OGH 7Ob28/18w

OGH7Ob28/18w21.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H***** N*****, 2. M***** K*****, vertreten durch Hudelist/Primig Rechtsanwälte OG in Feldkirchen in Kärnten, gegen die beklagte Partei G***** L*****, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 28.561,29 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. November 2017, GZ 3 R 150/17d‑16, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 5. Dezember 2016, GZ 49 Cg 47/16a‑11, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00028.18W.0321.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.984,69 EUR (darin enthalten 330,78 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Kläger, Inhaber eines Betriebs, in dem unter anderem hochwertige Pferde für den Western‑Reitsport gezüchtet und trainiert werden, begehren vom Beklagten die Zahlung von 28.561,29 EUR sA aus dem Titel des Schadenersatzes, gegründet auf Art 17 Abs 1 CMR. Sie hätten den Beklagten mit dem Transport einer trächtigen Stute von Italien nach Österreich beauftragt, in dessen Zuge sich in Italien ein Verkehrsunfall ereignet habe, den die Stute und das ungeborene Fohlen nicht überlebten. Der Fahrer des Beklagten habe den Verkehrsunfall grob fahrlässig dadurch verursacht, dass er bei einem Überholmanöver mit überhöhter Geschwindigkeit und mit zu niedrigem Sicherheitsabstand auf den Vordermann aufgefahren sei. Die zu Fortpflanzungszwecken gemietete Leihstute sei zum Zeitpunkt des Unfalls mit einem hochwertigen Fohlen trächtig gewesen, das im Auftrag und auf Kosten der Kläger in einer Pferdeklinik in Italien aus einer Eizelle einer wertvollen, bereits verstorbenen, Spenderstute und dem Samen eines Deckhengstes gezeugt worden sei. Spenderstute und Deckhengst seien im Eigentum der Kläger gestanden. Wäre das ungeborene Fohlen nicht bei dem Verkehrsunfall umgekommen, wäre es gesund geboren worden und hätte im Alter von vier Monaten verkauft werden können. Der geltend gemachte Schaden ermittle sich unter Berücksichtigung der „Herstellungskosten“ nach der Sachwertmethode und entspreche jedenfalls dem Verkehrs (Verkaufs‑)Wert.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO, der kraft Größenschlusses auch für die Zurückweisung eines von der zweiten Instanz wegen einer – in Wahrheit nicht vorliegenden – erheblichen Rechtsfrage zugelassenen Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss im Berufungsverfahren nach § 519 Abs 2 ZPO gilt (RIS‑Justiz RS0043691), kann sich der Oberste Gerichtshof auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (7 Ob 38/17i).

2. Der Beklagte bemängelt die im Gegensatz zum Erstgericht vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, dass das Klagebegehren schlüssig sei.

Zur Schlüssigkeit der Klage bedarf es der Behauptung der rechtserzeugenden Tatsachen in ihr. Es genügt, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell‑rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RIS‑Justiz RS0037516, RS0001252). Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden; ob sich der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt oder ob das bisher erstattete Vorbringen soweit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht, ist eine Frage des Einzelfalls und stellt daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0037780, RS0042828).

3.1 Die Kläger stellen in ihrer Rekursbeantwortung klar, dass sie keine Haftung des Beklagten unter Berücksichtigung der Haftungsbeschränkungen nach der CMR geltend machen, sondern sich nur auf grob fahrlässig verursachte Schadenszufügung gemäß Art 29 Abs 1 CMR stützen.

Gemäß Art 29 Abs 1 CMR kann sich der Frachtführer auf die Bestimmungen dieses Kapitels, die seine Haftung ausschließen oder begrenzen oder die Beweislast umkehren, nicht berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein ihm zur Last fallendes Verschulden verursacht hat, das nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem „Vorsatz gleichsteht“. Das gilt nach Abs 2 leg cit auch, wenn nicht dem Frachtführer selbst, sondern seinen Bediensteten oder sonstigen Beförderungsgehilfen ein solches grobes Verschulden zur Last fällt. Dem Vorsatz gleichstehende Fahrlässigkeit bedeutet in Österreich grobe Fahrlässigkeit; die Beweislast für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Frachtführers trifft den Geschädigten (RIS‑Justiz RS0073961; RS0062591). Wenn die Voraussetzungen des Art 29 CMR vorliegen, entfällt nach einhelliger Meinung jedenfalls das Recht des Frachtführers auf Haftungsbegrenzung nach Art 17 Abs 2 und 4 CMR, nach Art 18 CMR, aber auch nach Art 23 und 25 CMR (7 Ob 230/12t mwN).

3.2 Das Berufungsgericht bejahte – von den Streitteilen unbestritten – im Zusammenhang mit der Frage der Ersatzfähigkeit des geltend gemachten Schadens die Anwendung österreichischen Rechts (Rechtswahl). Auch gegen die – nicht korrekturbedürftige – Ansicht des Berufungsgerichts, die Frage der Rechtswidrigkeit des Fahrverhaltens sei nach den am Unfallort geltenden Normen des italienischen Straßenverkehrsrechts zu beurteilen, wenden sich die Streitteile nicht.

4.1 Festzuhalten ist, dass das ungeborene Jungtier bis zur Absonderung unselbständiger Bestandteil des Muttertiers und als solcher nicht sonderrechtsfähig ist (RIS‑Justiz RS0009914; RS0009891).

4.2 Wird eine Sache völlig zerstört und beruht das Verhalten des Schädigers auf leichter Fahrlässigkeit, so ist nach § 1332 ABGB der gemeine Wert der Sache zu ersetzen. Gemäß § 1324 ABGB ist bei grobem Verschulden (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) volle Genugtuung zu leisten, das heißt, das gesamte Interesse zu ersetzen. Im Begriff „volle Genugtuung“ ist der entgangene Gewinn enthalten. Der entgangene Gewinn unterscheidet sich von dem auch bei leichter Fahrlässigkeit zu ersetzenden positiven Schaden dadurch, dass es sich um bloße Gewinnaussichten, deren Realisierung zwar nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten ist, handelt, er aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintritt. Positiver Schaden und nicht entgangener Gewinn liegt bereits vor, wenn eine rechtlich gesicherte Position besteht, den Gewinn zu ziehen (RIS‑Justiz RS0111898). Der Entgang einer bestimmten Gewinnmöglichkeit gilt dann nicht als Entgang von Gewinn iSd §§ 1293, 1323, 1324 ABGB, wenn das Bestehen der Gewinnmöglichkeit im Verkehr als selbständiger Wert angesehen wird. In diesem Fall liegt positiver Schaden vor (RIS‑Justiz RS0032927, vgl auch RIS-Justiz RS0030082; RIS‑Justiz RS0030452).

So hat der Oberste Gerichtshof auch schon ausgesprochen, dass in einem Fall, bei dem ein trächtiges Haustier (Schwein) bei einem Unfall getötet worden war, die Möglichkeit, die zu erwartenden Jungtiere zu verwerten, eine Gewinnmöglichkeit sei, welche im Geschäftsverkehr als selbständiger Vermögenswert angesehen wird und dessen Vernichtung nicht entgangener Gewinn, sondern positiver Schaden ist (2 Ob 286/63). Gleiches gilt für die durch die Vernichtung eines Bienenvolks entgangene Möglichkeit, den Honig zu verwerten (6 Ob 560/78 = EvBl 1978/190).

4.3 Dem „Vermögen“ einer Person kommt zwar in der Regel kein absoluter Schutz zu (RIS‑Justiz RS0022462), der reine Vermögensschaden ist daher bei fahrlässiger Zufügung außerhalb (vor‑)vertraglicher Beziehungen grundsätzlich nicht ersatzfähig (RIS‑Justiz RS0023122). Anderes gilt aber, wenn sich die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens aus der Rechtsordnung ableiten lässt, insbesondere bei Schutzgesetzverletzungen, bei sittenwidrigem Verhalten des Schädigers (§ 1295 Abs 2 ABGB) sowie bei der – von den Klägern behaupteten – Verletzung von vertraglichen oder vorvertraglichen Pflichten (RIS‑Justiz RS0023122 [T2]; RS0022813).

4.4 Die Kläger bringen vor, dass sie über die Leihstute – aufgrund des gerade zum Zwecke des Austragens des Fohlens eingeräumten Bestandrechts – Rechtsbesitz ausgeübt und dass sie mit der Geburt des Fohlens an diesem Eigentum erworben, jedenfalls aber Anspruch auf dessen Übereignung gehabt hätten. Damit machen sie den Verlust der Erwerbsmöglichkeit an dem Fohlen, das behauptetermaßen gesund geboren worden wäre, als reinen Vermögensschaden geltend, weshalb die Frage des Eigentums an der Leihstute samt ungeborenem Fohlen dahingestellt bleiben kann. Auch ob der Verlust der hier behaupteten bloßen Erwerbsmöglichkeit positiver Schaden oder entgangener Gewinn ist, ist irrelevant, weil der geltend gemachte Ersatzanspruch ohne Berücksichtigung der Haftungsgrenzen nach der CMR – wie dargestellt – ohnedies das Vorliegen groben Verschuldens voraussetzt, womit der vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang als erheblich erachteten Frage, ob künftige Früchte einen selbständigen Vermögenswert darstellen, keine Relevanz zukommt.

4.5 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach das Klagsvorbringen hinreichend bestimmt und schlüssig sei, als nicht zu beanstanden. Das Erstgericht wird daher das beantragte Beweisverfahren durchzuführen haben.

5. Der Rekurs ist daher zurückzuweisen, ohne dass es einer weiteren Begründung bedurfte (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO des Berufungsgerichts findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS‑Justiz RS0123222 [T2, T4]). Die Kläger haben in ihrer Rekursbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit des Rekurses hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz (RIS‑Justiz RS0123222 [T8]).

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