Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 922,07 EUR (darin enthalten 153,68 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Die Beklagte ist die von der Republik Österreich für durch Wertpapierfirmen geschädigte Anleger eingerichtete Entschädigungseinrichtung nach §§ 75 ff WAG 2007. Die am 2. 6. 1993 gegründete A***** Invest AG war von Anfang an Mitglied (Gesellschafterin) der Beklagten. Die am 26. 2. 2001 gegründete A***** Gruppe AG war hingegen nie Mitglied der Beklagten. Am 4. 5. 2010 wurde über das Vermögen beider Gesellschaften das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Kläger erwarben (unter anderem) am 25. 4. 2006 und 23. 8. 2006 insgesamt fünf Genussscheine der A***** Gruppe AG zum Gesamtkaufpreis von 12.185,90 EUR. Aus dem Erwerb der genannten Genussscheine haben die Kläger einen Verlust in der angeführten Höhe erlitten.
Die Kläger begehrten die Entschädigungsleistung von der Beklagten. Als Verkäuferin der Erwerbe im Jahr 2006 sei die A***** Gruppe AG aufgetreten. Sämtliche Erwerbe seien allerdings von der A***** Invest AG vermittelt worden. Bei der A***** Invest AG handle es sich um eine Wertpapierfirma, deren Insolvenz einen Entschädigungsfall darstelle. Die A***** Gruppe AG und die A***** Invest AG hätten eine wirtschaftliche Einheit dargestellt.
Die Beklagte entgegnete, dass die A***** Gruppe AG bei ihr nicht Mitglied gewesen sei, weshalb für diese keine Entschädigungspflicht bestehe. Im Anlassfall sei auch keine sicherungspflichtige Wertpapierdienstleistung, insbesondere kein Vermögensverwaltungsvertrag, behauptet worden. Es liege vielmehr ein Emissionsgeschäft vor, das nicht gesichert sei. Für das allgemeine Investitionsrisiko und den daraus resultierenden Wertverlust der Genussscheine habe die Beklagte nicht einzustehen. Nach Einbuchung der Genussscheine auf den Depots der Kläger habe ein Herausgabeanspruch auf Kundengelder nicht mehr bestanden. Auch ein Anspruch auf Herausgabe von Finanzinstrumenten bestehe nicht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren im zweiten Rechtsgang neuerlich ab. Der wesentliche Zweck der Anlegerentschädigung liege im Schutz der Anleger vor Betrügereien sowie in der Sicherung ihrer Ansprüche im Insolvenzfall. Im Anlassfall sei allerdings nicht ersichtlich, auf welche rechtlichen Erwägungen eine Zahlungspflicht der Beklagten gestützt werden könne. Ansprüche aus einer Fehlberatung seien nicht Gegenstand der Anlegerentschädigung. Die Kläger beklagten aber lediglich den Wertverlust der Genussscheine.
Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Nach den Vorgaben des Höchstgerichts im ersten Rechtsgang sei eine allenfalls bestehende Verflechtung oder Eigentümeridentität zwischen der A***** Invest AG und der A***** Gruppe AG zu prüfen. Dazu habe das Erstgericht allerdings keine Feststellungen getroffen. Die zweite Fragestellung aus der höchstgerichtlichen Entscheidung habe die allfällige Qualifikation der Genussrechte als Eigenkapital betroffen. Zur Darlegung der Voraussetzungen für diesen Ausnahmetatbestand des § 75 Abs 3 letzter Satz WAG 2007 hätte die Beklagte ergänzendes Vorbringen erstatten müssen, was sie jedoch unterlassen habe. Dieser Ausnahmetatbestand greife daher nicht ein. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zur Klarstellung der Frage zulässig, ob die Zahlungspflicht der Beklagten im Fall einer Verflechtung zwischen beiden A***** Gesellschaften zu bejahen sei oder noch Raum für eine Anspruchsverneinung bestehe.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten, die auf eine Wiederherstellung der abweisenden Entscheidung des Erstgerichts abzielt.
Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragen die Kläger, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs erweist sich wegen geklärter Rechtslage als unzulässig.
1. Richtig ist, dass für die Begründung einer Entschädigungspflicht der Beklagten ein Entschädigungsfall im Sinn des § 75 Abs 3 WAG 2007 „dem Grunde nach“ vorliegen muss.
Nach dem Vorbringen der Kläger war die Wertpapierfirma (A***** Invest AG) als Wertpapiervermittlerin tätig. Dabei handelt es sich um eine grundsätzlich gesicherte Wertpapierdienstleistung. Die Wertpapiervermittlerin darf kein Kundenvermögen (Finanzinstrumente bzw Kundengelder) bei sich halten. Ein solches Halten von Kundenvermögen ist konzessionswidrig und damit rechtswidrig.
Nach gesicherter Rechtsprechung ist auch das mittelbare Halten von Kundenvermögen über einen Dritten verpönt, wenn dieser Dritte nach den Wertungen der Entschädigungsnormen der Wertpapierfirma zuzurechnen ist. Ein solches mittelbares Halten liegt etwa vor, wenn sich nicht die Wertpapierfirma selbst, sondern ein mit ihr verbundener Rechtsträger die Kundengelder oder Finanzinstrumente aneignet. In Betracht kommt vor allem eine (rechtliche oder wirtschaftliche) Verflechtung der beiden Rechtsträger im Sinn einer Beherrschung oder einer weitgehenden Identität der Eigentümer, sodass von einer wirtschaftlichen Einheit und einer abgestimmten Willensbildung auszugehen ist.
2. Nach dem Grundtatbestand des § 75 Abs 3 WAG 2007 greift die Anlegerentschädigung ein, wenn die Wertpapierfirma nicht in der Lage ist, dem Anleger geschuldetes Geld zurückzuzahlen oder dem Anleger gehörende Finanzinstrumente zurückzugeben. Richtig ist somit, dass gegenüber der Wertpapierfirma ein Rückzahlungs- bzw ein Rückgabeanspruch in Bezug auf das gehaltene Kundenvermögen bestehen muss. Rückforderungsansprüche können sich aber nicht nur aus den vertraglichen Regelungen, sondern auch aus dem Schadenersatz‑, Bereicherungs‑ oder Sachenrecht ergeben. Im gegebenen Zusammenhang gehen Richtliniengeber und Gesetzgeber im Fall einer Insolvenzeröffnung bei konzessionswidrig gehaltenen, also rechtswidrig angeeigneten Kundengeldern von einem derartigen Rückzahlungsanspruch aus (8 Ob 45/13w; 4 Ob 89/13m; 6 Ob 98/13z). Ein Anleger, der einem entsprechend konzessionierten Unternehmen, das Mitglied der Entschädigungseinrichtung ist, einen Auftrag zur Erbringung einer Wertpapierdienstleistung erteilt, kann nämlich grundsätzlich damit rechnen, dass ihm die Entschädigungseinrichtung einen Schaden bis zum Höchstbetrag von 20.000 EUR ersetzen wird, wenn dieses Mitglied gegen das Verbot des Haltens von Kundengeldern oder von Finanzinstrumenten des Kunden verstößt.
3.1 Nach ihrem Vorbringen beziehen die Kläger die verpönte Handlung der A***** Invest AG auf das mittelbare Halten der Erwerbspreise für die zugrunde liegenden Genussscheine. Das Halten von Finanzinstrumenten (Wertpapieren) spielt im Anlassfall keine Rolle.
Nach der Sachverhaltsgrundlage kam der Kaufpreis für die Genussscheine der A***** Gruppe AG als Emittentin zu. Entgegen der Ansicht der Beklagten, der sich das Erstgericht angeschlossen hat, schließt dieser Umstand die Entschädigungspflicht der Beklagten allerdings nicht aus.
Auf Basis der vom Erstgericht bisher ermittelten Tatsachengrundlage kann nicht einmal das Argument der Beklagten überprüft werden, es bestehe kein vertraglicher Rückzahlungsanspruch der Kläger aus der Leistung des Erwerbspreises für die Genussscheine. Da die vertragliche Ausgestaltung der Genussscheine nicht geklärt ist, können auch die damit verbundenen Rechte der Anleger nicht beurteilt werden. Dazu hat das Erstgericht die vertragliche Grundlage für den Erwerb der Genussscheine durch die Kläger im Detail festzustellen. Vor allem sind aber konkrete Feststellungen zur Frage nachzuholen, ob und gegebenenfalls welche Verflechtung zwischen der A***** Invest AG und der A***** Gruppe AG zum Zeitpunkt des Erwerbs der Genussscheine durch die Kläger bestanden hat, sodass die gesicherte Beurteilung möglich ist, ob von einer wirtschaftlichen Einheit und einer abgestimmten Willensbildung beider Gesellschaften auszugehen ist.
3.2 Der Oberste Gerichtshof hat in seinem Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang (8 Ob 45/13w) unmissverständlich klargestellt, dass eine Entschädigungspflicht der Beklagten auch dann besteht, wenn sich die A***** Invest AG als Wertpapiervermittlerin Kundengelder (hier die Erwerbspreise) aus den zugrunde liegenden Genussscheinverkäufen angeeignet hat, ihr das entsprechende Verhalten der A***** Gruppe AG also zuzurechnen ist. Die Aneignung des Erwerbspreises durch die Wertpapiervermittlerin würde ein konzessionswidriges bzw rechtswidriges Halten von Kundengeldern darstellen. Auch ein mittelbares Halten (Aneignen) durch die Wertpapierfirma über einen ihr zurechenbaren Dritten ist verboten und entschädigungspflichtig. Die beklagte Anlegerentschädigungs-einrichtung hat somit etwa auch dafür einzustehen, dass eine Wertpapierfirma eine Tochtergesellschaft gründet und über diese Anlegermittel verbotener Weise hält.
4.1 Art 4 Abs 2 iVm Anhang I der Anlegerentschädigungs‑RL räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, bestimmte personenbezogene Ausnahmen von der Deckungspflicht vorzusehen. Eine allgemeine Ausnahme für Bestandteile des Eigenkapitals der Wertpapierfirma besteht hingegen nicht. An dieser Rechtsprechung sowie an der Bejahung der unmittelbaren Wirkung der zitierten Richtlinienbestimmungen wird trotz einer gegenteiligen Ansicht im Schrifttum (P. Raschauer/N. Raschauer, Unmittelbare Anwendbarkeit der Anlegerentschädigungsrichtlinie? ÖZW 2014, 2) festgehalten. Die Richtlinie unterscheidet zwischen obligatorischen und fakultativen Ausnahmen. Art 3 der Richtlinie enthält eine obligatorische Ausnahme, weshalb in dieser Bestimmung auch nicht auf Anhang I Bezug genommen wird. Für die Mitgliedstaaten fakultative Ausnahmen sind in Art 4 Abs 2 der Richtlinie grundgelegt, die den Mitgliedstaaten allerdings nicht uneingeschränkt zustehen. Über Anhang I hinausgehende Ausnahmen von der Entschädigungspflicht würden gerade nicht zu einer höheren oder weitergehenden Deckung für die Anleger führen. Art 4 Abs 2 und Anhang I der Anlegerentschädigungs‑RL sprechen im Übrigen (anders als Art 7 Abs 2 und Anhang I der Einlagensicherungs‑RL) klar von „Anlegern“ und nicht von „Anlagen“.
4.2 Auf den Ausnahmetatbestand des § 75 Abs 3 letzter Satz WAG 2007 kann sich die Beklagte nicht berufen. Dazu hätte sie konkret vortragen müssen, warum die Kläger unter die personenbezogenen Ausnahmen von der Deckungspflicht nach Anhang I der Anleger-entschädigungs‑RL fallen oder warum der in Rede stehende Ausnahmetatbestand sonst konkret erfüllt sein soll. Die bloße Behauptung des Eigenkapitalcharakters der Genussscheine für die Wertpapierfirma (hier A***** Invest AG) genügt nicht.
Auf die Frage des Vorliegens eines Ausnahmetatbestands ist im fortgesetzten Verfahren nicht mehr einzugehen. Dabei handelt es sich um einen abschließend geklärten Streitpunkt.
5. Ausgehend von seiner wiederum unrichtigen Rechtsansicht hat das Erstgericht die zur Beurteilung der Rechtssache erforderlichen Feststellungen neuerlich nicht getroffen, weshalb weiterhin relevante sekundäre Feststellungsmängel vorliegen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich damit als nicht korrekturbedürftig, weshalb der Rekurs zurückzuweisen war.
Im fortgesetzten Verfahren hat das Erstgericht die Bedingungen für den Erwerb der zugrunde liegenden Genussscheine durch die Kläger festzustellen und überdies die erforderlichen Feststellungen zu einer allenfalls gegebenen rechtlichen und/oder wirtschaftlichen Verflechtung der A***** Invest AG und der A***** Gruppe AG zu treffen. Von Schlussfolgerungen, die sich nach Ansicht des Erstgerichts aus der Entscheidung 1 Ob 242/12p ergeben und die von den Vorgaben des vorliegenden Beschlusses abweichen, ist Abstand zu nehmen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.
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