der Bucheinsicht, ÖJZ 1997, 891, 895 f zur vertraglichen Modifikation gesetzlicher Kontrollrechte).

6.1. Eine den Obersten Gerichtshof bindende Entscheidung über die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs liegt im vorliegenden Fall nicht vor.

Es ist daher gemäß § 40a JN auszusprechen, dass die Klage als Antrag im Außerstreitverfahren zu behandeln ist.

6.2. Zuständig zur Geltendmachung der Kontrollrechte des § 166 UGB ist nach § 120 Abs 1, 2 JN der mit Handelssachen betraute Gerichtshof erster Instanz, in dessen Sprengel das Unternehmen seine Hauptniederlassung oder seinen Sitz hat. Die Rechtssache ist daher nach § 44 Abs 1 JN an das Handelsgericht Wien zu überweisen.

7.1. Im Zwischenverfahren nach § 40a JN richtet sich die Kostenentscheidung nach jenem Rechtsweg, den der das Hauptverfahren Einleitende in seinem Rechtsschutzantrag gewählt und behauptet hat (RS0046245 [T2, T5]). Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz beruht auf § 51 Abs 2 ZPO. Den Klägern ist das Vergreifen in der Verfahrensart, der Beklagten die Fortsetzung des Verfahrens ohne Aufgreifen der Nichtigkeit als Verschulden anzulasten (vgl Fucik in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 51 Rz 4; 1 Ob 187/17g). Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens, in dem die Beklagte die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs rügte, gründet auf § 51 Abs 1 ZPO (vgl RS0035875).

7.2. Der Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 ZPO hat keinen Einfluss auf die von den Klägern nach § 56 Abs 2 JN vorgenommene Bewertung des Streitgegenstands. Diese bleibt als Bemessungsgrundlage nach § 4 RATG (vgl RS0042617 [T14]) und § 14 GGG weiter relevant. Die Kläger bewerteten den geltend gemachten Anspruch, der sich auf Jahresabschlüsse und Bucheinsicht für den Gesamtzeitraum 2003 bis 2014 bzw 2015 bezieht, nach § 56 Abs 2 JN pauschal mit 3.500 EUR. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Ansprüche, die sich auf rund die Hälfte dieses Zeitraums beziehen, sodass die Bemessungsgrundlage des Kostenersatzanspruchs der Beklagten im Revisionsverfahren mit rund der Hälfte, sohin 1.750 EUR, anzusetzen ist.

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