OGH 1Ob117/18i

OGH1Ob117/18i3.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. DI A*****, und 2. J*****, beide vertreten durch Dr. Ing. Andreas Pascher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Anlegerentschädigung von Wertpapierfirmen GmbH, Wien 4., Rainergasse 31/8, vertreten durch die Dorda Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen 40.000 EUR, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. April 2018, GZ 1 R 42/18f‑15, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 17. Jänner 2018, GZ 581 Cg 4/17t‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00117.18I.0403.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind je zur Hälfte schuldig, der beklagten Partei die mit 3.428,22 EUR (darin enthalten 404,70 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist die gesetzliche Entschädigungseinrichtung nach § 75 WAG 2007. Die A***** AG (nachfolgend kurz „I‑AG“) war als konzessionierte „Wertpapierfirma“ von 1993 bis zu ihrem Ausschluss 2008 Mitglied der Beklagten; die A***** Gruppe AG (nachfolgend kurz „G‑AG“) war dagegen nie deren Mitglied. Über die I‑AG und die G‑AG wurde am 4. 5. 2010 das Konkursverfahren eröffnet.

Beide Kläger begehren eine Anlegerentschädigung nach dem WAG. Sie hätten über Kreditinstitute an der Börse von der G‑AG emittierte Genussscheine erworben. Wegen des Konkurses der „A*****‑Gesellschaften“ seien diese wertlos. Die I‑AG und die G‑AG seien wirtschaftlich verbunden gewesen, die G‑AG habe seit 2001 75 % der Aktien der I‑AG gehalten. Die G‑AG sei der I‑AG daher zuzurechnen. Die I‑AG habe den Klägern die Genussscheine vermittelt, indem sie diese in den Medien beworben und den Klägern Auskünfte zu deren Ausgestaltung sowie zum An- und Rückkaufsprozedere erteilt habe. Sie hätten dadurch erfahren, dass sie die Genussscheine gegen Zahlung eines Agios bei der „A*****“ oder alternativ an der Börse kaufen können. Um das Agio zu sparen, hätten sie sich für einen Erwerb an der Börse entschlossen. Der Börsenhandel mit den Genussscheinen sei großteils durch „A*****‑Gesellschaften“ selbst erfolgt. Diese (teilweise nehmen die Kläger auch nur auf die G‑AG Bezug) seien Verkäufer der von den Klägern erworbenen Genussscheine gewesen.

Die Beklagte entgegnet im Wesentlichen, dass die G‑AG keine „Wertpapierfirma“ und daher kein Mitglied der Beklagten gewesen sei, weshalb (von der Beklagten ohnehin bestrittene) Ansprüche gegen diese Gesellschaft nicht der gesetzlichen Anlegerentschädigung unterlägen. Die I‑AG wiederum habe keine Wertpapierdienstleistung für die Kläger erbracht, weshalb auch für (ebenfalls bestrittene) Forderungen gegen diese Gesellschaft keine Anlegerentschädigung zustehe. Da die Kläger die Genussscheine an der Börse erworben hätten, sei der dafür bezahlte Kaufpreis weder der G‑AG noch der I‑AG zugeflossen, sodass diese Gesellschaften zu keinem Zeitpunkt Kundengelder für die Kläger gehalten hätten.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unschlüssigkeit ab, weil die Kläger nicht behauptet hätten, die Genussscheine aufgrund sicherungspflichtiger Wertpapierdienstleistungen erworben zu haben. Das Vorbringen zur Frage, wer als Verkäufer der an der Börse erworbenen Genussscheine aufgetreten sei, sei ebenfalls unschlüssig geblieben, weil sich diesem Vorbringen nicht klar entnehmen lasse, dass „A***** Gesellschaften“ an den Börsetransaktionen beteiligt gewesen wären und der Kaufpreis für die von den Klägern erworbenen Genussscheine an eine solche Gesellschaft geflossen sei. Durch die Investition der Kläger an der Börse sei es zu keinem konzessionswidrigen (mittelbaren) Halten von Kundengeldern durch die I‑AG gekommen, was aber Voraussetzung für die Anlegerentschädigung sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es erblickte die „Stoßrichtung“ des Klagevorbringens – trotz dessen Widersprüchlichkeit – darin, dass die von den Klägern an der Börse erworbenen Genussscheine aus dem ausschließlich oder vorwiegend von der I‑AG und der G‑AG angebotenen Handelsvolumen stammten und eine dieser Gesellschaften daher als Verkäuferin aufgetreten sei.

Auch auf Basis einer derartigen Interpretation des Klagevorbringens bestehe der Klageanspruch aber nicht zu Recht, weil sich dem Vorbringen nicht entnehmen lasse, dass die I‑AG – als (ehemals) konzessionierte „Wertpapierfirma“ und Mitglied der Beklagten – gegenüber den Klägern Wertpapierdienstleistungen erbracht hätte, die eine Anlegerentschädigung rechtfertigen würden. Den bisher vom Obersten Gerichtshof entschiedenen Fällen zur Anlegerentschädigung wegen Veranlagungen in Genussscheine der I‑AG oder der G‑AG seien jeweils Wertpapierdienstleistungen der (eine wirtschaftliche Einheit mit der G‑AG bildenden) I‑AG zugrunde gelegen. Im vorliegenden Fall seien die Kläger (nach ihrem Vorbringen) aber in keinerlei vertraglicher Beziehung zur I‑AG (und auch nicht zur G‑AG) gestanden. Es sei für sie auch nicht vorhersehbar gewesen, ob die über die Börse erworbenen Genussscheine von der I‑AG oder der G‑AG verkauft würden. Der einzige behauptete Berührungspunkt der Kläger zu einer „Wertpapierfirma“ iSd § 75 Abs 1 WAG 2007 habe nach ihrem Vorbringen darin bestanden, dass sie Inhaber von Genussscheinen geworden seien, deren Emittentin mit einer solchen „Wertpapierfima“ eine wirtschaftliche Einheit gebildet habe. Eine Wertung dieses (behaupteten) Sachverhalts als „Wertpapierdienstleistung“ der I‑AG würde den Kreis der anspruchsberechtigten Anleger beträchtlich ausweiten, was weder den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur Anlegerentschädigung, noch dem Wortlaut des WAG, der Absicht des Gesetzgebers oder den in der Literatur vertretenen Ansichten entspreche. Da sich die Kläger nach ihrem Vorbringen bewusst gegen eine Vertragsbeziehung mit der I‑AG und – um das Agio zu sparen – für einen Erwerb der Genussscheine über die Börse entschieden hätten, könnten sie sich auch nicht darauf berufen, auf einen Schutz durch die Anlegerentschädigung vertraut zu haben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision (unter anderem) deshalb zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage bestehe, ob ein Erwerb der Genussscheine über die Börse eine Anlegerentschädigung ausschließe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Kläger ist aus dem genanntem Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Das Berufungsgericht wandte auf den vorliegenden Fall das WAG 2007 an, weil die Klage zu einem Zeitpunkt (nämlich am 30. 3. 2017) eingebracht worden war, zu dem dieses Gesetz bereits in Geltung stand. Dies steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach gemäß § 108 Abs 1 WAG 2007 zur Ermittlung der anwendbaren Fassung des WAG auf den Zeitpunkt der Klagseinbringung abzustellen ist (4 Ob 89/13m). Die Anwendung des WAG 2007 (nachfolgend kurz „WAG“) wird von den Parteien auch gar nicht bekämpft.

2.1. Der Oberste Gerichtshof hat zu den Voraussetzungen der Anlegerentschädigung nach § 75 WAG bzw zur Vorgängerbestimmung des § 23b WAG 1996 (BGBl 1996/753) bereits in zahlreichen Entscheidungen – auch zu den hier zu beurteilenden Genussscheinen und deren Vermittlung durch die I‑AG – Stellung genommen. Nach § 75 Abs 3 WAG greift die

Anlegerentschädigung ein, wenn eine „Wertpapierfirma“ nicht in der Lage ist, dem Anleger geschuldetes Geld zurückzuzahlen oder (dies ist hier nicht relevant) ihm gehörende Finanzinstrumente zurückzugeben. Rückforderungsansprüche können sich außer aus vertraglichen Regelungen auch aus dem Schadenersatz-, Bereicherungs- oder Sachenrecht ergeben (vgl 4 Ob 89/13m; 8 Ob 45/15y; 4 Ob 141/15m; 6 Ob 119/15s).

2.2. Das System der Anlegerentschädigung beruht auf der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger („AE‑RL“). Ihr Zweck ist es vor allem, Anleger vor „Betrügereien“ zu schützen (vgl 9 Ob 50/09g; 10 Ob 50/12v; 10 Ob 33/14x). Ein solches Betrugsrisiko besteht besonders beim „Halten“ von Geldern und Finanzinstrumenten für den Anleger (9 Ob 50/09g; 6 Ob 235/09s; 8 Ob 45/13w). Da Geschäfte, die das Halten von Geldern und Wertpapieren von Kunden umfassen, einer „Wertpapierfirma“ jedoch ausdrücklich untersagt sind (§ 3 Abs 5 Z 4

WAG) und die Anlegerentschädigung keine Ansprüche aus einer Beratungshaftung deckt (siehe dazu auch Punkt 5.3), verbleibt als Anwendungsbereich nur der Fall, dass „Wertpapierfirmen“ in Überschreitung ihrer Konzession (also rechtswidrig) Kundengelder oder Finanzinstrumente halten. Nur für sich daraus ergebende Schäden sollte eine Haftung der Beklagten geschaffen werden (vgl etwa 4 Ob 89/13m; 6 Ob 235/09s; RIS‑Justiz RS0126147; siehe auch Kalss / Linder , Ausgewählte Fragen zur Anlegerentschädigung gem §§ 23b ff WAG, ÖBA 2006, 824 [828 f]; Graf , Unter welchen Voraussetzungen trifft die Entschädigungseinrichtung gem § 23b WAG 1997 eine Zahlungspflicht gegenüber geschädigten Anlegern, ZFR 2008, 84 [insb 87 f]; Linder in Gruber / N. Raschauer , Wertpapieraufsichtsgesetz [2010] § 75 WAG Rz 12; Ch. Rabl / Foglar‑Deinhardstein , Anlegerentschädigung gemäß § 75 WAG für geschädigte AvW‑Genussscheininhaber, ÖBA 2014, 838 [842]; B. Raschauer / N. Raschauer , Unmittelbare Anwendbarkeit der Anlegerentschädigungs-richtlinie? ÖZW 2014, 2 [7]; Linder , Von Amis zu AvW – die Anlegerentschädigung gem §§ 75 ff WAG, VbR 2015, 77 [78]; Rapani in Brandl / Saria , WAG § 75 [2015] Rz 24; Klauser / Weber , Anlegerentschädigung und Einlagensicherung in Gelbmann / Klauser / Leupold / Weber / Kolba , Konsumenten-recht und Kapitalmarkt [2015] 226; aA hingegen Wilhelm , Zur Anlegerentschädigung nach dem Wertpapieraufsichtsgesetz, ecolex 2007, 422).

2.3. Nach gefestigter Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0126148 [T3]; RS0128910 [T1]) kommt das „Halten von Kundengeldern“ auch in Form eines mittelbaren Haltens in Betracht. Ein solches liegt etwa dann vor, wenn sich nicht die „Wertpapierfirma“ selbst, sondern eine Tochtergesellschaft oder ein sonst mit der „Wertpapierfirma“ rechtlich oder wirtschaftlich verbundener Rechtsträger Kundengelder oder Finanzinstrumente aneignet. In Betracht kommt auch eine Verflechtung im Sinne einer Beherrschung oder einer weitgehenden Eigentümeridentität (6 Ob 98/13z; 6 Ob 119/15s).

3. Dem Klagevorbringen kann – wovon bereits das Erstgericht zutreffend ausging – nicht schlüssig entnommen werden, ob der I‑AG als (im Zeitpunkt der Veranlagungen der Kläger) von § 75 WAG erfasster „Wertpapierfirma“ der von diesen für die Genussscheine bezahlte Kaufpreis überhaupt (unmittelbar oder mittelbar über die G‑AG) zugeflossen ist. Haben die I‑AG oder die G‑AG (als behauptete wirtschaftliche Einheit) den Kaufpreis für die von den Klägern erworbenen Genussscheine gar nicht erhalten, käme ein anspruchsbegründendes konzessionswidriges Halten von Kundengeldern aber von vornherein nicht in Betracht, sodass die Klage bereits aus diesem Grund zu Recht abgewiesen wurde.

4. Aber selbst wenn man – wie das Berufungsgericht – davon ausginge, dass der von den Klägern für die an der Börse erworbenen Genussscheine bezahlte Kaufpreis tatsächlich an die G‑AG oder die I‑AG geflossen wäre, bestünde kein Entschädigungsanspruch nach § 75 WAG. Nach dem Klagevorbringen wurden die Genussscheine nämlich am Sekundärmarkt (also nicht im Zuge der Emission durch die G‑AG) erworben. Für die Kläger war daher im Vorhinein nicht ersichtlich, wer ihnen die Genussscheine (über die am Börsegeschäft beteiligten Personen [Kreditinstitute]; vgl dazu allgemein Kalss / Puck in Aicher / Kalss / Oppitz , Grundfragen des neuen Börserechts [1998] 327 ff) – im Rahmen eines Geschäfts für fremde Rechnung – verkaufen würde. Selbst wenn bei einer an der Börse platzierten (Kauf‑)Order zuerst bei der I‑AG oder der G‑AG „angefragt“ worden wäre bzw diese eine korrespondierende Verkaufsorder erteilt hätten, wäre für die Kläger im Vorhinein nicht festgestanden, dass sie die gewünschten Genussscheine gerade von einer dieser Gesellschaften erwerben werden. Die Kläger durften somit nicht darauf vertrauen, mit dem Mitglied einer Entschädigungseinrichtung im Sinn des § 75 Abs 1 WAG zu kontrahieren. Mangels Vertrauens darauf, dass ihre Investitionen durch die Anlegerentschädigung (bis zum Höchstbetrag von 20.000 EUR) abgesichert seien, besteht auch kein schutzwürdiges Interesse an einer solchen Entschädigung. Dass auch in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs das Vertrauen des Anlegers darauf, dass er im Fall einer Schädigung durch eine von einem Mitglied der Entschädigungseinrichtung erbrachte Wertpapierdienstleistung abgesichert sei, für die Entscheidung, ob dem Anleger der Schutz der Anlegerentschädigung zukommen soll, berücksichtigt wurde, hat das Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt (vgl 4 Ob 89/13m; 8 Ob 45/13w; jeweils zur Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs der Anlegerentschädigung; auch nach Graf , ZFR 2008, 84 [89], muss die Frage, ob ein bestimmtes Geschäft von der Anlegerentschädigung erfasst ist, im Vorhinein beantwortet werden können; vgl zum Vertrauensschutzgedanken auch Ch. Rabl / Foglar-Deinhardstein , ÖBA 2014, 838 [843]; die AE‑RL hebt in ihrem Erwägungungsgrund 5 den Vertrauensaspekt ebenfalls hervor).

5.1. Schließlich – und dagegen wenden sich die Revisionswerber primär – scheitert der Entschädigungs-anspruch der Kläger aber vor allem daran, dass ihnen (wie dies § 75 Abs 3 WAG voraussetzt) gegenüber der I‑AG als (früherem) Mitglied der Beklagten keine aus einer Wertpapierdienstleistung resultierende (Rückzahlungs‑)Forderung zusteht.

5.2. Dass die I‑AG durch ihre Mitwirkung an der Platzierung (Emission) der Genussscheine der G‑AG an der Frankfurter Börse gegen Bezahlung einer Provision das Loroemissionsgeschäft iSd § 1 Abs 1 Z 11 BWG als von § 75 WAG erfasste Wertpapierdienstleistung ausgeübt und daher eine von der Anlegerentschädigung erfasste Wertpapierdienstleistung erbracht hätte, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend als unzulässige Neuerung qualifiziert, woran auch die Bezugnahme der Revision auf eine in erster Instanz vorgelegte Urkunde nichts ändert (vgl RIS‑Justiz RS0038037 [T19]). Der Revision ist auch entgegenzuhalten, dass die behauptete Wertpapierdienstleistung der Teilnahme an der Platzierung der Genussscheine der G‑AG („Loroemissionsgeschäft“) nicht den Klägern erbracht worden sein kann, sondern sich auf die G‑AG als Emittentin bezieht und daher bereits deshalb keinen Anspruch auf Anlegerentschädigung begründen kann.

5.3. Die Kläger stützen sich in ihrer Revision auch darauf, dass sie von der I‑AG beim Erwerb der Genussscheine beraten wurden, und verweisen dazu primär auf Werbeunterlagen sowie eine individuelle Beratung. Auf die bereits in erster Instanz als Grundlage der begehrten Anlegerentschädigung behauptete Wertpapierdienstleistung der Anlageberatung kamen die Kläger in ihrer Berufung aber nicht zurück, sodass dies in dritter Instanz nicht mehr aufgegriffen werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0043338 [T13, T27 ua]). Davon abgesehen übersehen die Revisionswerber, dass Ansprüche aus einer (behaupteten) Fehlberatung von der Anlegerentschädigung ohnehin nicht gedeckt sind (RIS‑Justiz RS0126147 [T1]; vgl etwa auch Linder in Gruber / Raschauer , WAG [2010] § 75 WAG Rz 10 und Rz 12).

5.4. Neben der erstmals im Rechtsmittelverfahren behaupteten Wertpapierdienstleistung des Loroemissions-geschäfts und der in zweiter Instanz nicht aufrecht erhaltenen Behauptung einer Anlageberatung als anspruchsbegründender Wertpapierdienstleistung stützen sich die Revisionswerber auch darauf, dass die I‑AG durch die Vermittlung der Genussscheine eine Wertpapierdienstleistung im Sinn des § 75 WAG erbracht habe. Aus dem erstinstanzlichen Vorbringen ergibt sich aber, dass sich die Kläger, nachdem sie von „einer A*****‑Gesellschaft“ über die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Genussscheine zu erwerben, informiert wurden, bewusst gegen eine Vermittlung durch die I‑AG und für einen Erwerb über die Börse entschieden. Damit stützen sie sich gerade nicht auf die Wertpapierdienstleistung der Auftragsvermittlung gemäß § 3 Abs 2 Z 3 WAG, die sich im Übrigen auch nicht daraus ableiten lässt, dass – wie die Kläger behaupten – die I-AG den Vertrieb der Genussscheine über die Börse als „besondere Vertriebsschiene“ organisiert habe. Die in § 3 Abs 2 Z 3 WAG genannte und in § 1 Z 2 lit a WAG definierte Abschlussvermittlung setzt nämlich ein privatrechtliches Verhältnis zwischen dem Vermittler und seinem Kunden über die Anbahnung einer Geschäftsgelegenheit zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten voraus ( Seggermann in Brandl / Saria , WAG § 1 Rz 13; Linder , VbR 2015, 77 [79]; Hartmann / Heidinger in Gruber / Raschauer , § 1 WAG Rz 9; zum Erfordernis der Vereinbarung [über eine Wertpapierdienstleistung] vgl auch Rabl/Foglar-Deinhardstein aaO, 842, sowie Graf , ZFR 2008, 86, wonach der Anleger vor Gefahren aus der Vertragsbeziehung zum [nach der Rechtslage des § 23b WAG 1996] Wertpapierdienstleistungsunternehmen [nunmehr „Wertpapierfirma“] geschützt werden soll; auch der Oberste Gerichtshof legte seinen bisherigen Entscheidungen das Erfordernis einer vertraglichen Beziehung des Anlegers zum Mitglied der Entschädigungseinrichtung zugrunde; vgl etwa 7 Ob 220/12x; 10 Ob 50/12v). An dieser Grundvoraussetzung einer mit einer „Wertpapierfirma“ (die Mitglied der Anlegerentschädigung ist) getroffenen Vereinbarung über die behauptete Wertpapierdienstleistung der Annahme und Übermittlung von Aufträgen in Bezug auf ein Finanzinstrument fehlt es hier (nach dem Klagevorbringen) aber, weil der Erwerb über die Börse einer Vermittlung durch die I‑AG nicht gleichgehalten werden kann. Auch bei einem weiten Verständnis der Wertpapierdienstleistung der Abschlussvermittlung lässt das Klagevorbringen nicht erkennen, inwieweit zwischen den Klägern und der I‑AG als konzessionierter „Wertpapierfirma“ eine Vereinbarung über ein solches Geschäft getroffen worden sein sollte.

6. Eine Entschädigungspflicht der Beklagten vermag sich auch nicht daraus zu ergeben, dass die I‑AG (allenfalls im Zusammenwirken mit der G‑AG) beim „Vertrieb“ der Genussscheine über die Börse gegen in der Revision näher dargestellte „Börse-Usancen“ verstoßen habe bzw kein „normaler Börsehandel“ betrieben worden sei. Inwieweit eine behauptete „Kursstützung“ und „Kurspflege“ hinsichtlich der Genussscheine oder behauptete „Betrügereien“ durch ein „Auslagern [gemeint: des Vertriebs] an die Börse“ einen Anspruch auf Anlegerentschädigung begründen sollte, legen die Revisionswerber nicht dar. Die Kläger scheinen zu übersehen, dass eine „Wertpapierfirma“ nicht jeden (auch betrügerisch herbeigeführten) Schaden des Anlegers aus einer Veranlagung zu ersetzen hat, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 75 Abs 3 WAG haftet. Einen allgemeinen Schutz vor Betrügereien jeglicher Art normiert diese Bestimmung nicht (idS etwa auch Rabl/Foglar-Deinhardstein aaO 843). Dass die I‑AG für die Einlagerung der von den Klägern erworbenen Genussscheine bei einer Depotbank „gesorgt“ habe, vermag eine entschädigungsfähige Wertpapierdienstleistung im Sinn des § 75 WAG nicht zu begründen.

7. Dass eine Veranlagung an der Börse der Anlegerentschädigung für Wertpapierfirmen unterliegen soll, lässt sich auch der AE‑RL – die der Gesetzgeber (auch) mit dem WAG 2007 (und zuvor schon mit dem WAG 1996) umsetzen wollte (vgl etwa 7 Ob 220/12x; 1 Ob 215/13v) und anhand der § 75 WAG (soweit es sein Wortlaut zulässt) somit auszulegen ist – nicht entnehmen. Das nach dieser Richtlinie (vgl Erwägungsgrund 5) zu schützende Vertrauen des Anlegers beim Vertragsabschluss mit einem Mitglied einer Entschädigungseinrichtung besteht – wie bereits dargestellt (siehe Punkt 4) – bei einem Erwerb über die Börse, bei dem der Verkäufer nicht bekannt ist, gerade nicht. Dass die AE‑RL den Schutz der Kleinanleger auf hohem Niveau bezweckt, lässt nicht den Schluss zu, dass eine Entschädigung unabhängig davon zustehen soll, ob die Forderung des Anlegers – wie dies auch die AE‑RL vorsieht – dadurch entstanden ist, dass (nur dies ist hier relevant) eine „Wertpapierfirma“ nicht in der Lage war, Gelder zurückzuzahlen, die Anlegern geschuldet werden oder gehören und für deren Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten werden (Art 2 Abs 2 AE‑RL). Ein Verstoß gegen den in der Revision angezogenen europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz bzw den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit europarechtlicher Normen („effet‑utile“) ist nicht ersichtlich. Der

Anregung der Revisionswerber auf Einholung einer

Vorabentscheidung des EuGH ist nicht näherzutreten, weil keine ungeklärte unionsrechtliche Frage, der für die vorliegende Entscheidung Bedeutung zukäme, zu beantworten ist.

8. Der Revision ist aus den dargelegten Gründen ein Erfolg zu versagen.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 46 Abs 1 und § 50 ZPO; für die Revisionsbeantwortung ist keine Pauschalgebühr angefallen.

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